5
Die Kairouz-Residenz
London, England
»SERGEI ARSOV«, STELLTE ANNA VOR und drehte ihren Laptop so, dass alle Anwesenden das Bild einsehen konnten. »Eine Menge Russen namens Sergei sind seit letztem Jahr in Großbritannien eingereist. Sobald wir diese Liste aber mit der der Männer abglichen, die ein Langzeitvisum haben und Tanyas Beschreibung entsprechen, wurde die Liste schnell kürzer. Das ist unser Mann. Tanya hat ihn anhand dieses Fotos eindeutig identifiziert.«
»Was wisst ihr sonst noch von ihm?«, fragte Dugan.
Anna schüttelte den Kopf. »Nicht viel. Ihm wurde ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht gewährt - das sehr kurzfristig arrangiert wurde, möchte ich hinzufügen. Sieht aus, als ob er einen fähigen Anwalt oder gut platzierte Freunde hat. Als Beruf gab er ‚selbständiger Unternehmensberater‘ an. Eine Bedingung seines Antrags war die Nennung einer englischen Adresse, die uns in diesem Fall allerdings nicht weiterhilft. Er gab die Adresse der Anwaltskanzlei an. Trotzdem werden wir ihn ausfindig machen. Nur eine Frage der Zeit.«
»Zeit, die wir nicht haben.« Ilya wanderte unruhig auf und ab. »Wir schon haben einen Tag verloren. Arsov weiß, dass jemand nach Karina sucht. Bringt sie weiter in Gefahr, denke ich. Wir müssen Wohnung finden und sofort gehen, um sie zu retten.«
»Das könnte die Lage verschlimmern«, hielt ihm Anna entgegen. »Der Mann ist nicht dumm. Wir können mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass er sie bereits verlegt hat. Da uns seine Verbindung zum Klub Pyatnitsa bekannt ist, werden wir den Klub solange überwachen, bis er auftaucht und lassen ihn danach nicht mehr aus den Augen - in der Hoffnung, dass er uns zu Karina führen wird.«
»Ich bin Meinung von Ilya«, äußerte sich Borgdanov. »Ich nicht glaube an ‚Hoffnung‘ und uns fehlt Zeit für Überwachung. Sobald wir den Hund erwischen, wir ihn sofort verhören und ihn zwingen werden, uns zu sagen, wo er Karina festhält. Und ER kann ‚hoffen‘, wir ihn schnell töten werden.«
Anna versteifte sich. »Meine Herren, ich bin bereit, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um Karina zu retten und diesen Mann an die zuständigen Behörden zu liefern. Ich verstehe und teile euren Zorn und habe eure bisherigen Kommentare über die Tötung dieses Mannes ignoriert. Aber an einem Mord werde ich mich nicht beteiligen, egal wie gerechtfertigt er auch sein mag.«
Herausfordernd sah Borgdanov sie an. »Und was werden britische Behörden mit Abschaum tun? Du sagtest, er hat klugen Anwalt, da? Ich denke, deine Behörden tun nichts, genau wie in Russland.«
Ilya brummte etwas in Russisch vor sich hin. Offensichtlich stimmte er Borgdanovs Einschätzung zu. Es wurde still im Raum; die Spannung war greifbar. Dann bemühte Dugan sich, die Lage zu entspannen.
»Beruhige dich, Andrei. Anna hat sich weit für uns aus dem Fenster gelehnt. Falls sich diese Sache zu einem Fall von Selbstjustiz entwickeln sollte, könnte sie in ernste Schwierigkeiten kommen.«
Borgdanov sah zu Ilya hinüber und wandte sich dann wieder an Anna. »Daran wir nicht gedacht. Wir sind dankbar für was du tust. Ich verspreche, wir diesen Bastard nicht in England töten werden. Darüber hinaus ich verspreche nichts.«
Kritisch erwiderte Anna Borgdanovs Blick. »Wir werden zu gegebenem Zeitpunkt weiter darüber diskutieren. Im Moment sollten wir uns darauf konzentrieren, den schlüpfrigen Mr Arsov zu finden. Könnt ihr mir zumindest versprechen, dass ihr ihn nicht in dem Augenblick, in dem wir ihn ausfindig machen, krankenhausreif prügeln werdet?«
Borgdanov sah Ilya an, der zustimmend nickte.
