HALASANA

Der Pflug (Halasana) ist die wichtigste Stellung für alle, die langfristige Veränderungen in ihrem Leben einleiten wollen. Er ist ein kraftvoller Wegweiser in die innere Mitte.

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/epubstore/H/J-Hagedorn/Mantramanner/OEBPS/e9783641058159_i0003.jpgEs war nach dem vierten Glas Wein auf Mellis Party, als ich plötzlich drei überraschend klare Gedanken hatte.

Erstens: Ich brauche dringend neue Freunde.

Zweitens: Oder ich melde mich zu einem Yogakurs an.

Drittens: Komisch, dass ich in meinem Zustand noch so klare Gedanken fassen kann.

Ich hatte auch noch einen vierten Gedanken, aber der war schon deutlich unklarer. Als Nächstes überlegte ich, ob ich mir ein fünftes Glas einschenken sollte. Damit sich der Kater am Tag danach wenigstens lohnte. Allein Wein zu trinken war deprimierend. Es gab nur eine Sache auf der Welt, die noch deprimierender war: allein auf dem Geburtstag meiner besten Freundin Wein zu trinken.

Schon als ich vorhin in Mellis Wohnung gekommen war, hatte ich es geahnt: Irgendetwas war anders als sonst. Ganz und gar anders. Aus dem Wohnzimmer drang gedämpfte elektronische Musik mit esoterischem Flötengedudel, und ein Männerchor brummelte sonor vor sich hin, Marke »Mittelalterlicher Mönch meets Meditationsgruppe«. Sehr seltsam. Sonst bevorzugte Melli eher eine Art von Musik, die auch beim Wodka-Feige-Trinken auf Après-Ski-Partys in Tirol gespielt wurde. Doch das waren noch nicht die deutlichsten Alarmzeichen. Viel schlimmer war, dass die Bierkiste in der Badewanne so einsam und unberührt dastand. Und dass in der Küche keine Menschen waren. Partys, bei denen sich niemand in der Küche aufhielt, standen unter keinem guten Stern. Gut, ich wusste Bescheid. Melli wollte diesmal ohne Männer feiern, in einer gemütlichen Mädelsrunde. Sogar ihren Freund, die Spaßbremse Steve, hatte sie ausquartiert.

Aber nach Spaß sah der Abend trotzdem nicht aus.

»Wo sind denn deine Gäste?«, fragte ich. Melli zuckte die Achseln. Besonders glücklich sah sie nicht aus. »Die wollten mal kurz ins Internet«, flüsterte sie, »und das geht jetzt schon seit einer Stunde so.«

Als ich ins Wohnzimmer kam, blickte ich auf eine Reihe von Rücken, zwischen denen ein Computerbildschirm hervorleuchtete. In der Mitte erkannte ich Annas imposanten Rollkragen, das asymmetrische Shirt ganz rechts sah nach Nadine aus.

Das ganze Zimmer roch wie eine Reihenhaussiedlung an einem Samstagnachmittag nach dem Rasenmähen. Ich rümpfte die Nase. Grüner Tee gehörte zu den überschätztesten Getränken der westlichen Welt. Der östlichen Welt übrigens auch. Der Geruch nach frisch geschnittenem Gras war noch das Angenehmste daran. Jetzt bemerkte ich auch, dass die esoterische Musik nicht aus der Anlage kam, sondern aus den Lautsprecherboxen des Rechners.

Die Stimmung im Raum erinnerte mich ein bisschen an Weihnachten. Wenigstens an das letzte Weihnachten mit meiner Mutter. Seit der Scheidung hörte sie auch diese Art von Musik. Sogar unter dem Tannenbaum. Und statt des MP3-Players, den ich mir gewünscht hatte, hatte sie mir einen Kristall und ein Pfund Himalajasalz geschenkt. Mir, ihrem einzigen Kind.

Ich ging näher und blickte auf den Bildschirm. Nadine, Anna und die anderen hatten eine Website mit dem Foto einer amerikanischen Schauspielerin aufgerufen. Sie saß in einem seltsam verdrehten Schneidersitz und hatte ihre Arme so um sich herum verschränkt, dass sich ihre Fingerspitzen unter der Kniekehle berührten.

Diese Pose konnte nur an einer Frau gut aussehen, die sich ihre Salatrationen von ihrem persönlichen Diätberater berechnen ließ. Bei jeder normalen Frau wären in einer solchen Haltung Rettungsringe rund um die Taille zu sehen gewesen, die dem Michelinmännchen alle Ehre machten. »Hollywood’s favorite Yoga Blog« stand in verschnörkelten Buchstaben quer über die Seite geschrieben.

