13

Es stellte sich bald heraus, daß Venetias Optimismus fehl am Platz gewesen war. Zehn Minuten nach Damerels Weggang wurden die Feindseligkeiten wieder aufgenommen, als Mrs. Scorrier, die Augen glitzernd im Zorn der Gerechten, Venetia aufsuchte und zu wissen verlangte, ob es stimme, daß sie nicht allein Seine Lordschaft in Undershaw willkommen geheißen, sondern ihn Charlotte tatsächlich vorgestellt hatte. Sie war, wie sie sagte, einfach nicht imstande gewesen, ihren Ohren zu trauen, als Charlotte sie von diesem schockierenden Vorfall informiert hatte. Zwar habe sie schon entdeckt, daß sich Miss Lanyon mit einer – ihren eigenen möglicherweise altmodischen Vorstellungen von Schicklichkeit unziemlich erscheinenden – Freiheit benähme, sie hätte jedoch nie angenommen, daß es Venetia derart an Vorsicht und Takt mangeln ließe, einem Mann von Lord Damerels Ruf zu erlauben, den Fuß auch nur auf den Boden von Undershaw zu setzen, geschweige denn ihn der unschuldigen jungen Frau ihres Bruders vorzustellen.

Was immer für Zweifel Venetia bei nüchterner Überlegung überkommen hätten, ob es klug sei, Damerel mit Charlotte bekannt zu machen – da es ihrem Ruf im Distrikt kaum dienen würde, daß sie auf Besuchsfuß mit ihm stand –, ging in einem aufflammenden Zorn unter. Sie gab schnell zurück: «Lieber Himmel, meinen Sie etwa, daß Charlotte Gefahr läuft, seinem Charme zu erliegen? Ich hätte denn doch angenommen, daß sie meinen Bruder dazu viel zu sehr liebt – muß mich aber Ihrer besseren Kenntnis Charlottes beugen!»

«Miss – Lanyon!» würgte Mrs. Scorrier hervor.

«Ja, bitte?» sagte Venetia trügerisch kühl.

Mrs. Scorrier zog hörbar den Atem ein. «Ich übersehe Ihre Unverschämtheit. Es steht unter meiner Würde, sie zur Kenntnis zu nehmen. Aber es sollte Ihnen klar sein, daß es für eine gesittete Frau in der Situation meiner Tochter – einer Fremden in diesem Landesteil, die ohne den Schutz ihres Gatten hergekommen ist – grob unschicklich wäre, einen Mann von derart schlechtem Ruf in ihrem Haus zu empfangen. Die Ungehörigkeit eines unverheirateten Frauenzimmers, das sich der Freundschaft eines solchen Menschen rühmt, erwähne ich erst gar nicht!»

«Wie sollen Sie das auch können? Mein Ruf wird ja schließlich nicht darunter leiden! Im übrigen aber haben Sie sehr recht – es war entsetzlich gedankenlos von mir, und ich bitte um Verzeihung! Unter den gegebenen Umständen kann Charlotte natürlich nicht vorsichtig genug sein. Wenn man bedenkt, wieviel Skandalgeschwätz sich bereits zusammengebraut haben dürfte – oh, haben Sie keine Angst, Ma'am! Ich werde Damerel sagen, er darf auf keinen Fall irgend jemandem verraten, daß er Charlotte überhaupt nur erblickt hat!»

Unnatürlich rot, sagte Mrs. Scorrier mit einer vor unterdrückter rasender Wut gepreßten Stimme: «Nein, wirklich? Also wirklich, Miss Lanyon? So bilden Sie sich ein, daß gerade Ihr Ruf nicht leiden wird! Da irren Sie sich aber gewaltig, lassen Sie mich Ihnen sagen!» Sie hielt inne, und Venetia wartete, mit leicht gehobenen Brauen und einem leisen verächtlichen Lächeln um die Lippen. Anscheinend kämpfte Mrs. Scorrier mit sich, denn jedenfalls wogte ihr Busen alarmierend. Aber nach einem, zwei gespannten Momenten drehte sich die Dame abrupt auf ihren Absätzen um und stelzte aus dem Zimmer.

Venetia merkte, daß sie zitterte, und mußte sich hinsetzen. Es dauerte eine Zeit, bevor sie imstande war, ihre Fassung wiederzugewinnen, und noch länger, bevor sie sich zur Erkenntnis durchringen konnte, daß der Vorwurf, mochte er auch noch so aggressiv vorgebracht worden sein, nicht ganz unberechtigt war, und es ihr leid tat, daß sie aus der Fassung geraten war. Endlich sah sie es ein, und nach einem Kampf, der ebenso schwer war wie jener, den Mrs. Scorrier mit sich ausgefochten hatte, ging Venetia zu der Dame, um sich bei ihr zu entschuldigen. Es wurde mit einer kalten Verneigung und verkniffenen Lippen aufgenommen.

«Ich hätte mich nicht durch meine Empörung hinreißen lassen sollen, Ma'am», fuhr Venetia fort, «sondern Ihnen eher erklären, daß Lord Damerel meinem Bruder Aubrey ein zu guter Freund ist, als daß ich es ertragen konnte, ihn beschimpfen zu hören.»

«Wir wollen die Sache nicht weiter erörtern, Miss Lanyon. Ich hoffe jedoch, Sie machen Lord Damerel klar, daß seine Besuche in Undershaw aufhören müssen.»

«Nein», sagte Venetia sanft, «das werde ich nicht tun, aber Sie brauchen nichts zu fürchten – wenn er kommt, besucht er Aubrey, nicht Charlotte.»

Dem gönnte Mrs. Scorrier als Antwort nur einen Blick, der es Venetia klarmachte, daß es von mm an einen Krieg bis aufs Messer galt.

Es war das Präludium für eine Woche, die ein einziger Albtraum war, und mehr, als Venetia je zu ertragen gehabt hatte. Mrs. Scorrier ließ jede Liebenswürdigkeit fahren, sprach so selten wie möglich mit ihr, und dann nur mit formellster Höflichkeit. Es gelang ihr weitgehend, Venetia zu ignorieren, aber sie ließ keine Gelegenheit aus, die sich bot, um sie zu ärgern. Wenn sie nichts im Haushalt fand, was sie umkrempeln konnte, diskutierte sie mit Charlotte in Venetias Gegenwart die Veränderungen, die in Führung und Wirtschaft von Undershaw durchgeführt werden müßten. Charlotte, der diese Taktik zutiefst unbehaglich war, besaß freilich nicht die Charakterstärke, sie zu bekämpfen. Sie murmelte manchmal einige schwache Proteste, gab aber nur einsilbige Antworten und schaute kläglich drein. Bei den seltenen Gelegenheiten, da Aubrey anwesend war, gebrauchte er seine tödliche Zunge derart verheerend, daß ihn Venetia bat, dem Salon fernzubleiben.

Um die Sache noch schlimmer zu machen, legte die Dienerschaft des Hauses, die Venetias Sache hitzig zur eigenen machte, eine eigensinnige Loyalität an den Tag, indem sie Venetia die trivialste Anordnung, die sie von Mrs. Scorrier erhielt, weiterleitete. «Ich werde die Sache Miss Venetia gegenüber erwähnen, Ma'am», war die unveränderliche Antwort, die sie erhielt. Und wenn sie unklugerweise Fingle befahl, mit dem Phaeton vorzufahren, um Ihre Gnaden vorsichtig an die frische Luft zu führen, war dessen Antwort sogar noch unverblümter. «Ich nehme meine Befehle von Mr. Au brey entgegen, Ma'am», sagte der barsche Yorkshire-Mann. Bevor Mrs. Scorrier Venetia noch erreichen konnte, um sich bei ihr zu beschweren, suchte Aubrey die Dame schon selbst auf und teilte ihr die wenig schmackhafte Information mit, daß Fingle sein persönlicher Reitknecht war und er ihr verbunden wäre, wenn sie in Zukunft ihre Befehle William Coachman übermitteln wolle, dessen Sache es war, die Damen des Hauses zu kutschieren, und zwar im Landauer und nicht im Phaeton, der ebenfalls ihm, Aubrey, gehöre und den er von niemandem anderen als Venetia kutschieren lasse.

