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So kam es, dass Joshua über die Jahre in sporadischer Verbindung mit Paul Spencer Wagoner blieb, während der seltsame kleine Junge zu einem noch etwas seltsameren jungen Mann heranwuchs. Joshua hatte es gewissermaßen als seine Pflicht angesehen, denn vermutlich war er der einzige Bekannte des Jungen aus seiner Kindheit in Happy Landings, abgesehen von seiner unmittelbaren Familie. Und seine Pflichten nahm Joshua immer sehr ernst.
Andererseits war er auch neugierig. Und Paul Spencer Wagoner hatte so einiges an sich, was Joshuas Neugier schürte.
Soweit er wusste, hatten Tom und Carla Wagoner sich stets so gut wie möglich um Paul und seine kleine Schwester Judy gekümmert; auf keinen Fall hatten sie den Kindern je Gewalt angetan. Aber als ihre Ehe zerbrach, weil sie, wie Joshua vermutete, dem durch die Kinder erzeugten Druck nicht mehr standhielt, blieb Tom mit Paul allein zurück. Und er kam nicht damit klar, dass sein Sohn, während er in puncto Wissen, wenn auch nicht Weisheit, große Fortschritte machte und dabei eine gewisse geistige, wenn auch nicht körperliche Macht erlangte, sich mehr und mehr gegen den Vater wandte.
Paul war erst zehn, als er seinem Vater weggenommen wurde.
»Paul kennt mich viel zu gut«, sagte Tom zu Joshua, als sie sich im Frühjahr 2036 im Heim in Madison begegneten. Joshua war zurückgekommen, um zu sehen, wie die Schwestern nach dem Tod von Schwester Agnes im Jahr davor zurechtkamen. »Er hat sehr bewusst meine Trennung von seiner Mutter mitbekommen«, sagte Tom, »und wie sie mir die kleine Judy weggenommen hat. Nebenbei bemerkt, Carla kommt ebenso wenig klar wie ich, das darf ich Ihnen verraten – sie hat mit Judy dieselben Probleme, die wir damals mit Paul hatten. Er weiß auch, dass ich es bei der Arbeit versaut habe. Paul hat das alles miterlebt, und er hat viel mehr begriffen, als für ein Kind gut ist. Davon, was in meinem Kopf vorging, meine ich.« Er schüttelte seinen grau werdenden Schädel voller Bedauern. »Wenn er mich wegen irgendeines Fehlers oder weil ich Mist gebaut habe, auseinandernimmt, dann ist das … niederschmetternd. Ich komme mir nicht vor wie ein Vater mit einem hochnäsigen Kind, sondern wie ein Schoßtier, das bestraft wird. Absolut erniedrigt. Noch schlimmer ist es, wenn er absichtlich grausam wird. Ich meine nicht körperlich, damit könnte ich wahrscheinlich eher umgehen. Nein, der verflixte Bengel kann einen mit Worten regelrecht in Scheibchen schneiden. Und wissen Sie, was am allerschlimmsten ist? Er macht es nur deshalb, weil er es kann. Aus Spaß … nein, nicht einmal deshalb. Aus Neugier. Um zu sehen, was passiert, wenn er dich knackt. Als würde er einen Frosch aufschneiden. Er weiß nicht, was er tut, er ist ja noch ein Kind, aber …«
Nachdem Joshua ein wenig nachgebohrt hatte, erfuhr er, dass Pauls Schwester Judy ihrer Mutter inzwischen ebenfalls weggenommen worden war. Und den aktuellen Gepflogenheiten der Fürsorge entsprechend waren die Geschwister getrennt voneinander untergebracht.
Inzwischen war klar geworden, dass Paul nicht sehr glücklich war. Er fand sich nirgendwo ein, und es bestand die Gefahr, dass er völlig außer Kontrolle geriet. Nach einigen katastrophalen Versuchen, ihn bei Pflegeeltern unterzubringen, ließ Joshua ein paar Beziehungen spielen. Daraufhin wurde Paul ins Heim nach Madison geschickt, wo er der Fürsorge der strengen aber einfühlsamen Schwestern oblag.
Von da an sah ihn Joshua regelmäßiger. Trotzdem blieb der Junge, der sich zu einem sehr merkwürdigen Teenager entwickelte, Joshua und den Schwestern ein Rätsel.