»Was macht ihr denn da?«, fragte ich. »Versucht ihr, euch mit grünem Tee zu betrinken?«

Anna wandte den Kopf und lächelte mir zu. Sie blickte so beseelt drein, als hätte ihr jemand eine Liste mit den Daten der nächsten zwanzig Tchibo-Werksverkäufe in die Hand gedrückt. Und das wollte etwas heißen. Schließlich kam sie an keiner Filiale vorbei, ohne mindestens einen pastellfarbenen Hausanzug oder eine Salatschleuder aus Edelstahl zu kaufen.

»Hallo Evke«, hauchte sie.

Auch Nadine drehte sich jetzt um, zog mich am Ärmel zu sich herunter und knallte einen lautstarken Kuss neben mein Ohr.

»Guck mal, Sweetie«, sagte sie, »das ist die coolste Website zum Thema Yoga. Jede Menge Videofiles mit Übungen und ein richtig guter Shop. Wenn du da oben klickst, bei dem Yin- und Yang-Symbol, gibt es zum Beispiel Meditationsmusik zum Download.«

»Aha«, antwortete ich matt. So hatte sich Nadine zuletzt vor zwei, drei Jahren über eine Website mit stilvollem Sexspielzeug für Frauen gefreut. Voller Begeisterung hatte sie den Link an alle ihre Freundinnen geschickt, leider ohne weiteren Kommentar. Ich werde nie vergessen, wie ich nichts ahnend morgens um zehn im Büro die Seite öffnete und sich eine Kollektion von aquamarinblauen Delfinen in eindeutiger Form vor mir aufbaute. Blöderweise stand da gerade mein Chef hinter mir.

Berger hatte sich nicht darüber aufgeregt. Viel schlimmer. Seitdem zwinkerte er mir manchmal so wissend zu.

»Ach, fast hätte ich es vergessen«, Nadine wandte sich jetzt wieder Anna zu, »nächstes Wochenende ist noch ein Platz frei geworden bei diesem Wochenendseminar mit ayurvedischer Darmreinigung. Du weißt schon, in diesem Yogizentrum in der Heide. Falls du Lust hast …«

»Großartig! Die sind doch sonst über Monate ausgebucht!«

Wieder dieses beseelte Lächeln bei Anna. Ich verstand überhaupt nichts mehr.

»Ich bin morgen beim Early-Morning-Mantrasingen«, sagte Nadine, »dann kann ich dich gleich mit anmelden.«

»Muss ich irgendwas Spezielles mitnehmen?«

»Du kannst dein eigenes Meditationskissen einpacken, wenn du willst. Und natürlich einen Zungenschaber.«

Anna kramte in ihrer Handtasche, beförderte ihr topmodernes Alleskönner-Handy heraus und wischte wichtig darauf herum. Dann riss sie die Augen auf wie ein Rehkitz, das vom Lichtkegel eines Geländewagens geblendet auf einer Landstraße steht. »O nein! Da kann ich ja gar nicht!«, jammerte sie. »Am Samstag ist schon dieses Get-together vom Network junger Business-Frauen.«

Alle nickten so verständnisinnig, als hätte sie soeben gestanden, dass sie gleichzeitig von Brad Pitt und Johnny Depp um ein Date gebeten worden war. Oder meinetwegen von einem romantischen Vampir und einem sexy Werwolf.

Ich versuchte, Mellis Blick einzufangen, aber die schielte unverwandt an mir vorbei. Erst jetzt bemerkte ich, dass auch sie eine Teetasse mit sich spazieren trug. An ihrem eigenen Geburtstag.

Es gibt diese Momente, in denen sich die Dinge wie Puzzleteile zu einem Bild zusammenfügen. So wie neulich, als in der Kantine plötzlich vier Kolleginnen mit kurzärmligen Karoblüschen über langärmligen Shirts hintereinander in der Schlange standen und ich wusste: Das ist kein zufälliger Griff in den Kleiderschrank, das ist eine Mode. Genau so war das bei Mellis seltsamer Geburtstagsparty auch.

Sicher, meine Freundinnen hatten auch früher schon mal den yogischen Sonnengruß erwähnt. Oder Poster aufgehängt, auf denen verschiedene Fingerstellungen abgebildet waren. Für den Energie-Kick made in Fernost. Trotzdem waren sie doch immer noch ziemlich normal gewesen. Ganz normale Frauen mit ziemlich normalen Jobs und einem ziemlich normalen Geschmack, die auch ohne die Segnungen der fernöstlichen Kultur gut klarkamen. Wenn man mal absah von Sushi und Sudokus.