Alle Vorhaltungen Venetias trafen bei ihren Verteidigern auf taube Ohren; sie hatten sich zu ihrer Politik entschlossen und verfolgten sie mit Begeisterung. Daher verbrachte Venetia den größten Teil ihrer Zeit entweder damit, Mrs. Scorriers Befehle zu unterstützen, oder mit dem hoffnungslosen Versuch, erbitterte Gegner zu versöhnen.

Die Situation wurde für Mrs. Scorrier durch Nurse noch unleidlicher gemacht, denn diese kümmerte sich überhaupt nicht um sie, gewann hingegen rapid einen höchst unerwünschten Einfluß auf Charlotte. Darin half ihr unbewußt die erhabene Miss Trossell, die von der Yorkshire-Landschaft und dem Mangel an adeliger Gesellschaft in Undershaw einen derart ungünstigen Eindruck empfing, daß sie vierundzwanzig Stunden nach ihrer Ankunft erklärte, sie sei nicht imstande, die Härten des Landlebens zu ertragen, und die unmißverständliche Andeutung hinzufügte, sie sei unter falschem Vorwand ins Yorkshire gelockt worden. In ihrem Tonfall lag gerade soviel Frechheit, daß Mrs. Scorrier wütend wurde, und nach einer stürmischen Szene reiste Miss Trossell auf der Stelle ab. Sie wurde in dem entwürdigenden Gig nach York gefahren, und die Versicherung von Nurse, ihr Verlust würde nicht gespürt werden, trug nur dazu bei, ihre Abreise zu beschleunigen.

Ein Verlust war es wirklich nicht, denn Charlotte waren die Aufmerksamkeiten Nurses bei weitem lieber, von der sie zwar gescholten und tyrannisiert wurde, die aber warm an ihrem Wohlergehen interessiert war, genau wußte, was sie für sie tun konnte, wenn sich Charlotte zappelig fühlte, und die Stunden damit verbrachte, von Conway zu sprechen oder die Zukunft von Conways Sohn mit ihr zu diskutieren. Charlotte war nie so glücklich, wie wenn sie in ihrem Zimmer lag, Nurse mit einer Näherei beim Kamin, und die Tür gegen Eindringlinge verschlossen. Nurse verschwendete keine Sympathien und kein Mitgefühl an nervöse Zweifel noch Anfälle von Depression. Sie sagte: «Jetzt aber Schluß mit dem Unsinn, Mylady!» und: «Setzen Sie schön Ihr Vertrauen in den Allmächtigen, Mylady, und tun Sie, was Nurse sagt, dann brauchen Sie überhaupt nicht nervös zu sein.» Aber Nurse grub auch Conways Taufkleid aus und alle seine Häubchen und Röckchen, die Aubreys Kinderzeit überlebt hatten, und machte gemütlich Pläne für das Neutapezieren der Kinderzimmer. Sie sagte Charlotte, sie solle sich auch nicht über die erschreckende Säuglingsschwester aufregen, die sich Mrs. Scorrier schon in London hatte kommen lassen, weil sie, Nurse, von einer sehr anständigen Person wußte, «die in York lebte», und was den Geburtshelfer betraf, so wolle sie kein Gerede mehr über irgendwelche Dr. Knightons – wer immer das sein mochte – hören, weil Dr. Cornworthy, ebenfalls aus York, genauso vielen Babies in die Welt geholfen hatte wie jeder großartige Londoner Geburtshelfer, und sehr wahrscheinlich noch mehr; und jedenfalls würde Ihre Gnaden wohl Nurse zutrauen, daß sie wisse, was das Beste für sie war, und solle sich lieber eifrig damit beschäftigen, ein Häubchen für den Erben zu sticken.

Unter dieser stählenden Behandlung lebte Charlotte auf, nur um durch den nervösen Druck wieder zurückgeworfen zu werden, den ihre Mama auf sie ausübte, entschlossen, die Oberhand über Venetia zu gewinnen. Charlotte lebte in einer krankhaften Angst vor einer Szene, wie sie sie am meisten fürchtete. Und nach einem Abend mehr als üblicher Spannung mußte Nurse sie scheltend von einem Anfall leichter Hysterie erlösen. Diese Episode führte Nurse dazu, Mrs. Scorrier streng zur Ordnung zu rufen; und da ihre Moralpredigt auch die Information enthielt, daß ein Stück trocken Brot und Ruhe besser als ein Haus voller Opfer und Zank sei, überraschte es kaum, daß alles in einem hitzigen Scharmützel endete. Mrs. Scorrier, die ohnehin schon auf Nurses Einfluß auf Charlotte eifersüchtig war, sagte ihr mit einem mehr drohenden als liebenswürdigen Lächeln, es würde ihr äußerst leid tun, falls sie ihrer Tochter empfehlen müßte, sie, Nurse, von Undershaw wegzuschikken. Sie beabsichtigte zwar nicht wirklich, einen solchen Versuch zu machen, denn sie wußte sehr wohl, daß alte und treue Dienstboten nicht entlassen werden konnten, wie irritierend auch immer sie sich benahmen. Sie äußerte die Drohung nur in der Hoffnung, Nurse einzuschüchtern, aber die einzige Wirkung war die, Nurse eine Gelegenheit zu liefern, sie in die Kenntnis einer Tatsache zu setzen, die es ihr fast unmöglich machte, Venetia nachher selbst mit auch nur dem Anschein von Höflichkeit zu begegnen.

«Na, ich möchte eigentlich meinen, Sie sollten das lassen, Ma'am!» sagte Nurse. «Wie sollte es einen Sinn haben, Ihre Gnaden damit zu quälen, etwas zu tun, wozu sie keine Macht hat, und es auch gar nicht täte, selbst wenn sie könnte?» Sie sah mit grimmiger Genugtuung, wie Mrs. Scorriers Gesicht starr wurde,, und ließ einen Kinnhaken los. «Es ist nämlich Miss Venetia, die die Herrin von Undershaw ist, Ma'am, wie selbst das Abwaschmädchen sehr gut weiß, und Miss Venetia hat ein Anwaltsdokument mit einem Siegel drauf und von Sir Conway unterzeichnet, als Beweis.»

Da Conway es versäumt hatte, seiner Schwiegermutter zu sagen, daß er Venetia Generalvollmacht gegeben hatte, und sie selbst unerklärlicherweise die Wahrscheinlichkeit nie in Betracht gezogen hatte, daß er so etwas getan haben könnte, erfüllte sie diese Enthüllung mit einer Wut, um so heftiger, je hilfloser sie war. Das einzige, was sie sich als unmittelbare Rache ausdenken konnte, war, Charlotte noch am gleichen Abend beim Dinner vorzuschlagen, sie solle doch die Bibliothek zu ihrer eigenen Benützung bestimmen, weil es gerade der beste Raum des Hauses war, dank seiner abgeschlossenen Lage, der vielen Sonne und einer Tür direkt in den Garten, und für jede Dame von zarter Gesundheit eine wunderbare Zuflucht darstellte. Aber dieser liebenswürdige Plan, Aubrey – und um seinetwillen Venetia – wütend zu machen, wurde von Charlotte abgewehrt, die vor Aubrey noch größeren Respekt als vor ihrer Mutter hatte und hastig eine Zurückweisung jeglichen Wunsches hervorstammelte, ihn aus seinem Bollwerk zu vertreiben. Da sie hinzufügte, daß ihr selbst das kleinste der verschiedenen Wohnzimmer lieber sei als die Bibliothek, war nichts mehr dazu zu sagen. Nur Aubrey lud Mrs. Scorrier herzlich ein, doch zu kommen und selbst zu versuchen, wie gemütlich der Raum sei.

