21

Mr. Hendred trat ein. Er sah blaß, müde und sehr zornig aus; und nachdem er Venetia einen kurzen Blick gegönnt hatte, wandte er sich steif an Damerel. «Guten Abend! Erlauben Sie mir, um Entschuldigung zu bitten, daß ich derart spät komme. Ich zweifle jedoch nicht, daß Sie erwartet haben, mich zu sehen!»

«Nun, jedenfalls hätte ich das eigentlich müssen», antwortete Damerel. «Sie haben es wirklich heraus, sozusagen gerade zur rechten Zeit einzugreifen, nicht? Haben Sie schon zu Abend gespeist?»

Mr. Hendred überlief ein Schauer, und er schloß einen Moment lang die Augen. «Nein, Sir, ich habe mit nichten gespeist! Noch, darf ich hinzufügen ...»

«Dann müssen Sie ja verteufelt hungrig sein!» sagte Damerel kurz angebunden. «Schauen Sie dazu, Imber!»

Ein Ausdruck akuter Seekrankheit flog über Mr. Hendreds Antlitz, aber bevor er seinen Verdruß genügend meistern konnte, um dieses Angebot höflich abzulehnen, trat Venetia vor, deren Mitgefühl ihre weniger barmherzigen Gefühle besiegte, und sagte: «Nein, nein! Mein Onkel kann nie essen, wenn er den ganzen Tag gereist ist! Oh, mein verehrter Sir, was kann nur über Sie gekommen sein, daß Sie in dieser unvorsichtigen Weise hinter mir herjagen? Ich hätte Ihnen so etwas nicht um die Welt zu tun erlaubt. So überflüssig! So geradezu töricht! Sie dürften ja völlig fertig sein!»

«Töricht?!» wiederholte Mr. Hendred. «Ich habe London gestern nacht erreicht, Venetia, nur um mit der Nachricht begrüßt zu werden, daß du die Stadt mit der Postkutsche verlassen hast, in der ausdrücklichen Absicht, in dieses Haus zu kommen – wo ich dich denn auch tatsächlich vorfinde! Soweit ich daraus klug werden kann, hast du diesen katastrophalen Schritt wegen eines Zanks mit deiner Tante unternommen – und ich muß sagen, Venetia, daß ich dir viel zuviel Vernunft zugetraut hätte, als daß du dir auch nur irgend etwas zu Herzen nehmen könntest, das deine Tante in einer unbeherrschten Laune gesagt haben mochte!»

«Mein lieber, lieber Onkel, natürlich habe ich das nicht!» sagte Venetia reumütig und führte ihn schmeichelnd zu einem Stuhl. «Ich bitte dich, setze dich doch nieder, denn ich weiß sehr wohl, daß du zu Tod erschöpft bist und diese gräßliche Neuralgie hast! Ich versichere dir, es hat keinen Zank gegeben! Meine arme Tante war ganz außer sich, weil sie zuerst meine Mutter im Theater gesehen hat und dann entdeckte, daß ich so undankbar war, ihre Bemühungen, mich in die große Welt einzuführen, zunichte zu machen, indem ich am Arm meines Stiefvaters den ganzen Weg lang vom Pulteney Hotel bis zur Oxford Street gegangen bin. Sie hat mir ein großes Donnerwetter gemacht, und ich habe es ihr nicht im geringsten verübelt – ich wußte ja, daß es mir bevorstand! Aber daß ich deshalb London verlassen hätte oder im Zorn von ihr geschieden wäre – Sir, das kann sie Ihnen einfach nicht erzählt haben! Sie wußte, was mein Grund war – ich habe vor ihr kein Geheimnis daraus gemacht!»

«Deine Tante», sagte Mr. Hendred und drückte sich mit eiserner Beherrschung aus, «ist eine Frau von großer Sensibilität und ist, wie du dir bewußt sein mußtest, nervösen Anfällen unterworfen! Wenn ihr Geist überwältigt wird, ist es schwer für sie, genügend Fassung aufzubringen, um einen zusammenhängenden oder auch nur vernünftigen Bericht von dem zu geben, was immer sie bekümmert haben mag. Ja», endete er mit Schärfe, «es ist überhaupt nicht Hand noch Fuß an dem zu erkennen, was sie sagt! Was ihr Wissen um deinen Grund betrifft, weiß ich nicht, was du ihr als passend zu sagen befunden hast, Venetia, aber soweit ich sie verstanden habe, ist dir nichts Besseres eingefallen, als sie mit irgendeinem Wirrwarr verrückt zu machen, du wünschtest, Damerel solle dir Rosenblätter vor die Füße streuen!»

