13
Fünf Tage später
Im vierten Stock eines Altbaus im Stadtzentrum, in einer vom Talaat-Harb-Platz, dem früheren Sulaimân-Pascha-Platz, abzweigenden Strasse
Freiheit stand auf einem Messingschild neben der Tür, darunter das Motto »Ein Wort, das viel bedeutet«. Dort läutete ein junger Mann, der bei der Zeitung als Laufbursche arbeitete. Ein kindlich wirkendes junges Mädchen öffnete ihm, das all den anderen Büromädchen ähnelte, die der Chefredakteur persönlich sorgfältigst auszuwählen pflegte, indem er jede einzeln interviewte, um festzustellen, inwieweit sie bereit war, eine Vorleistung auf erhoffte Wohltaten zu gewähren.
Sie nahm ihr Lächeln zurück und sah den jungen Mann, der erschöpft schien, mit hochgezogener Braue an. »Warum kommst du erst jetzt? Brauchst du so lange, um ein Mittagessen zu besorgen?«
Der junge Mann war daran gewöhnt, wie ein Sklave behandelt zu werden, deshalb nahm er keine grosse Notiz von den heruntergezogenen Mundwinkeln und händigte ihr das Wechselgeld aus. Sie griff sich die Tüte und wandte ihm dann den Rücken zu. Als sie sich entfernte, erhaschten seine Augen einen kurzen Blick auf ihre kräftigen Waden. Dann fiel ihm der grosse gelbe Umschlag wieder ein, den er noch unter dem Arm trug.
»Fräulein Mahitâb!«, rief er. »Ich habe ein Couvert für Meister Galâl.«
Mahitâb kam zu dem jungen Mann zurück und nahm den Umschlag an sich. »Von wem ist das?«, fragte sie.
»Das lag unten im Büro des Sicherheitsdienstes.«
Sie drehte den Umschlag nach rechts und links. »Der Absender steht nirgendwo.«
Das Couvert war gut zugeklebt und beschriftet mit: »Freiheit. Zu Händen Herrn Galâl Mursi. Nur mit seiner persönlichen Erlaubnis zu öffnen.«
»Bring es in sein Büro!«, befahl Mahitâb. »Vielleicht ist es was Privates. Sonst macht er uns noch Probleme. Und schalt die Klimaanlage an, er kommt gleich.«
Eine knappe Stunde später erschien Galâl Mursi und steuerte geradewegs auf sein Büro zu. »Guten Morgen«, warf er dabei so eilig hin, als koste der Gruss ihn Zeit und Geld. Dort angelangt, schmetterte er die Tür hinter sich ins Schloss. Das war nichts Besonderes, alle waren an dieses Benehmen gewöhnt. Er war erbarmungslos grob und folgte seiner Routine so unbeirrbar wie der Teufel persönlich. In letzter Zeit war er sogar noch strenger geworden. Vier Jahre zuvor war es so schlimm noch nicht gewesen. Alle in seinem Umkreis führten seine übermässige Nervosität und schlechte Laune auf die Entwicklung zurück, die die Zeitung genommen hatte, seit ihre Verkaufszahlen mit denen der nationalen Zeitungen gleichgezogen waren. Seitdem war Galâl zu einem Einsiedler geworden, lehnte jeden Artikel, der ihm nicht gefiel, kategorisch ab oder veränderte ihn, und die Meinung anderer war ihm egal. Er verbrachte oft die halbe Nacht im Büro, war häufig aber auch gar nicht anwesend. Viele, die sein Benehmen nicht ertrugen, hatten die Zeitung schon verlassen. Er hatte dann jedes Mal gesagt: »Die Tür ist gross genug für ein Kamel, selbst mit einer Sänfte samt Braut.«
Nun zog Galâl sein Jackett aus, warf es der Sekretärin zu und setzte sich in seinem eleganten, kühlen Büro in den bequemen Sessel. Auf die Klimaanlage konnte er nicht verzichten, er schwitzte wie ein löchriger Wassertank.
Von seinem Schreibtisch aus rief er: »Kaffee!«
Das junge Mädchen antwortete nicht, sondern lief eilig los, um fünf Minuten später mit einer Tasse Kaffee zurückzukehren. In dieser Zeit hatte Galâl die jüngste Ausgabe seiner Zeitung durchgesehen.
»Bring mir die Ausgabe von letzter Woche!«, befahl er.
