ANULOMA VILOMA
Anuloma Viloma, die Wechselatmung, ist eine hervorragende Technik gegen innere Unausgeglichenheit. Täglich ausgeführt, führt diese Atemübung zu einem Zuwachs an innerer Stärke und Kraft.
Melli, Nadine und Anna hatten vielleicht in letzter Zeit keinen besonders treffsicheren Geschmack. Aber eines musste man ihnen lassen, sie hatten etwas, das ich nicht hatte.
Männer.
Melli und Anna hatten immer dieselben: Spaßbremse Steve und Technikspinner Tobi. Nadine hatte alle zwei Monate einen neuen. Die Namen merkten wir uns selten.
Mit den Männern und mir war das so eine Sache. Mit vierzehn, fünfzehn Jahren, als ich anfing, mich für sie zu interessieren, dachte ich: Das ist ganz leicht. Wichtig ist nur, wie du aussiehst und was du sagst. Eine Gleichung, für die man nicht Atomphysik studiert haben musste.
Mag sein, dass das damals sogar stimmte. Aber genau genommen waren es ja damals auch noch keine Männer, sondern picklige Kinder, die heimlich die gleichen Ratgeberseiten in den gleichen Teeniezeitschriften lasen wie wir. Mädchen sollten sich nicht zu grell schminken und eine eigene Meinung vertreten, Jungs sollten nicht vergessen, nachzufragen.
Das lernten wir auswendig wie die Zehn Gebote im Religionsunterricht. Es war ja auch weit weniger. Deshalb klappte es auch halbwegs mit der Kommunikation bei unseren Eisdielendates: »Was fürn Film hast du in letzter Zeit gesehen?« (er), »Diesen neuen mit Brad Pitt, ich fand den aber irgendwie nicht so gut« (sie). Danach hielten wir Händchen und gingen miteinander, meistens drei Wochen lang, manchmal auch drei Monate.
Schöne, übersichtliche Zeiten.
Nur, dass irgendwann Männer wurden aus den Jungs und Frauen aus den Mädchen. Und ich begreifen musste: Das alles war gar nicht so einfach.
Es fing schon beim Aussehen an.
Mit zwanzig hielt ich es zum Beispiel für eine gute Idee, beim Ausgehen wenig mehr als die Körperteile zu bedecken, die selbst für amerikanische Stripperinnen gesetzlich vorgeschrieben waren. Da hatte ich dann plötzlich nicht nur alle drei Wochen, sondern alle drei Tage einen neuen Freund. Auch nicht das, was ich wollte. Mit zweiundzwanzig, als ich die Ausbildung bei Sunny Side Reisen beendet hatte und meinen ersten Job anfing, lief ich selbst im Nachtleben nur noch im Hosenanzug herum. Da sprachen mich manchmal Studenten an und fragten mich, ob ich nicht ein Praktikum für sie hätte. Oder ob ich ihr Bier bezahlen würde.
Jetzt, mit achtundzwanzig, hatte ich es wohl einigermaßen raus. Ich sah nicht mehr aus wie die Zweitbesetzung eines B-Movies. Und auch nicht mehr wie auf dem Cover eines Karriereratgebers. Ich wusste, was mir stand, und zwischen den Höhen und Niederungen der menschlichen Schönheit befand ich mich in einer angenehmen Mittelgebirgslage. Beileibe nicht so hübsch wie Nadine. Wenn die vorbeiging, drehten sich sogar Männer um, während sie ihre Freundin an der Hand hielten. Aber ich war auch nicht so unansehnlich, dass mich Privatsender für Shows über kosmetische Chirurgie gecastet hätten.
Das hatte sehr viel Gutes: Ich konnte es nämlich selbst ganz gut steuern, ob ich an einem Partyabend jemanden kennenlernte. Oder ob ich einfach nur allein sein wollte unter Menschen und mir dabei die Seele aus dem Leib tanzen.
Doch dann kam unweigerlich der Moment, in dem Teil zwei meiner eisernen Regel in Aktion trat. Die Frage, was man sagen durfte. Und wann. Und diese Frage beantwortete ich scheinbar seit Jahren falsch.
Jedenfalls dauerten meine Beziehungen noch immer nicht deutlich länger als mit vierzehn. Und allmählich fragte ich mich, ob es an mir lag, dass ich allzu häufig ein hektisches »Ich ruf dich an« von verschiedenen Kerlen gehört hatte und dann nie wieder etwas. Gegen diese Selbstzweifel half auch Mellis Der-hat-dich-doch-gar-nicht-verdient-Mantra nicht mehr so richtig.
Dabei hatte ich mir die ganz großen Klopper in den letzten Jahren ja schon verkniffen. Vor allem diese leidige Angewohnheit mit den Babys. Jedes Mal, wenn ich einen Mann toll fand, musste ich zwanghaft darüber nachgrübeln, wie wohl unser gemeinsames Kind aussehen würde. Es war immer eine entzückende Vorstellung, selbst wenn der Mann eine Nase vom Ausmaß eines Airbus 320 hatte. Manchmal suchte mein Hirn auch schon einen Namen für das Baby aus, ehe ich mich überhaupt einmischen konnte. Dann dachte ich an den kleinen Finn, während ich einen Kerl anschmachtete. Oder an die entzückende Emily. Ich konnte nichts dafür, es war eher wie eine innere Warnblinkanlage, die mir signalisierte: Vorsicht, Gefühl im Spiel!
Nur blöd, dass mir das ständig passierte.
Ein einziges Mal hatte ich vor Jahren den Fehler gemacht, meine Gedanken mit einem Mann zu teilen. Selber schuld, fand ich hinterher. Schließlich hatte er sich innig auf dem Sofa an mich geschmiegt und gefragt, was ich gerade dachte. Diese Frage hat er danach wahrscheinlich nie wieder einer Frau gestellt. Jedenfalls, als ich anfing, ihm ein Baby mit seinen hübsch geschwungenen Augenbrauen und meinen runden Ohren zu beschreiben, hatte er plötzlich noch einen ganz dringenden Termin.
Jahrelang hatte ich danach nichts mehr von ihm gehört, bis ich zufällig hörte, dass er ausgerechnet in die vegane WG von Mellis Bruder eingezogen war. Außerdem fand Melli heraus, dass der Kerl schon lange eine feste Beziehung hatte.
Mit einem Mann.
Das gab mir dann doch zu denken. Nicht etwa, weil ich ein Problem mit Schwulen hatte. Aber der Gedanke ließ mich nicht los, dass mein Baby-Bekenntnis irgendwie daran schuld war. Einfach zu viel geballte Weiblichkeit. Jedenfalls habe ich danach nie wieder von Babys angefangen.