Briefe von Conway trugen nichts dazu bei, die Verhältnisse zu verbessern, und erfreuten niemanden als Charlotte, die zwei ganze Seiten erhielt, kreuz und quer mit seiner krakeligen Handschrift bedeckt, und die tagelang glühend hingerissen im Haus herumging. Aber da der Brief weit davon entfernt war, einen Widerruf jener infamen Generalvollmacht zu enthalten, und Conway Charlotte sogar beschwor, sich ihren hübschen Kopf nicht im geringsten zu zerbrechen, sondern alles Venetia zu überlassen, auf die er sich verlasse, daß sie seinem Darling auch die kleinste Sorge oder unangenehme Anstrengung ersparen würde, brachte der Brief Mrs. Scorrier keine Freude, sondern verschlimmerte ihren Ärger und festigte ihren Entschluß, ihre Tochter von einer Schwägerin zu befreien, die sich eines viel zu großen Vertrauens bei ihrem Bruder erfreute.

Auch Venetia erhielt einen Brief von Conway, der sie, wie sie Damerel erzählte, in heftigen Zorn versetzt hätte, wäre er nicht so unwiderstehlich komisch gewesen. Anscheinend erschöpft von der Mühe, einen so hübschen Brief an seine junge Frau verfaßt zu haben, hatte sich Conway auf eine einzige Seite beschränkt, als er seiner Schwester schrieb, und entschuldigte diese Kürze mit dem Druck der vielen Arbeit, die sich aus der kurz bevorstehenden Rückziehung der Besetzungsarmee ergab. Er erklärte ihr weder seine plötzliche Heirat, noch entschuldigte er sich im geringsten, daß er ihr ohne ein Wort der Vorwarnung eine völlig fremde Person aufgehalst hatte. Er wußte, daß seine Charlotte Venetia bestimmt gefallen würde, und verließ sich darauf, daß sie sich höchst liebevoll um sein Frauchen kümmern werde. Man hätte einen unbeteiligten Menschen, der diese Botschaft gelesen hätte, wohl kaum dafür getadelt, wenn er angenommen hätte, daß Sir Conway die ganze Sache ausschließlich dazu geplant hatte, seiner herzliebsten Schwester eine entzückende Überraschung zu bereiten.

Außer Conways Brief erhielt Venetia noch einen zweiten, aber nicht durch die Post. Er wurde ihr von einem der Reitknechte Edward Yardleys aus Netherfold herübergebracht, bedeckte mehrere Seiten und machte ihr sogar noch weniger Freude als Conways kurze Mitteilung, da sie darin nichts fand, was wenigstens ihren Sinn für Humor angesprochen hätte. Obwohl Edward von der Neuigkeit von Conways Verheiratung überrascht und schockiert war, schien er einen Trost aus der Überzeugung gewonnen zu haben, daß Venetia in der Gesellschaft ihrer Schwägerin glücklich sein müsse, und aus seiner eigenen Erleichterung bei dem Wissen, daß sie in Mrs. Scorrier endlich eine entsprechende Anstandsdame erhalten hatte. Nachdem er sich zwei Seiten lang moralisierend über Venetias üble frühere Lage verbreitet hatte, bedeckte er zwei weitere mit einigen sehr vernünftigen Ratschlägen für sie – denn er verstand, wie er ihr versicherte, vollkommen, wie schwierig sie es zunächst finden würde, sich an die Veränderung ihrer Umstände zu gewöhnen –, und einer genauen Beschreibung seines Gesundheitszustandes. Er schloß damit, wie sehr er es beklage, daß es ihm unmöglich war, Undershaw zu besuchen, Lady Lanyon seine Aufwartung zu machen und Venetia mit Rat und Tat zu stärken, wie er dies zu spenden vermochte – denn es würde immerhin noch fast eine Woche vergehen müssen, bevor er aus der Quarantäne entlassen würde. Sie würde es bestimmt bedauern zu hören, daß sich ein Husten dazugeschlagen hatte, der, obwohl nicht stark, seine Mutter denn doch in einige Unruhe versetze. Er bat Venetia jedoch, nicht erschreckt zu sein, da sie sich ja auf ihn verlassen könne, daß er kein dummes Risiko eingehen würde. Er stelle sich vor, es würde sie nicht überraschen zu hören, daß die Nachricht, Conway würde ja nun bald wieder daheim sein, zu seiner Genesung fast ebenso viel beigetragen habe wie irgendeines von Mr. Huntspills vorzüglichen Rezepten.

Venetia ritt nach Ebbersley hinüber, um einen Tag bei Lady Denny zu verbringen. Zwar tat ihr die Ruhepause von den Ärgerlichkeiten und Animositäten in Undershaw gut, aber eine reine Freude war ihr Besuch nicht. Ein Blick auf Claras Gesicht genügte, um Venetia in dem Glauben zu bestärken, daß sich zwischen ihr und Conway mehr abgespielt hatte, als ihre Eltern vermutet hatten. Das hatte sie denn nun auch gebeichtet, wie Lady Denny ihrer jungen Freundin sogleich in einer zögernden Antwort auf eine unverblümte Frage enthüllte. «Ja, meine Liebe, ich fürchte, du hattest recht», sagte sie. «Aber falls du denkst, daß Conway Clara auch nur irgendwie ehrenhalber verpflichtet war, bitte, verbanne eine solche Vorstellung aus deinen Gedanken! Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, was ich fühlte, als ich erfuhr, daß eine meiner Töchter sich derart unschicklich benommen hatte, und was Sir John betrifft, versichere ich dir, daß ich ihn noch nie im Leben derart verdonnert erlebt habe! Denn weißt du, mein Liebes, ohne Zustimmung oder Wissen ihrer Eltern Versprechen mit einem Mann zu tauschen, zeigt einen derartigen Mangel an Benehmen, wie ich es bei Clara nie für möglich gehalten hätte! Ja, es ist sogar noch schlimmer, weil Sir John einen solchen Austausch ausdrücklich verboten hatte, nicht etwa, weil er über die Verbindung nicht sehr erfreut gewesen wäre, aber weil er sie beide für viel zu jung für eine Verlobung gehalten hatte. Wenn die arme Clara nur schon damals erkannt hätte, daß ihr Papa es am besten wissen mußte, wieviel Pein hätte sie sich jetzt erspart! Sie ist sich sehr bewußt, wie weit sie gefehlt hat, daher machen wir ihr keine Vorwürfe.»

«Conway verdient einfach, geprügelt zu werden!» rief Venetia aus.

«Nein, meine Liebe, die Schuld hat Clara, obwohl ich nicht leugne, daß er sich nicht ganz richtig benommen hat. Aber junge Männer nehmen solche Angelegenheiten nicht so ernst, wie du vielleicht annimmst, und in einem Punkt jedenfalls kannst du sicher sein – er hat weder vorgeschlagen noch versucht, mit Clara einen heimlichen Briefwechsel zu führen!»

