8

Edward Yardley, seines eigenen Wertes wohl bewußt, mochte Damerel vielleicht für schäbig halten, aber der junge Mr. Denny, keineswegs so selbstsicher, wie er es zu erscheinen versuchte, erkannte in ihm zugleich Vorbild und Bedrohung. Wie Edward ritt auch er zur Priory hinüber, um sich zu erkundigen, wie es Aubrey ginge. Aber im Gegensatz zu Edward hatte er kaum ein Auge auf Damerel geworfen, als er auch schon von einem tiefen und neiderfüllten Haß besessen wurde.

Imber führte ihn in die Bibliothek, wo Damerel und Aubrey Schach spielten und Venetia auf einem Hocker neben dem Sofa saß und dem Spiel zuschaute. Diese gemütliche Szene erfreute ihn durchaus nicht; und als sich Damerel erhob, und er sah, wie groß er war, mit welch nachlässiger Eleganz er sich bewegte und wieviel träger Spott in seinen Augen lauerte, wußte Oswald, daß ihn seine Schwestern schwer irregeführt hatten – sie hielten Seine Lordschaft für langweilig und ältlich. Oswald erkannte auf den ersten Blick, daß er ein gefährlicher Bursche war.

Sein Besuch dauerte nicht lange, immerhin aber lange genug, daß er sehen konnte, wie leger und vertraut die Lanyons mit ihrem Gastgeber verkehrten. Sie waren in seinem Haus nicht nur ganz daheim, sondern benahmen sich, als hätten sie ihn schon ihr ganzes Leben lang gekannt. Aubrey nannte ihn sogar Jasper. Venetia ging zwar nicht so empörend weit, war aber gar nicht förmlich, wenn sie mit ihm sprach. Was Damerel betraf, so mochte vielleicht die Nurse seine Haltung für onkelhaft halten, aber Oswald, dessen Beobachtungsgabe durch Eifersucht geschärft war, ließ sich nicht täuschen. Wenn Damerels Augen auf Venetia ruhten, lag ein Ausdruck in ihnen, der weit von allem Onkelhaften entfernt war, und wenn er sie ansprach, lag eine Liebkosung in seiner Stimme. Oswald starrte ihn düster an und versuchte vergeblich, sich etwas auszudenken, was ihn und Venetia geschickt aus dem Zimmer bringen konnte. Es fiel ihm nichts ein, daher war er gezwungen, taktisch direkt vorzugehen. Also sagte er, ziemlich heiser und errötend, als er ihr zum Abschied die Hand drückte: «Darf ich dich einen Augenblick sprechen?»

«Ja, natürlich darfst du das!» antwortete Venetia freundlich. «Was gibt's denn?»

«Sei keine Gans, Liebes», empfahl ihr Aubrey und weckte in Oswald das dringende Verlangen, ihm den Hals umzudrehen.

«Sie haben bestimmt eine Post von Lady Denny für Miss Venetia, die Sie ihr gerne unter vier Augen bestellen möchten, nicht wahr?» schlug ihm Damerel hilfreich, aber mit einem unheiligen Zwinkern vor.

In einem edleren Zeitalter hätte man eine solche Frechheit damit beantworten können, Seine Lordschaft anzurempeln, als er dastand und die Tür aufhielt, so daß er gezwungen gewesen wäre, Genugtuung zu verlangen. Oder hatte man sich selbst in jenem Zeitalter davor zurückgehalten, Leute bei Türen anzurempeln, wenn eine Dame anwesend war?

Bevor er noch diesen Punkt entschieden hatte, war er Venetia schon in die Halle gefolgt, und Damerel hatte die Tür hinter ihnen geschlossen. Er würgte hervor: «Wenn ich mich richtig kenne, wird es zwischen uns eines Tages eine Abrechnung geben!»

Venetia war an seine dramatischen Ausbrüche gewöhnt, aber diesen fand sie denn doch überraschend. «Zwischen uns?» fragte sie. «Was hab ich denn nur in aller Welt verbrochen, daß ich dich in schlechte Laune versetzt habe, Oswald?»

«Du? Nie!» erklärte er. «Es ist nicht richtig – ich hätte nichts sagen sollen –, aber es gibt Zeiten, da kann ein Mann seine Gefühle einfach nicht unterdrücken.» Er schaute sie hungrig an. «Gib mir nur das Recht, dich die Meine zu nennen!» lud er sie ein.

«Was – ist es das, warum du mit mir allein sprechen wolltest?» rief sie aus. «Welch lächerlicher Einfall! Wenn du doch endlich glau ben wolltest, daß ich, wenn ich nein sage, auch genau nein meine! Wie kannst du nur so albern sein? Ich bin um sechs Jahre älter als du! Außerdem wünscht du dir in Wirklichkeit nicht im geringsten, mich zu heiraten!»

«Nicht w-wünschen, dich zu heiraten?» stammelte er, wie vom Donner gerührt.

Ihre Augen tanzten. «Natürlich nicht! Denk doch nur, wie langweilig es wäre, wenn du dich als ein ehrenwerter verheirateter Mann niederließest, bevor du noch eine Menge Abenteuer gehabt hast!»

In diesem Licht hatte er die Sache noch nie betrachtet, und unwillkürlich war er insgeheim ziemlich betroffen. Aber es war ihm mit seiner ersten Liebe zu ernst, als daß er ihre vernünftige Bemerkung zur Kenntnis genommen hätte. «Ich verlange kein größeres Glück, als dich zu gewinnen!» versicherte er ihr.

Ihre Lippen zitterten unwiderstehlich, aber es gelang ihr, das Lachen zurückzuhalten. Nur wenn man sehr grausam ist, lacht man über einen Jungen, der im Netz seiner ersten Liebe zappelt. Sie sagte: «Nun, es ist äußerst freundlich von dir, Oswald, und ich bin wirklich geschmeichelt, selbst wenn ich deine Gefühle nicht erwidern kann. Ich bitte dich, sprich nicht mehr darüber! Erzähl mir, geht es Lady Denny gut? Und deinen Schwestern?»

