Kapitel 3
Kari Honegger war eine Frühgeburt mit Komplikationen. Weil sich die Geburt über so viele Stunden hinzog, hatte seine Mutter kaum mehr genügend Kraft zum Pressen. Schließlich wurde das winzige, untergewichtige Bübchen mit Hilfe einer Geburtszange herausgezogen.
Es ist Tradition in der Honegger-Familie, Hühner zu halten und die Eier an die Nachbarschaft zu verkaufen, um sich ein bisschen was dazuzuverdienen. Dieser Brauch hat sich von der Urgroßmutter auf die Großmutter, und von der Großmutter auf Karis Mutter weitervererbt. Heute ist es Kari, der die Tradition eifrig weiterführt. Mit Hühnern und Eiern kennt er sich seit seiner Kindheit aus. Und im Gegensatz zu seiner verstorbenen Mutter baut er sein Eiergeschäft laufend aus. Mit Hilfe seines Onkels hat er die Holzställe unterhalb des Hauses am Hang erweitert. Unterdessen hat er eine stattliche Anzahl Hühner, die fleißig Eier legen. Kari ist stolz auf sein florierendes Geschäft. Sein Vater ist stolz auf seinen Sohn. Jeder in der Gemeinde kennt den stämmigen Burschen mit den wachsamen Augen, der Stupsnase und dem Bürstenschnitt.
Es behagt Kari, wenn alles in geordneten Bahnen abläuft. Noch vor dem Frühstück geht er hinunter zu den Ställen, um die Tröge zu reinigen und sie mit Futter aufzufüllen. Dann lässt er seine Hühner hinaus und schaut ihnen zu, wie sie sich gackernd auf das Futter stürzen. Seine Tiere sind zutraulich, aber nur zu ihm. Einige davon sind sogar so zahm, dass er sie auf den Arm nehmen und streicheln kann. Die alten Hühner, die kaum mehr Eier legen, mästet er in einem separaten Stall zu Suppenhühnern.
Nach dem Frühstück geht er auf Eiertour. Auf dem Gepäckträger seines schwarzen Mofas, Marke Sachs Tornado, hat der Spengler Seppi ihm eine spezielle Vorrichtung zusammengeschweißt, die es ihm erlaubt, seine Eierkartons sicher zu transportieren. Er braucht nie Werbung für seine Eier zu machen. Die Kunden fliegen ihm nur so zu. Nach der Arbeit das Vergnügen, das hat er von seiner Mutter gelernt. So liebt er es, vor dem Mittagessen noch ein bisschen in der Gegend herumzukurven und den Wind um die Ohren zu spüren.
Pünktlichkeit und Ordnung prägen Karis Leben. Punkt zwölf wird bei ihm zu Hause gegessen. Seit dem Tod seiner Mutter kocht seine Tante. Die Gerichte sind einfach, wiederholen sich häufig, aber das macht ihm nichts aus. Am liebsten mag er Herkömmliches: Knöpfli mit Chatzegschrei oder Ghackets mit Hörnli. Nach dem Essen macht er einen Mittagsschlaf, während seine Tante die Küche in Ordnung bringt. Sie besorgt auch die Wäsche. Danach müssen die Eier eingesammelt, gereinigt und in Kartons abgefüllt werden. Diese Arbeit mag Kari am liebsten. Hin und wieder kommt es vor, dass ein Ei kaputtgeht. Doch das stört ihn nicht. Mit Verlust muss man rechnen, sagt er allen, die es hören wollen. Gegen Abend geht er nochmals auf Tour, gewöhnlich so lange, bis er alle Eier verkauft hat. Kari ist mit seinem Leben zufrieden. Er redet wenig und wenn, nur über seine Hühner und seinen Sachs Tornado.