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Nachdem die Wechselgeschwindigkeit auf zwei Schritte pro Sekunde während der Betriebsstunden heraufgesetzt worden war, sodass nach wie vor genügend Zeit zur Überprüfung und zum Ausprobieren sämtlicher Anlagen blieb, waren die Armstrong und die Cernan in der Lage, an die hunderttausend Schritte pro Tag zurückzulegen. Zehn Tage nach Cowleys Rede in Madison West 5 passierten die Luftschiffe bereits Erde West 1.000.000 und drangen damit in die exotischeren Gefilde der Welten ein, denen die frühen Forscher den Namen Hohe Megas gegeben hatten.
Maggie entspannte sich allmählich. Ihr Eingangskorb, sowohl was technische als auch zwischenmenschliche Probleme anging, wurde deutlich leerer. Trotz Macs düsterer Analyse, dass der wahre Grund der Mission die Erweiterung der Macht und der Einflussnahme der Regierung sei, bekam sie auch von offizieller Seite keine weiteren Anweisungen mehr. Und nachdem sie fünf lange Jahre auf den Nahen Erden und der Datum geschuftet hatte, steckte sie endlich nicht mehr in dieser gewaltigen, immer noch anhaltenden und äußerst entmutigenden Hilfsaktion, mit der nach wie vor ein Großteil des von der Yellowstone-Katastrophe heimgesuchten Amerika versorgt werden musste.
Stattdessen dachte sie jetzt daran, Harry Ryan seinen Willen zu lassen und ihm zu erlauben, noch vor Ende der Testläufe auf vollen Schub zu gehen, um herauszufinden, was die Kiste wirklich draufhatte.
In diesem Moment klopfte Douglas Black an die Tür ihrer Kajüte.
Nach einer etwas betretenen Vorstellung durch Nathan Boss ließ sich Black ihr gegenüber steif auf einem Stuhl nieder. Der Mann, der hinter ihm stand, war nicht älter als dreißig, glatt rasiert und starrte Maggie an wie ein Feldwebel auf dem Exerzierplatz einen Rekruten.
Nathan machte sich so schnell wie möglich aus dem Staub.
Maggie hatte nicht einmal gewusst, dass Black an Bord war. Jetzt erinnerte sie sich verärgert an Shi-mis Andeutungen, dass diese Reise noch das eine oder andere Geheimnis barg. Sie hatte Douglas Black, den mächtigsten und wohl auch reichsten Industriellen aller Welten der Menschheit, bisher nur aus der Ferne gesehen: auf dem Podium neben dem Präsidenten in Madison oder in irgendeinem Medienkanal, wenn er seine neueste technologische Initiative vorstellte oder vor irgendeinem Senatsausschuss aussagen musste, der sich mit dem angeblichen Fehlverhalten einer seiner Firmen beschäftigte. Er ist kleiner, als er im Fernsehen immer aussieht, dachte sie sofort. Schmaler, älter. Black trug einen unscheinbar wirkenden Straßenanzug mit Krawatte. Früher einmal mochte er gut ausgesehen haben, inzwischen jedoch war sein kahler Schädel von Leberflecken übersät, Nase und Ohren standen auf Altmännerart markant vom Kopf ab, und seine Augen hinter den dunklen Brillengläsern, die er offensichtlich auch in Innenräumen trug, sahen wässrig aus.
Black ertappte sie dabei, wie sie ihn interessiert musterte, und lachte. »Sie müssen sich nicht in Zurückhaltung üben, Frau Kapitänin. Ich weiß, dass ich kein Ölgemälde bin und im Vergleich dazu, wie mich die Fernsehleute digital herrichten, eher eine Enttäuschung. Trotzdem sollten Sie mal mein jugendliches Lächeln betrachten.« Er grinste breit und bleckte dabei zwei Reihen perfekter Zähne. »Hübsche Beißerchen – auch so etwas kann man heutzutage für Geld kaufen.«
Seine Aussprache klingt nach Boston, dachte sie, alte Schule, so wie JFK in alten grobkörnigen Schwarz-Weiß-Fernsehaufnahmen. Alte Schule, aber nicht unbedingt altes Geld. Blacks Lebensgeschichte war allseits bekannt: Wie er das Ölgeld, das er von seinem Großvater geerbt hatte, in erstaunliche technische Neuerungen gesteckt hatte, auf diese Weise zu einem sagenhaften Vermögen und viel Macht gekommen war und sich dabei einen Rattenschwanz an Feinden eingehandelt hatte.
»Mr Black«, setzte sie an.
