BHUJANGASANA
Die Kobra (Bhujangasana) wirkt öffnend und befreiend. Sie ist vor allem hilfreich in Lebenssituationen, in denen wir neues Selbstbewusstsein schöpfen und uns unserer Ideale bewusst werden möchten.
Meine Aufgabenliste für den nächsten Arbeitstag bestand aus drei Punkten.
Am Vormittag surfte ich im Internet auf der Suche nach einer Seite, auf der man sich gratis Planetentöne zum Download herunterziehen konnte. Nicht sonderlich erfolgreich.
Mittags kaufte ich offline zwei Duschgels, ein rotes mit dem Namen Energy und ein blaues mit dem Namen Meditation. Das klappte schon besser.
Nachmittags schnitt ich in mühevoller Kleinarbeit Buchstaben aus Zeitungen, Zeitschriften und alten Sunny-Side-Pressemitteilungen aus und bastelte eine Collage auf einem leeren Druckerpapierblatt zusammen. Das funktionierte ganz hervorragend. Das Einzige, das mich ab und an in meiner Konzentration störte, war die kleine Fanfare, mit der neue E-Mails in meinem Postfach eintrudelten. Noch immer erschrak ich jedes Mal, halb voll Panik und halb voll Hoffnung, und war dann gleichzeitig enttäuscht und erleichtert, wenn kein Chris dahintersteckte. Ich ließ sie alle ungeöffnet bis auf eine einzige. Die machte mich neugierig. »Aussprache« lautete der Betreff. Absender war ein gewisser Hansjörg127. »Liebe Evke«, schrieb Hansjörg127, »ich habe in der letzten Zeit viel über unser Verhältnis in der Vergangenheit nachgedacht und weiß, dass ich dabei keine besonders gute Figur gemacht habe. Ich würde mich freuen, wenn wir endlich einmal ungestört über alles reden könnten. Außerdem gibt es Neuigkeiten, die ich Dir nicht vorenthalten möchte. Melde Dich doch bitte bald bei mir.«
Mein Papa. Der gute Hansjörg. Darauf konnte er lange warten. Ich hatte schließlich auch lange gewartet, und zwar umsonst. Zugegeben, der letzte Satz machte mich neugierig. Aber auch wieder nicht so sehr. Ich hatte schließlich Dringenderes zu tun. Erpresserbriefe basteln, zum Beispiel.
Um Viertel vor sechs warf ich den letzten Blick auf mein Machwerk und war äußerst zufrieden. Es gelang mir sogar, den Zettel unbemerkt im Lift anzubringen, obwohl ich zur Rushhour das Büro verließ. Ein klarer Standortvorteil, wenn man im siebten Stock einstieg. Nur das Pokerface bei der Fahrt ins Erdgeschoss fiel mir schwer, während die einsteigenden Kollegen grinsend meinen fingierten Erpresserbrief lasen.
»Wir haben Ihre Bärchentasse«, stand dort, »es geht ihr den Umständen entsprechend gut, und es liegt an Ihnen, ob das auch so bleibt. Verhalten Sie sich ruhig und erwarten Sie weitere Forderungen. Kommando Dark Side.«
Was genau ich fordern würde, wusste ich noch nicht. Zum einen hatte das Buchstabenkleben länger gedauert, als ich geahnt hatte, und ich hatte einfach keine Zeit mehr gehabt, wenn ich abends pünktlich im Yogazentrum sein wollte.
Zum anderen hatte ich keinen Schimmer, wo die Bärchentasse abgeblieben war.
Heute war ich mit dem Auto unterwegs und hörte auf der Fahrt sämtliche vierzehn Tracks von The Sound of Didgeridoo. Ein früherer Freund hatte mir die CD einmal geschenkt und etwas von spiritueller Qualität gemurmelt. Ich hatte ihn schon damals im Verdacht gehabt, dass er sie nur zufällig vom Wühltisch gezogen hatte. Oder dass seine Mutter ähnliche Dinge verschenkte wie meine eigene. Aber auf der Fahrt zur ersten Yogastunde musste schließlich angemessene Musik laufen. Und nicht gerade Lady Gaga.
Irgendwo hatte ich gelesen, dass Yogis durch ihre ganzheitliche Lebensweise um mindestens zehn Jahre ihrem biologischen Alter hinterherhinkten. Als ich den großen Saal des Yogazentrums betrat, wusste ich auch, warum.