Damerel hatte sich wieder gesetzt und schwermütig ins Feuer gestarrt, aber bei diesen Worten schaute er rasch auf. «Rosenblät ter?» wiederholte er. «Ausgerechnet Rosenblätter?» Er schaute Venetia mutwillig spottend an. «Aber, mein liebes Mädchen, zu dieser Jahreszeit?!»

«Sei still, du elender Kerl!» sagte sie errötend.

«Ganz richtig!» sagte Mr. Hendred. Pedantisch genau, fügte er hinzu: «Oder sie mag vielleicht sogar die Absicht gehabt haben, es Ihnen abzugewöhnen, solchen verschwenderischen Gewohnheiten zu frönen. Ich war außerstande zu entdecken, was eigentlich – nicht daß es wichtig wäre, denn ich habe im Leben noch keine so dumme Geschichte gehört! Aber was du deiner Tante gesagt hast, ist belanglos. Was jedoch für mich von höchstem Belang ist, meine liebe Nichte, ist die Tatsache, zuzulassen, daß ein Mädchen – und ich bitte dich sehr, sage jetzt ja nicht, daß du großjährig bist! –, ein Mädchen, sage ich, das in meinem Haus wohnt, unter meinem Schutz, wegläuft, ohne Begleitung, und in der ausdrücklichen Absicht, Schutz ausgerechnet unter diesem Dach zu suchen! Und du nennst es töricht und unnötig von mir, mich der größten Anstrengung auszusetzen, damit ich deinen Ruin und meine eigene Demütigung verhindere?»

«Nein, nein», sagte sie beruhigend. «Aber vergessen Sie nicht, daß ich einen Bruder habe, der unter diesem Dach lebt, Sir! Ich habe Ihrer Dienerschaft gesagt, daß man um mich geschickt hat, weil er krank sei, und bestimmt doch ...»

«Ich habe weder Aubrey vergessen, noch bin ich hier, um dein Ansehen wahren zu helfen!» unterbrach er sie streng. «Ich bin hier, wie du sehr gut wissen mußt, um dich davor zu bewahren, eine Handlung von nicht wieder gutzumachender Torheit zu begehen! Ich entschuldige mich nicht, Damerel, daß ich so offen spreche, denn meine Ansicht kennen Sie ja bereits!»

«Aber bitte, bitte, sagen Sie nur, was Sie zu sagen haben», sagte Damerel achselzuckend. «Schließlich sind wir ja beide völlig einer Meinung!»

Venetia, die sah, wie ihr Onkel die Fingerspitzen an seine Schläfe preßte, stand auf und ging leise aus dem Zimmer. Sie blieb nicht lange fort, aber als sie zurückkam, sagte ihr der Onkel, er habe mit Damerel ihren Besuch bei den Steeples diskutiert. «Ich zögere nicht, dir zu versichern, meine liebe Nichte, daß das, was bereits Seine Lordschaft dir gesagt hat, vollkommen richtig ist. An dir bleibt kein wie immer geartetes Stigma hängen, und wenn auch jeder regelmäßige Verkehr zwischen dir und Sir Lambert sowie Lady Steeple höchst unerwünscht wäre, könnte nichts unziemlicher – ich darf sogar sagen, unanständiger – für eine Tochter sein, als ihre Mutter zu schneiden! Ich verberge dir nicht, daß ich bei diesem peinlichen Thema niemals mit deiner Tante noch mit deinem seligen Vater übereingestimmt habe. Meiner Meinung nach war das Heimlichtun, auf dem alle beharrten, ebenso unklug wie albern!»

«Sehr richtig!» sagte Venetia. Sie schaute beide Männer mit einem Lächeln in den Augen an. «Und was habt ihr sonst noch diskutiert? Habt ihr zwischen euch ausgemacht, was meine Zukunft sein soll? Oder soll ich euch sagen, was eigentlich ich darüber bestimmt habe?»