«O ja, davon jedenfalls bin ich ganz überzeugt!» sagte Venetia. «Nicht auszudenken, daß ich es erleben muß, noch dankbar dafür zu sein, daß er ein Analphabet ist! Ich wollte, ich dürfte Clara zu ihrem Glück gratulieren, aber ich nehme an, daß sie noch nicht einsieht, was ihr erspart geblieben ist!»

«Nein, und wir sind unter uns übereingekommen, je weniger wir darüber reden, um so schneller wird's gut. Wir meinen, daß ihr eine Abwechslung gut täte, und haben geplant, sie zu ihrer Großmama zu schicken. O Himmel, wenn man im vorhinein wüßte, was für Kummer einem Kinder machen!» seufzte Lady Denny. «Zuerst war es Oswald, und jetzt ist es Clara, und als nächstes wird es Emily sein, verlaß dich drauf!»

«Liebste Ma'am, wenn Sie sich einbilden, daß Oswalds Narretei für mich mehr war als ein Anfall jungenhaften Unsinns, so versichere ich Ihnen, daß das nicht stimmt», sagte Venetia mit ihrem üblichen Freimut. «Er hat sich sicherlich höchst lächerlich gemacht, schrieb mir aber einen sehr schönen Entschuldigungsbrief, so daß ich vollkommen mit ihm versöhnt bin.»

«Das schaut dir und deinem goldigen Wesen ähnlich, mein Liebes», antwortete Lady Denny und blinzelte ziemlich schnell, «aber ich weiß sehr gut, daß er sich dir gegenüber höchst unschicklich benommen haben muß, abgesehen davon, daß er Lord Damerel ärgerte, worüber ich schon beim bloßen Gedanken entsetzt bin!»

«Nun, das hat er bestimmt nicht getan, dessen bin ich ganz sicher!» erklärte Venetia.

«Das hat Lord Damerel Sir John auch gesagt», sagte Ihre Gnaden unvermindert düster. «Sir John hat ihn unlängst zufällig getroffen und fragte ihn auf den Kopf zu, ob ihm Oswald Ärger verursacht habe, und er antwortete sofort, überhaupt nicht, was Sir John überzeugte, daß es leider doch nur zu wahr gewesen sein muß.»

Venetia mußte unwillkürlich darüber lachen, versicherte aber ihrer alten Freundin, daß Oswald Lord Damerel eher erheitert als verärgert habe. Lady Denny bemerkte einigermaßen unwillig, es sei wenig tröstlich zu wissen, daß sich der einzige Sohn lächerlich mache. Aber etwas Trost schien sie doch zu gewinnen, denn sie strengte sich entschlossen an, ihre Niedergeschlagenheit zu überwinden, und verlangte von Venetia einen Bericht über die Ereignisse in Undershaw. Freilich ließ sie sich von der komischen Seite nicht täuschen, die Venetia sorgfältig herausarbeitete, sondern rückte mit ihrer Meinung über Mrs. Scorriers Verhalten ungewohnt offenherzig heraus und beschwor Venetia, sollte diese Kreatur beleidigend werden, unverzüglich ihre Koffer zu packen und sofort nach Ebbersley zu übersiedeln.

«Natürlich werde ich Lady Lanyon einen Brautbesuch machen», sagte sie würdevoll. «Bitte, meine Liebe, übermittle ihr meine Empfehlungen und erkläre ihr, daß ich gegenwärtig wegen der Krankheitsfälle in meinem Haus verhindert bin, mir das Vergnügen ihrer Bekanntschaft zu verschaffen. Würdest du es glauben, Venetia? – gerade heute hat sogar die Köchin einen Ausschlag bekommen!»

In dieser Katastrophenstimmung trennten sie sich. Aber erst nachdem Lady Denny Venetia zum Abschied nachgewinkt hatte, erkannte sie, daß ihre bedrückenden eigenen Kümmernisse jeden Gedanken an Venetias unglückliches tendre für Damerel verdrängt hatten. Sie erinnerte sich nun, daß der strahlende Ausdruck des lieblichen Gesichts verschwunden war, und obwohl ihr die Ursache leid tat, konnte sie nur hoffen, daß die Betörung, die das Mädchen hatte erglühen lassen, ebenso kurz wie heftig gewesen war. Sosehr sie wünschte, Venetias gegenwärtiges Unglücklichsein zu erleichtern, hätte sie das Wissen entsetzt, daß nur die Gegenwart dieses gefährlichen Wüstlings in der Gegend Venetia instand setzte, ihre Prüfung mit lächelnder Stärke zu ertragen.

Wenn Venetia mit ihm beisammen war, schrumpften selbst die höchst erbitternden Ärgernisse zu einer Kleinigkeit zusammen. Wenn sie ihm Mrs. Scorriers neueste Attacke auf ihre Stellung erzählte, erkannte sie sofort, wie komisch das war. Sie fand es ebenso natürlich, sich ihm anzuvertrauen wie Aubrey, und in ihrer gegenwärtigen Lage sogar viel weniger gefährlich, denn Aubrey war reif zum Mord. Damerel zu bitten war ebensowenig nötig wie Aubrey, nicht zu verraten, was immer sie ihm erzählte, noch ihm zu erklären, was hinter einer schlecht formulierten Äußerung lag.

Eines Spätnachmittags fand Damerel sie allein in der Bibliothek an Aubreys Schreibtisch sitzen. Sie schrieb nicht, sondern saß nur da, die Hände lagen fest verschlungen auf der Tischplatte, und sie starrte sie mit gerunzelten Brauen tief versunken an. Zuerst merkte sie gar nicht, daß sich die Tür öffnete, so versponnen war sie in ihre Träumerei, aber nach einigen Augenblicken schaute sie auf, als hätte sie den prüfenden Blick, der auf sie gerichtet war, gespürt, und als sie Damerel auf der Schwelle erblickte, stieß sie einen überraschten Ruf aus, ihre Stirn glättete sich und ein Lächeln erhellte ihre Augen. Sie hatte ihn nicht erwartet, denn im allgemeinen kam er nur vormittags nach Undershaw, und sie sagte daher, als sie aufstand und auf ihn zuging: «Sie, mein lieber Freund! Ach, ich bin ja so froh, Sie zu sehen! Ich habe Gespenster gesehen und brauche Sie so sehr, damit wir sie miteinander weglachen! Was führt Sie zu uns? Ich habe Sie heute nicht erwartet, denn ich erinnere mich, daß Sie mir sagten, Sie würden mit geschäftlichen Angelegenheiten beschäftigt sein!»

Er zeigte keine Neigung zu lachen, sondern antwortete ziemlich rauh: «Sie sind es, was mich herführt! Was ist los, mein liebes Entzücken?»

Sie seufzte ganz leicht, schüttelte aber den Kopf und schaute lächelnd zu ihm auf. «Vielleicht nur eine leichte nervöse Gereiztheit. Lassen wir's! Jetzt ist es schon besser.»

«Ich lasse es aber nicht.» Er hatte ihre beiden Hände festgehalten, ließ aber eine los und strich ihr mit einem Finger leicht über die Stirn. «Sie dürfen die Stirn nicht runzeln, Venetia! Jedenfalls nicht in meiner Anwesenheit.»

«Schön, ich werde es nicht mehr tun!» sagte sie gehorsam. «Streichen Sie es weg – Dummer?»

«Ich wollte, ich könnte es! Was ist denn geschehen, daß Sie Gespenster sehen?»