Auf einen Schlag fühlte ich mich wieder wie siebzehn.
Wo man hinsah, lagen Leute auf dem Rücken, Arme und Beine gespreizt, manche von ihnen in Wolldecken gehüllt. So hatte es damals nach unseren Samstagabendpartys auch ausgesehen.
Melli, Nadine und ich hatten oft zusammen in irgendwelchen Jugendzimmern auf Isomatten übernachtet, weil unsere Eltern keine Lust gehabt hatten, uns mitten in der Nacht in der Pampa abzuholen. Und ähnlich gerochen hatte es dort auch. Nach einer Mischung aus abgebrannten Räucherstäbchen, Deo und Schweiß. Mir wurde ganz heimelig zumute.
Ich wollte mich gerade dazulegen, da betrat eine kleine, drahtige Blondine den Raum. Sie legte anmutig ihre Handflächen vor dem Körper zusammen und grüßte in alle Richtungen. Einige Leute standen auf, warfen die Decken von sich und erwiderten den Gruß. Jetzt war mir auch klar, woher der leichte Schweißgeruch kam: Die meisten von ihnen waren barfuß.
Die Blondine warf einen Blick auf meine Turnschuhe.
»Ich sehe, wir haben einen Gast?«, fragte sie. Sie war wirklich ungemein drahtig, und sie hatte schönere Oberarme als Michelle Obama.
»Ich bin Nitya«, stellte sie sich vor, »und hier drinnen ziehen wir die Schuhe aus. Das ist wichtig für unsere Erdung.«
Jetzt fühlte ich mich nicht mehr wie siebzehn, sondern eher wie fünf. So ähnlich hatte meine Kindergärtnerin auch immer geklungen. Wie hieß sie noch? Ach ja: Frau Rosenkötter. Vor allem dieses strenge »wir« hatte sie auch gern benutzt: Evke, wir essen erst ein Stück vom Rohkostteller, dann gibt es Pfannkuchen!
Ich beugte mich über meine Schnürsenkel und überlegte kurz, Yoga ein für alle Mal an den Nagel zu hängen. Eigentlich war ich nämlich nicht der Typ Frau, der seine Füße sofort für jeden auszog. Erstens hatten sie einen eingebauten Schmutzmagneten, der rund ums Jahr meine Sohlen graubraun einfärbte. Waschen war zwar möglich, aber zwecklos. Außerdem hatte ich Hornhaut auf den Fersen und kleine Zehen, gegen die der schiefe Turm von Pisa aussah wie das Empire State Building.
Um mich herum wurde es unruhig. Beine wurden zum Lotossitz verknotet, Ellenbogen auf Knien abgelegt. Immerhin hatte Nitya am Rest meines Outfits nichts auszusetzen. Ich hatte ein lila Sweatshirt gewählt, und das mit Bedacht. Die Farbe war schließlich nicht nur modisch, sondern auch irgendwie spirituell. Schließlich hatte ich meine Schuhe abgestreift und stellte mit einer gewissen Erleichterung fest, dass meine Nachbarn auch keine schöneren Füße hatten als ich. Letztlich waren eben doch alle Menschen gleich.
»Wir setzen uns im Lotossitz auf und legen die Hände ins Cin-Mudra, Daumen und Zeigefinger zusammen!«, sagte die drahtige Nitya.
Wie bitte?
Ich schielte zu meinen Nachbarn. Die setzten sich bereits in Pose. Sie erinnerten mich an den meditierenden Buddha auf dem Flyer, der gestern in meiner Wohnung gelandet war. Nur in unterschiedlicher Größe und mit unterschiedlichem Körperumfang. Die Position war nicht besonders kompliziert. Das schaffte ich gerade noch, auch wenn ich die Beine nicht ganz so elegant ineinander verknoten konnte.
Unauffällig blickte ich mich weiter um. Bis auf den älteren Mann mit grauem Rauschebart und weißem Wallegewand auf der Matte neben mir wirkten sie alle ziemlich normal.
»… und wir schließen die Augen!« Das klang streng und ging an meine Adresse. Wieder fiel mir Frau Rosenkötter ein: Evke! Brauchst du immer eine Extraeinladung?