Das Mädchen ging zum Schrank, zog eine Schublade auf und entnahm ihr die betreffende Nummer.
»Ruf mir Alâa Gumaa!«, sagte er dann.
»Selbstverständlich«, antwortete die Sekretärin.
Sie ging hinaus, und eine Minute später klopfte Alâa Gumaa an die Tür. Ein braunhäutiger Oberägypter aus Suhâg, sechsunddreissig Jahre alt, relativ gross, mit wohlproportioniertem Körperbau, breitem Kiefer und lockigem Haar. Das Weiss seiner Augen war ein wenig gelblich. Seine Nase war scharf und seine Stimme tief. »Sie wollten mich sprechen?«, fragte er rau.
Galâl bot ihm keinen Stuhl an, sondern sagte nur: »Letzte Woche haben Sie einen Artikel über Scharîf Amîn geschrieben. Den hatte ich gelesen, bevor er gedruckt wurde, aber die ganze vorletzte Zeile hier war da noch nicht drin gewesen.« Nervös wedelte er mit der Zeitung. Alâa blickte auf den Artikel, während Galâl fortfuhr: »Haben Sie eine Erklärung dafür? Was ist das für eine Sache mit seinem Sohn, der ein Urlaubsresort an der Nordküste hat? Und was soll das mit den Erholungstrips nach Paris auf Kosten der Botschaft? Das ist hinzugefügt worden, nachdem ich den Artikel gesehen hatte. Woher haben Sie das alles? Und was um Himmels willen hat sein Sohn mit der Sache zu tun? Wenn Sie über Scharîf Amîn schreiben, sollten Sie sich auch auf Scharîf Amîn konzentrieren!«
Äusserlich ruhig antwortete Alâa: »Davon hatte ich erst eine halbe Stunde, bevor der Artikel in den Druck ging, erfahren. Es war keine Zeit mehr, Ihnen die Zeile vorzulegen. Es ist eine Sensation, eine gute Ergänzung der Story und mit Fotokopien der Eigentumsurkunden belegt. Und ausserdem passt es in den Zusammenhang des Artikels, es ergänzt das Them…«
»Setzen Sie sich!«, unterbrach ihn Galâl, nun ganz leise.
Alâa sah ihn zwei Sekunden an und nahm Platz. Harmonie hatte noch nie zwischen ihnen geherrscht, immer nur der Teufel. Bei jedem Thema.
»Schauen Sie, Alâa, Sie sollten nichts schreiben, ohne dass ich es zu sehen kriege. Nicht alles, was wir wissen, schreiben wir auch. Ausserdem bin ich derjenige, der seinen Kopf hinhalten muss. Wenn was passiert, muss ich den ganzen Leuten gegenübertreten. Das ist das eine. Und das andere: Seit wann wird ein Artikel veröffentlicht, ohne dass ich ihn gelesen habe?«
»Sie haben ihn ja gelesen«, warf Alâa ein.
»Unterbrechen Sie mich nicht! Ich frage Sie nicht, ich betone einen Grundsatz, den Sie vergessen haben. Wenn noch ein einziges Wort erscheint, das ich nicht durchgewinkt habe, kann ich Ihnen nicht sagen, wie ich reagieren werde.«
»Eine Sache möchte ich klarstellen«, erwiderte Alâa. »Erstens bin ich mir dieser Information hundertprozentig sicher. Und zweitens …«
»So etwas wie hundertprozentig gibt es nicht«, unterbrach ihn Galâl. »Haben Sie eine Quelle?«
»Ja, habe ich. Es ist nicht meine Art, etwas zu erfinden.«
»Wer ist Ihre Quelle?«
»Jemand im Ministerium.«
»Und wie heisst er?«
»Ich denke nicht, dass das wichtig ist. Die Quelle muss unbekannt bleiben, um weiterhin eine Quelle sein zu können.«
»Sie wollen mir also nicht sagen, wer Ihre Quelle ist? Wie können Sie dann von mir erwarten, Ihnen zu glauben, dass Sie es nicht erfunden haben?«
»Sie bestehen darauf, dass ich Nachrichten erfinde?«
»Wer ist Ihre Quelle, Alâa?«
»Jemand aus dem Ministerium, er hat …«
Galâl schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich mag keine Wiederholungen«, sagte er. »Ich habe bereits beim ersten Mal verstanden. Geben Sie mir Namen! Ich spiele hier nicht mit Ihnen. Diese Meldung ist dazu angetan, die Glaubwürdigkeit der Zeitung in Zweifel zu ziehen.«
»Aber nur unter der Voraussetzung, dass sie falsch ist, nicht wahr?«