Mr. Hendred, der sah, daß sich dieses Lächeln in Damerels Augen spiegelte, sagte schnell: «Venetia, ich bitte dich, überlege dir, bevor du etwas tust, das du, wie ich allen Ernstes befürchte, nur bereuen mußt! Du hältst mich für gefühllos, aber glaube mir, dem ist nicht so! Ich halte es jedoch für meine Pflicht, dir zu sagen – und ich hoffe, Eure Lordschaft werden mir verzeihen! –, daß man sich keine unpassendere Heirat vorstellen kann als diejenige, die du vorhast!»

«Mein lieber Onkel, wie können Sie nur so übertrieben reden?» protestierte Venetia. «So besinnen Sie sich doch ein bißchen! Damerel mag ja ein Wüstling sein, aber wenigstens wird sich bei ihm nicht herausstellen, daß er mein Vater ist!»

«Nicht herausstellen, daß er dein Vater ist?» wiederholte Mr. Hendred verblüfft. «Was in Himmels Namen ...?»

Damerels Schultern hatten zu zucken begonnen. «Ödipus», sagte er. «Zumindest vermute ich das, aber sie hat das ein bißchen durcheinandergebracht. Was sie meint, ist, daß es sich bei ihr nicht herausstellen wird, daß sie meine Mutter ist.»

«Na, das ist schließlich ein- und dasselbe, Damerel!» sagte Venetia, ungeduldig über eine solche Pedanterie. «Das wäre ganz genauso unpassend!»

«Ich wäre dir sehr verbunden, Venetia», sagte Mr. Hendred scharf, «wenn du ein Thema fallen ließest, das ich für überaus unanständig halte. Ich darf sagen, ich bin äußerst schockiert bei dem Gedanken, daß Aubrey – denn ich vermute, daß er es war! – die Ohren seiner Schwester mit einer derartigen Geschichte besudeln konnte!»

«Aber Sie müssen doch wirklich sehen, Sir, daß Damerel nicht im geringsten schockiert ist!» erklärte sie. «Hilft Ihnen denn das nicht, zu verstehen, warum er eigentlich der passendste aller denkbaren Gatten für mich wäre?»

«Nein, das hilft mir nicht!» erklärte Mr. Hendred rundheraus. «Auf mein Wort, ich weiß nicht, wie ich dich zur Vernunft bringen kann! Du scheinst mir in einer – in einer ...»

«Seifenblase zu leben», ergänzte Damerel.

«Ja, sehr gut! Seifenblase!» sagte Mr. Hendred bissig. «Du hast dich zum ersten Mal in deinem Leben verliebt, Venetia, und in deinen Augen ist Damerel eine Art Märchenheld!»

Sie brach in helles Gelächter aus. «O nein, das ist er nicht!» rief sie aus. «Liebster Sir, wie können Sie nur annehmen, daß ich eine solche Gans bin! Wenn dieses hübsche Seifenblasenbildchen bedeuten soll, daß eine gräßliche Enttäuschung auf mich wartet, dann können Sie beruhigt sein!»

«Du zwingst mich, grob heraus zu reden – und das ist eine sehr widerwärtige Aufgabe für mich! Damerel mag ja vielleicht die Absicht haben, sein Leben zu ändern, aber alte Gewohnheiten – der Charakter eines Mannes – sind nicht leicht zu ändern! Ich schätze dich sehr hoch, Venetia, und es würde mir Verzweiflung und Selbstvorwürfe verursachen, wenn ich sehen müßte, daß du unglücklich wirst!»

Sie schaute Damerel an. «Nun, mein lieber Freund?»

«Nun, mein liebes Entzücken?» gab er mit einem Glitzern in den Augen zurück.

«Glaubst du, daß du mich unglücklich machen wirst?»

«Nein – aber ich will dir nichts versprechen!»

«Nein, ich bitte dich, tu das ja nicht!» sagte sie ernst. «Sobald man verspricht, etwas nicht zu tun, wird es das Allereinzigste, das man am meisten zu tun wünscht!» Sie wandte sich wieder dem Onkel zu. «Sie wollen mich warnen, daß er vielleicht weiter Geliebte haben wird und Orgien veranstalten, und – und – und so weiter, nicht, Sir?»