«Nichts, was der Mühe wert wäre, Ihnen erzählt zu werden, oder zumindest etwas so Banales, daß es todlangweilig ist! Ein Kampf der Königinnen mit Mrs. Gurnard, dem ich in bebendem Entsetzen entfloh; Ursache des Streites eine Beschwerde über das Wäschermädchen. Vollkommen gerecht, vermutlich, aber das elende Mädchen ist niemand Geringerer als Mrs. Gurnards Nichte!»

«Ein Treffen homerischer Größe. Sie hätten doch dabeibleiben sollen, um eine Hymne darüber zu verfassen. Aber das hat Ihnen nicht die Falten auf die Stirn gebracht.»

«Nein. Wenn ich Falten gezogen habe, war es in dem Bemühen, zu entscheiden, was ich am besten tun soll. Wissen Sie, ich glaube nicht, daß wir, Aubrey und ich, imstande sind, bis Dezember hierzubleiben, und es scheint wenig Hoffnung zu bestehen, daß Conway schon früher frei ist, um heimzukommen.»

«Ich habe nie daran geglaubt, daß ihr beide das durchhaltet. Erzählen Sie mir, zu welchem Ergebnis Sie mit Ihren Erwägungen gekommen sind.» Er führte sie zum Sofa, während er das sagte, und setzte sich neben sie.

«Zu keinem, leider! Sowie ich mir irgendeinen Plan ausdenke, schon erheben Einwände ihr häßliches Haupt, und ich sitze wieder in der Tinte. Würden Sie mir netterweise einen Rat geben? Sie geben mir immer so gute Ratschläge, lieber Freund!»

«Wenn das stimmt, bin ich die verkörperte Widerlegung von Dr. Johnsons Maxime, daß ein Beispiel immer viel wirksamer ist als ein Rezept», sagte er. «Worin besteht Ihr Problem? Ich will mein Bestes versuchen!»

«Es ist nur das Problem, wohin gehen, sollte ich mich dazu entschließen – wobei zu bedenken ist, daß Aubrey mit mir gehen wird und gleichzeitig nicht aus Mr. Appersetts Unterricht entfernt werden darf. Ich habe immer gesagt, wenn Conway heiratet, dann würde ich ein eigenes Haus führen, und hätte er sich in der üblichen Art verlobt, würde ich unverzüglich meine Vorbereitungen getroffen haben, so daß ich Undershaw hätte verlassen können, bevor er noch seine Frau hergebracht hatte. Die sehr wenigen Freunde, die ich habe, wußten von meiner Absicht und hätten sich nicht darüber gewundert. Aber so wie sich die Dinge herausstellen, hat sich der Fall geändert – oder es scheint mir zumindest so. Was meinen Sie dazu?»

«Ich stimme zu, daß sich der Fall geändert hat, in dem einen Punkt nämlich, als man, falls Sie Undershaw vor der Heimkehr Ihres Bruders verlassen, allgemein annehmen würde, Sie seien von Ihrem Heim vertrieben worden, da es ja weithin bekannt sein dürfte, daß er die Leitung seiner Besitzungen Ihnen anvertraut hat. Und diese Annahme wäre die reine Wahrheit.»

«Genau das ist es. Und gerade das macht es mir unmöglich, ein Haus in diesem Distrikt zu mieten.»

«Stimmt – falls Sie meinen, Sie sind es Ihrem Bruder schuldig, den Schein zu wahren – auf den er persönlich allerdings nicht viel Wert zu legen scheint!»

«Mein lieber Freund, das fällt mir erst gar nicht ein, verziehen Sie daher Ihren Mund nicht so verächtlich über mich!»

«Nicht über Sie, Dummköpfchen!»

«Über Conway? Ach so ...! Die Wahrheit ist, daß ich ihm nichts schuldig bin.»

«Im Gegenteil!»

«Nicht einmal das, falls Sie meinen, daß er mir etwas schuldet. Ich habe den Auftrag, den er mir aufgehalst hat, übernommen, weil mir das selbst sehr in den Kram paßte. Wenn ich nicht an Aubrey hätte denken müssen, dann hätte ich es nicht getan, genausowenig wie ich auch nur einen Tag länger hiergeblieben wäre, sowie ich großjährig wurde.»

«Dann also wollen Sie den unbescholtenen Namen Lanyon schützen?» erkundigte er sich.

«Quatsch! Nein, im Ernst, Damerel! Sie müssen doch wissen, daß ich mich keinen Deut um unbescholtene Namen schere – wie das mein Vergnügen an ausgerechnet. Ihrer Gesellschaft bezeugt! Meine Skrupel gelten Charlotte. Aubrey nennt sie <süßlich fade>, und das ist sie auch, aber sie verdient es nicht, in eine noch unangenehmere Lage gebracht zu werden, als es ohnehin schon der Fall ist, arme kleine Kreatur! Conway hat alles getan, um die Leute gegen sie einzunehmen, und wenn ich seinem Werk noch den I-Punkt aufsetzen wollte, dann wäre das wirklich zuviel! Sie hat mir nichts getan – ja, sie ist geradezu krankhaft bestrebt, sich mir unterzuordnen! In einem solchen Grad, daß ich, wenn Mrs. Scorrier hors concours wäre, unfehlbar ihre Rolle spielen und die meiste Zeit Charlotte daran erinnern würde, daß jetzt sie die Herrin in Undershaw ist. Wenn ich daher Undershaw verlasse, muß ich mir unbedingt eine einwandfreie Ausrede dafür verschaffen, und ich darf nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft bleiben. Ich habe schon immer vorgehabt, nach London zu gehen, aber das war für die Zeit gedacht, wenn Aubrey einmal in Cambridge sein wird. Bis dahin dauert es aber noch ein ganzes Jahr, und was ich bis dahin tun soll, ist mir ein großes Rätsel. Es sind zwar in London bestimmt vorzügliche Lehrer aufzutreiben, dennoch zweifle ich, daß Aubrey ...»

«Lassen Sie einen Augenblick lang Aubrey aus dem Spiel!» unterbrach er sie. «Bevor ich Sie mit meiner Meinung über Ihren Plan beglücke, einen Haushalt in London – oder York – oder Timbuktu – aufzutun, sagen Sie mir eines!»

«Schön – aber ich habe Sie nicht gebeten, mir Ihre Meinung darüber zu sagen!» wandte sie ein.

«Sie sollen Sie trotzdem haben. Was ist geschehen, seit ich Sie das letzte Mal gesehen habe, Venetia, was Sie derart aus der Fassung gebracht hat und Ihnen Ihren Auszug aus diesem Haus plötzlich so dringlich erscheinen läßt?» Sie hob schnell ihre Augen zu ihm auf; er lachte liebevoll spöttisch und fügte hinzu: «Mein Mädchen, ich will keine Geschichten mehr über Mamsellen und Wäschermädchen hören, und wenn Sie glauben, Sie könnten mich beschwindeln, irren Sie sich sehr! Was hat diese Tochter des Teufels angestellt?»

Sie schüttelte den Kopf. «Nicht mehr, als ich Ihnen schon gesagt habe. Ich habe nie daran gedacht, Sie zu beschwindeln, aber ich habe vielleicht ein bißchen zuviel über etwas nachgegrübelt, das sie gesagt hat – sehr wahrscheinlich nur zu dem Zweck, mich zu ärgern!»

«Und was eigentlich hat sie gesagt?»

