26

An dem abgeworfenen Container

DUGAN STÜRZTE NEBEN DEM CONTAINER ins Wasser. Sein erster Eindruck nach dem Auftauchen war jedoch nicht visueller sondern olfaktorischer Natur – ein beißender Gestank, der ihm beinahe den Atem nahm. Der feine Wassernebel, den der Rotor des Hubschraubers aufwirbelte, erschwerte ihm die Sicht. Er sah, dass Nigel und Ilya sich an der Vorderseite der stählernen Kiste festklammerten. Erst nachdem er sich die Augen gerieben hatte, erkannte er, dass Nigel mit geschlossener Faust gegen die Tür des Containers hämmerte. Über den Lärm des Hubschraubers hinweg konnte er gerade noch seine lauthals geschrienen Worte hören.

»Cassie! Wir sind da! Halte durch, wir holen euch da raus!«

Dugan schwamm die wenigen Züge zu dem Container hinüber. Ilya sah ihm entgegen. Der Ausdruck auf dem Gesicht des Russen strafte Nigels Worte Lügen. Der sechs Meter lange Container trieb in einem unglücklichen Winkel auf dem Wasser. Eine lange Seite lag bereits knapp einen Meter unter Wasser, während die Unterkante der gegenüberliegenden Seite gerade dabei war, unter der Wasseroberfläche zu versinken. Ilya deutete auf den unteren Teil der Türen.

»Untere Hälfte beider Türen sind unter Wasser, Dyed«, schrie ihm Ilya zu, um über dem Hubschrauberlärm gehört zu werden. »Wenn wir aufmachen, wird Wasser hineinlaufen und Kiste in Sekunden füllen. Wir keine Chance haben werden, sie herauszuholen.«

Dugan nickte. »Wir müssen verhindern, dass weiter Wasser eindringt. Danach kümmern wir uns um die Türen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, schwamm Dugan zur höher gelegenen Seite des Containers, dessen untere Kante knapp unter der Wasserlinie lag. Er fing in der ihm nächstgelegenen Ecke an und wurde sofort fündig – Wasser, das durch fünf Zentimeter große Löcher eindrang, die direkt über der Unterkante des Containers in die Seitenwand gebohrt waren. Ilya und Nigel tauchten neben ihm auf.

»Was du machst?«, schrie Ilya ihm zu.

»Nach den Löchern suchen«, rief Dugan zurück. »Wenn wir sie finden und abdichten können, wird die Kiste lange genug über Wasser bleiben, um uns zu überlegen, wie wir die Mädchen befreien können. Ihr beiden sucht entlang der Kante hier. Wie viele Löcher gibt es? Ich werde versuchen, dieses hier zu stopfen. Das Muster, das wir entlang dieser Seite finden, wiederholt sich sicher auf der Seite, die bereits unter Wasser liegt. Solange wir die Löcher hier finden und abdichten können, haben wir eine Idee, was uns drüben erwartet. Beeilt euch!«

Nigel und Ilya nickten und schoben sich an der Seite des Containers entlang. Währenddessen stützte Dugan sich mit dem linken Arm, an dem das Klebeband hing, auf dem Container ab und suchte mit den Fingern der rechten Hand nach dem Anfang der Rolle. Er hoffte, dass das Zeug so gut an allem kleben würde, wie es das auf der Rolle tat. Endlich fand er das Ende und rollte einen etwa dreißig Zentimeter langen Streifen ab, den er mit den Zähnen festhielt, um ihn mit der freien Hand abzureißen. Bis er soweit war, hatten sich seine Begleiter, Nigel voran, wieder neben ihm eingefunden.

»Noch zwei Löcher«, schrie Nigel, »Eines auf halbem Weg und eines am anderen Ende.«

Dugan nickte und wandte sich wieder seinem Loch zu. Er machte sich keinerlei Illusionen, ein wasserdichtes Siegel zu kreieren, plante aber, so viele Streifen des schweren Klebebands über dem Loch zu verkleben, um das Wasser zurückzuhalten und ihnen etwas Zeit zu kaufen. Falls Landrys magisches ‚es klebt an allem‘ wie versprochen funktionieren würde. Was es nicht tat. Offenbar hatte Landry es nie unter Salzwasser getestet.