«Besonders und so weiter!» warf Damerel ein.

«Na, wie soll ich denn alle die gräßlichen Sachen kennen, die du machst? Die Sache ist die, Onkel, daß ich glaube, ich werde es nie wissen.»

«Von meinen Orgien würdest du wissen!» wandte Damerel ein.

«Ja, aber die würden mir nichts machen, hie und da. Schließlich wäre es ganz unvernünftig, von dir zu wünschen, daß du alle deine Gewohnheiten änderst, und ich kann mich ja immer ins Bett zurückziehen, nicht?»

«Oh, wirst du ihnen nicht präsidieren?» sagte er sehr enttäuscht. «Doch, Liebster, wenn du es von mir wünschst», antwortete sie und lächelte ihn an. «Werden sie mir Spaß machen?»

Er streckte seine Hand aus, und als sie ihre hineinlegte, hielt er sie sehr fest. «Du sollst eine prachtvolle Orgie bekommen, mein liebes Entzücken, und sie wird dir bestimmt sehr viel Spaß machen!»

Zum Glück – da der vielgeprüfte Mr. Hendred erschreckende Anzeichen zeigte, das Ende des Erträglichen erreicht zu haben – öffvete sich eben in diesem Augenblick die Tür, und Imber kam mit dem Teetablett herein. Er setzte es vor Venetia nieder, die sofort eine Tasse einschenkte, sie ihrem Onkel reichte und sagte: «Ich weiß, Sie würden es nicht wagen, etwas zu essen, Sir, aber Tee tut Ihnen doch immer gut, nicht?»

Das konnte er nicht leugnen, und der Tee übte wirklich eine wohltätige Wirkung auf ihn aus, denn als er seine zweite Tasse ausgetrunken hatte, hatte er die Heirat so weit als unvermeidlich akzeptiert, daß er von Damerel zu wissen verlangte, ob er überhaupt eine Vorstellung habe, wie es um seine Angelegenheiten stehe, wieweit er verschuldet sei und in welchem Stil er seine Frau zu erhalten gedenke.

Diese unheilschwangeren Fragen wurden in einem Tonfall lähmender Ironie gestellt, aber Damerels Antwort war äußerst präzis. «Ich weiß genau, wie es um meine Angelegenheiten steht – wie hoch meine Schulden sind, und was meine verfügbaren Aktiva eintragen werden. Ich werde zwar nicht imstande sein, meine Frau luxuriös zu erhalten, bin aber überzeugt, ihr Komfort bieten zu können. Ich habe das alles mit meinem Kommissionär durchgesprochen – vor einem Monat. Er erwartet nur meine Anweisungen, so vorzugehen, wie wir es abgesprochen haben.»

Zwar in die Enge getrieben, aber trotzdem immer noch voll Angriffslust, ging Mr. Hendred munter wieder los: «Und eine Apanage?» fragte er.

«Natürlich!» sagte Damerel und zog die Augenbrauen ungewohnt hochmütig hoch.

Hier betrat Venetia den Ring. «Ich mag vielleicht nicht viel über Orgien wissen, aber jetzt sprecht ihr von etwas, das ich wirklich verstehe!» verkündete sie. «Und in einer völlig idiotischen Art auch noch dazu! Verfügbare Aktiva bedeuten deine Rennpferde und deine Jacht und die Postpferde, die du über ganz England verstreut hältst, und ich weiß nicht, was noch alles! Es ist nicht im geringsten nötig, daß du sie loswirst, und was eine Apanage für mich betrifft, warum zum – nun, zum Teufel auch, sollst du sie mir aussetzen, wenn ich doch selbst sehr viel eigenes Geld habe? Ich muß gestehen, ich persönlich würde ja lieber Schulden bezahlen, aber wenn du es vorziehst, in Schulden zu leben, ist das ganz deine eigene Angelegenheit! Und wenn du alle diese Opfer bringen willst – Damerel, es würde nur damit enden, daß du es wärst, der die Heirat bereut, nicht ich!»

«In Schulden leben?!» rief Mr. Hendred aus und schaute sie mit einem Ausdruck an, der von Widerwillen nicht weit entfernt war. «Und noch dazu vorziehen, in Schulden zu leben?!»