Sie zögerte ein bißchen, bevor sie antwortete: «Es betraf Aubrey. Mrs. Scorrier haßt ihn genauso wie mich, bilde ich mir ein – und ich muß gestehen, daß er ihr allen Grund dazu gibt! Er ist wie eine besonders boshafte Wespe, die allen Bemühungen entwischt, sie zu erschlagen. Mrs. Scorrier hat sich das zwar selbst eingebrockt, weil sie mir gegenüber gehässig war, aber ich entschuldige ihn nicht; er sollte es nicht tun – es ist ein höchst unschickliches Benehmen.»

«Oh, verflixter Bursche!» rief Damerel verärgert aus. «Ich hatte gehofft, ich hätte ihm diesen Zeitvertreib ausgetrieben.»

Sie schaute ihn überrascht an. «Haben Sie ihm gesagt, er dürfe das nicht?»

«Nein – nur, daß das, was für ihn eine angenehme Erholung ist, Sie der boshaften Explosion dieses Weibsstücks aussetzt.»

«Das also ist die Erklärung! Sie haben es ihm wirklich ausge trieben, und ich bin Ihnen so dankbar! In den letzten zwei Tagen hat er in ihrer Gegenwart kaum den Mund aufgetan. Aber entweder ist das Malheur schon passiert, oder es paßt ihr nicht, daß er sich in sein Zimmer einschließt und nur beim Dinner mit uns zusammenkommt – wobei ihm ein griechischer Chor derart laut in den Ohren summt, daß man ihn ein halb dutzendmal anreden kann, bevor er einen hört! Sie kann das einfach nicht verstehen und meint, er tue es aus lauter Unhöflichkeit. Charlotte mag ihn auch nicht, aber das kommt daher, weil er Dinge sagt, die sie nicht versteht, und sie sich deshalb vor ihm fürchtet. Unglücklicherweise – bringt sie sein Hinken in Verlegenheit, und sie schaut immer weg, wenn er von seinem Stuhl aufsteht oder durch das Zimmer geht.»

«Das habe ich schon bemerkt, als ich euch damals im Park getroffen habe, und habe gehofft, daß sie sich das schleunigst abgewöhnt.»

«Ich glaube, sie versucht es. Aber die Sache ist so, daß es Mrs. Scorrier einen Vorwand geliefert hat, mir etwas zu sagen, was, wie ich zugebe, mich sehr mutlos gemacht hat. Sie sagte, Charlotte hätte einen Abscheu vor Mißbildungen, und da sie in anderen Umständen ist, wäre Mrs. Scorrier froh über eine Möglichkeit, Aubrey zu Freunden wegzuschicken. Sie hat es nicht so kraß ausgedrückt, und vielleicht lasse ich mich in einer stupiden Angst gehen.»

Sein Gesicht hatte sich verfinstert; er sagte mit veränderter Stimme: «Nein, weit davon entfernt! Wenn sie dazu fähig war, es Ihnen zu sagen, möchte ich keinen Pfennig dagegen wetten, daß sie imstande ist, bei der nächsten Gelegenheit, wenn Aubrey sie wütend macht, es auch ihm selbst zu sagen.»

«Das ist es ja, was ich fürchte, aber kann denn ein Mensch wirklich so infam grausam sein?»

«O Gott, ja! Diese Beißzange würde es zwar kalten Blutes wohl nicht tun, aber ich habe Ihnen, meine kleine Unschuld, schon einmal gesagt, daß Sie diese Sorte Frauen nicht kennen. Frauen von unbeherrschter Leidenschaft sind capable de tout! Sowie sie ihre Fassung verlieren, sagen sie etwas – und finden sogar noch eine Ausrede für das, was sie mit aufrichtigem Abscheu verurteilen würden, wenn es aus dem Mund anderer käme!» Er hielt inne und prüfte ihr Gesicht mit einem Blick, der plötzlich hart und düster geworden war. «Was hat sie Ihnen noch gesagt?» fragte er abrupt. «Sagen Sie es mir lieber gleich!»

«Nun ja – ich möchte ja, aber Sie wollen doch bestimmt nicht, daß ich Ihnen eine Liste boshafter Sachen wiederhole, die wirklich Nichtigkeiten sind?»

«Nein – damit verschonen Sie mich! War dieser Hieb gegen Aubrey wirklich alles?»

«Er war genug! Damerel, wenn Sie wüßten, was für Qualen der Junge ertragen hat, wie er sich selbst haßt – er hat es nie erwähnt, man konnte es nur erraten! All das Zurückschrecken vor Fremden, die gräßliche Angst vor Mitleid oder vor einem solchen Ekel, wie ihn Charlotte zu verbergen sucht ...»

Er unterbrach sie in ihrer Erregung und sagte: «Ich weiß. Ich halte es für unwahrscheinlich, daß diese Frau so tief sinkt, falls sie nicht außerordentlich gereizt wird – aber der Junge ist abnormal empfindlich. Soll ich ihn Ihnen abnehmen? Ich habe ihm schon gesagt, daß er in die Priory übersiedeln kann, wann immer er will. Seine Antwort war zwar nicht elegant, aber machte ihm wirklich alle Ehre. Er neigte sehr dazu, mir die Nase abzubeißen – wollte wissen, ob ich ihn allen Ernstes dazu auffordere, sich zu drücken und es Ihnen zu überlassen, der Wucht des Angriffs standzuhalten! Es war kaum der geeignete Moment, ihm klarzumachen, daß die Wucht geringer würde, wenn er sich wirklich drückte, aber ich kann es immer noch tun, und werde es auch, sowie Sie mich dazu ermächtigen. Die einzige Schwierigkeit dabei ist, ihm die wahre Ursache zu verschweigen, aber ich nehme an, daß ich auch die bewältigen kann.»

Sie streckte ihm fast unbewußt die Hand hin und sagte scherzend, um ihre tieferen Gefühle zu verbergen: «Was für ein guter Freund Sie doch sind, verruchter Baron! Wo wären wir bloß in dieser Klemme, wenn wir Sie nicht hätten? Ich weiß, ich kann, wenn es zum Ärgsten kommt, Aubrey zu Ihnen schicken. Ich versichere Ihnen, gerade dieser Gedanke hat mich davor gerettet, wahnsinnig zu werden! Im Notfall werde ich nicht zögern, Ihr Angebot anzunehmen – hat sich Ihnen schon je einmal jemand derart skandalös aufgedrängt? Aber noch ist der Notfall nicht eingetreten – wird es vielleicht nie, wenn sich Aubrey taub stellt bei dem, was nur gesagt wird, um zu ärgern und zu sticheln. Es ist nicht meine Absicht, mich Ihnen aufzudrängen, bevor ich nicht unbedingt muß!»

Seine Hand hatte sich um die ihre geschlossen, und er hielt sie immer noch, aber in einer Umklammerung, die sie als seltsam starr empfand. Sie schaute ihn fragend an und sah einen eigenartigen Ausdruck in seinen Augen und um seinen Mund den bitteren Hohn der Selbstverspottung. Ihre Bestürzung mußte sich in ihrem Gesicht gemalt haben, denn der Hohn verschwand, er lächelte und sagte leichthin, während er ihre Hand freigab: «Den möchte ich sehen, der sich mir aufdrängen könnte! Ich wäre glücklich, Aubrey in der Priory zu haben. Ich habe den Jungen gern, und er ist mir wirk lich keine Last, wenn es das ist, was Sie bedrückt. Niemand kann ihm vorwerfen, daß er ein schwieriger Gast wäre! Lassen Sie ihn zu mir ziehen, wann immer Sie wollen, und so lange bleiben, wie es euch beiden paßt!»