»Es funktioniert nicht«, brachte Nigel mit panischer Stimme hervor. »Rollen Sie es auf und versuchen Sie, einen Stopfen zu machen.«

»Versuchen können wir es«, erklärte sich Dugan einverstanden und rollte das Klebeband in einen dichten Ball. Wenigstens klebte es immer noch an sich selbst. Er sah sich den winzigen Ball genauer an und schüttelte den Kopf.

»Gute Idee. Aber für insgesamt sechs Stopfen haben wir nicht genug Material.« Und dann fiel Dugan schlagartig etwas ein.

»Schnell. Ziehen Sie Ihre Socken aus und geben Sie mir einen«, schrie Dugan Nigel entgegen.

»Aber was …«

»Schuhe aus und her mit den verdammten Socken! Keine Zeit für Erklärungen!«

Nigel steckte den Kopf unter Wasser. Dugan riss ein Stück Klebeband von der Rolle ab. Einen Augenblick später tauchte Nigel mit den Socken in der Hand wieder auf.

»Ok«, rief Dugan ihm zu. »Rollen Sie eine in einen Ball.

Nigel nickte und hielt die durchnässte Socke in die Höhe, um das Wasser während des Wickelns aus der Socke zu wringen.

»Gut«, sagte Dugan. »Halten Sie sie fest, damit ich sie umwickeln kann.«

Sekunden später hielt Nigel einen schwarzen Ball im Durchmesser von sechs Zentimetern in der Hand, nachgiebig, aber nicht zu sehr.

»Daumen drücken, Junior.« Dugan nahm Nigel den Ball ab und fing an, ihn in die Öffnung zu zwingen. Es funktionierte. »Brillant«, lobte Nigel und rollte seine zweite Socken auf.

»Dyed, ich denke Wasser dringt in untere Löcher schneller ein, da? Wenn du und Nigel Pfropfen machen, ich werde tauchen und untere Löcher zuerst stopfen.«

»Gute Idee.« Dugan zog den ersten Pfropfen aus dem Loch und reichte ihn Ilya. »Fang mit diesem an. Bis du zurückkommst, wird der Nächste fertig sein.«

Im USCG MH-65C Hubschrauber

»Wie viel Zeit noch?«, fragte Mason.

»Keine«, erwiderte der Kopilot. »Wir hätten schon vor fünf Minuten umkehren sollen. Es wird in jedem Fall knapp werden. Noch dazu ändert sich die Windrichtung. Wenn wir nur ein wenig Gegenwind haben, werden wir nasse Füße bekommen.«

Das ‚und dann verlieren wir einen Hubschrauber im Wert von zwanzig Millionen Dollar‘ blieb unausgesprochen.

»Ich kann sie doch nicht auf einem untergehenden Container mitten im Ozean zurücklassen.«

»Werfen Sie Ihnen ein Rettungsboot und einen Positionsanzeiger zu«, schlug der Kopilot vor. »In diesem Wetter kann die Legare bei Höchstgeschwindigkeit in sechs Stunden hier sein. Außerdem sollten wir es zu ihr schaffen und nach dem Auftanken innerhalb von drei Stunden zurück sein.«

»Was, wenn sie die Mädchen aus dem Container befreien können? Sie werden sicher medizinische Hilfe brauchen. Sinclair ist Sanitäter. Drei Stunden können einen Riesenunterschied machen.«

»Ebenso ins Meer zu stürzen, weil uns der Treibstoff ausgegangen ist«, konterte der Kopilot.

»Verdammter Mist!« Fluchend schüttelte Mason den Kopf. »Ok. Landry, Sie und Sinclair werfen das Rettungsboot ab.«

»Und was ist mit dem Frachter?«, wollte der Kopilot wissen.

