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Im Innern des ‚Trainingslagers‘

516 Copeland Road

Southwark, London, England

STILL VERHARRTE ARSOV ZWISCHEN den in den Käfigen eingesperrten Huren entlang der Nordseite des Warenhauses. Seine Taschenlampe beleuchtete den Sicherungskasten. Bewusst vermied er den Blick auf die Tür an der Ostseite des Gebäudes, die gut fünfzig Meter von ihm entfernt lag. Schließlich wurde seine Geduld von einer Explosion belohnt, die Bruchstücke des Mauerwerks durch die dunkle Lagerhalle schleuderte und sie wie Hagel auf den Boden einschlagen ließ. Er lächelte, als die Huren um ihn herum in hysterisches Gekreische ausbrachen. Daran hatte er gar nicht gedacht – welch wunderbarer Hintergrund zu der Verwirrung, die er anrichten wollte.

In Erwartung von dem, was kommen würde, klemmte er sich die Taschenlampe zwischen die Zähne, presste die Handflächen über die Ohren und drehte sich mit fest geschlossenen Augen zur Wand hin. Sein Rücken war dem Inneren des Warenhauses zugewandt. Kurz danach spürte er die Erschütterung zweier Blendgranaten. Er hielt seine bisherige Stellung noch einige Sekunden, um sicher zu gehen, dass den beiden vorangegangenen nicht noch eine dritte Explosion folgte. Nachdem er endlich die Hände von den Ohren nahm, klang das frenetische Heulen der Huren nur noch lauter. Ausgezeichnet! Die Cops sollten sich nun zeigen … jeden Moment! Er richtete die Taschenlampe auf den Sicherungskasten und legte den Schutzschalter um.

Das Innere des Warenhauses wurde in Licht gebadet. Die schwarzgekleideten Beamten standen geblendet da - wie gelähmt, da ihre Nachtsichtbrillen das Licht so verstärkten, als ob die Sonne selbst in ihren Gesichtern detoniert wäre. Arsov nickte zufrieden, als Yuri die Unterkörper der drei Cops, die von der Empfangshalle her eingedrungen waren, mit Kugeln dekorierte und sie wie ein Mann zusammenbrachen. Dann wurde Yuris Feuer allerdings von jemandem aus dem Bereich des Büros erwidert – das musste die MI5-Zicke sein. Arsov sah sich veranlasst, Anatoli beifällig zuzunicken, als dieser den Bürobereich auf voller Automatik unter einem Kugelhagel begrub, der dazu gedacht war, den unsichtbaren Feind auszuschalten.

Arsov drehte sich zu zur Hintertür um, um Anatolis vorherige Arbeit zu würdigen. Dort wurde er allerdings enttäuscht. Er hatte offenbar nicht so genau wie Yuri zugehört. Zwei der Polizisten lagen auf dem Boden. Der Dritte musste den Großteil der Kugeln mit seiner Weste abgefangen haben. Schwerfällig hinkend stolperte er auf das Loch in der Wand zu, in dem sich die Tür befunden hatte. Arsov brachte seine Kedr in Anschlag und zielte sorgfältig. Er drückte ab und freute sich daran, wie der Kopf des lahmen Beamten explodierte und die Mauersteine mit breiten Streifen von Blut und Hirnmasse überzog.

Im nächsten Moment bewährte sich Anatoli wieder, in dem er die beiden angeschossenen Cops tötete. Damit konnte Arsov sich wieder Yuris Fortschritten zuwenden. Nicht einen Augenblick zu früh. Yuri hatte die Frau immer noch nicht unter Kontrolle und schien nicht zu bemerken, dass einer der am Boden liegenden Verwundeten die Hand an seinem Schultermikrofon hatte, um einen Hilferuf abzusenden. Arsov fluchte verhalten. Er konnte keine zusätzlichen Cops gebrauchen, die hier einfielen, bevor er sich aus dem Staub gemacht hatte. Er hob die Waffe und zielte auf den sich verzweifelt bemühenden Beamten.