«Und Ihnen solcherart geradezu eine Gunst erweisen!» sagte sie lachend. «Danke! Ich glaube nicht, daß es für sehr lange wäre. Lady Denny sagt mir, Sir John hörte von Mr. Appersett, er habe vor, noch vor Mitte nächsten Monats zu uns zurückzukehren. Ich habe den Verdacht, daß sein Vetter – der so liebenswürdig war, ihn nach seiner Krankheit zu vertreten – keine große Lust hat, den Winter im Yorkshire zu verbringen! Mr. Appersett sagte mir schon vor Jahren, falls ich je einmal auf eine Zeit zu verreisen wünschte, würde er Aubrey gern bei sich unterbringen.»

«Da demnach Aubreys Angelegenheiten zufriedenstellend arrangiert sind, wollen wir uns nun Ihren eigenen zuwenden, bewundernswerte Venetia! Ist das Ihr Ernst, wenn Sie davon reden, einen eigenen Haushalt aufzutun?»

«Ja, natürlich!»

«Dann ist es an der Zeit, daß Sie jemand zur Vernunft bringt!» sagte er grimmig. «Lassen Sie die Kinderträume fahren und kommen Sie auf die Erde herunter, meine Liebe! Das ist für Sie nicht möglich.»

«Aber es ist durchaus möglich! Wissen Sie denn nicht, daß ich die Herrin eines beträchtlichen eigenen Vermögens bin, wie das Mr. Mytchett, unser Anwalt und einer meiner Vermögensverwalter, bezeichnet?»

«Und ich sage Ihnen trotzdem, daß es nicht möglich ist.»

«Guter Gott, Damerel, ausgerechnet Sie wollen mir doch nicht Schicklichkeit predigen?» rief sie aus. «Ich warne Sie, Sie werden mich nicht so leicht überzeugen können, daß sich auch nur die leiseste Unschicklichkeit an eine Frau meiner Jahre heftet, die es vorzieht, lieber in ihrem eigenen Hause als in dem ihres Bruders zu leben! Wenn ich noch ein Mädchen wäre ...»

«Sie sind nicht nur ein Mädchen, Sie sind sogar noch ein grünes Ding!»

«Grün gebe ich zu, Mädchen aber nicht! Ich bin fünfundzwanzig, mein Freund. Ich weiß, man würde es für unschicklich halten, wenn ich allein leben wollte, und obwohl ich das für unsinnig halte, versichere ich Ihnen, daß ich nicht vorhabe, die gesellschaftlichen Konventionen zu verletzen. Solange Aubrey in Cambridge ist, werde ich mir eine Anstandsdame engagieren. Sobald er graduiert ist, nun, ich weiß es natürlich jetzt noch nicht, aber ich nehme an, daß er demnächst Fellow wird und sich in Cambridge niederläßt. In dem Fall ist es das wahrscheinlichste, daß ich ihm dort den Haushalt führen werde, denn ich glaube nicht, daß er heiraten wird, oder?»

«Gott schenke mir Geduld!» stieß er aus, sprang auf und machte eine schnelle Runde durch das Zimmer. «Venetia, wollen Sie, bitte, endlich aufhören, wie ein Schwachkopf zu reden? Eine Anstandsdame engagieren! Aubrey den Haushalt führen! Ich flehe Sie an, vergessen Sie ja nicht, sich einen Vorrat an Häubchen zuzulegen, wie es einer Witwe oder einer alten Jungfer zukommt! Hören Sie mir zu, Sie wunderschöne Idiotin! Sie haben sechs – sieben – Jahre Ihres Lebens verschwendet – verschwenden Sie keines mehr! Was, um Himmels willen, stellen Sie sich eigentlich vor, wäre der Vorteil an diesem Ihrem eigenen Haus? Wer eigentlich sollte Ihre Anstandsdame werden?»

«Ich weiß nicht – wie sollte ich auch? Ich habe angenommen, daß es doch möglich sein muß, irgendeine verarmte Dame anzustellen, wie man eine Erzieherin anstellt – vielleicht eine Witwe –, die dem Zweck entsprechen würde.»

«Dann nehmen Sie das nicht länger an. Ich kann mir diesen Haushalt lebhaft vorstellen! Wo soll er denn sein? In Kensington, nicht? Aristokratisch und zurückgezogen! Oder vielleicht in der Wildnis des Upper Grosvenor Place – gerade nur am Rand der mondänen Welt? Sie werden sich entsetzlich langweilen, versichere ich Ihnen, meine Liebe!»

Sie schaute etwas amüsiert drein. «Dann werde ich also reisen. Das wollte ich schon immer.»

«Was, mit einer verarmten Witwe als Begleitung, keinem Bekannten irgendwo in der Welt außer in Yorkshire, und mit weniger Weltkenntnis, als sie ein kleines Pflänzchen frisch aus dem Pensionat besitzt? Meine arme kleine Unschuld, wenn ich an die einzigen Freundschaften denke, die Sie wahrscheinlich unter solchen Umständen schließen werden, schwöre ich Ihnen, erstarrt mir das Blut in den Adern! Das geht einfach nicht – glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche! Um ein solches Leben zu führen, wie Sie es sich denken, müssen Sie unbedingt sagenhaft reich sein, und exzentrisch außerdem! Reichtum, mein liebes Entzücken, würde Ihre Überspanntheiten entschuldigen und Ihnen die meisten Türen öffnen. Sie könnten ein Palais im besten Stadtviertel mieten, es mit orientalischer Pracht einrichten, die Aufmerksamkeit der Creme der Gesellschaft auf sich ziehen, indem Sie sich kostspielige Launen erlauben, mutig Einladungen ausschicken – Sie würden es einstecken müssen, daß Sie von einigen abgelehnt und nicht wenigen direkt geschnitten werden, aber ...»

«Schweigen Sie, Sie alberner Mensch!» unterbrach sie ihn lachend. «So ein Leben will ich ja gar nicht führen! Wie kommen Sie nur darauf, daß ich so etwas haben möchte?»

«Das glaube ich auch gar nicht. Aber wollen Sie mir vielleicht erzählen, daß Sie etwa wirklich das Leben wünschen, das Sie, ginge es nach Ihrem eigenen Plan, bestimmt führen müßten? Sie würden sich viel mehr langweilen und viel einsamer sein als je in Ihrem bisherigen Leben, denn ich versichere Ihnen, Venetia: ohne Bekannte, ohne den korrekten Hintergrund können Sie gleich auf einer einsamen Insel leben, statt in London!»

«O Himmel! Was soll ich denn dann bloß tun?»

«Gehen Sie zu Ihrer Tante Hendred!» antwortete er.

«Das habe ich vor – aber nicht bei ihr bleiben. Das möchte ich gar nicht – und sie auch nicht, fürchte ich. Und ihr Haus ginge auch gar nicht für Aubrey.»

«Aubrey! Aubrey! Denken Sie doch ein einziges Mal an sich selbst!»

«Na aber, das tue ich ja! Wissen Sie, Damerel, ich habe mir nie eingebildet, daß ich es ertragen könnte, in Undershaw zu bleiben, wenn eine andere Frau dessen Herrin wird. Jetzt habe ich entdeckt, daß es mich zu sehr aufreiben würde, unter solchen Umständen überhaupt irgendwo zu leben. Und bei meiner Tante und meinem Onkel leben, mich ihren Vorschriften unterordnen, wie ich das tun müßte, und ihre Autorität anerkennen, das wäre genauso unerträglich, wie wenn ich plötzlich wieder ins Kinderzimmer versetzt wäre! Ich bin zu lange meine eigene Herrin gewesen, lieber Freund.»

Er schaute sie über das Zimmer hinweg an, ein verzerrtes Lächeln auf den Lippen. «Das würden Sie nicht lange ertragen müssen», sagte er.