»Da«, bestätigte Borgdanov. »Das wir versprechen.«
»Dann haben wir eine Vereinbarung«, bekräftigte Dugan und wandte sich an Gillian. »Aber wo steckt Tanya denn? Ich bin überrascht, dass sie dir von der Seite gewichen ist.«
Gillian lächelte. »Sie ist oben ins Cassies Zimmer. Die beiden haben sich sofort angefreundet und sie haben etwa die gleiche Größe. Cassie sucht ihr etwas zum Anziehen heraus.«
Alex, der neben Gillian saß, richtete sich auf. »Hältst du das für angebracht, meine Liebe?«
»Nun, ich hielt es für besser, als das arme Mädchen halbnackt herumlaufen zu lassen.«
Alex runzelte die Stirn. »Du weißt genau, wovon ich rede. Ich denke nur, dass Cassie sich nicht … nicht zu eng … mit diesem Mädchen anfreunden sollte. Man kann nie wissen … Damit will ich sagen …«
»Ja, mir ist vollkommen klar, was du sagen willst, Alex Kairouz!« Gillians Augen blitzten. »Und du solltest dich vor dir selbst schämen! Tanya ist das Opfer hier. Und ich werde nicht zulassen, dass sie wie eine Aussätzige behandelt wird für das, was sie tun musste, um zu überleben und ihre Familie zu schützen.«
»Es lag nicht in meiner Absicht, sie wie eine Aussätzige zu behandeln. Ich wollte damit nur sagen, dass Cassie unschuldig ist – praktisch noch ein Kind, in Gottes Namen! Ich denke sie … sie sollte all diesem nicht ausgesetzt werden.«
Gillian beruhigte sich und beugte sich zu Alex hinüber. Mit einer Hand an seiner Wange sah sie ihm in die Augen. »Die Welt ist ein gefährlicher Ort, Alex. Niemand weiß das besser als ich. Mir war von Anfang an klar, dass Cassie niemals in der Lage sein würde, sich gegen Gefahren zu verteidigen, von denen sie nichts versteht. Deshalb habe ich sie über ‚all das‘, wie du es nennst, während der Pubertät aufgeklärt. Sie weiß und versteht, was Tanya durchgemacht hat und will ihr helfen. Ich bin sehr stolz auf unsere Tochter. Das solltest du auch sein.«
»Das hättest du mir sagen können.«
Gillian lächelte sanft. »Du hast Recht, mein Lieber. Aber du hättest dagegen protestiert und ich hätte es trotzdem getan. Und wir hätten uns schrecklich und fortwährend gestritten. War es so nicht viel besser?«
* * *
Tanya stand neben Cassie in deren begehbarem Schrank und bewunderte die Vielzahl ihrer Kleidungsstücke.
»So viele schöne Kleider. Ist wie Weihnachten. Ich weiß nicht, was ich aussuchen soll.«
»Du kannst haben, was immer dir gefällt«, ermunterte Cassie sie. »Mama sagt, du wirst im Gästezimmer wohnen. Nimm dir was du magst und wir tragen es hinüber. Außer der Unterwäsche. Ich habe einige Dinge, die ich noch nicht getragen habe. Die werde ich dir geben.« Cassie verzog das Gesicht. »Die Unterwäsche eines anderen zu tragen ist eklig.«
Tanya lachte. »Ich mag dich, Cassie. Du bringst mich zum Lachen, und ich lange nicht mehr gelacht habe.«
Cassie umarmte sie. »Ich mag dich auch. Ich bin froh, dass du bei uns bleiben wirst. Mama sagt, du kannst so lange bleiben, wie du möchtest.«
Sie wählten einige Kleider aus, die Tanya auf Cassies Bett legte. Dabei bemerkte sie mehrere Fotos einer wunderschönen Frau auf Cassies Kommode. Sie hatte honigblondes Haar und einen pfirsichfarbenen Teint – und war das genaue Ebenbild von Cassie.
»Wer ist das?«
»Meine leibliche Mutter. Sie hieß Kathleen und starb, als ich noch ein Baby war. Aber Mama Gillian hat mir von ihr erzählt und hat mir diese Bilder gegeben, damit ich sie nie vergesse. Ich glaube, dass sie meine leibliche Mutter sehr geliebt hat.«
»Gillian ist nicht deine wirkliche Mutter?«
Cassie schüttelte den Kopf. »Sie war meine Kinderfrau. Meine Mutter und mein Vater stellten sie ein, als ich als Baby mit hohem Fieber sehr krank war. Später erkrankte meine Mutter an Krebs und starb. Gillian blieb und kümmerte sich um mich und meinen Dad. Dann verliebten sie sich ineinander und haben geheiratet.«
»Wie im Märchen.« Tanya entdeckte ein weiteres Foto auf der Kommode.