Er ignorierte das und sagte düster: «Ich will nicht mehr sagen, als daß ich dich bitte, zu glauben, daß ich dir unveränderlich ergeben bin. Ich bin freilich nicht zu diesem Zweck gekommen, sondern um dir zu sagen, daß du auf mich zählen kannst. Ich jedenfalls bin kein überheblicher Mensch wie Yardley! Ich jedenfalls fürchte mich nicht, mich gegen die Etikette zu benehmen – ja, mir liegt sogar nicht ein Pfifferling an dem Zeug, aber schließlich habe ich ja mehr von der Welt gesehen als ...»

«Oswald, wovon redest du denn eigentlich?» unterbrach ihn Venetia. «Wenn es Edward ist, der dich in diese Wut gebracht hat ...»

«Dieser weibische Kerl!» würgte er mit gräßlicher Verachtung hervor. «Der soll sich um seine Rüben und sein Vieh kümmern – das ist ohnehin alles, wozu er taugt!»

«Nun, du mußt zugeben, daß er dazu sehr gut taugt!» sagte Venetia vernünftig. «Ich muß sagen, sein Boden ist fruchtbarer als irgendein anderer weit und breit. Selbst Powick, weißt du, verachtet seinen Rat nicht, wenn es um etwas Landwirtschaftliches geht.»

«Ich bin nicht gekommen, um über Yardley zu reden!» sagte Oswald. «Ich habe bloß erwähnt – nun, ist ja egal! Venetia, wenn dieser Kerl dich zu beleidigen wagt, schick mir nur Nachricht!»

«Nein, Edward soll mich – o guter Gott, meinst du Damerel? Du alberner Mensch, geh heim und versuche, ob vielleicht du dich für Rüben oder Vieh interessieren kannst oder irgend etwas, das dir Spaß macht, solange es nicht ich bin! Lord Damerel ist unser sehr guter Freund, und es ärgert mich sehr, wenn ich dich in dieser dummen Art von ihm sprechen höre.»

«Du bist zu unschuldig, zu göttlich rein, um imstande zu sein, die Gedanken eines Mannes seiner Sorte zu lesen», sagte er ihr mit finsterer Stirn. «Er kann vielleicht Yardley täuschen, aber ich habe augenblicklich erkannt, was er ist, als ich ihn erblickte! Ein Lebemann! Es ist eine – eine Entheiligung, wenn man daran denkt, daß er auch nur deine Hand berührt! Als ich sah, wie er dich angeschaut hat – bei Gott, ich war drauf und dran, ihm ins Gesicht zu schlagen!»

Darüber mußte sie einfach lachen. «Ich wünschte, ich könnte es sehen, wenn du das versuchst! Nein, nein, keine Beteuerungen mehr! Weißt du, was du gesagt hast, ist schon mehr als genug! Ja, es ist sogar höchst ungehörig! Lord Damerel ist ein Gentleman, und wenn er es nicht wäre, dann bin ich nicht so unschuldig, daß ich nicht sehr gut imstande bin, auf mich achtzugeben. Außerdem ist das alles Schwulst! Dein Papa würde sagen, daß du schon wieder den Tragischen mimst, und genau das tust du wirklich! Wenn du unbedingt theatralisch sein willst, ist das ganz deine Sache, aber nicht auf meine Kosten. Lebewohl! Richte, bitte, Lady Denny alles Liebe von mir aus und sag ihr, Aubrey gehe es so gut, daß ich hoffe, Dr. Bentworth wird mir, wenn er ihn das nächste Mal besucht, erlauben, ihn heimzunehmen.»

Mit diesen aufmunternden Worten nickte sie ihm zum Abschied zu und ging in die Bibliothek zurück, bevor er noch eine angemessene Antwort zu formulieren imstande war.

Er ritt heim nach Ebbersley, eine Beute gemischter Gefühle. Seine Selbstachtung war durch Venetias Abschiedsrede derart verwundet, daß er sich zumindest eine Meile lang mit ausführlichen Plänen beschäftigte, auf seine Lehenstreue zu verzichten, der Gesellschaft ihres Geschlechts abzuschwören oder sie vielleicht in einer sehr zynischen Art zu kultivieren, indem er dessen Angehörige zu dem Versuch veranlaßte, durch jede ihnen bekannte List zu entdekken, welch dunkles Geheimnis hinter seiner marmornen Stirn und seinem bitteren Hohnlächeln verborgen war. Dieser Plan, obwohl nicht ohne Reiz, begegnete jedoch gewissen Schwierigkeiten, deren wichtigste der entwürdigend konventionelle Maßstab des Benehmens war, und eine betonte Tendenz Lady Dennys, jedem eine blaue Pille aufzudrängen, der an Seelenqualen litt. Auch lieferte der North Riding nicht den richtigen Hintergrund für einen geheimnisvollen und düsteren Fremdling. Erstens war das Gebiet, in dem Ebbersley lag, spärlich bevölkert, und zweitens war Oswald den Edelleuten hier und selbst in York zu gut bekannt, als daß er die geringste Hoffnung haben konnte, als Fremdling zu figurieren, und noch viel weniger als ein mysteriöser und düsterer Fremdling. Er würde gezwungen sein, den Unterhaltungen mit seiner Mama und seinen älteren Schwestern beizuwohnen, denn wenn er sich weigerte, mitzugehen, würden sie einen solchen Staub aufwirbeln, daß die Sache Papa zu Ohren käme, und nichts war sicherer, als daß Papa ihm befehlen würde, zu tun, wie ihm geheißen. Und so bestand auch keine Hoffnung, daß er romantisch erhaben über diesen Funktionen stehen und alle Angebote des Zeremonienmeisters ablehnen konnte, ihm wünschenswerte Partnerinnen zu präsentieren. Der Ballsaal würde voll Mädchen sein, die er schon sein ganzes Leben lang kannte, und wenn er sie nicht zum Tanzen aufforderte, würde Mama ihn nicht nur wegen seiner Unhöflichkeit schelten, sondern war durchaus imstande, ihren Freundinnen sein Benehmen damit zu erklären, daß er mürrisch war oder Zahnweh hatte. In einer besser eingerichteten Welt wäre der Vater jedes jungen Herrn, der nicht mehr zur Schule ging, gezwungen, seinen Sohn mit einer netten Apanage zu versorgen, damit er sich in London niederlassen und in der mondänen Welt Aufsehen erregen konnte. Aber die Welt war schlecht eingerichtet, und Sir John ein so wenig fortschrittlicher Vater, daß er meinte – und es auch sagte –, er habe, nachdem er Oswald auf einen Besuch zu seinem Onkel nach Jamaika geschickt hatte, ein Recht, von seinem Erben zu erwarten, daß sich dieser daheim niederlasse und es erlerne, den beträchtlichen Besitz zu leiten, der zur entsprechenden Zeit sein Eigentum werden würde.