«Zu lange für mich!» sagte sie energisch. «Es wird mindestens fünf Jahre dauern, stelle ich mir vor, bevor Aubrey soweit sein wird, ein eigenes Haus zu führen, und dann wird er es vielleicht gar nicht wünschen! Außerdem ...»

«Sie Grünschnabel! Oh, Sie ganz großer kleiner Grünschnabel!» sagte er. «Gehen Sie zu Ihrer Tante, lassen Sie sich in die Gesellschaft einführen – was sie sehr gut imstande ist! –, und bevor Aubrey noch nach Cambridge gegangen ist, wird Ihre Verlobung in der Gazette stehen!»

Sie sagte eine Weile nichts, sondern blickte ihn nur aus schmalen Augen an, etwas blässer, ohne ein heimliches Lächeln im Blick. Sie vermochte in seinem Gesicht keinen Schlüssel zu seinen Gedanken zu entdecken und war verdutzt, aber nicht erschreckt. «Nein», sagte sie schließlich. «Das wird sie nicht. Glauben Sie, ich wollte nach London fahren, um einen Mann zu finden?»

«Ihre Absicht war das nicht, aber Ihr Schicksal ist es – wie das auch ganz in Ordnung ist!»

«Ach! Also wird es das Ziel meiner Tante sein, einen Mann für mich zu finden?» Er antwortete nur mit einem Achselzucken. Sie stand auf und sagte: «Ich bin froh, daß Sie mich gewarnt haben – ist es für ein unverheiratetes Frauenzimmer zulässig, sich in einem Hotel einzuquartieren? Wenn sie eine Kammerzofe mit hat?»

«Venetia ...»

Sie lächelte und zog die Augenbrauen hoch. «Mein lieber Freund, Sie sind heute wirklich ein bißchen zu dumm! Warum stellen Sie sich unbedingt vor, daß ich Trübsal blasen müßte, mich nach Gesellschaft sehnen, bis zu Tränen gelangweilt sein, weil ich das Leben führen werde, das ich gewöhnt bin? Das heißt, nein! Sogar ein viel amüsanteres Leben! Hier habe ich Bücher gehabt und meinen Garten und seit dem Tod meines Vaters den Besitz, was mich beschäftigte. In London wird es Museen und Bildergalerien geben, Theater, Oper – oh, so vieles, was Ihnen bestimmt banal erscheint! Und in den Ferien werde ich Aubrey bei mir haben, und da ich eine Tante habe, die mich hoffentlich nicht schneiden wird, brauche ich nicht völlig daran zu verzweifeln, daß ich ein paar angenehme Freundschaften schließen kann.»

«Nein, mein Gott, nein!» rief er aus, als würden die Worte aus ihm herausgerissen, und kam mit zwei schnellen Schritten auf sie zu. «Alles andere eher als das!» Er packte sie so derb bei den Schultern, daß sie erschreckt protestierte. Er beachtete es nicht, sondern sagte schroff: «Schauen Sie mich an!»

Sie gehorchte ohne Zögern und ertrug völlig ruhig seinen wild forschenden Blick, scharf wie die Lanzette eines Chirurgen, und murmelte nur ein bißchen spitzbübisch: «Ich kriege aber sehr leicht blaue Flecken!»

Sein Griff lockerte sich, seine Hände glitten ihre Arme entlang, falteten ihre Hände und hielten sie so fest. «Was hast du getan, als du neun Jahre alt warst, meine süße Geliebte?» fragte er.

Das kam so unerwartet, daß sie nur blinzeln konnte.

«Sag!»

«Ich weiß nicht. Gelernt und Nähmuster genäht, wahrscheinlich – was in aller Welt hat denn das mit alldem zu tun?»

«Sehr viel. Weißt du, was ich damals getan habe?»

«Nein, wie sollte ich? Ich weiß nicht einmal, wie alt Sie damals waren – zumindest nicht ohne Kopfrechnen, was ich hasse. Wenn Sie also jetzt achtunddreißig sind und ich fünfundzwanzig ...»

«Ich will dir die Mühe ersparen – ich war zweiundzwanzig und soeben dabei, eine verheiratete Dame von Rang zu verführen.»

«Ja, stimmt!» nickte sie freundlich.

Ein Lachen schüttelte ihn, aber er sagte: «Das war das erste meiner Liebesabenteuer, und wahrscheinlich das schimpflichste – hoffe ich wenigstens! Es gibt nichts in meinem Leben, auf das ich mit Stolz zurückblicken könnte, aber bis ich dich getroffen habe, du meine Liebliche, konnte ich zumindest sagen, daß meine Verworfenheit nicht so weit ging, mit Jungen und Unschuldigen herumzuspielen. Ich habe noch nie den Ruf einer Frau ruiniert, außer den Sophias – aber halte das ja nicht für eine Tugend bei mir! Es ist ein gefährliches Spiel, junge Mädchen zu verführen, und im allgemeinen sind sie auch nicht mein Typ. Dann bin ich dir begegnet, und, um offen mit dir zu sein, meine Geliebte, ich bin zu keinem anderen Zweck im Yorkshire geblieben, als um dich zu erobern – zu meinen eigenen Bedingungen!»

«Ja, das haben Sie mir schon gesagt, als wir an jenem ersten Tag auseinandergingen», sagte sie völlig ungerührt. «Und ich hielt das für eine große Frechheit! Nur erlitt dann Aubrey jenen Sturz, und wir sind so gute Freunde geworden – und alles hat sich geändert.»

«O nein, nicht alles! Du nennst mich deinen Freund, aber ich habe dich nie meine Freundin genannt und werde das auch nie! Du bist für mich ein wunderschönes, begehrenswertes Geschöpf geblieben und wirst es immer bleiben. Nur meine Absichten haben sich geändert. Ich habe beschlossen, dir nicht wehzutun, aber verlassen konnte ich dich nicht mehr!»

«Warum sollten Sie auch? Es erschiene mir sehr dumm.»

«Weil du das nicht verstehst, mein Darling. <Ach wollten doch die Götter nur Raum und Zeit vernichten> – aber das tun sie nicht, Venetia, das tun sie nicht!»

«Pope», sagte sie ruhig. «<Und glücklich werden lassen zwei in ihrer Liebe.> Aubreys Lieblingsdichter unter den englischen, aber nicht der meine. Ich sehe keinen Grund, warum zwei Liebende nicht glücklich werden sollten, ohne daß sich Zeit und Raum dreinmischen.»

Er ließ ihre Hände los, aber nur, um sie in seine Arme zu schließen. «Wenn du mich so anlächelst, ist das ein einziger Festtag für mich! O Gott, ich liebe dich bis an den Rand des Wahnsinns, Venetia – aber noch bin ich nicht wahnsinnig – zumindest nicht so wahnsinnig, daß ich nicht weiß, wie katastrophal es vielleicht für dich werden kann – für uns beide! Du erkennst nicht, wie ich damit deine Unwissenheit ausnützen würde!» Er brach plötzlich ab und hob den Kopf, als die Tür vom Gang in das Vorzimmer zufiel. Dem Geräusch folgte ein schleppender Schritt. Damerel sagte schnell: «Aubrey. Vielleicht ganz gut. Es gibt so viel zu sagen – aber nicht heute! Morgen, wenn wir beide kühler sind!»

Er konnte nicht weitersprechen, drängte sie fast brüsk von sich weg und wandte sich, als sich die Tür öffnete, Aubrey zu, der, seine Jagdhündin an den Fersen, das Zimmer betrat.