»Der ist unsere geringste Sorge«, erwiderte Mason. »Entweder hält er weiter auf Jacksonville zu oder auch nicht. Selbst bei Höchstgeschwindigkeit kann er uns nicht entkommen, nicht so nahe vor der Küste. Wir können die Legare bitten, ein Enter-Team zu schicken oder auch jederzeit einen anderen Hubschrauber auf das Schiff ansetzen.«

Atlantischer Ozean

Östlich von Jacksonville, Florida

Ilya zog sich in das aufblasbare Rettungsboot hinein. Danach half er Nigel und Dugan über die Seite, während das Geräusch der Rotorblätter des Hubschraubers nach Westen hin immer leiser wurde. Dugan schenkte dem kleiner werdenden Fleck am Himmel nur flüchtig seine Aufmerksamkeit, bevor er sich dem Container zuwandte. Er konnte Mason keinen Vorwurf machen. Zudem hatte er im Moment weit Wichtigeres zu tun. Er griff nach einem Paddel. Ein Blick auf die Markierungen an der Seite des Containers, die er dort mit seinem Taschenmesser eingekratzt hatte, überzeugte ihn, dass sie sich weiter genau an der Wasserlinie befanden.

»Er ist dicht, zumindest für eine Weile.« Dugan steuerte das Schlauchboot auf die Tür am Ende des Containers zu. »Sehen wir uns an, wie wir die Türen öffnen können.«

»Immer noch nicht gut, Dyed«, gab Ilya zu Bedenken. »Sobald wir Türsiegel aufbrechen, wird Container wie Stein sinken.«

»Vielleicht auch nicht. Angesichts der Kraft des Wassers, das durch die Löcher eingeströmt ist, bezweifle ich, dass sich der innere Wasserstand dem äußeren bereits angeglichen hat. Das heißt, der gegenwärtige Wasserstand in der Kiste ist niedriger als der um die Außenseite herum. Wenn es uns gelingt, die Kiste am anderen Ende nur ein wenig nach unten zu drücken, sollte sich das Wasser an diesem Ende sammeln und die Seite mit der Tür sollte sich entsprechend heben. Hoffentlich.«

»Aber wie?«, wunderte sich Ilya. Nigel hingegen nickte und sah sich die Lage des Containers aufmerksam an.

»Wir müssen an dieser Seite hochklettern. Die Stahlriegel der Tür werden uns dabei helfen. Sobald wir unser Gewicht dann auf das gegenüberliegende Ende verlegen, sollten wir den gewünschten Effekt erzielen.«

»Deshalb gehen Sie zuerst, Nigel«, erklärte Dugan. »Sie sind der Leichteste von uns. Sobald Sie am anderen Ende angelangt sind, sagen Sie Bescheid. Dann bin ich an der Reihe. Sobald ich drüben bin, sollte unser beider Gewicht für Ilyas Gewicht mehr als ausreichend kompensieren.«

Nigel nickte erneut und war schon dabei, nach einem Halt zu suchen, als Dugan ihm die Hand auf die Schulter legte.

»Ich habe keine Ahnung, wie viel Gewicht nötig ist, um dieses Ding zu bewegen oder wie schnell das geschehen wird. Von daher ist es wichtig, dass Sie so schnell wie möglich ans andere Ende kommen. Verstanden?«

Nigel schluckte schwer und griff dann nach einem der Stahlriegel, um sich Halt zu verschaffen. Vorsichtig richtete er sich im Rettungsboot auf. Er streckte sich so hoch er konnte, um einen zweiten Haltepunkt zu erreichen, platzierte dann einen Fuß auf einen der schiefliegenden Stahlriegel und schob sich nach oben. Während Nigel sich vorsichtig weiter vorkämpfte, schwankte der treibende Container unter seinem Gewicht mit jeder seiner Bewegungen. Nigels Fuß begann, den schräg gelegenen Stahlriegel hinunterzurutschen. Ilyas Hand schoss vor und schloss sich um die Vorrichtung, direkt unter Nigels Fuß. Seine Hand und sein Unterarm bildeten eine Stufe, die es Nigel erlaubte, einen besseren Halt zu suchen und sich schließlich auf die Oberseite des schwankenden Containers hinauf zu wuchten. Er verschwand außer Sicht.