«Wir werden alle diese Angelegenheiten diskutieren, Sir – in unser beider idiotischen Art –, aber zu einem späteren Zeitpunkt!» sagte Damerel. «Rege dich nicht auf, mein Süßes! Mein Glück hängt nicht an meinen verfügbaren Aktiva, sondern an einem einzigen Grünschnabel.»

«Schluß jetzt!» befahl Mr. Hendred. «Sie preschen viel zu schnell vor! Das geht nicht!»

«Nun, zumindest geht das eher, als daß sie sich der Steeple-Bande anschließt!» gab Damerel zurück. «Ja, Sie können noch so starren, aber das ist nämlich die Pistole, die sie mir an den Kopf gesetzt hat!»

«Unsinn!» sagte Mr. Hendred mürrisch. «Aurelia würde auch nicht eine Sekunde lang eine solche Idee hegen! Aurelia mit einer Tochter, die sie überstrahlt? Ha!»

«Ja, der Meinung war ich auch, aber obwohl ich noch nicht entdeckt habe, wie Venetia das zustande brachte, hat sie Lady Steeple eine Einladung entrungen: ich hatte das Privileg, sie mit eigenen Augen lesen zu dürfen!»

«Guter Gott!» sagte Mr. Hendred starr.

«Daher», fuhr Damerel fort, «werden wir nun unsere Energien nicht der hoffnungslosen Aufgabe widmen, meinen Grünschnabel zu überzeugen, daß sie einen Fehler macht, sondern dem Problem, wie wir es sicherstellen, daß sie nicht von den höchsten Kreisen geschnitten wird.»

«Ich versichere dir, es wird mich nicht im geringsten bekümmern, wenn man mich schneidet!» warf Venetia ein.

«Aber mich würde es ärgern.» Damerel wandte den Kopf und schaute Mr. Hendred nachdenklich an. «Mit Ihrer Unterstützung, Sir, und der meiner Tante Stoborough könnte es uns, glaube ich, vielleicht gelingen, durchzukommen. Sie kennen doch bestimmt meine Tante?»

«Ich kenne Lady Stoborough seit zwanzig Jahren», antwortete Mr. Hendred mit einem dünnen, triumphierenden Lächeln. «Und die einzige Beachtung, die sie meiner Überredung oder der irgend jemandes anderen schenken würde, wäre, genau das Gegenteil von dem zu tun, was man von ihr wünscht!»

«Stimmt!» sagte Damerel. «Ich sehe, daß Sie aufs Haar genau wissen, wie Sie sie um den Finger wickeln können.»

Es herrschte Stille. Mr. Hendred, auf den diese Rede mächtig gewirkt zu haben schien, saß da und starrte auf etwas, das seiner Umgebung unsichtbar blieb. Unter Venetias faszinierten Augen begann sich die Haut um seinen Mund langsam zu dehnen, und während seine dünnen Lippen etwas vorgestülpt blieben, gruben sich zwei tiefe Falten in seine Wangen: Mr. Hendred genoß einen privaten Spaß, der zu köstlich war, als daß er ihn seinen Gefährten gegönnt hätte. Er tauchte aus seiner Träumerei auf, schaute die beiden mißbilligend an und erklärte, er sei unfähig, die betreffende Angelegenheit noch an diesem Abend weiter zu diskutieren. Er fragte seine Nichte, ob sie vorhätte, ihn nach York zu begleiten, wo er die Nacht verbringen wollte, aber es klang nicht so, als erwarte er eine zustimmende Antwort.

