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Die Kairouz-Residenz
London, England
»KOMMT NICHT IN FRAGE!«, wiederholte Anna. »Das habe ich von Anfang an klar gemacht. Wir müssen vorsichtig sein. Und jetzt, mit der Beteiligung der Met, haben wir noch weniger Spielraum. Ihr könnt euch Nazarov nicht einfach schnappen, nachdem er das New Scotland Yard verlässt, und ein Geständnis aus ihm herausprügeln.« Borgdanov zuckte mit den Achseln. »Anna, ich denke, du sagen willst, dass POLIZEI das nicht tun kann. Ich denke, wir tun können, was wir wollen, solange niemand uns erwischt. Wie es die Mafiya macht, da? Wir müssen, wie ihr Engländer sagt, Feuer mit Feuer bekämpfen. Ist logisch, nicht wahr?«
»Andrei hat Recht, Anna«, kam ihm Dugan zu Hilfe. »Die Polizei hat ihr Bestes gegeben, ohne etwas zu erreichen. Wenn wir uns nicht selbst der Sache annehmen, wie sieht dann Plan B aus?«
Anna setzte zum Sprechen an, als Alex sich einmischte. »Ich muss Thomas und Major Borgdanov zustimmen.«
Sowohl Gillian als auch Ilya, die neben Alex auf der Couch saßen, nickten zustimmend.
Anna sah sich im Zimmer um. »Mir war nicht bewusst, dass dieses Thema zur Abstimmung ansteht, aber nachdem ihr nun alle eure Meinung kundgetan habt, möchte ich etwas klarstellen. Ich liebe Cassie ebenso wie ihr. Und ich bin nicht gewillt, unsere Anstrengungen aufzugeben, sie und die anderen Mädchen zurückzubekommen. Was ich vorhin ausdrücken wollte ist, dass wir VORSICHTIG sein müssen. Andernfalls werden uns die Behörden ohne Zögern aus dem Verkehr ziehen.« Sie sah Borgdanov an. »Was bedeutet, dass ihr euch Nazarov nicht beim Verlassen des Reviers greifen könnt. Zweifelsohne werden ihn dort andere Mafiosi erwarten. Diese Konfrontation könnte zu viel Aufmerksamkeit erregen. Ihr müsst einen Plan machen – etwa, wo ihr ihn schnell und unauffällig aufgreifen könnt, wo ihr ihn verhören wollt, etc.«
»Du hast Recht, Anna«, nickte Borgdanov. »Mir tut leid. Wir müssen Dinge diskutieren.«
»Richtig, aber vielleicht sollte Anna daran zukünftig keinen Anteil haben«, schlug Dugan vor. »Sie ist bereits zu sehr in diese Angelegenheit verwickelt. Falls die Sache daneben geht, wäre es sicher besser, wenn sie glaubwürdig Unkenntnis geltend machen kann.«
Anna schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin dabei. Ich werde mich von der offiziellen Untersuchung fernhalten. Falls ihr etwas Relevantes in Erfahrung bringt, werde ich es ‚dank eines zuverlässigen Informanten‘ an die Polizei weiterleiten. Angesichts seines Bestrebens, die russische Mafia auszumerzen, wird McKinnon dies wohl kaum hinterfragen. Aber ich kann nur für mich selbst sprechen – Lou und Harry dürfen nicht mit hineingezogen werden. Beide stehen kurz vor der Pensionierung. Und falls die Sache schiefgehen sollte, könnte das schlimme Konsequenzen für sie haben.«
»Als Ort der Vernehmung kann ich euch eine unserer Lagerhallen, die zum Verkauf steht, anbieten«, schlug Alex vor. »Sie steht leer und ist relativ abgeschieden. Morgen rufe ich den Makler an und sage ihm, dass wir daran denken, sie zu behalten und dass er sie einige Tage lang niemandem zeigen soll.«
»Gute Idee«, pflichtete Dugan ihm bei. »Aber das lässt du besser mich erledigen, Alex. Du solltest ebenfalls Abstand halten. Die Polizei kennt mein Gesicht und weiß von meiner Beziehung zu Andrei und Ilya. Falls wir auffliegen, muss einer von uns dem Gefängnis entgehen, um die Firma weiterzuführen.«
»Jetzt hör mir mal zu, Thomas …« Gillian griff nach Alex’ Hand. »Tom hat Recht, mein Lieber. Ich weiß, du willst viel mehr tun, um Cassie zu retten, aber im Fall, dass etwas schiefgehen sollte, musst du in der Lage sein, diese Bemühungen fortzusetzen. Wir dürfen unseren Gefühlen nicht Vorrang vor unserem Verstand geben.«
Alex nickte zögernd und Gillian tätschelte ihm tröstend die Hand.