Zum Glück erinnerte sich Oswald noch, bevor er lange bei seinen tristen Aussichten verweilt hatte, daß in einem der edleren Zeitalter, die dem gegenwärtigen eintönigen Jahrhundert vorausgegangen waren, die Ritter und Troubadours anscheinend gerade von spöttischen Herrinnen zu heroischen Taten inspiriert worden waren. Je verächtlicher, um nicht zu sagen beleidigender die Damen waren, um so größer war die Treue der Ritter gewesen, und um so größer ihr schließlicher Triumph, wenn ihre Taten die begünstigten Schönen von ihren wahren Qualitäten überzeugt hatten.

Die Vision, die er auf diese Weise heraufbeschwor, um Venetias Bewunderung zu erringen, war so angenehm, daß er jegliche unmittelbare Absicht fallen ließ, ein Weiberfeind zu werden, und brachte ihn in einer sonnigen Stimmung nach Ebbersley zurück. Diese hielt so lange an, bis die Erinnerung, daß die Gegenwart, welche Glorie auch immer die Zukunft für ihn bereithalten mochte, von Lord Damerel überschattet wurde, unglücklicherweise mit einem Ersuchen Sir Johns zusammentraf, er solle sein Belcher-Tuch gegen ein dezenteres Halstuch umtauschen, bevor er sich mit seiner Mutter und seinen Schwestern zu Tisch setze. Diese zwei Umstände warfen ihn natürlich in die düstere Stimmung zurück, und hätte es nicht ein glücklicher Zufall gefügt, daß Lady Denny getrüffelten Truthahn zum Abendessen bereithielt, hätte es ihm seine gedrückte Stimmung unmöglich gemacht, irgend etwas zu genehmigen, das ihm vorgesetzt wurde. Bein Anblick des Truthahns jedoch belebte sich sein Appetit, und er genoß ein vorzügliches Mahl. Eine Neigung, in brütende Melancholie zu verfallen, wurde durch Sir John vereitelt, der ihn zu einer Runde Billard aufforderte. Sein Sinn stand zwar nicht nach solch müßigem Vergnügen, aber in der Aufregung darüber, daß er seinen Vater mit der längsten Tour besiegte, die ihm je gelungen war, vergaß er seine Kümmernisse und wurde lebhaft und gesprächig, besonders als er später am Abend seiner Mama und den Schwestern seinen glorreichen Sieg beschrieb. Seine Stimmung war derart gehoben, daß er, als er zu Bett ging, sehr zu der Ansicht neigte, er hätte sich durch Lord Damerels bedrohliche Anwesenheit im Bezirk unnötig verstören lassen. Sowie Aubrey nach Undershaw zurückkehrte, würde Seine Lordschaft zweifellos die Priory verlassen und zumindest ein Jahr lang nicht mehr im Yorkshire gesehen werden.

Zwei Tage später kam in einem kurzen Brief von Venetia an Lady Denny die willkommene Nachricht, daß Aubrey wieder daheim war. Und als hätte sich die Vorsehung plötzlich entschlossen, den jungen Mr. Denny mit Gunst zu überschütten, folgte dem fast unverzüglich die Neuigkeit, daß Edward Yardley, der sich einige Tage lang gar nicht gut gefühlt hatte, mit Windpocken zu Bett lag. Oswald, der seinen Weg frei von Rivalen sah, ritt nach Undershaw hinüber, um seine Chance zu nützen, und kam dort an, nur um zu entdecken, daß Venetia im Staudengarten mit Damerel spazierenging.