»Nennen Sie mich Douglas.«
»Lieber nicht. Sie dürfen mich Kapitänin Kauffman nennen. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie sich an Bord dieses Schiffes befinden, ehe Sie Ihre Anwesenheit meinem armen Stellvertretenden offenbarten.«
»Ach ja. Da haben wir den jungen Mann wohl kalt erwischt. Aber es ging leider nicht anders. Ich wurde vor dem Start an Bord geschmuggelt und in meiner Privatkabine eingesperrt, die sich in einem verborgenen Winkel der Gondel befindet. Sie müssen mich mal besuchen kommen. Wie Sie sich wohl vorstellen können, geht es dabei vorrangig um Sicherheit. Sie wissen auch, dass ich ziemlich, nun ja, verwundbar bin und dass ich mir jede Menge Widersacher geschaffen habe. Deshalb mussten wir zu dieser etwas unglücklichen List greifen – eine Kooperation Ihres Admirals Davidson mit meinen Sicherheitsleuten, und das alles von Präsident Cowleys Mitarbeitern vermittelt. Alle Stellen waren sehr hilfsbereit.« Er lächelte wieder selbstgefällig.
Maggie war wütend und erwiderte unterkühlt und sachlich: »Hilfsbereit? In meinen Augen, Mr Black, sind Sie ein blinder Passagier.«
Er wirkte nicht sehr verunsichert. »Wie aufregend! Und das in meinem Alter. In diesem Falle sollte ich wohl erwähnen, dass ich nicht ohne Gepäck gekommen bin.«
»Gepäck?«
»Zum einen Philip hier, dazu noch ein paar andere meiner Mitarbeiter: mein persönlicher Arzt sowie ein paar wissenschaftliche Berater, ein Planetologe und ein Klimatologe. Und ein wenig Spezialausrüstung. Abgesehen von meiner altersbedingten Gebrechlichkeit musste ich mich einer Reihe von Transplantationen unterziehen, und die vielen Mittel, die ich gegen die Abstoßung der Organe einnehme, beeinträchtigen mein Immunsystem. Ich brauche Schutz, wie Sie sehen. Zum Glück verfügen Sie über einen geräumigen Frachtraum.«
»Menschenskind! Von wie vielen Tonnen Mehrgewicht sprechen wir gerade? Und das alles ohne mein Wissen an Bord geschmuggelt!«
»Stimmt. Und jetzt sind wir hier. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie mich über Bord werfen lassen?«
»Nein. Aber Ihrem Schläger hier könnte das durchaus passieren, wenn er mich noch länger so anstarrt.«
»Benimm dich, Philip.« Der Angesprochene senkte den Blick, rührte aber sonst keinen Muskel. »Er muss mich wohl oder übel überallhin begleiten. Auch das eine Bedingung meiner Sicherheitsleute bei Ihrem freundlichen Angebot, mir eine Kajüte zur Verfügung zu stellen. Eigentlich war es natürlich nicht Ihr Angebot, sondern das des Präsidenten …« Dabei lächelte er wieder und wartete geduldig, bis Maggie diese Botschaft verdaut hatte.
»Also, Mr Black, ich muss zugeben, dass Sie mich mit Ihrer Anwesenheit an Bord meines Schiffes ziemlich überrascht, ja sogar überrumpelt haben.«
»Das liegt nur daran, dass Sie mich noch nicht besser kennen. Ich bin schon immer viel abenteuerlustiger gewesen, als es meine öffentliche Erscheinung vermuten ließe.«
»Ich weiß, dass Sie viel Geld in diese Schiffe gepumpt haben.«
»Ganz recht. Letztendlich habe ich ihre Entwicklung fast vollständig finanziert, mit Ausnahme der chinesischen Wechsler-Technologie natürlich. Ich habe seit jeher immer gerne den Industriezweigen unter die Arme gegriffen, die unsere Streitkräfte ausstatten.«
»Das ist mir bekannt.« Sie erinnerte sich, wie entsetzt sie gewesen war, als sie herausfand, in welchem Maße die Black Corporation ihre Finger in der Ausrüstung der Benjamin Franklin stecken hatte. Und sie hatte Black schon immer im Verdacht gehabt, dass er seine Unterwanderung des Militärs ausnutzte, angefangen von seinen Kontakten zur obersten Kommandeursriege, die seine gewaltigen Aufträge abnickte, bis zur Implantation seiner Ausrüstung in sämtliche Linienschiffe, Panzer und sonstige Fahrzeuge und Flugzeuge – sogar bis hin zu den Körpern einiger Soldaten –, um überall Informationen abzusaugen und höchstwahrscheinlich ganz heimlich, still und leise Kontrolle auszuüben. »Es muss Sie Millionen gekostet haben, aber ich vermute mal, dass Sie Ihre Kajüte auf diesem Schiff ordentlich bezahlt haben.«
»Ich bin so froh, dass Sie es so sehen.«
»Bleibt mir etwas anderes übrig?«
Er ging nicht näher darauf ein. »Wissen Sie, ich habe Ihre Karriere von Anfang an mit großem Interesse verfolgt.«