»So …«, sagte Ilya mit offensichtlicher Ungeduld, »… wir haben Ort, wo wir Bastard hinbringen. Aber wann wir schlagen zu?«
»Seine Kautionsanhörung ist für morgen Nachmittag anberaumt, wonach er zweifelsohne entlassen wird«, erläuterte Anna. »Danach werden wir ihn beschatten und die beste Zeit und den besten Ort bestimmen, um ihn uns zu schnappen. Es sollte nicht allzu lange dauern, denke ich.«
»Was ist mit McKinnon?«, fragte Dugan besorgt. »Wird er Nazarov und die anderen nicht weiter observieren wollen?«
»Gut möglich«, bestätigte Anna, »aber nach dem Misserfolg der Razzia hat er viele seiner Ressourcen wieder verloren. Seine Einsatzkräfte werden dünn gesät sein. Wir müssen abwarten.«
Klub Pyatnitsa
London, England
Nazarov saß hinter Arsovs Schreibtisch und sah die Quittungen des vergangenen Abends durch. Wie erwartet waren es weniger, aber selbst eine drohende Verhaftung konnte den lockenden Reiz ihrer speziellen Klubangebote nicht lange überschatten. Das Geschäft lief wieder. Da sie die Huren, die noch ‚angelernt‘ wurden, eine Weile aus dem Verkehr gezogen hatten, musste er die übrigen Huren eben umso härter an die Arbeit treiben. Bevor das Geschäft heute Abend richtig losging, sollte Ivan sie vor sich versammeln. ‚Die Damen‘ mussten ihre Vorzüge einfach aggressiver anpreisen. Vielleicht sollte er versuchen, die Öffnungszeiten zu verlängern und sehen, ob er ein bestimmtes Klientel für eine Nachmittagsvorstellung interessieren konnte. Falls nötig, würde er den Huren Aufputschmittel einflößen. Arsovs Verbot, die Schlampen unter Drogen zu setzen, war einfach lächerlich.
Arsov! Er hatte gewusst, dass dieses Arschloch ihn die Sache ausbaden lassen würde. Allerdings hatte er nicht erwartet, zwei Nächte als Gast der Regierung zu verbringen. Diesen Umstand hatte er sicher auch Arsov zu verdanken. Obwohl die englischen Gefängnisse das reine Paradies waren - im Vergleich zu einigen der russischen Gefängnisse, die er als Junge kennengelernt hatte, bevor er schlau genug war, der Bratstvo beizutreten - hieß das noch lange nicht, dass er dort gerne seine Zeit verbrachte. Ein weiterer Punkt, den er vermerken würde. Arsov war nicht der Einzige, der Freunde in Sankt Petersburg hatte.
Nazarov streckte sich und gähnte; im Gefängnis hatte er nicht allzu gut geschlafen. Im Klub schien alles in Ordnung zu sein. Er beschloss, nach Hause zu gehen und etwas Schlaf aufzuholen. Nachdem er Ivan seine Anweisungen erteilt hatte, öffnete er am Ende des langen Flurs vorsichtig die Hintertür - nur einen Spalt, um sicher zu gehen, dass ihn dort keine Probleme erwarteten. Danach überquerte er rasch die Gasse zum italienischen Restaurant hinüber. Er musste Arsov zugestehen, dass es eine fabelhafte Idee war, diesen diskreten Zugang zu etablieren. Der italienische Koch bedurfte nicht länger Bedarf einer erfundenen Geschichte. Nazarov stopfte dem großen Mann im Vorbeigehen einfach eine fünfzig-Pfund-Note in die ausgestreckte Hand. Und kurz danach war er zwei Straßen weiter auf dem Weg zum Taxenstand.