Das war ein schwerer Schlag. Noch schlimmer aber war die Entdeckung, daß Damerel keine unmittelbare Absicht hegte, die Priory zu verlassen. Der offizielle Grund, seinen Aufenthalt zu verlängern, mochte sein, wie sein Gutsverwalter hoffte, einige der schweren Schäden, die die jahrelange Vernachlässigung seinen Ländereien zugefügt hatte, in Ordnung zu bringen – aber sein wirklicher Zweck war unverschämt deutlich: Venetia war seine Beute, und er jagte sie erbarmungslos, ausschließlich auf nichts anderes aus, wie Oswald überzeugt war, als auf die Befriedigung seiner vorübergehenden Lust. Die Berichte über ihn schrieben ihm hunderte liebliche Opfer zu, und Oswald sah keinen Grund, deren Wahrheit anzuzweifeln, noch in Frage zu ziehen, daß nicht die geringsten Gewissensbisse oder die mindeste Achtung vor der öffentlichen Meinung ihn aufhalten würden, seiner Begierde zu folgen. Ein Mann, dessen Laufbahn mit der Entführung einer verheirateten Dame von Rang begonnen hatte und den Verkehr mit solchen Dirnen einschloß, wie sie die Priory erst vor einem Jahr in ein Bordell verwandelt hatten, war fähig, jede Infamie zu begehen, und Damerel hatte schon vor Jahren gezeigt, wie wenig er sich um die öffentliche Meinung kümmerte. Wenn seine vergangenen Handlungen ihn nicht verraten hätten, so genügte ein einziger Blick auf ihn, meinte Oswald, jeden anderen als einen solchen Klotz wie Edward Yardley zu überzeugen, daß er ein rücksichtsloser Freibeuter war, der nicht zögern würde, falls er Venetia in seine Netze bekommen konnte, sie in die Fremde zu entführen, genauso wie er seine erste Mätresse entführt hatte, und später, wenn ihre Süße seinem ermatteten Gaumen nicht mehr behagte, sie zu verlassen. Er hatte sie schon mehr als halb behext, wie jene, die gemütlich von ihrer ruhigen Vernunft sprachen, sicherlich hätten erkennen müssen, hätten sie nur ihren Blick sehen können, wenn sie ihre Augen zu ihm erhob. Sosehr diese Augen auch immer lächelten, so zärtlich wie jetzt hatten sie noch nie gelächelt. Einen verstörten Augenblick lang hatte Oswald das Gefühl, daß sie plötzlich eine ganz andere geworden war, und er erinnerte sich an irgendeine Geschichte, wahrscheinlich eine von Aubreys Geschichten, über eine Statue, die durch irgendeine Göttin zum Leben erweckt worden war. Nicht, daß Venetia je wie eine Statue gewesen wäre, aber in all ihrer Lebhaftigkeit war sie kühl und vernünftig gewesen, liebevoll, aber nie blind in ihrer Liebe, selbst in bezug auf Aubrey nicht, den sie liebte, sich aber über ihn amüsierte, und die niemandem außer Aubrey mehr als Freundlichkeit erwies. Diese Gelassenheit gefiel Edward Yardley, weil er glaubte, sie sei ein Zeichen von Bescheidenheit und guter Erziehung: sie hatte auch Oswald gefallen, aber aus einem ganz anderen Grund – es verwandelte sie von der hübschesten Dame im Distrikt in eine Märchenprinzessin, deren Hand nur durch den tapfersten und edelsten und schönsten ihrer vielen Freier errungen werden konnte. In seinen romantischen Stimmungen hatte sich Oswald häufig in dieser Rolle gesehen, wie er entweder durch Geist und Charme Liebe in ihr erweckte, oder sie – während Edward Yardley danebenstand und es nicht wagte, sein Leben bei dem Versuch zu riskieren – aus brennenden Häusern, von durchgegangenen Pferden oder vor brutalen Schändern rettete. In diesen Träumen hatte sie sich sofort leidenschaftlich in ihn verliebt. Edward schlich beschämt und aus der Fassung gebracht davon, und alle, die früher den jungen Mr. Denny behandelten, als sei er ein Schuljunge, sahen nachher mit Ehrfurcht zu ihm auf, sprachen mit Respekt von ihm und hielten es für eine Ehre, ihn bei ihren Gesellschaften zu bewirten. Es waren angenehme Träume – aber nur Träume. Er hatte nie erwartet, daß sie wahr würden. Es war äußerst unwahrscheinlich, daß Venetia in einem brennenden Haus gefangen sein würde, und noch unwahrscheinlicher, daß in einer solchen Zwangslage gerade er bei der Hand sein würde, um sie zu retten. Sie war eine vollendete Reiterin, und das plötzliche Eindringen eines brutalen Schänders in die friedliche und gesetzestreue Nachbarschaft schien selbst im Traum denn doch zu weit hergeholt zu sein.

Und dennoch war genau das geschehen. Denn Damerel, obwohl er nicht genau dem Traumgeschöpf entsprach, war sicherlich ein Schänder der Frauenehre. Aber statt Schutz vor seinen hassenswerten Annäherungen zu suchen, ermutigte sie Venetia ausgesprochen, äußerst getäuscht von der Maske, die er trug. Wie die Statue, war auch sie lebendig geworden, aber nicht durch eine Göttin, nicht einmal durch ihren heldenmütigen jungen Verehrer, sondern durch ihren zukünftigen Verführer.

Als er beobachtete, wie sich beider Augen trafen, und Damerel ihrem leichten, launigen Geplauder zuhörte, machte eine kaum bewußt erkannte Wesensverwandtschaft zwischen ihnen Oswald derart krank vor Haß auf Damerel, daß er es nicht über sich bringen konnte, auf irgendeinen der Versuche einzugehen, die sie machten, um ihn ins Gespräch zu ziehen, sondern er antwortete in einer Art, die selbst seinen eigenen Ohren tölpelhaft klang, und verabschiedete sich bald und unvermittelt von seiner Gastgeberin. Dieser Haß, viel intensiver als die Abneigung, die er Edward Yardley gegenüber fühlte, oder als die Eifersucht, mit der er jeden anderen Rivalen betrachtet hätte, entsprang der ihm unbewußten Erkenntnis, daß Damerel gerade jene romantische Erscheinung war, die er selbst sehnlichst sein wollte. Damerel war der unbekümmerte Geächtete, der in der Welt umherschweifte, mit dunklen Geheimnissen in seiner Brust und unaussprechlichen Verbrechen in seiner Vergangenheit. Und wäre nicht Venetia gewesen, so hätte Oswald fast sicher die Art seiner Kleidung kopiert, seine unkonventionellen Manieren, und hätte sein möglichstes getan, dieses Air nachlässiger Sicherheit zu erwerben. Dies alles waren Dinge, die ein Jüngling bewunderte, der sich an den Einschränkungen eines verfeinerten Zeitalters wundscheuerte – aber als er in einem Rivalen auf sie traf, haßte er sie bitterlich, weil er wußte, daß er selbst im Nachteil war, und er nur die Rolle des Corsair vor dem wahren Corsair spielte.