* * *

Blendend helles Licht reflektierte in McKinnons Augen und setzte ihn außer Gefecht. Hinterhalt, dachte er, gerade als ihn drei Hammerschläge am Oberschenkel trafen und ihm die Kraft seiner Beine nahmen. Mit dem Gesicht zuerst stürzte er auf den Zementboden, der ihm die nutzlose Nachtsichtbrille so tief ins Gesicht presste, dass sich auf seiner Stirn eine Platzwunde öffnete. Eine Sekunde lang lag er wie betäubt da. Wiederholt blinzelte er hinter der nun wertlosen Brille, während Feuchtigkeit in seine Augen drang und sich die Luft um seinen Kopf herum mit dem Wirrwarr von verängstigtem Schreien und vollautomatischem Maschinengewehrfeuer füllte.

Langsam und unter großer Anstrengung schob er sich die beschädigte Nachtsichtbrille von den Augen. Sehen konnte er aber immer noch nichts. Blind drehte er den Kopf und zwang seine Hand an das Schultermikrofon heran. Zentimeter für Zentimeter kam sie näher, beinahe so, als ob sie nicht Teil seines Armes sei.

»Alle Einheiten … nahe … nahe … 516 Cope … land … Road. Verletz… Verletzte Beamte … Hinterhalt … Automat…«

* * *

Blut, das aus dem Hinterkopf des Cops sprühte, besudelte die zerfetzte Wand des Bürobereichs. Sein zerstörtes Gesicht rollte zur Seite, weg von seinem Schultermikrofon. Alles so gut wie erledigt. Arsov war zufrieden. Überrascht fuhr er zusammen, als unerwartet eine Kugel an der Wand neben ihm abprallte und in die Masse der eingesperrten Huren hineinflog, was noch größeres Geschrei und Hysterie auslöste. Einem der beiden von Yuri verwundeten Cops war es gelungen, seine Nachtsichtbrille abzuziehen. Offenbar war seine Sicht soweit wieder hergestellt, dass er das Feuer erwidern konnte. Sein Kollege versuchte es ihm nachzutun.

Das konnte er natürlich nicht dulden. Arsov griff hinter sich und legte den Schutzschalter ein zweites Mal um. Das Warenhaus lag in absoluter Dunkelheit, als er seine eigene Nachtsichtbrille überzog.

»Feuer einstellen«, rief er laut genug auf Russisch, um über das elende Gekreische gehört zu werden, gerade als Yuri ein neues Magazin einlegte. Es wäre nicht hilfreich, wenn einer dieser Idioten ihn versehentlich erschießen würde.

Quer durch die Halle rannte er auf die beiden verwundeten Beamten zu, die sich mit ihren Nachtsichtbrillen abmühten. Bevor sie zu einem weiteren Schuss ansetzen konnten, hatte Arsov sie bereits getötet. Ohne innezuhalten rannte er durch die Dunkelheit an den Sicherungskasten zurück. Bevor er das Licht wieder anschaltete, zog er sich die Nachtsichtbrille vom Gesicht. Er sah auf die Uhr – weniger als zwei Minuten waren vergangen, seit die Cops die Hintertür gesprengt hatten. Dennoch, er musste sich beeilen.

»Anatoli! Komm her und hilf uns, die Frau zu beseitigen. Beeile dich!«

Sekunden später standen die Russen, ausgestattet mit frischen Magazinen, vor dem Bürobereich. Arsov warf einen Blick auf die Käfige hinüber, in denen die Huren sich nun in absoluter Stille duckten, so als ob sie Angst hätten, Aufmerksamkeit zu erregen.

»Ich denke, ich habe sie wenigstens einmal erwischt, bevor du die Cops fertiggemacht hast«, sagte Yuri, als Arsov ihn ansah. »Ich habe sie schreien gehört. Rechts von der Tür.«

Arsov nickte. »Zielt niedrig. Sie wird auf dem Boden liegen.«

Gemeinsam durchlöcherten die drei Männer den Fuß der Wand rechts von der Tür mit automatischem Waffenfeuer.