Dies bot ihr die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatte. Sie sagte: «Nein, lieber Sir, ich will heute keinen Meter weit mehr reisen, und ich muß Ihnen mitteilen, auch Sie werden es nicht! Fressen Sie mich nur nicht! Aber ich habe Imber schon angewiesen, Ihre Kutsche zum Roten Löwen weiterzuschicken. Ich weiß, das ist Ihnen recht, und wir sind auch so sehr knapp an Hilfskräften – das heißt, ich wollte sagen, Damerel ist hier derzeit so knapp an Hilfskräften, daß wir die Postillione kaum hätten unterbringen können, ohne der Dienerschaft sehr viel Arbeit zu machen, zu der sie wirklich keine Zeit hat! Und Damerels Kammerdiener – ein ganz vorzüglicher Mann – wird inzwischen darauf gesehen haben, daß für Sie schon jetzt ein Zimmer bereitsteht, und wird auch Ihre Reisetasche ausgepackt haben. Ich habe mir erlaubt, ihn anzuweisen, daß er die Pastillen sucht, die Sie immer verbrennen, wenn Sie Kopfschmerzen haben, worauf er, kaum hatte er das gehört, sagte, er würde unverzüglich eine tisane für Sie zubereiten, sobald Sie zu Bett gehen.»

Dieses Programm war derart verlockend, daß Mr. Hendred unterlag, wenn auch nicht ohne seinen Gastgeber zu warnen, seine Nachgiebigkeit dürfe nicht so aufgefaßt werden, daß er einer Heirat zustimmte, die er stark mißbillige, und noch viel weniger etwa so, daß er bereit sei, sie auf welche Art auch immer zu fördern.

Damerel nahm diese vernichtende Ankündigung mit Gleichmut hin und läutete nach Marston. In diesem Augenblick trat Aubrey ein, der in den Stallhof eingefahren war und das Haus durch eine Seitentür betreten hatte. Er schaute leicht überrascht drein und sagte schon, als er hereinkam: «Na, ich hab mich schon gewundert, mit wem zum Kuckuck du gesprochen haben kannst, Jasper! How do you do, Sir? Na, mein Liebes, und wie geht's dir? Ich bin froh, daß du gekommen bist – ich habe dich vermißt.»

Er hinkte quer durch das Zimmer zu Venetia, während er noch sprach. Sehr gerührt von seiner Begrüßung, umarmte sie ihn innig. «Und ich habe dich vermißt, Liebster – du weißt gar nicht, wie sehr!»

«Dummes!» sagte er mit seinem schiefen Lächeln. «Warum hast du uns nicht verständigt, daß du auf dem Weg zu uns warst? Was übrigens hat dich hergeführt?»

«Ich werde dir sagen, was deine Schwester hergeführt hat!» sagte Mr. Hendred. «Du bist in einem Alter, daß man dich für fähig halten kann, dir eine Meinung zu bilden, und man sagt mir, man halte deine Intelligenz für überragend. Vielleicht ist Venetia eher bereit, auf dich zu hören, als auf mich. Laß mich dir sagen, junger Mann, daß sie ihre Absicht kundgetan hat, einen Heiratsantrag von Lord Damerel anzunehmen!»

«Oh, gut!» sagte Aubrey und sein Gesicht strahlte auf. «Ich habe gehofft, daß du das tust, Liebste; Jasper ist genau der richtige für dich! Außerdem, ich hab ihn gern. Ich kann dann meine Ferien bei euch verbringen, und du weißt ja, Edward hätte ich nie ausstehen können. Übrigens, ist er wirklich in London ewig dahergekommen, um dich zu langweilen?»

«Ist das alles, was du zu sagen hast, Junge?!» fragte Mr. Hendred, verzeihlicherweise erzürnt. «Wünschst du wirklich, daß deine einzige Schwester einen Mann von Lord Damerels Ruf heiratet?»

«Ja, ich hab ihr doch schon vor einer Ewigkeit gesagt, sie soll das tun. Ich selbst habe mich nie viel um den ganzen Klatsch über Jaspers Ruf gekümmert, und wenn es ihr nichts macht, warum soll es dann mir etwas machen?»

«Ich nehme an», sagte Mr. Hendred bitter, «daß solche Gefühle von einem Jungen zu erwarten gewesen wären, der keine Gewissensbisse hat, seiner Schwester derb unmoralische und undelikate Geschichten zu erzählen!»

Aubrey schaute erstaunt drein. «Was zum Kuckuck hat sie gesagt, Sir?» erkundigte er sich. «Wenn sie heikle Geschichten erzählt hat, dann muß sie sie von Jasper haben, denn Edward würde ihr keine erzählen, und ich kenne überhaupt keine!»

«Ödipus Rex doch, du Schaf!» sagte Damerel.