»Wir beginnen mit unserem Begrüßungsmantra.«
Seit Jahren hatte ich nicht mehr an meine Kindergärtnerin gedacht und nun schon zum zweiten Mal innerhalb von fünf Minuten. Damals hatten wir morgens immer im Kreis gesessen und das Sonnenkäferlied gesungen.
Falsch: Alle anderen hatten das Sonnenkäferlied gesungen. Mich hatte Frau Rosenkötter eines Morgens beiseitegenommen. Eindringlich hatte sie mich gebeten, lieber nur die Lippen zu bewegen. Um nicht die anderen ständig aus dem Takt zu bringen.
Im Klartext: Sie hatte mir verboten zu singen.
Das hier war natürlich etwas ganz anderes. Nitya und die anderen produzierten jetzt lang gezogene, kehlige Laute in einer völlig unverständlichen Sprache. Wohl etwas Indisches. Was sangen die da überhaupt? Ich fragte mich, ob jemand von ihnen die Worte verstand. Vielleicht hießen sie ja so etwas wie »Mama, das Curry ist zu scharf!« oder »Papa, ich hab einen neuen Job im Callcenter«?
Ich versuchte, einen möglichst meditativen Gesichtsausdruck aufzusetzen und durchzuhalten. Das war ja auch keine schlechte Übung in innerer Gelassenheit: abwarten, bis das mit dem Singen zu Ende war. Und außerdem hatte ich mir ja vorgenommen, nicht immer gleich so negative Gedanken über meine Mitmenschen zu hegen. Damit konnte ich auf der Stelle anfangen.
Was sangen die jetzt gerade? Om?
Wenigstens mal ein Mantra, von dem ich schon gehört hatte. Wenn zwanzig Yogaschüler gleichzeitig die Silbe anstimmten, klang es, als würde jemand in ein unterirdisches Röhrensystem pusten. Alles vibrierte. Ich auch.
Shanti, Shanti, Shanti, sangen sie.
Als ich gerade fand, dass ich meine innere Gelassenheit mehr als genügend trainiert hatte, erteilte Nitya die Erlaubnis zum Augenöffnen. Jetzt würde es endlich losgehen mit den Übungen, die mich in eine gelenkige, straffe Hollywood-Beauty verwandeln würden. Schließlich auch ein Grund, warum ich hier war. Seelische Schönheit hin oder her.
Ich machte Anstalten aufzustehen, wurde aber von einem einzigen Blick daran gehindert.
»Wir beginnen mit der ersten Atemübung«, fuhr Nitya fort und fixierte mich. Atemübung? Ich war verdattert. Ich hatte noch nicht einmal gewusst, dass man das Atmen üben musste. Wenn man nicht gerade ein neugeborenes Baby war.
»Wir legen die rechte Hand ins Vishnu-Mudra, Daumen ans linke Nasenloch, atmen ein, halten dann die Luft an und lassen sie schließlich ganz langsam durch das andere Nasenloch wieder ausströmen. «
So hatte ich mir immer die Geräusche in einem Lungensanatorium aus dem neunzehnten Jahrhundert vorgestellt. Ein bisschen klang es auch nach Darth Vader, dem Typen mit der schwarzen Atemmaske aus Star Wars.
Ein Gutes hatte die Atemübung allerdings: Ich musste mich so intensiv aufs Weiterleben konzentrieren, dass ich keine Chance hatte auf einen klaren Gedanken.
Und das war ja auch ganz gut so. Denn die klaren Gedanken in den letzten Tagen waren nicht gerade erheiternd gewesen.
Nach der übernächsten Übung sah ich unauffällig zu meiner Armbanduhr. Schon eine halbe Stunde vergangen, und bisher hatten wir noch nichts gemacht außer Singen und Atmen.
»Entschuldigung«, flüsterte ich Nitya zu, »gehört das denn wirklich alles zum Yoga?«
Dummerweise röchelte in diesem Moment keiner. Alle Blicke richteten sich auf mich. Jeder im Raum hatte mich verstanden.
Statt Nitya ergriff der Mann mit dem weißen Wallegewand neben mir das Wort.