Zuallererst war da natürlich Melli, meine beste Freundin, solange ich denken konnte. Melli, die sich als einziger Mensch auf der Welt die Namen von sämtlichen Männern gemerkt hatte, die irgendwann meinen Ruhepuls auf mehr als fünfundsechzig Schläge gebracht hatten. Melli, mit der ich in der dritten Klasse Trinktütchen und in der achten Klasse Taschenrechner geteilt hatte. Und die mir schon vorsorglich einen Platz in der Dinosauriergruppe der »Kita Schmuddelkinder« gesichert hatte, in der sie als Erzieherin arbeitete. Nur für den Fall, dass ich eines Tages jemanden kennenlernen würde, mit dem ich Nachwuchs in die Welt setzen konnte. Wahrscheinlich hatte mein ungeborenes, ungezeugtes und ungeplantes Kind sogar schon einen eigenen Garderobenhaken.

So war Melli.

Nadine war in unserer Teenagerzeit zu uns gestoßen, und sie war immer die Wildeste von allen gewesen. Mit siebzehn war sie von zu Hause aus- und bei einem Jungen eingezogen, der behauptete, er sei Musiker. Obwohl ihn nie jemand mit irgendeinem Instrument gesehen hat, außer einer Wasserpfeife. Nadine nannte alle Frauen Sweetie und alle Männer Honey. Angeblich sogar den Referendar, der bei ihrer mündlichen Abiprüfung assistiert hatte. Nadine war das lebende Beispiel für Sex und Rock ’n’ Roll, und was die Drugs betraf, hätte ich meine Hand auch nicht für sie ins Feuer gelegt.

Jetzt ging sie genauso auf die dreißig zu wie wir anderen, war aber immer noch nicht leiser. Vielleicht war ihre überdrehte Art aber auch eine Berufskrankheit. Sie arbeitete als Chemielaborantin. Wer weiß, was da an Dämpfen in der Luft lag.

Anna hatten wir schließlich auf der Busfahrt an die Costa Brava kennengelernt, die wir nach dem Abitur zusammen gemacht hatten. Jetzt arbeitete sie wie ich bei Sunny Side Reisen, als Assistentin des Marketingleiters. Ich hatte sie im Verdacht, dass sie mehr verdiente als ich, und das fand ich ungerecht. Immerhin hatte ich ihr den Job besorgt. Möglicherweise hatte sie ihren Gehaltssprung dem Karrierecoaching zu verdanken, das ihre Eltern ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatten. Seitdem machte sie zwanghaft alles richtig: nutzte Firmenpartys zum Networking, talkte small mit dem neuen Bereichsleiter Firmendienst, trug Anzüge in dezenten Farben und setzte sich in der Kantine zur mittleren Führungsebene. Außerdem konnte sie keinen Satz mehr ohne Spezialvokabeln bilden. Ein netter Abend beim Italiener war eine Win-win-Situation, ein gemeinsames Party-Büfett lebte von seinen Synergieeffekten.

Was machten diese drei jetzt alle miteinander auf dem Esoteriktrip?

»Was hast du denn eigentlich von Anna und Nadine zum Geburtstag bekommen?«, fragte ich Melli. Zugegeben, ein lahmer Versuch, das Gespräch wieder in normalere Bahnen zu bringen. Doch wenigstens kam ich auf diese Weise weg von Körperregionen, über die ich gar nicht so genau Bescheid wissen wollte.

Darmreinigung. Ich konnte es immer noch nicht glauben.

Nadine und Anna wechselten einen bedeutungsvollen Blick. Melli strahlte.

»Oh«, raunte sie, »stimmt, den habe ich dir ja noch gar nicht gezeigt. Wochenlang bin ich vor dem Schaufenster um ihn herumgeschlichen und habe mir überlegt, ob ich ihn mir leisten kann. Und Nadine und Anna haben ihn einfach besorgt.«

Suchend sah ich mich im Zimmer um und schämte mich gleichzeitig ein bisschen. Da hatte ich wohl etwas nicht mitbekommen. Was war das Objekt der Begierde, für das Melli schon so lange schwärmte? Ein schöner Schal? Ein Fünfziger-Jahre-Toaster vom Trödler?

»Da drüben auf der Fensterbank«, Melli zeigte in die Ecke, »ist er nicht wunderschön?«

Ich traute meinen Augen nicht. Im Fenster saß ein kleines, dickes Männchen mit Glatze und lachte.

»Einen Buddha?«, fragte ich entgeistert. »Der ist doch überhaupt nicht dein Typ!«

»Wie meinst du das jetzt?«, entgegnete Melli und knetete die Fransen ihres Stoffschals.