Hätte Sir John das Privileg gehabt, zu wissen, welche Gefühle in der Brust seines Sohnes tobten, hätte er seinen Entschluß bereut, daß er ihn nicht nach Oxford oder Cambridge geschickt hatte. Aber er war zu sehr an Oswalds Launenhaftigkeit gewöhnt, um irgendeine Bedeutung dem zuzuschreiben, was er für einen mürrischen Anfall hielt, der aus der Verliebtheit des Jungen in Venetia stammte. Er hoffte nur, daß diese Phase ebenso kurzlebig sein würde, wie sie heftig war, und kümmerte sich nicht mehr darum, als daß er Oswald empfahl, sich nicht lächerlich zu machen. Lady Denny würde mehr Mitgefühl gezeigt haben, hätte sie die Muße gehabt, ihn zu beobachten, aber Edward Yardley, der – wie sie sagte – sich nicht damit zufriedengegeben hatte, sich selbst die Windpocken zuzuziehen, hatte sie Anne weitergegeben, der Jüngsten in der Familie Denny, die er mit ihrer übrigen Schulzimmergesellschaft gerade an dem Tag getroffen hatte, an dem er bettlägerig wurde. Er war so nett gewesen, ihr einen Gefallen zu tun und sie auf seinem Pferd reiten zu lassen, denn er hatte Kinder sehr gern, und das mußte das Unheil angerichtet haben. Anne gab die Windpocken unverzüglich ihrer nächsten Schwester Louisa und dem Kindermädchen weiter. Lady Denny lebte stündlich in der Erwartung, daß sie auch bei Elizabeth einen Ausschlag ausbrechen sehen würde, und hatte daher keine Augen für die seelischen Übel ihres einzigen Sohnes.

Da er keinen besonderen Freund in der Umgebung hatte und über die Gesellschaft seiner Schwestern erhaben war, hatte Oswald wenig mehr, was ihn beschäftigen konnte, als über die katastrophale Wirkung des andauernden Aufenthaltes von Damerel in der Priory zu brüten. Und es dauerte nicht lange, bis er sich eingeredet hatte, daß er vor dem Auftauchen Damerels ein schönes Stück damit vorangekommen sei, Venetia zu gewinnen. Er erinnerte sich an jedes Beispiel ihrer seinerzeitigen Freundlichkeit, und indem er diese vergrößerte und ihre gelegentlichen Zurechtweisungen verkleinerte und beides mit ihrer gegenwärtigen Haltung verglich, war er bald überzeugt, daß ihn Damerel absichtlich bei ihr ausgestochen hatte, und brachte den Großteil der Zeit, in der er nicht schlief, damit zu, nachzudenken, wie er sie am besten zurückgewinnen könnte.

Er war zu keiner befriedigenden Lösung dieses Problems gekommen, als er unvermutet Zeuge einer Episode wurde, die seinen ganzen schwelenden Groll auf die Spitze trieb. Als er unter einem fadenscheinigen Vorwand nach Undershaw geritten kam, sah er als erstes, als er im Stallhof vom Pferd stieg, Damerels großen Grauschimmel, den Aubreys Reitknecht gerade in den Stall führte. Fingle sagte mit der Andeutung eines strengen Lächelns, daß Seine Lordschaft vor kaum fünf Minuten hereingeritten war und ein Buch für Mr. Aubrey mitgebracht habe. Oswald ließ sich zu keiner Antwort herab, schaute aber derart gewittrig drein, daß das angedeutete Lächeln in ein breites Grinsen überging, als Fingle ihm nachschaute, wie er auf das Haus zustelzte.

Ribble, der Oswald die Tür öffnete, meinte, Miss Venetia sei wahrscheinlich im Garten, aber als Oswald unheilschwanger nach Lord Damerel fragte, schüttelte Ribble den Kopf. Er hatte Seine Lordschaft heute noch nicht gesehen.

«So, wirklich nicht?» sagte Oswald. «Und doch ist sein Pferd in den Ställen!»

Ribble schien das nicht zu überraschen, aber er schaute etwas bekümmert drein und antwortete nach einer Weile, Seine Lordschaft gehe sehr oft durch den Garten zum Haus und betrete es durch die Tür, die Sir Francis in das Vorzimmer vor seiner Bibliothek hatte machen lassen. Ribble fügte hinzu, als Oswald empört schnaufte: «Seine Lordschaft bringt Mr. Aubrey häufig Bücher, Sir, und bleibt ziemlich lange bei ihm und spricht mit ihm – über seine Studien, höre ich.»

In seiner Stimme schwang ein bekümmerter Ton mit, aber Oswald hörte ihn nicht und erkannte auch nicht, daß Ribble versuchte, sich selbst zu beruhigen. Oswald hielt ihn für einen leichtgläubigen alten Narren, drehte sich auf dem Absatz um und sagte, wenn Miss Lanyon im Garten sei, würde er sie eben dort suchen, da er nicht Mr. Aubrey, sondern sie besuchen komme. Er ging schäumend vor Ärger fort. Selbst Edward Yardley, dem es seit Jahren erlaubt war, Undershaw zu betreten, tat es nie anders als durch die Haupttür, aber diesem fremden Freibeuter stand es anscheinend frei, es zu betreten, wo immer es ihm beliebte, und ohne die geringste Förmlichkeit.

Weder im Garten noch im Staudengarten war etwas von Venetia zu sehen, aber gerade als Oswald daran war, Damerels Beispiel zu folgen und durch die Vorzimmertür ins Haus zu gehen, dachte er an den Obstgarten. Dort war sie auch nicht, aber Oswald hörte ihre Stimme, in lachendem Protest und aus einer alten Scheune kommend, die einst Vieh beherbergt hatte und in den letzten Jahren als Lagerhaus für das Werkzeug des Gärtners und von Aubrey als Werkstätte benützt wurde, der sich gelegentlich mit Tischlerei abgab. Die Stimme, die ihr antwortete, war unverkennbar, und als er sie hörte, verfiel Oswald in eine derartig fieberhafte mißtrauische Wut, daß er, ohne sich auch nur der Unschicklichkeit seines Benehmens bewußt zu werden, verstohlen zu der Scheune ging und hinter dem großen Doppeltor stehenblieb, außer Sichtweite, aber so, daß er gut hören konnte, was immer sich in der Scheune abspielte. Ein vorsichtiges Spähen enthüllte keine Spur von Venetia, wohl aber Damerels Rückseite, wie er in der Mitte des Bodens stand, den Kopf zurückgebogen, als wäre Venetia irgendwo über ihm.