* * *

Anna presste sich so flach wie möglich auf den Boden und sah ihre nutzlose Glock an. Sie hatte keine Munition mehr, und die Wände um sie herum lösten sich zunehmend im Nichts auf. Licht begann durch die immer größer werdenden Löcher einzudringen. Die bisherige Dunkelheit wurde durch einen dumpfen Schein erhellt. Bald würde sie ihre gegenwärtige Unsichtbarkeit verlieren. Eine Schussverletzung hatte sie glücklicherweise nicht erlitten, aber der unablässige Beschuss hatte die Bürowände in Granatsplitter verwandelt. Anna blutete aus einem halben Dutzend Wunden, als sich spitze Bruchstücke der Wand in das Fleisch ihrer ungeschützten Gliedmaßen gebohrt hatten. Gerade war es ihr gelungen, Dugans vorprogrammierte Nummer auf ihrem Handy anzuwählen, bevor ein weiterer Kugelhagel den billigen Fußbodenbelag vor ihr zerfetzte. Die Kugeln prallten von dem darunterliegenden Boden ab und rissen ihr das Handy aus der Hand, das zusammen mit der Spitze ihres rechten Zeigefingers davonflog.

»Scheiße!«, entfuhr es Anna, bevor sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Schleunigst rutschte sie nach links unter einen alten Schreibtisch aus Metall - rechtzeitig genug, um einem neuen Kugelhagel zu entgehen, der genau dort einschlug, wo sie sich eben noch aufgehalten hatte. Sie war unbewaffnet und hilflos, offensichtlich die einzige Überlebende. Sie überlegte sich, ob sie aufgeben sollte, als links neben den Überresten der Tür weitere Schüsse ertönten. Ihre Hoffnung stieg. Es gab andere, die weiter kämpften! Dann fiel das Licht erneut aus. Jemand schrie etwas auf Russisch. Annas geringer Hoffnungsschimmer starb mit den Beamten, die das eben vernommene Feuer unbeantwortet lassen mussten. Sie waren hingerichtet worden. Diese Hunde würden ihr Aufgeben nie akzeptieren.

Innerhalb kürzester Zeit ging die Beleuchtung wieder an. Mehrere Rufe auf Russisch führten zu einem erneuten Angriff auf Anna, der an Intensität zunahm. Die Munition prallte nun insgesamt in einem tiefen Winkel vom Boden ab und kam ihr immer näher. Schnell wechselte sie die Position, wandte den Schützen ihren Rücken zu und rollte sich mit eingezogenem Kopf zusammen, um ihnen so wenig wie möglich ungeschützte Fläche zu bieten. Anna stöhnte auf, als mehrere Runden vom Boden hoch katapultierten und auf ihren von der Weste geschützten Rücken trafen. Ihr stockte der Atem. Dann spürte sie einen Einschuss, der ihrer linken Hüfte einen beißenden Schmerz zufügte. Etwas Warmes und Nasses floss ihr am Bein hinunter. Zunächst dachte sie, ihre Blase hätte sich entleert, bis sie den kupfernen Geruch von frischem Blut roch und ihr klar wurde, dass sie schwer verletzt war.

Plötzlich fühlte sie sich unglaublich müde. So müde. Wie schön wäre es doch, etwas zu Ruhen. Wenn die da draußen nur nicht so viel Lärm veranstalten würden. Sie schloss die Augen und war halb bewusstlos, als etwas mit einem enormen Schlag auf dem Schreibtisch über ihr einschlug. Schreckliche Krachmacher, dachte sie erneut, bevor sie der Realität entglitt.

* * *

Arsov sah, wie die zerstörten Wände des Büros einstürzten und die abgehängte Rigipsdecke in einer riesigen Wolke von Staub in das ruinierte Büro krachte.

»Feuer einstellen«, kommandierte er und steuerte auf den Bauschutt zu.

»Sollen wir sie ausgraben, um sicherzugehen, dass sie tot ist, Boss?«, schlug Yuri vor.

