Julia,
ich muss Dir noch was erzählen, okay?
Caro und ich reden immer noch miteinander. Ich war sogar schon ein paarmal bei ihr zu Hause. Sei jetzt nicht sauer, ja? Ich meine, ich erzähle ihr nicht irgendwelche Sachen oder so. Schließlich ist es Corn Syrup, die in der Schule hinter Beth hertrottet wie ein geprügelter Hund. Aber sie lacht selber darüber, und … ich weiß nicht. Caro ist nicht so übel.
Mein Gott, ist das schwer …. Allein schon hier zu sitzen und Dir zu schreiben … das ist so schwer. Ich hatte nie Angst, mit Dir zu reden, aber jetzt schon. Ich wollte Dir alles erzählen, aber dann hab ich in dieses Notizbuch geschaut und daran gedacht, was ich früher zu Dir gesagt habe, und ich hab mich gehasst.
Mit dir reden war immer so leicht und jetzt … Jetzt weiß ich nicht mehr. Ich weiß überhaupt nichts mehr.
Wenn ich doch nur nicht so wütend wäre. Wenn ich doch nur ein stärkerer Mensch wäre, ein besserer Mensch.
Mom und ich haben an dem Tag nach … nach Patrick miteinander geredet. Sie hat mich von der Schule abgeholt und nach Hause gefahren. Sie ist mir ins Arbeitszimmer gefolgt, als ich reingegangen bin, um meine Hausaufgaben zu machen, und hat angefangen zu reden. Sie hat gesagt, sie wollte mich nicht drängen, mit ihr ins Einkaufszentrum zu gehen, und falls ich gekränkt sei, weil sie mich zum Haareschneiden überreden wollte, würde ihr das leidtun.
Du hättest sie hören sollen, Julia. Wenn ich denke, wie sehr ich mir immer gewünscht habe, dass sie so mit mir redet. Mit diesem flehentlichen Ton in ihrer Stimme. Ich wollte immer, dass Mom und Dad bei mir genauso gegen eine Wand liefen wie ich bei ihnen. Sie sollten wissen, wie es ist, wenn man überhaupt nicht wahrgenommen wird, obwohl man sich im selben Zimmer aufhält.
Und ja, es war okay. Aber nicht so toll, wie ich gedacht hatte. Ich saß da, ließ sie zappeln und schaute ihr zu, wie sie mit Engelszungen auf mich einredete und sich so unglaublich viel Mühe gab, und ich … Sie tat mir fast leid. Und Dad auch. Ihr Leben ist total auf den Kopf gestellt, sodass Mom jetzt am helllichten Nachmittag bei mir zu Hause ist, ohne einen einzigen Artikel zu schreiben oder sich auf ihren Unterricht vorzubereiten oder mit Dad zu reden. Nichts von all den Dingen, die ihre Augen sonst immer zum Leuchten brachten.
Mag sein, dass Mom und Dad mich früher nicht wirklich wahrgenommen haben, aber dafür waren sie glücklich, verdammt noch mal.
»Es tut mir leid«, sagte ich zu ihr. »Ich bin … das ist alles so schrecklich.«
»Amy«, sagte Mom und ihr Gesicht zerbröckelte. »Bitte sag so was nicht. Dein Vater und ich, wir geben uns solche Mühe und wenn du uns nur lassen würdest, dann …«
»Nein, ich wollte sagen, es tut mir so leid für euch. Es ist so schlimm, dass ihr das alles machen müsst. Es muss echt hart sein.«
Da brach Mom in Tränen aus. Sie stand einfach da, das Gesicht in den Händen vergraben, und bebte am ganzen Körper.
»Das wollte ich nicht«, sagte sie nach einer Weile und die Worte drangen nur gedämpft durch ihre Finger. »Glaub mir, das hab ich nie für dich gewollt.« Ich hätte sie gern umarmt, traute mich aber nicht. Was versteh ich schon vom Trösten? Davon, wie man andere aufmuntert?