Das verwirrte Oswald, der die Scheune nicht kannte. Venetia war nämlich über eine kurze Leiter auf den Speicher geklettert, der die halbe Scheune bedeckte, um einen Wurf hungriger Kätzchen zu retten, deren Mutter einen Tag und eine Nacht ihren Pflichten ferngeblieben war und von der man annahm, daß sie irgendein vorzeitiges Ende gefunden hatte. Damerel hatte Venetia gefunden, indem er einfach ihren Namen gerufen hatte, und war unverzüglich von ihr zu Hilfe gerufen worden. «Denn diese Leiter ist durchaus nicht stabil, und ich möchte lieber nicht samt den Kätzchen hinunterklettern», erklärte sie.

«Ist es das, was Sie in dem Korb haben?» fragte er. «Wie, zum Kuckuck, sind denn die da hinaufgekommen?»

«Oh, die wurden da geboren! Es ist die Küchenkatze – sie kommt immer hierher, um ihre Kätzchen zu werfen, aber ich fürchte, es muß ihr diesmal etwas passiert sein, und die armen kleinen Dinger sind am Verhungern. Das kann ich einfach nicht ertragen, obwohl ich glaube, wenn sie noch nicht schlecken können, müssen sie ertränkt werden.»

«Dieses Schicksal wäre dem Verhungern entschieden vorzuziehen», sagte er. «Reichen Sie mir die Waisenkinder!»

Sie kniete am Rand des Speichers und reichte ihm den Korb hinunter. Er packte ihn, setzte ihn auf den Boden, schaute wieder zu ihr hinauf und lächelte sichtlich mutwillig. «Soll ich die Leiter für Sie halten, mein Entzücken?»

«Auf keinen Fall!» sagte Venetia streng.

«Aber Sie haben doch gesagt, daß sie wackelt!»

«Tut sie, aber wenn ich hinaufklettern konnte, kann ich auch wieder hinunterklettern.»

«Tun Sie's doch!» sagte er herzlich. «Ich kriege einen steifen Nacken, wenn ich mit Ihnen aus dieser Stellung weiterplaudern muß. Oder soll ich hinaufkommen?»

Sie schaute mit lachenden Augen zu ihm hinunter, sagte aber streng: «Nein, Sie werden nicht heraufkommen! Gräßlicher Mensch! Sie wissen sehr gut, daß ich diese Leiter nicht hinunterklettern kann, solange Sie dastehen und mir zuschauen!»

«Können Sie nicht? Oh, dem ist leicht abgeholfen!» gab er zurück, nahm die Leiter weg und legte sie auf den Boden.

Es war diese schelmische Handlung, die ihr den Protest entlockte, den Oswald gehört hatte: «Sie Teufel!» sagte sie. «Stellen Sie sie zurück und gehen Sie weg!»

«Nicht ich!» antwortete er und grinste zu ihr hinauf.

«Aber das ist höchst unritterlich von Ihnen!» klagte sie.

«Nein, nein, im Gegenteil! Es ist ganz klar, daß die Leiter wakkelt.»

Sie versuchte, den Mund streng zu verziehen, aber es gelang ihr nicht. «Wissen Sie, mein teurer Freund, daß Sie, abgesehen davon, daß Sie höchst unritterlich sind, auch entsetzlich lügen?» erkundigte sie sich.

«Aber nein, wirklich? Und wissen Sie, wie hinreißend ihr Gesicht ist, wenn man es aus dieser Perspektive sieht?»

Sie kniete noch immer, stützte sich mit den Händen auf den Rand des Speichers und schaute direkt auf ihn hinunter. «Verkehrt? Na, das ist das häßlichste aller unschönen Dinge, die man sagen kann! Nun, Damerel, wollen Sie so liebenswürdig sein und aufhören, sich wie ein gräßlicher Schuljunge zu benehmen, und die Leiter wieder aufstellen?»

«Nein, süße Qual, das will ich nicht!»

«Elender! Wollen Sie mich hier heroben gefangenhalten? Ich warne Sie, sowie Sie den Rücken kehren, werde ich hinunterspringen!»

«Oh, warten Sie nicht darauf! Springen Sie gleich!» sagte er. «Ich werde Sie auffangen!»

«Nein, danke, ich möchte lieber nicht aufgefangen werden.»

«Was, haben Sie Angst, ich lasse Sie fallen? Kleiner Feigling! Und Sie wollen eine Lanyon of Undershaw sein!»

«Pah!» sagte Venetia und schnitt ihm ein Gesicht. Dann veränderte sie ihre Stellung, zog ihren Volantrock eng um die Knöchel, schwang die Beine über den Rand des Speichers und glitt in Damerels Arme hinunter.

Er fing sie auf und hielt sie fest. Aber was immer seine nächste Absicht gewesen sein mochte, wurde von Oswald zunichte gemacht, der in diesem Augenblick seine Anwesenheit kundtat und mit einem wütenden Fluch vortrat.

Er hatte vor, Damerel zu befehlen, Venetia loszulassen, und sie, wenn nötig, seinem Griff zu entreißen, aber als Damerel ohne das kleinste Zeichen einer Überraschung und noch weniger der Verlegenheit sie bereits auf die Füße gesetzt und freigegeben hatte, brauchte er das nicht zu tun. Es fiel ihm im Augenblick unmöglich etwas anderes ein, das er hätte sagen können, und er stand statt dessen nur da und starrte Damerel in wütendem Schweigen an.

Venetia hatte sein plötzliches Auftauchen erschreckt, aber sie ließ sich nicht mehr Verlegenheit als Damerel anmerken und sagte bloß: «Oh, du bist's, Oswald? Wie schade, daß du nicht eine Minute früher gekommen bist! Du hättest den fahrenden Ritter für das Fräulein in Not spielen können. Würdest du es für möglich halten? Als mich Lord Damerel da oben bei der Ausübung einer barmherzigen Tat entdeckte, hat er hinterlistig die Leiter weggeräumt!» Sie lachte Damerel an. «Sie erinnern mich stark an meinen Bruder Conway!»