»Ich bin da«, rief er ihnen vom anderen Ende des Containers her zu.

Dugan befestigte das Schlauchboot an einem der Stahlriegel und sah nach oben. Er war dreißig Jahre älter – und beträchtlich weniger behende – als der junge Brite.

»Dyed, ich habe Idee«, sagte Ilya. Im Schlauchboot schob er sich vom Sitzen auf die Knie, hielt sich so weit oben wie er konnte an einem Verschlussriegel fest, drehte den Kopf und forderte Dugan auf: »Benutz mich als Leiter, Dyed, da? Erst meine Schulter und dann auf mein Handgelenk. Wird dich sehr schnell nach oben bringen, denke ich. Und Teil deines Gewichts wird in Schlauchboot auf mir lasten.«

»Gute Idee. Versuche, alles Gewicht auf deine Knie zu verlagern. So wie das Ding unter Nigels Gewicht geschwankt hat, ist es enorm unbeständig.«

»Da. Geh jetzt.«

Dugan legte eine Hand an die Seite des Containers, um das Gleichgewicht halten zu können, und richtete sich mit einer flüssigen Bewegung auf. Mit einem Fuß auf Ilyas Schulter reckte er sich, um hoch über sich den nächsten Halt zu erreichen. Beim Klettern konnte ihm das Ächzen des großen Russen nicht entgehen, als sein zweiter Fuß auf Ilyas Handgelenk landete. Sekunden später kauerte er auf der hohen Kante des sich neigenden Containers, beinahe als ob er breitbeinig auf einem Dachfirst sitzen würde. Auf Händen und Füßen arbeitete er sich schnellstens zu Nigel vor. Deine rapide und fortwährende Gewichtsverlagerung ließ den Container noch bedrohlicher schwanken.

» Ich bin da, Ilya. Du bist dran«, rief Dugan ihm zu.

In Windeseile stand Ilya auf der Oberseite des Containers und rannte in einem merkwürdigen, krebsähnlichen Lauf aufrecht auf sie zu. Dugan bewunderte seine Fähigkeit, das Gleichgewicht zu halten. Dann hatte Ilya sie erreicht.

Der Container schaukelte zunächst ein wenig stärker, kam dann aber wieder zur Ruhe. Nichts passierte.

»Funktioniert nicht«, bemerkte Ilya.

»Warten wir noch einen Moment.« Dugan unterdrückte seine Bedenken, dass der Russe Recht haben könnte. Und dann, beinahe unmerklich, fing die hochgelegene Seite des Containers an, sich Richtung Wasseroberfläche zu senken. Er drehte sich um seine eigene Achse, wobei sich das Ende des Containers auf dem die Männer saßen, beinahe ebenso unmerklich nach unten senkte. Danach ging alles sehr schnell. Die Dynamik beschleunigte sich. Das Wasser in der Kiste sammelte sich an deren beschwertem Ende und ließ diese Seite noch weiter in die Tiefe sinken. Dementsprechend begann sich das gegenüberliegende Ende der Kiste aus dem Wasser zu heben. Schließlich pendelte sich der Container auf ein neues Gleichgewicht ein. Dugan sah an seiner Seite hinunter.

»Ist er hoch genug, Mr Dugan? Ist er aus dem Wasser?«, drängte Nigel.