»Alles ist Yoga, Liebes«, sagte er und sah mich gütig an wie Gottvater persönlich. »Wenn du es richtig anstellst, gibt es überhaupt keine Grenze mehr zwischen Leben und spirituellem Weg.«
»Aber was ist denn mit diesen ganzen Übungen«, stotterte ich, »ich meine, diese ganzen verknoteten Körperhaltungen?«
»Die Asanas? Die dienen nur dazu, den Körper so zu kräftigen, dass du die Meditation am Ende länger durchhältst«, raunte der Bärtige, »die Asanas sind kein Selbstzweck. Auch wenn viele Leute sie als eine Art Gymnastik begreifen.«
Das begriff ich nun überhaupt nicht. Sport machen, um dann länger stillsitzen zu können?
Nitya hob die Hand. »Das können wir nachher noch weiter klären«, sagte sie, »jetzt gehen wir zu den Umkehrstellungen über.«
Fünf Minuten später sehnte ich mich schon heftig zurück nach den Atemübungen. Die waren zwar seltsam, aber immerhin hatte ich sie sofort verstanden. Tatsächlich verwickelten die Kursteilnehmer sich jetzt in abenteuerlichen Positionen. Eine ältere Frau stand scheinbar mühelos auf dem Kopf und entblößte dabei Waden, die mich an mittelalten Gorgonzola erinnerten. Eine andere nahm eine ähnliche Position ein wie die Schauspielerin auf der Partywebsite. Stand ihr gar nicht schlecht. Obwohl sie längst nicht so dünn war.
»Du hast noch nie Yoga gemacht, oder?«, fragte Nitya und sah mich so mitleidig an, als hätte ich ihr eröffnet, dass ich noch nie ein Badezimmer mit fließend Wasser oder ein Besteckset mit Messer und Gabel gesehen hatte. Dann ließ sie mich eine Weile aufrecht stehen, ein Bein halb angewinkelt und den Oberkörper eigenartig verdreht.
Danach zeigte sie mir eine Übung auf der Matte, und schon wieder musste ich an meine Kindergartenzeit denken. Damals hatten wir es »Kerze« genannt, im Yoga hieß es vornehm »Schulterstand«. Während ich verwundert feststellte, welchen Unterschied doch vierzig zusätzliche Kilos und vierundzwanzig zusätzliche Jahre ausmachten, stand Nitya über mir.
»Umkehrstellungen sind heilsam«, dozierte sie leise, »sie wirken positiv auf die feinstoffliche Wirbelsäule. Dadurch regeneriert sich der Körper.«
Bingo. Da war es wieder. Jünger mit Yoga. Gern hätte ich gewusst, wie alt der Mann im weißen Wallegewand neben mir war. Ich hätte ihn ja auf etwa fünfzig geschätzt. Aber möglicherweise hatten ihn ja auch seine schlimmen Erlebnisse im Ersten Weltkrieg auf den Pfad des Yoga gebracht.
»Ich erzähle euch noch etwas zu den Umkehrstellungen«, sagte Nitya, und ich verrenkte meinen Hals. Aus meiner unbequemen Position heraus konnte ich undeutlich erkennen, wie sie ebenfalls in den Schulterstand ging und dann die Beine hinter dem Kopf durchgestreckt zu Boden brachte, bis ihre Zehenspitzen die Yogamatte berührten. In dieser Stellung sprach sie weiter, mühelos, als säße sie auf einem Barhocker. »Was ihr hier seht, ist der Pflug. Diese Körperhaltung gibt uns Energie für Veränderungen. Wenn wir vor einer Weichenstellung in unserem Leben stehen und uns der nötige Antrieb dafür noch fehlt.«
Das hörte sich nun wieder hochinteressant an. Wenn ich nur Luft bekommen hätte! Mein Bauch war schlimm zusammengestaucht, der Boden drückte unangenehm gegen meine Halswirbel. Ich wollte Veränderung, und zwar sofort! Allerdings nur eine: endlich raus aus dieser unbequemen Haltung.
Nitya hatte ein Einsehen. Leise klatschte sie in die Hände und erlöste uns aus unseren unterschiedlichen Positionen, während sie sich mühelos entfaltete.
»Leider«, sagte sie, »es ist schon wieder Zeit für unsere Schlussmeditation. «
Wieder setzten sich alle in den Lotossitz und schlossen die Augen. Mit Sicherheit konnten das auch alle anderen besser als ich.