«Und etwas Schlimmeres könnten Sie von niemandem sagen, nehme ich an!» Sein träger, dennoch durchdringender Blick blieb einen Augenblick an Oswalds hochrotem Gesicht hängen. In seinen Augen stand sehr viel Erheiterung, aber ebenso ein nicht unfreundliches Verständnis. «Ich gehe lieber und suche den Trost Aubreys», sagte er.

Oswald, der im Eingang stand, zögerte, aber nach einem Augenblick der Unentschlossenheit bewegte er sich widerwillig zur Seite, um ihn vorbeizulassen.

Venetia beugte sich nieder, um ihren Korb aufzunehmen. «Ich muß diese unglückseligen Kätzchen ins Haus tragen. Zumindest sehen sie schon, also werden sie vielleicht imstande sein, Milch zu schlecken.»

«Warte!» brachte Oswald heraus.

Sie schaute ihn fragend an. «Warum?»

«Ich muß und werde mit dir sprechen! Dieser Kerl ...!»

«Falls du Damerel meinst, wie ich schließe, wünsche ich, daß du seinen Namen sagst und ihn nicht <diesen Kerl> nennst! Es kommt dir ganz und gar nicht zu, derart von einem Mann zu reden, der so viel älter ist als du, und besonders dann nicht, wenn du keine Ursache dazu hast.»

«Keine Ursache!» rief er hitzig aus. «Wenn ich ihn hier finde, wie er dir seine unanständige Aufmerksamkeit aufdrängt!»

«Blödsinn!»

Er wurde rot. «Wie kannst du so etwas sagen? Wenn ich doch gesehen habe – und gehört ...»

«Du hast weder etwas gesehen noch gehört, was er mir aufdrängt. Und wirst es auch nicht», fügte sie ruhig hinzu.

«Du verstehst das nicht! Du ...»

«Doch.»

Er starrte sie völlig verdutzt an. «Du weißt nichts von Männern seiner Sorte! Du hast dich von seiner verdammten Schmeichelei so beschwindeln lassen, daß du glaubst, er meine nichts Böses, aber wenn du wüßtest, was für einen Ruf er hat ...»

«Aber ich weiß das, und vermutlich besser als du.»

«Der Kerl ist ein Wüstling! Kein Frauenzimmer ist sicher vor ihm!»

Sie lachte unwillkürlich. «Wie ganz gräßlich! Oswald, höre doch bitte auf, Schwulst zu reden! Du kannst dir nicht vorstellen, wie albern das ist!»

«Aber es ist wirklich wahr!» sagte er ernst.

«Ja, es ist wahr, daß er ein Wüstling ist, aber ich versichere dir, daß du dich nicht über meine Sicherheit aufzuregen brauchst. Ich nehme an, du meinst es gut, aber ich wäre dir sehr dankbar, wenn du nicht weiterreden wolltest!»

Er starrte sie wild an und brachte heraus: «Du bist verhext!»

Ein sehr seltsames kleines Lächeln glitzerte in ihren Augen. «Wirklich? Nun, macht nichts! Das ist schließlich meine Sache. Jetzt muß ich diese Kätzchen in die Küche tragen und schauen, was man für sie tun kann.»

Entschlossen stellte er sich ihr in den Weg. «Du wirst mich anhören!» erklärte er. «Du hoffst, du kannst mich abspeisen, aber das geht nicht!»

Sie schaute ihn einen Augenblick lang abwägend an, setzte sich dann auf Aubreys Bank, faltete die Hände im Schoß und sagte resigniert: «Also schön – sag, was du sagen willst, wenn es nicht anders geht!»

Das war nicht sehr ermutigend, aber es gab so viel, was Oswald auf der Zunge brannte und was er auch so oft geübt hatte, daß er überhaupt nicht entmutigt war. Er stürzte sich kopfüber, ein bißchen stotternd, in eine Rede, die als weltweiser Rat eines Mannes umfassender Erfahrung für ein einzigartig unschuldiges und leichtgläubiges Mädchen begann, aber sehr bald in eine starke Kritik an Damerel hinüberwechselte und schließlich zu einer leidenschaftlichen Erklärung unsterblicher Liebe zu Venetia wurde. Die Rede dauerte beträchtlich lange. Venetia machte keinen Versuch, ihr Einhalt zu tun. Sie lachte auch nicht, denn sie sah deutlich, daß ihr jugendlicher Verehrer sich in eine gefährlich verstiegene Verfassung hineinphantasiert hatte und sich für weitaus heftiger verliebt hielt, als sie vermutet hatte. Sie entnahm dem einen und anderen seiner Aussprüche, daß er überzeugt war, sie wäre fast so weit gewesen, seine Liebe zu erwidern, wenn Damerel nicht seinen Bann auf sie ausgeübt hätte. Obwohl sie wußte, daß sie Oswald nie im leisesten ermutigt hatte, ärgerte sie sich über sich, weil sie nicht gemerkt hatte, daß ein aufgewühlter Junge mit einer Sehnsucht nach Romantik und einer deutlichen Neigung, sich zu dramatisieren, durchaus fähig war, die bloße Freundlichkeit einer älteren Schwester zu etwas bei weitem Wärmeren zu übertreiben. So ließ sie ihn sich aussprechen, ohne ihn zu unterbrechen, und meinte, da so viele wilde und verwickelte Gefühle in seiner Brust geschwelt hatten, würde er sich wahrscheinlich viel besser fühlen, wenn man ihm erlaubte, sie sich von der Seele zu reden, und würde sich sogar ein bißchen schämen. Als er jedoch das Stadium erreichte, in sie zu drängen, ihn zu heiraten, und anfing, hingerissen von einer Hochzeitsreise zu phantasieren, die die entferntesten Teile des Erdballs einschloß und bei Mindestberechnung bestimmt drei Jahre dauern würde, sollte sie ausgeführt werden, hielt sie es an der Zeit, einzuschreiten und ihm einen Dämpfer zu versetzen, der seine Liebe ebenso schnell ersticken würde, wie sie begonnen hatte.