»Und wer ist gut aussehender Mann, der dich Lächeln macht?« Sie hob das kleine Foto an, das eine strahlende Cassie neben einem jungen Mann in Uniform zeigte. Die Aufnahme stammte offensichtlich von einem Schiff.
Cassie errötete. »Das ist Nigel. In Korea, auf seinem Schiff.«
»Dein Freund also ist Seemann. Sehr nett!«
»Er ist nicht wirklich mein Freund«, erklärte Cassie mit gesenkten Augen. »Wir haben uns nur dieses eine Mal persönlich getroffen. Meist texten oder E-mailen wir oder unterhalten uns über Video.« Dann hellte sich ihre Miene auf. »Aber sein Schiff lief gestern in Southhampton ein. Mama wird ihn zum Abendessen einladen.«
»Vertrau mir«, versicherte Tanya ihr beim erneuten Blick auf das Foto. »Ich sehe, er dein Freund, so wie er dich ansieht.«
»Das hoffe ich. Hast du einen Freund?«
Tanya traten die Tränen in die Augen. Sie wandte sich ab.
»Oh, das tut mir leid. Das war so dumm von mir! Bitte weine nicht. Ich wollte dich nicht traurig machen. Ich habe gemeint … vorher. Oh, und auch das klingt schrecklich!«
Tanya sah Cassie wieder ins Gesicht. Mit dem Handrücken wischte sie die Tränen zur Seite. Dann legte sie beide Hände auf Cassies Arm, um sie zu beruhigen.
»Ist ok, Cassie. Manchmal ist nur schwer, über Dinge nachzudenken. Und ja, ich hatte Freund in Sankt Petersburg. Sein Name ist Ivan. Er sehr still ist, aber sehr nett. Und sehr, sehr intelligent. Er ist Computerprogrammierer. Wir heiraten wollten.«
»Fabelhaft!«, freute sich Cassie. »Warum rufen wir ihn nicht an und lassen ihn wissen, dass du ok bist? Hast du seine Nummer?«
Tanya schüttelte den Kopf. »Ist glaube, ist gefährlich für ihn, wenn ich ihn jetzt anrufe. Und außerdem ich nicht so sicher bin, dass … nachdem, was passiert ist … Tanya hielt inne, wieder am Rand der Tränen. »Er vielleicht nicht mehr das Gleiche für mich empfindet wie vorher.«
Cassie reagierte verblüfft. »Wie? Wieso nicht?« Dann verstand sie. »Du meinst, auf Grund dessen, wozu du gezwungen wurdest? Aber das war doch nicht DEIN Fehler.«
Nun ließ Tanya den Kopf hängen und erwiderte mit kaum wahrnehmbarer Stimme: »Vielleicht im Kopf er das weiß, aber sein Herz könnte anderes sagen. Ich nicht länger die gleiche Person. Selbst ich mich schäme und fühle mich schmutzig. Wie kann er anders empfinden?«
Cassies Temperament flammte auf. »Das ist ja schrecklich! Wenn er dich nicht länger liebt, weil dich jemand gegen deinen Willen gezwungen hat, bestimmte Dinge zu tun … Dann ist er ein … einfach ein …« Cassie suchte nach Worten. »Einfach ein absoluter Schwachkopf!«
Schockiert von Cassies Reaktion sah Tanya hoch. Die rechtschaffene Empörung ihrer neuen Freundin war so offensichtlich, dass es Tanya beinahe lustig vorkam. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. Obwohl ihr die Tränen immer noch die Wangen hinunterliefen, musste sie laut lachen und nahm Cassie fest in die Arme.
»Du und ich werden wunderbare Freundinnen werden, ich denke«, brachte Tanya unter Tränen und dennoch getröstet hervor.
Klub Pyatnitsa
London, England
»Und du bist sicher, er ist es?«, hakte Arsov nach.
Nazarov lächelte. »Nicht nur er. Wir wissen über alle drei Bescheid.« Er zog einen Stoß Fotos aus der Jackentasche und ließ sie auf den Schreibtisch fallen.