»Falsch oder richtig, Sie haben etwas ohne meine Erlaubnis veröffentlicht. Solange die Nachricht nicht verifiziert ist, bleibt sie ein blosses Gerücht, und Sie bestehen ja darauf, mir die Quelle nicht zu nennen. Damit bestätigen Sie mir, dass daran etwas faul ist.«
Alâa knirschte mit den Zähnen. »Es besteht kein Grund zu schreien, mein Herr. Die Kollegen können ja alles hören! Ich bin es nicht gewohnt, meine Quellen zu verraten, und habe ausserdem geschworen, es nicht zu tun. Dieser Mann würde seine Arbeit verlieren, und er hat eine grosse Familie zu versorgen. Ausserdem frage ich mich, warum Sie sich so für Scharîf Amîn und insbesondere für diese Sache mit seinem Sohn interessieren. Sie haben ihn doch Ihr ganzes Leben lang angegriffen, was hat sich daran geändert? Sie haben ihm regelrecht nachgeschnüffelt, egal aus welcher Quelle die Information stammte, selbst wenn die Leute sie sich nur im Café erzählten. Wenn Sie diese Nachricht bekommen hätten – hätten Sie sie etwa unter den Tisch fallen lassen? Das bezweifle ich aber.«
Diese Antwort war ein Schlag, der Galâl aus dem Gleichgewicht brachte. Bemüht, das Thema zu beenden, antwortete er in gespielter Ruhe: »Wie auch immer, jetzt werde ich nicht weiter mit Ihnen darüber diskutieren. So etwas darf nicht wieder vorkommen. Ich werde Ihre Arbeit genau im Auge behalten, ist das klar?« Unverständlicherweise versuchte er dann, den treusorgenden Vater herauszukehren: »Sie wissen nicht, was gut für Sie ist, Alâa, Sie sind ja noch jung. Ich hatte eine Überraschung vorbereitet, die Sie nun mit Ihrer Voreiligkeit ruiniert haben.«
Alâa sah ihm ins Gesicht und versuchte, sein Manöver zu durchschauen. Er kannte Galâls Gewohnheit, das Tischtuch zwischen sich und seinem Gegner zu zerschneiden.
Galâl zündete sich mit einem neuen Benzinfeuerzeug, das er sich als Ersatz für das verlorene angeschafft hatte, eine Zigarette an und begann es auf- und zuzuklappen. Er ordnete seine Gedanken. »Was halten Sie vom Bildungsressort?«
»Ich verstehe nicht.«
»Ich hätte von Ihnen gern eine Probe für die Bildungsseite nächste Woche. Wenn sie gut wird, überlasse ich Ihnen das Ressort.«
»Ist das eine Auszeichnung oder ein Rausschmiss?«
»Die Verschwörungstheorien haben Ihnen das Hirn aufgefressen«, sagte Galâl. »Mensch, ich versuche, Sie hochzubringen, obwohl Sie einen Fehler gemacht haben. Sie leiden unter Verfolgungswahn. Ich biete Ihnen die Bildungsseite an, und Sie erzählen mir was von Rausschmiss!«
»Seit wann befördern Sie denn jemanden, über den Sie sich geärgert haben?«
»Das ist keine Beförderung, das ist ein Auftrag. Und ich bin der Meinung, dass Sie damit gut zu Rande kommen können.«
»Aber Bildung ist nicht mein Ding, das wissen Sie. Ich schreibe über Politik und Soziales.«
»Was ist denn schlecht an der Bildung? Das ist doch die Chance, sich zu verändern und mal eine andere Welt zu sehen. Vielleicht finden Sie ja dort zu sich selbst.«
»Tut mir leid.«
»Was soll das heissen, tut mir leid? Diese Zeitung gehört mir, ich bin für sie verantwortlich und weiss, was läuft und was nicht. Das brauchen Sie mir nicht beizubringen. Weil Sie in ein paar Artikeln die grossen Tiere angegriffen haben, denken Sie wohl, Sie haben es geschafft und sich einen Namen gemacht? Wachen Sie auf, mein Lieber, und bleiben Sie auf dem Boden! Sie schreiben, weil ich Sie schreiben lasse. Ohne diese Zeitung sind Sie bloss ein Name auf einem Stück Einwickelpapier für Taamîja-Sandwiches, klar?«
Auf diesen Moment hatte Galâl bereits ungeduldig gewartet. Mit seiner altbekannten Methode hatte er darauf hingearbeitet und seinen Gegner in einer Ecke des Schachbretts eingekreist. Nun reizte er ihn, bis der die Kontrolle verlor und ganz von selbst in die Falle lief, die er ihm gestellt hatte.