Sowie er eine Pause machte und eifrig ihr Gesicht prüfte, um zu sehen, welchen Eindruck seine Beredsamkeit auf sie gemacht hatte, stand sie auf und sagte, indem sie ihren Korb aufhob: «Nun also, Oswald, wenn du aufgehört hast, Unsinn zu reden, dann darfst du zuerst einmal hören, was ich zu sagen habe, und danach darfst du heimgehen! Du bist ganz erstaunlich impertinent gewesen, aber ich will dich deshalb nicht schelten, weil ich sehen kann, daß du dich in den Gedanken verrannt hast, ich sei so gut wie verlobt mit dir gewesen, bevor Damerel in die Priory kam. Wie du derart eitel sein kannst, dir einzubilden, daß ich ein tendre für einen Jungen haben könnte, der nicht viel älter als Aubrey ist, kann ich mir nicht vorstellen! Ich wünschte, du versuchtest, dich von der ewigen Gaukelei zu heilen, und lerntest, ein bißchen vernünftiger zu werden! Mir scheint, du stellst dir alles so intensiv vor, daß es für dich wirklich wird – was dich, weißt du, dazu verführt, die größten Albernheiten zu sagen! Bedenke nur zum Beispiel, was geschehen würde, wenn ich ebenso dumm wäre wie du und zustimmen würde, dich zu heiraten! Nimmst du, nüchtern besehen, an, daß Sir John und Lady Denny zu einer so lächerlichen Verbindung eigentlich nichts zu sagen hätten?»

«Nichts, was sie sagen könnten, würde mich von meinem Vorhaben abbringen!» versicherte er.

«Oh, nein?» gab sie zurück. «Wir würden gerade nur zur Grenze fliehen, wenn ich recht verstehe, da du noch nicht großjährig bist, und am Amboß heiraten! Da würde ich ja eine nette Figur machen! Und was würden wir als nächstes tun? Uns auf deine wundervolle Reise begeben? Was mir äußerst ungemütlich klingt und wirklich mehr als ungemütlich wäre, weil wir bald ohne einen Pfennig Geld dastünden. Oder hast du dich in den Glauben verrannt, daß Sir John so liebenswürdig wäre, dir eine schöne Summe auszusetzen, damit du unabhängig bist?» Sie hielt inne und mußte wider Willen über die plötzliche Veränderung in seinem Ausdruck lachen. Er schaute sie verblüfft, zornig und finster an, was ihn wie einen Schuljungen aussehen ließ, dem man einen Plan durchkreuzt hatte, und es schien, als hätte er seine Liebe bereits mehr als halb begraben. Sie setzte sich in Bewegung und sagte: «Du siehst ein, wie dumm das alles ist, nicht? Reden wir nicht mehr darüber! Wenn du einmal so alt bist wie ich, wirst du, nehme ich an, sehr verliebt sein, und es nicht nur mimen, in ein Mädchen, das derzeit noch im Schulzimmer Nähmuster näht. Und wenn du dich dann überhaupt noch an mich erinnerst, was sehr wahrscheinlich nicht der Fall sein wird, dann wirst du dich wundern, wie du dich so lächerlich machen konntest. Jetzt geh heim – und lauf nicht mehr hinter mir her, wenn ich bitten darf!»

Jetzt haßte Oswald sie genauso sehr, wie er sie angebetet hatte, aber da er selbst in seinen ausgeglichensten Stimmungen nicht geneigt war, in Betracht zu ziehen, wie es in Wirklichkeit um seine Gefühle stand, war er völlig unfähig, dieses Kunststück durchzuführen, wenn er eine Beute der Erregung war. In dem Durcheinander von Verletztsein und Wut und Kummer, in das ihn Venetias kühler Spott gestürzt hatte, sah er nur eines klar: daß sie ihn als einen Schuljungen betrachtete. Er sagte mit einer Stimme, die vor Zorn schwankte: «Du glaubst, ich bin zu jung, um zu lieben, nicht? Nun, da hast du aber unrecht!»

Mit diesen bitteren Worten und bevor sie noch Zeit hatte, seine Absicht zu erkennen, packte er sie, und es gelang ihm, obwohl nicht sehr fachmännisch, seine Arme um sie zu schlingen.

Venetia, die besorgter um die Kätzchen war, die durch diesen plötzlichen Überfall fast aus dem Korb gestülpt wurden, als um sich, rief scharf: «Vorsicht! Du idiotischer Junge, laß mich sofort los!»

Aber Oswald, der noch nie vorher ein Mädchen in seinen Armen gehalten hatte, war in den Klauen eines neuartigen und aufregenden Gefühls; er umarmte sie noch fester und küßte zuerst ihr Ohr, dann ihre Augenbraue und dann den Backenknochen, in mehreren hartnäckigen Versuchen, ihre Lippen zu erreichen. Zwischen diesen Angriffen sagte er mit einer atemlosen, übermütigen Stimme: «Ein Kind bin ich, was? Ich werd's dir zeigen!»

«Oswald, hör sofort auf! Wie wagst du nur – oh, Gott sei Dank!»

Wenn sich Oswald wunderte, was ihr diesen unerwarteten Ausruf entlockt hatte, oder warum sie plötzlich aufhörte, sich zu wehren, so wurde er nur sehr wenige Sekunden in Zweifel gelassen. Eine Hand fuhr ihm derb in den Kragen und schloß sich wie ein Schraubstock um das Halsband, daß er fast erstickte, die zweite packte den Boden seiner Reithose; er wurde von Venetia weggerissen, mit einem Ruck herumgedreht, unwiderstehlich zum Eingang gedrängt und ins Freie geworfen, wo er auf allen vieren landete.