»Ich habe das Taxi gefunden«, erklärte Nazarov. »Der Fahrer erinnerte sich an diese Fahrt. Er hat den Kerl an einem schicken Haus in der Nähe von Kensington Square abgeholt. Anatoli hat es für uns beschattet. Und die hat er gestern Abend gemacht.«
Arsov sah sich die Fotos an. Er erkannte den Amerikaner und die beiden Russen. Eines der Bilder zeigte den Amerikaner, der das große Haus in der Gesellschaft einer attraktiven Rothaarigen verließ. »Kensington Square? Das riecht nach Geld. Wer genau ist dieser Amerikaner?«
Nazarovs Lächeln wurde breiter. »Das Internet ist eine wunderbare Sache. Sein Name ist Thomas Dugan, geschäftsführender Direktor der Phoenix Schifffahrtsgesellschaft. Das Haus gehört Alex Kairouz, Vorstandsvorsitzender der gleichen Firma.«
Arsov sah erneut auf das Foto. »Und die Rothaarige?«
»Ihr Name ist Anna Walsh. Sie lebt mit diesem Dugan zusammen. Ansonsten konnte ich nichts weiter über sie finden. Wir suchen noch.«
»Und keine Spur von Tanya?«
»Bisher nicht. Ich habe den Portier in Dugans Gebäude bestochen, aber seiner Aussage nach hat er niemanden, der Tanya ähnlich sieht, dort gesehen. Ich denke, sie hält sich in Kairouz’ Haus auf. Kairouz, Dugan und die Russen stehen rund um die Uhr unter Beobachtung. Die Russen scheinen in Dugans Wohnung zu wohnen. Früher oder später wird einer von ihnen uns zu Tanya führen.«
»Sorge dafür, dass es früher ist«, betonte Arsov. »Wir mussten Karina beinahe umbringen, bevor sie die Spetsnaz endlich preisgab und uns verriet, dass der große Blonde ihr Onkel ist. Ich hasse unnötigen Verschleiß der Ware. Schlecht fürs Geschäft. Wir müssen der Sache ein Ende bereiten.«
»Ich frage mich, warum du nicht einfach Sankt Petersburg anrufst. Mit ausreichend Druck auf die Familie des Mädchens werden dieser Hund Denosovitch und sein alter Chef Borgdanov den Hinweis verstehen und uns in Ruhe lassen. Bisher hat das immer geklappt.«
»Weil ich, mein lieber Nazarov, nicht begierig darauf bin, unseren Vorgesetzten in Sankt Petersburg den Eindruck zu vermitteln, dass wir nicht alleine mit einer widerspenstigen Hure und ihrem geliebten Onkel fertig werden. Darf ich dich daran erinnern, dass sie bereits dank des Verlusts der Drogenlieferung in Savannah an unserer Kompetenz zweifeln?«
Nazarov reagierte voller Zorn. »Ich sagte dir doch, dass das nicht unser Fehler war.«
»Und wie ich dir bereits erklärt habe, kommt es darauf überhaupt nicht an. Entweder war die undichte Stelle hier oder in den USA oder in Sankt Petersburg. Wir sind für Großbritannien und die USA zuständig. Glaubst du wirklich, die höheren Etagen in Sankt Petersburg werden unsere Aussage so einfach akzeptieren, dass SIE das Problem haben? Vielleicht sollte ich dich nach Sankt Petersburg schicken, damit du ihnen deine Theorie persönlich erklären kannst, da?«
»Das … das hatte ich nicht bedacht.«
»Ja, ganz Recht. Die Fähigkeit zu denken scheint dir nicht angeboren zu sein.« Arsov sah auf seine Uhr. »Es ist beinahe Mittag. Konzentriere dich darauf, Tanya zu finden. Danach kümmern wir uns um unsere Spetsnaz-Freunde. Sie stellen die wirkliche Gefahr dar. Der amerikanische Clown will ihnen nur behilflich sein. Ohne die Russen im Bild verschwindet er von alleine. Ich will, dass du Tanya bis heute Abend achtzehn Uhr gefunden hast. Nimm dir so viele Männer wie du brauchst, aber erledige den Job. Haben wir uns verstanden?«
Nazarov nickte und erhob sich.
»Ach, noch eines. Bring Karina in das Lagerhaus zurück. Nur um sicher zu gehen. Die kleine Schlampe langweilt mich sowieso schon. Sie ist den ganzen Ärger nicht wert.«
In der Nähe der Kairouz-Residenz
London, England
Nazarov rutschte im Fahrersitz des Wagens hin und her und trank einen Schluck kalten, bitteren Kaffees. Er verzog das Gesicht und stellte ihn in den Getränkehalter zurück, bevor er auf die Uhr sah. Er hasste Observierungen. Normalerweise hätte er diese Aufgabe an einen ihrer Handlanger weitergegeben. Angesichts Arsovs gegenwärtiger Stimmung konnte er sich allerdings keinen Fehler mehr erlauben. Daher hatte er entschieden, das Kairouz-Haus selbst zu übernehmen. Einer seiner Männer überwachte den Hintereingang, von dem aus die Ausfahrt an einer ausladenden Garage vorbei in eine Seitenstraße führte. Bisher hatten sie jedoch nur Kairouz gesehen, der von seinem Fahrer zur Arbeit abgeholt wurde und die Ankunft einer fetten Frau, wohl eine der Angestellten.