»Nahe dran, Nigel, aber mit Sicherheit kann ich es nicht sagen. Sie sind der Leichteste. Ilya und ich bleiben hier, um das Gleichgewicht zu halten. Schwimmen Sie zur Tür und sehen Sie nach.«

Bevor Dugan den Satz beenden konnte, war Nigel bereits im Wasser. Sein plötzlicher Absprung ließ den Container heftig schwanken, was seine Begleiter dazu veranlasste, sich hart festzuklammern, um ja nicht die Balance zu verlieren. Zielbewusst schwamm Nigel auf die Tür des Containers zu. Dugan konnte das Plätschern des Wassers hören, als Nigel sich in das Rettungsboot hochzog.

»Was sehen Sie, Nigel?«

»Wir haben es geschafft! Wir haben es tatsächlich geschafft«, schrie Nigel ihnen voller Begeisterung zu. »Nur zwei bis drei Zentimeter - falls der Container sich nicht bewegt - aber die Türen liegen über Wasser.«

Dugans Gedanken überschlugen sich. Zwei bis drei Zentimeter waren nicht viel. Falls er oder Ilya ihre Position an diesem Ende des Containers verlassen sollten, war es gut möglich, dass die Türen wieder unter die Wasserlinie absacken würden. Und das könnte tödlich sein.

»Ok, Nigel. Ilya und ich stecken offensichtlich hier fest. Es hängt also an Ihnen. Denken Sie, Sie werden es schaffen, beide Türen zu öffnen, damit wir die Situation einschätzen können? Danach entscheiden wir, was zu tun ist.«

»Ich bin dran«, rief Nigel. Dugan sprach ein stilles Stoßgebet aus. Bitte, Herr, lass sie am Leben sein.

Atlantischer Ozean

Östlich von Jacksonville, Florida

Nigel band das Schlauchboot von dem Container los, um sich vor den Türen frei bewegen zu können. Er rotierte die Stahlklauen der vier Stahlriegel, eine nach der anderen, und brach damit die Versiegelung der Türen. Der Gestank intensivierte sich. Er zwang sich, den Gedanken daran unterdrücken, was das wohl bedeuten könnte.

In ihrer gegenwärtigen Position waren die Stahltüren äußerst schwer, da die Schwerkraft sie weiterhin geschlossen hielt. Im Boot treibend bemühte Nigel sich, einen Fortschritt zu erzielen. Aus Angst, er könnte die Öffnung des Containers wieder unter Wasser drücken, wagte er nicht, auf den Container zu klettern. Endlich, dank enormer Willenskraft und seiner Adrenalin-gesteuerten Stärke gelang es ihm, die linke Tür im neunzig-Grad Winkel zu öffnen. Und plötzlich übernahm die Gravitation den Rest. Die Tür wurde ihm aus der Hand gerissen und fiel mit einem lautem Knall gegen die Türangeln, was den Container ein weiteres Mal gewaltig erschütterte.

* * *

Dugan und Ilya hielten sich gefährlich nahe am hinteren Ende des Containers fest. Sobald Nigel das Siegel der Tür gebrochen hatte, schlug auch ihnen ein unglaublicher Gestank entgegen. Ilya sah Dugan mit feuchten Augen an.

»Ich kenne Geruch, Dyed. Vorher ich war nicht sicher, und ich mich irren wollte. Aber das ich habe oft gerochen. Zu oft. Es ist Tod. Wir sind zu spät, ich denke.«

Mit einem Kloß im Hals nickte Dugan. Gerade als er Ilya eine tröstende Hand auf die Schulter legen wollte, schüttelte sich der Container gewaltsam. Dugan versuchte, sich gegen diese unerwartete Bewegung abzustützen, verlor jedoch das Gleichgewicht und fiel hintenüber. Ilya reagierte sofort und griff nach seinem Bein. Dabei verlor der Russe jedoch ebenfalls die Balance. Beide Männer stürzten ins Wasser.