«Ach – Ödipus Rex? Ich kann mich nicht erinnern, daß ich Venetia von ihm erzählt hätte, aber es kann durchaus sein; doch den Werken Sophokles' Beiwörter wie <unmoralisch> und <undelikat> anzuhängen, ist jedenfalls das Schockierendste, was ich je gehört habe – selbst von Edward!»

In diesem Augenblick trat Marston ein, der schon eine Weile an der Schwelle gestanden hatte. «Sie haben geläutet, Mylord?»

«Ja», sagte Damerel. «Wollen Sie Mr. Hendred in sein Zimmer hinaufführen? Verlangen Sie von Marston alles, was Sie eventuell brauchen, Sir – ich habe noch nie an ihm erlebt, daß er in Verlegenheit geraten wäre, einen Ausweg zu finden!»

Daher ließ es Mr. Hendred, nachdem er der Gesellschaft grollend gute Nacht gewünscht hatte, zu, daß er aus dem Zimmer geleitet wurde. Gerade als Marston seinem verärgerten Schützling folgen wollte, sagte Damerel leise: «Marston!»

Marston blieb stehen. «Mylord?»

Damerel grinste ihn an. «Wünsch mit Glück!»

Marstons sonst so unbewegtes Gesicht wurde weich. «Wenn ich darf, Mylord, wünsche ich Ihnen beiden Glück. Ich möchte gern sagen, daß es auch andere gibt, die mit Ihnen zusammen glücklich sein werden.»

«Himmel – ich hätte euch wahrscheinlich auch Glück wünschen sollen, nicht?» sagte Aubrey, als sich die Tür hinter dem Kammerdiener geschlossen hatte. «Natürlich tu ich's – aber das wißt ihr ja ohnehin, ohne daß ich es erst sagen muß! Na, ich glaube, ich geh auch zu Bett – ich bin schläfrig.»

«Aubrey, warte noch einen Augenblick!» bat Venetia. «Ich muß dir etwas sagen, und ich möchte das lieber gleich tun. Ich hoffe, es macht dir nichts – ich glaube aber, es macht dir ohnehin nichts: ich habe vor zwei Tagen entdeckt, daß Mama – nicht tot ist, wie wir geglaubt haben.»

«Nein, ich weiß, daß sie lebt», antwortete Aubrey. «Natürlich macht es mir nichts, Dummes! Warum sollte es denn auch?»

So gut sie ihn auch kannte, blieb ihr doch der Atem stehen. «Aubrey! Willst du damit sagen – hat es dir Papa gesagt?»

«Nein – Conway.»

«Conway?! Wann?»

«Oh, als er das letzte Mal daheim war! Knapp bevor er nach Belgien abreiste. Er sagte, ich sollte es wissen, falls er fiele.»

«Na, also etwas derart Schäbiges zu tun!» rief sie empört. «Warum konnte er es nicht mir sagen? Wenn er es einem Vierzehnjährigen sagen konnte ...!»

«Ich weiß nicht. Ich nehme an, Papa wäre bös gewesen, wenn er draufgekommen wäre, daß du es weißt. Jedenfalls schärfte er mir ein, nicht davon zu sprechen.»

«Und als Papa tot war ...? Warum ...»

«Ich glaube, ich habe nicht daran gedacht», antwortete er. «Na, und warum hätte ich es eigentlich sollen? Es hat mich nicht besonders interessiert. Vermutlich hätte es mich das, wenn ich Mama je gekannt hätte, aber zum Kuckuck, Venetia, man kann sich doch nicht für etwas interessieren, das passierte, als man erst ein paar Monate alt war!» Er gähnte. «Himmel, hab ich einen Schlaf! Nacht, Liebes! Nacht, Jasper!»

Er hinkte hinaus, Venetia kehrte zurück und sah, daß ihr Liebster sie mit liebevollem Spott ansah. «Laß dir das eine Lehre sein, bewundernswerte Venetia!» sagte er. Er kam durch das Zimmer auf sie zu und nahm sie in die Arme. Sie sträubte sich nicht, hielt ihn aber ein bißchen von sich ab, die Hände gegen seine Brust gestemmt.

«Damerel, ich muß dir etwas sagen!»