Nityas Stimme war jetzt ein einschläfernder Singsang. »Unsere Gedanken sind wie Wolken«, hörte ich sie von fern, »wenn sie kommen, sehen wir sie uns an und schicken sie einfach weiter. Unser Ich begibt sich auf eine Reise …«
Ich machte ebenfalls die Augen zu und wartete. Jetzt würde etwas Großes passieren, da war ich ganz sicher. Ich würde eine Erkenntnis haben, eine Vision, eine Klarheit, wie ich mein neues Leben führen wollte.
Erst juckte mich mein Ellenbogen. Dann mein Ohr. Dann meine Wade.
Schließlich kamen Gedanken vorbei.
Aber nicht einfach so vorbei wie einzelne Schönwetterwölkchen. Eher wie eine aufziehende Gewitterwand an einem heißen Augustnachmittag. Ich sah Frau Stövers Thermoskanne, ich sah die offenen Hemden der schlechten Reggae-Musiker.
Ich sah Herrn Hinterhuber vor mir, der verzweifelt an einem kanarischen Wasserhahn drehte.
Ich sah Mellis Lieblingsohrringe, die mich immer an die Nussecken vom Bäcker erinnerten.
Und natürlich sah ich immer wieder Chris. Die Locken in seinem Nacken, die tiefe Kerbe zwischen seinen Schulterblättern, die Hände auf dem Lenkrad.
Nach einiger Zeit begann mir der Rücken wehzutun. Gleichzeitig geschah etwas mit der Gewitterwand. Sie löste sich auf, und dahinter konnte ich einen dunkelblauen Himmel sehen. Plötzlich kamen Bilder, die ich lange nicht gesehen hatte. War das schon Meditation? War ich in Trance?
Ich sah genauer hin und erkannte zu meiner Verblüffung einen struppigen Busch. Er kam mir bekannt vor. So ein Gebüsch hatte vor dem Eingang der Berufsschule gestanden, vor ein paar Jahren. Dann sah ich nacheinander eine Hartplastikdose mit Bastelscheren aus dem Kindergarten, eine rote Kleinmädchenunterhose mit einem gelben Stoffaufnäher in Form einer Birne und den Briefkasten im Haus meiner Eltern.
Tolle Show. Jetzt war ich schon mal durchgedrungen in die geheimnisvolle Bilderwelt meines Unterbewussten, und dann gab es da nicht mal etwas Spannendes zu sehen außer Gestrüpp und Kinderunterwäsche.
Plötzlich drang ein Geräusch an mein Ohr. Ich lauschte, konnte aber nicht erkennen, was es war.
Etwa auch wieder etwas aus meiner Kindheit? Eine Melodie? Ein lang vergessenes Lied? Ein geheimnisvoller musikalischer Hinweis aus dem Universum?
Jetzt spürte ich auch noch eine Berührung am Oberarm. Das wurde ja immer spannender! Zum ersten Mal meditiert, und schon hatte ich eine Vision mit allen Sinnen, inklusive Hören und Fühlen. Das musste ich unbedingt Melli erzählen.
»He!«
Wer war das? War das etwa wieder Buddhas Stimme? Die hatte ich doch gestern Abend erst vernommen. Allerdings hatte sie da lange nicht so barsch geklungen.
»He, du da! Ist das etwa dein Handy, das da Musik macht?«
Auf einen Schlag wurde ich zurück ins Hier und Jetzt katapultiert und riss die Augen auf. Von wegen Vision. Ärgerlich deutete der Bärtige neben mir auf die Tasche meines Sweatshirts. Dort blinkte und vibrierte es gleichzeitig, und dazu erklangen immer wieder die ersten Takte von »Karma Camaeleon«. Dabei hatte sich bisher noch nie jemand über meinen Klingelton beschwert. War ja auch mal was anderes, ein Top-Ten-Hit aus dem Jahr der eigenen Geburt.
Bloß in einer Yogastunde hatte er offensichtlich nichts verloren.
Schon wieder schauten mich alle an. Sie sahen dabei nicht sehr gelassen aus. Das wurde ja langsam zur Gewohnheit. Meine Aura färbte sich erst schamrot und dunkelte dann zügig nach.
Hektisch warf ich einen Blick auf das Display.
Ich kannte die Nummer nur zu gut.