Seelenruhig stand Alâa auf. »Herr Mursi«, sagte er, »mit Taamîja und Fûl und dem ganzen Kram brauchen Sie mir gar nicht zu kommen. Sie dürfen dies als meine Kündigung betrachten. Suchen Sie sich einen anderen für meinen Job.«
»Was heisst Kündigung?«, schrie Galâl. »Sie sind gefeuert! Und mit dem Vorsitzenden des Journalistenverbands habe ich auch noch zu reden.«
Alâa ging zur Tür. »Das ändert nichts«, sagte er.
»In Ordnung, wir werden ja sehen, ob es nichts ändert.«
Schachmatt.
Galâl nahm den Telefonhörer ab und wählte in aller Ruhe eine Nummer. »Guten Morgen. Machfûdh? Hier spricht Galâl Mursi. … Hallo, mein Lieber, wie geht es Ihnen? Gott schütze Sie! … Ist Scharîf Amîn Pascha da? … Danke, mein Lieber.« Es folgte öde Musik. »Hallo? Guten Morgen, Scharîf Pascha. … Gut, danke sehr. … Was die letzte Ausgabe betrifft, Pascha: Das Problem ist gelöst, aus und vorbei! … Ich hab ihn sogar rausgeschmissen, bei Gott! Das war ein Unruhestifter, und er wollte mit dem Kopf durch die Wand. … Das kann er nicht, Pascha, das weiss er. Noch ein Anruf beim Vorsitzenden, und er sitzt zu Hause, der kommt nicht noch mal auf die Strasse. … Tut mir leid, Pascha, dass ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe. … Ja, das ist die Sache, wegen der ich hauptsächlich anrufe. Die Quelle ist bei Ihnen im Ministerium. Jemand, der gut informiert ist und nah dran an allem. Seine finanzielle Lage ist schlecht, und er hat Kinder. … Er wollte den Namen nicht nennen, er ist eine gescheiterte Existenz und lebt in einem Wahn. … Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, mein Herr, keine Zeitung wird ihn mehr beschäftigen. … Überlassen Sie das nur mir, mein Herr! … Ja, mit der zweiten Sache werden wir kommende Woche beginnen. … Alles Gute für Sie, mein Herr. Seien Sie tausendmal gegrüsst. … Gott schütze Sie. Auf Wiederhören!«
Er legte auf und wählte eine neue Nummer. Seine Finger spielten mit dem gelben Umschlag vor ihm auf dem Tisch, bis am anderen Ende der Leitung eine Stimme zu hören war.
»Hallo?«
»Guten Morgen. Ich möchte Ibrahîm Bey Schâfia sprechen. Hier ist Galâl Mursi.« – Musik. – »Einen schönen guten Morgen, Pascha. … Gut, dass Sie heil wieder zurück sind. Wie war’s in London? … Gott erhalte Sie, Pascha. … Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten, mein Herr. Da ist so ein Bursche, der bei mir gearbeitet hat, er heisst Alâa Gumaa. … Ja, genau der, Pascha. Der Kerl hat mir ein grosses Problem mit einer Führungskraft gemacht, deren Namen ich Ihnen später nenne, mein Herr.« Galâl hielt den gelben Umschlag gegen das Licht, um zu prüfen, was darin war. »Nein, er ist schon weg. Ich wollte ihm die Ohren langziehen. Er soll ein bisschen zu Hause sitzen und über seinen Fehler nachdenken. … Er heisst Alâa Gumaa. Alâa Hussain al-Sajjid Gumaa. Die Einzelheiten schicke ich Ihnen per Fax. … Vielen Dank, Pascha. Gott schütze Sie, Gott schütze Sie!«
Nachdem er das Telefonat beendet hatte, nahm er einen kleinen Dolch, mit dem er gewöhnlich seine Briefe aufschlitzte, öffnete den gelben Umschlag und nahm den Inhalt heraus. Zum Vorschein kamen ein zusammengefaltetes Blatt Papier und ein weiterer, weisser Umschlag. Er faltete das Blatt auseinander. Es war weiss, bis auf ein paar Zeilen in der Mitte, die so klein waren, dass Galâl seine Lesebrille aus der Tasche ziehen musste. Sie waren nicht mit der Hand geschrieben, sondern auf dem Computer:
Jetzt haben Sie die Chance, einen alten Fehler wiedergutzumachen.