Yuri hatte er vor Dugans Gebäude postiert und Anatoli beobachtete die Büros der Phoenix Schifffahrtsgesellschaft. Beiden Männern stand jeweils ein zweiter Mann zur Seite. Die beiden Teams hatten bislang nichts Nennenswertes berichtet. Gelangweilt wählte Nazarov eine Nummer.
»Yuri«, erkundigte er sich, als sein Mann antwortete, »gibt es etwas Neues?«
»Nyet«, erwiderte Yuri. »Der Amerikaner und die Rothaarige haben vor einer Weile das Haus verlassen, genau wie die anderen Bewohner des Gebäudes. Keine Spur von den Spetsnaz. Ich denke, sie halten sich noch in der Wohnung auf. Seitdem gab es nur wenig Bewegung, außer das ein Wagen der Telefongesellschaft in die Tiefgarage eingefahren ist.« Yuri zögerte. »Wir stehen hier schon lange rum. Ich bin müde und bin es leid, in Flasche zu pissen. Wann werden wir abgelöst?«
»Du wirst abgelöst, wenn ich das so bestimme«, fuhr Nazarov ihn an. »Und ich pisse auch in die Flasche, also erspar mir dein Gejammer. Melde dich, wenn du etwas Verdächtiges beobachtest. Und du bleibst besser wachsam, wenn du weißt, was gut für dich ist. Verstanden?«
Nazarov wartete das missmutige »da« ab, beendete das Gespräch und rief Anatolie an.
»Etwas Neues?«
»Nyet«, verneinte Anatoli. »Kairouz’ Fahrer hat ihn vor der Firma abgesetzt und ist danach in die Tiefgarage gefahren. Der Amerikaner und die Frau kamen mit dem Taxi. Da sie mit ihm in Gebäude ging und nicht wieder erschienen ist, denke ich, dass sie ebenfalls hier arbeitet. Sonst scheint alles normal. Viele Angestellte erscheinen zum Arbeitsbeginn; keiner geht. Einige Lieferungen, rein und raus, und ein Reparaturfahrzeug.«
Nazarov richtete sich in seinem Sitz auf. »Welche Art von Fahrzeug?«
»Kann ich nicht genau sagen. Es war ein weißer Lieferwagen; beide Seiten hatten ein Design. British Telecom, glaube ich. Wieso?«
»Parkt er in der Straße? Kannst du ihn noch sehen?«
»Nyet. Er fuhr ins Parkhaus und einige Minuten später war er wieder weg. Warum? Denkst du, das ist Problem?«
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Nazarov. »Bleib auf dem Posten und rufe mich sofort an, wenn dir etwas auffällt.«
Anatoli bestätigte seine Anweisungen und Nazarov beendete das Gespräch, nur um Yuri zurückzurufen.
»Yuri, wie hat der Truck der Telefongesellschaft ausgesehen?«
»Es war ein weißer Lieferwagen«, korrigierte Yuri ihn.
»Ist er noch da?«
»Nyet. Er blieb nur kurz und fuhr dann wieder weg.«
»Verdammter Mist!« Nazarov legte auf.
Er versuchte seine Gedanken zu ordnen. Zweifellos war da etwas im Gange. Ein Wagen der Telefongesellschaft, der beide Observationsobjekte anfuhr, war ein zu großer Zufall. Sollte er Arsov benachrichtigen oder sollte er zunächst versuchen, mehr herauszufinden? Er kämpfte noch mit seiner Unentschlossenheit, als sein Telefon klingelte. Der Anrufererkennung nach war es sein Mann, der ein Auge auf den Hintereingang von Kairouz’ Haus hatte.
»Was ist?«
»Ich habe Tanya durch das Küchenfenster gesehen«, berichtete der Mann.
»Bist du dir sicher?«
»Absolut. Ich hatte das Fernglas auf das Fenster gerichtet und habe der fetten Frau zugesehen. Dann kam eine zweite Frau in die Küche - Kairouz’ Frau, dem Aussehen nach. Die Frauen unterhielten sich, aber als sie sich bewegten, konnte ich quer durch den Raum auf Tanya sehen. Ich bin mir ganz sicher.«
»Sah sie wie eine Gefangene aus?«
»Nur wenn Gefangene laut lachen.«
»Ok, bleib dran. Ich melde mich wieder.« Nazarov wählte Arsovs Nummer.