»Du stehst doch sonst eher auf Typen mit Rückenhaaren«, sagte ich und kicherte. Es war ein alter Insiderwitz zwischen uns, seitdem Melli mir einmal ihre Schwäche für alte James-Bond-Filme und ihren Hauptdarsteller gestanden hatte.

Keiner lachte mit. Sie sahen mich mit der gleichen milden Verständnislosigkeit an wie eine Reihe von Nonnen, denen man erklärte, dass der Heiland ohne Vollbart deutlich attraktiver aussähe.

»Ich meine ja bloß«, ruderte ich zurück, »ich wusste ja gar nicht, dass du neuerdings auch auf diesen ganzen Kram stehst. Yoga, Ayurveda. Ist ja schlimmer als bei meiner Mutter!«

Das machte es nicht besser. Die gefühlte Temperatur im Raum entsprach mittlerweile der eines buddhistischen Gebirgsklosters an einem bedeckten Wintermorgen. Trotz der dampfenden Teetassen.

»Ich glaube, du brauchst dringend mehr Wein«, sagte Melli schließlich und dirigierte mich in die Küche, wo sie einen Chianti öffnete. Ich schöpfte wieder Hoffnung. Bis sie mir Glas Nummer fünf einschenkte und weiter an ihrer grünen Emailleschale nippte.

»Ehrlich«, sagte ich und nahm einen tiefen Schluck. »Was soll das alles? Dieses ganze abgehobene Zeug passt doch gar nicht zu dir!«

Sie zuckte schnippisch die Achseln. »Man kann doch schließlich mal was Neues ausprobieren, oder? Und neulich, beim ›Buddha Weekend‹ in Freddys Fitnessfarm …«

»Wie bitte? Die machen jetzt auch noch Yoga?«

Ich prustete in meinen Wein. Ein einziges Mal war ich mitgegangen zu einem Probetraining in Mellis Studio. Eine Butze am Stadtrand, mit Schwarz-weiß-Postern von Muskelmännern im Foyer und Hänflingen auf der Hantelbank. Okay, es war günstig. Aber Yoga passte dort ungefähr so gut hin wie grüner Tee ins Vereinsheim der Hell’s Angels.

»Mein Gott«, antwortete Melli genervt, »die sind halt auch offen für neue Trends. Das ist aber eher so eine Art Yoga-Workout. Ich hab jedenfalls anderthalb Kilo abgenommen, seitdem ich da zweimal die Woche hingehe.«

»Jetzt, wo du es sagst …«, bemühte ich mich und blickte anerkennend auf Mellis Po.

Sie sah mich zweifelnd an.

»Du hast wirklich abgenommen, Melli«, bekräftigte ich meine Behauptung noch einmal. »Das sieht man vor allem in dieser Hose.«

Melli schien hart mit sich zu kämpfen. Und als gute Freundin verlor sie den Kampf. Wahrscheinlich wollte sie genauso wenig Streit anfangen wie ich. Wenn ich nicht morgen ein klärendes Gespräch führen wollte – und Mellis klärende Gespräche waren über die Stadtgrenzen hinaus gefürchtet –, dann musste ich meinen Versöhnungskurs noch verschärfen. Und zwar deutlich.

»Weißt du was«, ich stellte mein halb volles Glas neben die Küchenspüle und legte vertraulich eine Hand auf ihren Arm, »lass uns mal wieder zu den anderen gehen. Ich möchte doch zu gern wissen, was es auf sich hat mit, äh, mit dem Zungenschaber.«

»Ach, na ja«, endlich lächelte Melli wieder, »so abendfüllend ist das ja nun auch wieder nicht.«

»Wer leitet denn deinen Yogakurs? Dein Fitnesstrainer?«, erkundigte ich mich versöhnlich und unterdrückte ein erneutes Kichern. Wahrscheinlich band sich einer der Muskelmänner einmal die Woche ein Batiktuch ins Haar und zündete ein Räucherstäbchen an.

»Ach«, Melli machte eine fahrige Bewegung und riss dabei fast mein Glas um, »das macht der Siv.«

»Was ist denn das für ein Name, Siv? Wo kommt der her?«

»Weiß nicht genau. Nordseeküste, glaub ich.«

»Ein Friese namens Siv? Heißen die nicht alle Hauke Petersen?«

»Na ja«, Melli fegte träumerisch ein paar Krümel von der Arbeitsplatte in ihre Hand, »eigentlich ist das ja auch nicht sein richtiger Name.«

»Sondern?«

»Sivananda.«

Ehe ich darauf antworten konnte, hatte sich Melli schon umgedreht und strebte in Richtung Küchentür. »Komm, lass uns über etwas anderes reden«, sagte sie betont munter, »interessiert dich ja nicht so.«

So konnte man das nun auch nicht sagen. Da war etwas in Mellis Gesicht gewesen, das mich sogar brennend interessierte. Eine Nervosität, die ich lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte. Aber sie hatte die Küche bereits verlassen. Ich griff nach Glas und Flasche und trabte hinterher. Melli stand wieder im Wohnzimmer und blickte verwundert in ihre Hand. Die Küchenkrümel waren immer noch da.