»Zweifellos.« Da sind Sie nicht der Einzige, dachte sie und musste an den geheimnisvollen »Doktor George Abrahams« denken, der damals, bei ihrer Rundreise durch die Kolonien mit der Franklin, genau im richtigen Augenblick aufgetaucht war, um ihr ein Gerät zur Übersetzung des Trollrufs zu präsentieren. Kurz darauf hatte er damit angegeben, dass er schon früher hier und da ein wenig eingegriffen habe, um ihre Karriere zu fördern. Ach, und dann hatte er ihr eine sprechende Roboterkatze geschenkt. Sie war überzeugt davon, dass Black, genau wie Abrahams, zu einem weitgespannten Kontroll- und Kommunikationsnetz gehörte. Aber die Armstrong war ihr Schiff, und sie hatte das dringende Bedürfnis, die Kontrolle über die Situation zurückzuerlangen. »Was genau wollen Sie hier eigentlich, Mr Black? Nur eine Mitfahrgelegenheit durch die Lange Erde?«
»Wäre das so verwunderlich? Bedenken Sie, was ich in meinem Leben alles erreicht habe. Können Sie sich nicht vorstellen, dass ich mir jetzt, da ich mich dem Ruhestand nähere, ein allerletztes Abenteuer gönnen möchte? Überlegen Sie, Frau Kapitänin. Wir alle tun angesichts der Langen Erde, dieser gewaltigen Landschaften in anderen Dimensionen, durch die wir so unerschrocken streifen, inzwischen so, als wäre sie selbstverständlich. Aber gibt es denn wirklich keine tieferen Geheimnisse ihrer Existenz mehr zu erforschen? Vielleicht ist es gar nicht so merkwürdig, dass eine Viertelmilliarde Welten existieren, damit wir sie in Ihrem wundervollen Schiff erforschen können. Viel merkwürdiger ist, dass überhaupt eine einzige Welt existiert … Wer weiß, was wir dort draußen finden? Wie hätte ich mich, da es mir möglich ist, einer solchen Expedition nicht anschließen können? Und ich musste jetzt los, ehe ich selbst allzu bald dieses Universum verlasse.«
»Ich bitte Sie, Mr Black! Das kaufe ich Ihnen nicht ab. Sie sind kein Tourist, Sie sind mit einem ganz bestimmten Ziel an Bord gekommen.«
»Ha!« Er klatschte offensichtlich erfreut in die Hände. »Ich habe schon immer gewusst, dass Sie ein kluger Kopf sind. Na schön. Was will ich Ihrer Meinung nach erreichen?«
»Woher soll ich das wissen? Vor einer Stunde wusste ich nicht mal, dass Sie sich überhaupt an Bord befinden. Vielleicht suchen Sie ja den Jungbrunnen.«
Er hob die silbernen Augenbrauen. »Sie sind erstaunlich scharfsichtig. Aber mehr sollte ich Ihnen nicht verraten. Ich suche tatsächlich etwas ganz Besonderes, und wenn wir es finden, werde ich sofort wissen, was es ist. Aber jetzt«, er machte Anstalten, sich vorsichtig von seinem Stuhl zu erheben, wozu ihm sein Leibwächter Philip eine Hand reichte, »gehe ich lieber. Sie müssen nicht glauben, dass Sie sich großartig um mich kümmern müssen.«
»So weit dürfte es nicht kommen, glauben Sie mir. Wir sind hier auf einem Schiff der Streitkräfte. Sie sind Frachtgut. Und was das angeht: überflüssiges Frachtgut.«
»Na, das ist immerhin besser als ein blinder Passagier. Aber jetzt, da ich sozusagen raus aus dem Bau bin, frage ich mich, ob ich mir Ihr wunderschönes Schiff nicht ansehen sollte. Vielleicht dürfte ich mir Ihren charmanten Stellvertretenden mal eine Stunde ausleihen?«
»Warum nicht? Ich gebe auch Mac, meinem Schiffsarzt, Bescheid. Doktor Mackenzie, meine ich. Er wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen und für Ihr körperliches Wohlbefinden an Bord sorgen.«
»Das ist nicht nötig, glauben Sie mir. Wie gesagt, ich habe meinen eigenen …«
»Das war kein Vorschlag, Mr Black. Sie befinden sich auf meinem Schiff. Jetzt, da ich weiß, dass Sie an Bord sind, bin ich für Ihre Sicherheit verantwortlich. Mac meldet sich morgen bei Ihnen.«
»Dann freue ich mich darauf, seine Bekanntschaft zu machen. Wo, wenn ich fragen darf, halten wir als Nächstes an?«
Diese Frage konnte sie ganz präzise beantworten: »Abgesehen von ein paar Probestopps unterwegs, auf Erde West 1.617.524. Schon in wenigen Tagen. Dort nehmen wir ein weiteres Besatzungsmitglied auf.« Und damit auch, dachte sie erschrocken, noch ein paar zusätzliche Probleme für mich. Aber wenigstens hatte sie es diesmal selbst so gewollt.
»Vielleicht ergibt sich dort die Gelegenheit, sich ein wenig die Beine zu vertreten.«
»Mr Black, wenn Sie mich fragen, setzen Sie erst dann wieder einen Fuß außerhalb dieses Schiffes, wenn wir in unser heimatliches Trockendock zurückgekehrt sind.«
Black lachte. »Ich bewundere Ihre offene und unkomplizierte Art, Kapitänin Kauffman. Jetzt muss ich mich leider verabschieden. Leben Sie wohl! Komm, Philip …«