Sein Lächeln verschwand; er schaute forschend auf sie herunter. «Was denn, mein liebes Entzücken?» fragte er.

«Es ist – weißt du, meine Tante sagte, ich könnte mich dir nicht an den Hals werfen! Anscheinend konnte ich das doch – und habe es ja wirklich getan. Aber als mein Onkel über deine Schulden und über Apanagen und so zu reden anfing, sah ich plötzlich, wie recht sie hatte! Oh, mein Liebster – mein wirklicher Freund! –, ich will nicht, daß du mich heiratest, wenn du vielleicht lieber wirklich nicht verheiratet wärst!»

«Dann bist du viel selbstloser als ich, mein liebes Herz, denn ich will dich heiraten, was immer auch deine Gefühle sein mögen!» antwortete er prompt. «Du magst vielleicht diesen Tag einmal bereuen – ich könnte es nicht! Was ich bereue, kann ich nicht ungeschehen machen, denn die Götter vernichten weder Raum noch Zeit, noch verwandeln sie einen Mann, wie ich einer bin, in einen, der wert wäre, dein Gatte zu sein.»

Sie umfing ihn fest. «Dummer – du Dummer! Du weißt, ich habe meinen würdigen Freier todlangweilig gefunden, und übrigens, siehst du denn nicht ein, Liebster, daß wir, wenn du nicht mit dieser fetten Person davongelaufen wärst ...»

«Sie war nicht fett!» protestierte er.

«Nein, damals nicht, aber jetzt ist sie's! Nun, wenn du dich nicht so schlecht benommen hättest, dann würdest du wahrscheinlich ein passendes Mädchen geheiratet haben und wärst jetzt auf Jahre hinaus behaglich festgenagelt, mit einer Frau und sechs oder sieben Kindern!»

«Nein, nicht mit Kindern! Die hätte doch die Raupe gefressen», erinnerte er sie. «Ist Ihnen hingegen noch gar nicht aufgefallen, Miss Lanyon, daß ich, obwohl ich schon zweimal knapp daran war, noch immer nicht um Sie angehalten habe? Da wir nun vor einer Unterbrechung sicher sind, wollen Sie mir die Ehre geben, Ma'am ...»

«Sehr gut – ihr seid noch nicht zu Bett gegangen», sagte Aubrey, der plötzlich wieder ins Zimmer trat. «Ich habe gerade einen ganz ausgezeichneten Einfall gehabt!»

«Das», sagte Damerel wütend, «ist das dritte Mal, daß du hereinplatzt, gerade wenn ich deiner Schwester einen Heiratsantrag machen will!»

«Ich hätte geglaubt, daß du das schon vor Stunden getan hast? Jedenfalls, es ist etwas Wichtiges: ihr könnt eure Flitterwochen in Griechenland verbringen, und ich komme mit!»

Venetia, immer noch in den Armen Damerels, erstickte fast vor Lachen und drückte ihren Kopf an seine Schulter.

«Griechenland, mitten im Winter? Das tun wir auf keinen Fall!» sagte Damerel.

«Aber warum so bald heiraten? Wenn ihr euch auf ein Datum im Frühling einigt ...»

«Wir haben uns auf einen Tag im Januar geeinigt – wenn nicht schon im Dezember!»

«Oh!» sagte Aubrey ziemlich verdutzt. «Dann nehme ich an, wäre Rom besser. Das ist zwar ein Jammer, weil mir Griechenland lieber wäre. Aber dorthin können wir ja später fahren, und schließlich sind es ja eure Flitterwochen, nicht die meinen. Ich bin überzeugt, Venetia wird Rom auch gefallen.»

«Wir müssen uns erinnern, daß wir sie irgendwann einmal bei Gelegenheit fragen – nicht, daß das so wichtig wäre! Aber jetzt geh endlich zu Bett, du widerlicher junger Hund!»

«Ach ja, du willst ja Venetia einen Heiratsantrag machen, nicht? Na schön – obwohl du dich um meine Anwesenheit nicht zu kümmern brauchst, wie du weißt! Gute Nacht!»

Er hinkte hinaus, Damerel ging zur Tür und versperrte sie. «Und jetzt, meine Geliebte», sagte er und kehrte zu Venetia zurück, «zum vierten Male ...!»