Jetzt, wo ich liebend gern auf das Yogathema zurückgekommen wäre, hatte ich kein Glück mehr. Die ganze Partygesellschaft hatte sich etwas anderem zugewandt. Allerdings waren sie genau dort gelandet, wo ich befürchtet hatte. Im Pärchenland. Bei Pärchenangelegenheiten. Und ich dachte, wenigstens das würde mir bei einer rein weiblichen Gästeliste erspart bleiben.

Die letzten Partys hatten mich nämlich zunehmend frustriert. Spätestens dann, wenn der erste Bierkasten in der Badewanne leer geworden war und ehemalige Nichtraucher vereint auf den Balkon zogen, um in Kronkorken zu aschen. Egal, wohin man schaute: Pärchen. Pärchen feierten Pärchenpartys, hielten pärchenhaft Händchen und schauten pärchenhaft drein. Natürlich redeten sie auch nur über Pärchenthemen. Und die konnte ich allmählich mitsingen. In letzter Zeit vor allem den Smash-Hit »Wir suchen uns eine Wohnung«. Allesamt waren sie entweder gerade zusammengezogen, suchten noch die passende Bleibe oder wussten von einem anderen Paar, das gerade so etwas plante.

Das Zusammenziehen war eine Quelle unendlicher Heiterkeit, jedenfalls für alle, die nicht unmittelbar davon betroffen waren. In den Charts der besten Umzugswitze stand das Thema »persönliche Schätze« auf den obersten Rängen. Männer, so hörte ich, wollten sich nicht von ihrer Biberbettwäsche mit Fußballvereinslogo trennen, Frauen hielten eisern an ihrer Kerzenhaltersammlung fest. Außerdem besaß scheinbar jeder Mann ein Verkehrsschild, das er nach einer Sauftour mit seinen Kumpels irgendwo am Straßenrand ausgegraben hatte und das die Frauen auf keinen Fall an der Wohnzimmertür in ihrer gemeinsamen Wohnung hängen haben wollten. Und jede Frau ein rosa Plüschnilpferd, das nicht im gemeinsamen Bett schlafen durfte.

Ich hatte noch nie einen Mann mit Verkehrsschild kennengelernt. Vielleicht war das der Fehler. Vielleicht erkannte man die guten Männer ja daran, dass sie irgendwo ein Vorfahrtszeichen in ihrem Appartement hängen hatten. Irgendetwas, das zeigten mir diese Partygespräche jedenfalls sehr deutlich, machte ich falsch. Da war es auch kein Trost, dass mir niemand verbieten konnte, mit Plüschnilpferden zu schlafen. Oder wenigstens nur ein sehr kleiner.

»Also, Durchgangszimmer gehen gar nicht«, ereiferte sich gerade eine Kollegin von Melli, »und zwei Buchsen sind auch wichtig.«

Ich wusste genau, was als Nächstes kommen würde. Gleich würde Anna wieder von ihrer hundertjährigen Wohnungssuche mit Tobi berichten. Die hatte es in sich, vor allem, weil Tobi ganz bestimmte Vorstellungen von elektrischen Anschlüssen hatte. Statt sich über Dachterrassen zu freuen oder über geschmackvoll blau-weiß gekachelte Küchen, ging er bei jeder Besichtigung mit gesenktem Kopf durch die Räume und verkündete schließlich kopfschüttelnd, dass hier leider weder die TV-DVD-Kombi noch die Anlage ihren mindestens fünfdimensionalen Sound zur Geltung bringen konnten.

»Besitzt Tobi ein Verkehrsschild?«, fragte ich unvermittelt in die Runde, und Anna sah mich verdutzt an.

»Ja! Aus Australien! Ein Krokodil-Warnschild! Und er will es unbedingt wieder an der Badezimmertür anbringen. Dabei passt es überhaupt nicht zu den Wand-Tattoos, die ich neulich entdeckt habe! Die sind wirklich schön, indische Weisheiten in Sanskrit.«

»Will jemand Wein?«, erkundigte ich mich. Es war die pure Höflichkeit. Längst war mir klar: Diese Flasche und ich, wir würden es heute Abend noch sehr lustig miteinander haben.