Berwick Street, Soho
In der Nähe des Klub Pyatnitsa
London, England
»Das könnte die Sache erschweren«, befürchtete Dugan, der die beiden Beamten in Zivil im Wagen zwanzig Meter vor ihnen beobachtete. »Was, wenn sie uns folgen, sobald wir losfahren?«
»Das werden sie nicht«, beruhigte Anna ihn vom Fahrersitz her. »Und sollten sie es doch tun, umso besser. Wir werden sie von Borgdanov und Ilya ablenken.«
»Bist du sicher, dass es funktionieren wird?«
»Es ist das Einzige, was Sinn macht. Arsov ist es gelungen, uns erfolgreich abzuhängen, obwohl wir sowohl den Vordereingang als auch den Zugang zur Seitenstraße im Visier hatten. Er hat keine dieser Straßen benutzt. Folglich muss er durch eines der Geschäfte entkommen sein, die sich zur nächsten Straße hin öffnen. Nazarov wird sehr wahrscheinlich das Gleiche tun. Und dort können unsere russischen Freunde ihn dann in Gewahrsam nehmen, während wir hier bleiben und den Constables Gesellschaft leisten.«
»Ja. Und wenn die Cops den gleichen Plan verfolgen?«
»Das bezweifle ich«, lächelte Anna, »da ich diese Schlussfolgerung nicht mit Detective Inspector McKinnon geteilt habe. Außerdem konzentrieren wir uns nur auf einen Ort, während McKinnon sicher weiter versucht, mehrere Örtlichkeiten abzudecken. Wozu er wieder zu wenig Personal hat.«
»Hoffen wir, dass du Recht behältst.«
Hopkins Street Parkhaus
London, England
Mit dem Fernglas vor Augen saß Ilya Denosovitch hinter dem Steuer eines Mietwagens und spähte über die hüfthohe Mauer des Parkhauses auf die Straße hinunter. Auf der dritten Ebene der Einrichtung hatte er eine Position gefunden, die es ihm erlaubte, direkt in die Gasse hinter dem Klub Pyatnitsa, der zwei Straßen entfernt lag, einzusehen. Zufrieden lächelte er, als er sah, wie sich die Hintertür des Klubs zunächst einen Spalt breit und danach weit öffnete, um den Blick auf Nazarov freizugeben, der umgehend auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse hinter einer anderen Tür verschwand. Ilya betätigte das Mikrofon seines Funkgerätes.
»Wagen Eins, hier spricht Adlerauge. Hörst du mich? Ende.«
Eine Straße weiter, auf der Wardour Street, reagierte Borgdanov vom Fahrersitz seines eigenen Mietwagens her. »Adlerauge, Wagen Eins hier. Ich höre. Ende.«
»Wagen Eins, Verdächtiger sollte jederzeit in deiner Nähe die Straße betreten. Halte die Augen offen. Ende«, informierte Ilya ihn.
»Adlerauge. Ich habe ihn. Ich wiederhole. Ich habe ihn. Ende.«
»Verstanden, Wagen Eins. Ich verlasse meine Position, um dich zu treffen. Halte mich über deine Position auf dem Laufenden. Ich werde zu euch aufschließen.«
»Verstanden, Adlerauge. Babysitter, hier Wagen Eins. Habt ihr letzte Übertragung verfolgt? Ende.«
Annas Stimme kam durch das Funkgerät. »Wagen Eins. Hier spricht Babysitter. Wir konnten der Kommunikation folgen. Wir bleiben vor Ort und passen auf unsere Freunde auf. Waidmannsheil! Informiert uns bitte, sobald ihr außer Reichweite seid, damit wir uns hier verabschieden und, falls möglich, an der Jagd teilhaben können.«
»Verstanden, Babysitter. Wagen Eins, Ende.«
Berwick Street, Soho
In der Nähe des Klub Pyatnitsa
London, England
Dreißig Minuten später krächzte Annas Funkgerät. »Babysitter, Wagen Eins hier. Ihr hört mich? Ende.«
»Hier spricht Babysitter. Wir hören, Wagen Eins. Ende.«
»Sind weit von eurem Standort entfernt. Subjekt verließ Taxi und betrat Wohngebäude in Chesham Place. Ich denke, ist seine Wohnung. Ende.«
»Verstanden, Wagen Eins. Wir sind auf dem Weg. Babysitter, Ende.« Anna ließ den Motor an.
»Nett. Die Belgrave Square-Gegend«, bemerkte Anna, während sie sich in den Verkehr einfädelte.
»Werden sich die Cops nicht wundern, warum wir hier aufgeben?«, fragte Dugan.
»Unwahrscheinlich. Sie haben nur uns beide gesehen. Sie wissen, dass wir nicht rund um die Uhr hier sein können. Sie werden es sicher unserem Mangel an Ressourcen zuschreiben und sich denken, wir verlassen uns auf sie. Schließlich ist ihnen bewusst, dass die Hälfte des Teams aus Amateuren besteht.« Anna lächelte. »Winke ihnen beim Vorbeifahren freundlich zu. Das wird den Eindruck nur noch verstärken.«