* * *

Entsetzt verfolgte Nigel, wie sich das offene Ende des Containers dem Schlauchboot zuneigte. Wasser stürzte über den Türrahmen in den dunklen Schlund des Containers hinein. Plötzlich tauchte inmitten des aufgewühlten Wassers vor ihm kurz das weiße Fleisch eines Arms auf. Nigel reagierte instinktiv. Ohne zu überlegen oder nur im Geringsten zu zögern, tauchte er unmittelbar bevor die Kiste unter der Wasseroberfläche verschwand, in sie hinein. Blind schwamm er durch das schmutzige Wasser des Containers und tastete sich umgeben von einer Barrage an Kübeln und Eimern an harten Stahlwänden entlang. Und dann ein Handgelenk. Bitte lass es Cassie sein!

Nigel hatte die Orientierung verloren. Er wusste nicht länger, wo oben oder unten war. Seine Lungen brannten. Immer schneller tastete er sich mit einer Hand an der Stahlwand entlang, während seine Lungen nach Luft schrien. Mit der anderen Hand umklammerte er das Handgelenk mit eisernem Griff. Mit aller Kraft zog er sich an dem nächsten Haltepunkt in die Höhe, nur um mit dem Kopf zuerst auf unnachgiebigen Stahl zu treffen – auf die immer noch geschlossene zweite Hälfte der stählernen Doppeltür.

Benommen gab er das Handgelenk unbewusst frei, um das überraschende Hindernis mit beiden Händen zu umrunden. Dann hatte er den Container hinter sich gelassen. Das Sonnenlicht, das durch die Wasseroberfläche über ihm hindurchfilterte, zeigte ihm, dass der Container schnell weiter nach unten sank und bereits weit unter ihm schwebte. Cassie! Mit neuer Kraft tauchte er, um dem Container nachzuschwimmen. Dann spürte er - mehr als er sie sehen konnte - eine Gegenwart neben sich. Sein Kopf wurde von einem Schlag getroffen … dem die Dunkelheit folgte.

* * *

Nigel blinzelte und öffnete die Augen. Sein Kopf schmerzte und alles um ihn herum war orangefarben. Das Rettungsboot. Er war auf dem Rettungsboot. Beim Versuch den Kopf zu heben, entfuhr ihm ein lautes Stöhnen. Ein stechender Schmerz durchbohrte eine Seite seines Gesichts.

»Vorsicht«, mahnte ihn Dugans Stimme. »Das war ein ziemlich harter Schlag.«

Nigel blieb liegen, wandte den Kopf aber zu Dugans Stimme hin, wo ihn seine Mitstreiter mit Sorge in den Augen ansahen.

»Wa… Was ist passiert?«

»Tut mir leid, Nigel«, erklärte Ilya. »Ich dich musste außer Gefecht setzen. Selbst für starken Schwimmer ist unmöglich, kämpfenden Mann aus vielen Metern Tiefe nach oben zu bringen. Und ich wusste, du dich wehren würdest.«

»Cassie!« Dieses Mal fuhr Nigel trotz seiner Schmerzen in die Höhe.

»Nicht länger bei uns«, sagte Dugan. »Ich bin mir sicher, dass sie bereits lange bevor wir den Container öffneten, nicht mehr am Leben waren. Deshalb haben diese Schweinehunde sie über Bord geworfen. Um das Beweismaterial zu vernichten.«

»Aber ich sah … Ich hatte jemanden …«, protestierte Nigel.

»Der am Leben war?«, fragte Dugan sanft.

»Ich … Ich weiß es nicht. Ich konnte nichts sehen. Aber sie war sehr kalt.«

Hilflos lag Nigel da. Tränen rollten ihm die Wangen hinunter. Eine lange Zeit herrschte absolutes Schweigen. Endlich meldete sich Ilya leise zu Wort.

»Dyed, sobald wir an Land kommen, wir Nigel zum Arzt bringen sollten. Ich denke, dass Wasser im Container sehr verseucht war und er sicher welches geschluckt hat.«

Nigel, der ihn gehört hatte, erwiderte: »Wozu soll das jetzt noch gut sein?«