April 2005, der Vorfall in der Bar Vertigo. Dort gab es eine dritte Partei: die, die das Verbrechen begangen hat. Die Fotos davon sind in dem weissen Umschlag. Veröffentlichen Sie sie, und verlangen Sie, dass man Ermittlungen einleitet, dann bekommen Sie auch Ihre eigenen Fotos, die ich in meinem Besitz habe. Viele Zeitungen würden sicher gern Galâl Mursis dunkle Seite kennenlernen. Wir sind uns schon im Kasino begegnet, aber Sie werden sich nicht an mich erinnern.
Galâl Mursi, dem keine Zeit zum Nachdenken blieb, wich das Blut aus dem Gesicht. Er riss den anderen Umschlag auf und leerte ihn aus. Hektisch sah er die Bilder durch. Es war ein Schock. Er hätte nie damit gerechnet, einmal ein solch heisses Eisen in den Händen zu halten. Als er gerade zum letzten Foto greifen wollte, fiel ein kleiner Zettel auf den Boden. Er enthielt das Postskriptum:
Eine Kostprobe Ihrer Bilder finden Sie in der Buchhandlung al-Schurûk, Abteilung Alte Geschichte, viertes Regal, fünftes Buch von links: Der Untergang des Fatimidenreiches. Dieser Titel ist sehr gefragt. ☺
Galâls Nebenniere schied eine mehrfache Dosis Adrenalin aus. Er stopfte die Bilder zurück in den gelben Umschlag, stürzte zur Tür und rannte hinaus zur Sekretärin, die gerade etwas in den Computer tippte. »Mahitâb«, rief er, »wer hat diesen Umschlag gebracht?«
»Jemand hat ihn gestern nach zehn bei der Security abgegeben«, antwortete sie.
Ihre Frage, warum seine Augen weit aufgerissen waren und ihm der Schweiss über das Gesicht lief und seinen Hemdkragen nass machte, wartete er nicht ab.
»Ist was, Herr Mursi?«, fragte sie, doch er war schon nach draussen geschossen wie ein Wahnsinniger. Die Strecke zwischen seinem Büro und dem Talaat-Harb-Platz legte er in einer Minute zurück.
Dort angelangt, betrat er die Buchhandlung, ignorierte den Angestellten, dessen Gesicht sich bei seinem Eintreten aufhellte, und zog den Zettel aus der Tasche: Abteilung Alte Geschichte. … Viertes Regal. … Fünftes Buch von links: Der Untergang des Fatimidenreiches. Galâl nahm das Buch heraus und blätterte schnell die Seiten durch, bis sein Blick auf ein Bild fiel. Ein Foto von ihm und einem Mädchen im Kasino. Er schaute es sich nicht lange an – schliesslich kannte er es –, versuchte sich zu beherrschen und sah die übrigen Exemplare des Buches durch, um sich zu vergewissern, dass sie leer waren. Dann erkundigte er sich beim Geschäftsführer, ob jemand seit dem Vortag dieses Buch gekauft oder danach gefragt habe, was dieser jedoch verneinte.
Schliesslich verliess er die Buchhandlung wieder. Vor dem Standbild Talaat Harbs blieb er stehen, betrachtete die Passanten auf dem verkehrsumtosten Platz und spürte die beklemmende Präsenz desjenigen, der hier in grösster Ruhe mit seinen Nerven spielte. Jeden, der in seine Richtung blickte, sah er sich genau an, als könnte er der Urheber des Fotos sein, das er gerade in den Händen drehte. Dann fiel sein Blick auf den Satz, der auf der Rückseite des Bildes stand:
Habe ich es Ihnen nicht gesagt? Wer Gift mischt, wird es selbst kosten.