Arsov entdeckte einen sich ausdehnenden Blutfleck, der sich mit dem weißen Trockenbaustaub zu einem zähen, rosafarbenen Gemisch verband.

Er schüttelte den Kopf. »Keine Zeit. Seht euch das Blut an. Entweder ist sie bereits tot oder es wird nicht mehr lange dauern. Falls sie mit dem Eintreffen der Verstärkung noch am Leben sein sollte, werden sie Zeit auf einen Rettungsversuch verschwenden – gut für uns.«

»Dann verschwinden wir?«

Arsov nickte. »Schnappt euch eure Sachen und nichts wie weg hier.«

Sobald Anatoli und Yuri auf dem Weg nach draußen an ihm vorbei waren, schoss er beide in den Rücken. Nur für den Fall, dass er tatsächlich gefasst werden sollte, musste er doch jemanden des Mordes an all diesen unschuldigen Beamten bezichtigen können, nicht wahr? Gerade als er sich selbst zu seiner Cleverness gratulieren wollte, bemerkte er, dass die Huren ihn durch die Stäbe der Käfige hindurch anstarrten.

»Verflucht!« Er war so daran gewöhnt, sie als Mobiliar zu betrachten, dass er vollkommen übersehen hatte, sie als mögliche Zeuginnen zu sehen. Erneut sah er auf seine Uhr – fünf Minuten seit dem Beginn des Angriffs. Es kam ihm wie eine Stunde vor. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob der Cop seinen Hilferuf rechtzeitig hatte absenden können. Aber das musste er unterstellen. Zunächst also das Allerwichtigste – er brauchte einen fahrbaren Untersatz.

Als Erstes durchsuchte Arsov den Cop, der den Hilferuf versucht hatte. Er hatte Glück. Aus der Hosentasche des Mannes zog er einen Schlüsselbund, an dem ein elektronischer Schlüsselanhänger hing. Nachdem er an der Hose des Mannes sorgfältig das Blut vom Schlüsselbund abgewischt hatte, sah er über die Reste des ehemaligen Büros hinaus. Die eingestürzte Wand hatte den Blick auf einen Teil der Glaswand in der Empfangshalle freigegeben. Eilends durchquerte Arsov den Empfangsbereich. Vor der Scheibe drückte er auf den Schlüsselanhänger und wurde mit blinkenden Lichtern auf der Copeland Road belohnt. Er lächelte. Jetzt nur noch Großreinemachen und dann nichts wie weg.

Er legte ein frisches Magazin in seine Kedr ein und steuerte zielbewusst auf die Käfige zu.

Peckham Road und Talfourd Road

London, England

Zusammen mit den anderen verharrte Dugan in gespannter Erwartung, nachdem sie McKinnons Befehl, die Warenhaustür zu sprengen und die Blendgranaten einzusetzen, vernommen hatten. Dann kam der Befehl, das Warenhaus zu stürmen, gefolgt von … nichts.

Er sah Borgdanov an. »Sollten wir nicht hören wie …«

Dugans Telefon klingelte. Er fischte es aus der Tasche und sah auf die Anrufererkennung, bevor er sich meldete. »Ja, Anna?«

»Anna, bis du da?«, fragte er erneut, während Borgdanov ihn mit erstauntem Gesichtsausdruck ansah.

Dugan beendete den Anruf und starrte auf das Telefon in seiner Hand.

»Was ist, Dyed

»Ein Anruf von Anna«, erwiderte Dugan. »Ich bezweifle, dass sie mich während eines Einsatzes anrufen würde, insbesondere, da wir nicht über ihn informiert sein sollten. Vielleicht hat sie versehentlich auf den falschen Knopf gedrückt?« Er sah Borgdanov an. »Denkst du, ich sollte versuchen, sie zurückzurufen?«

Borgdanov zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht, Dyed. Vielleicht ist, wie du sagst, ein Fehl…«

Der Scanner krächzte. »Alle Einheiten … nahe … nahe … 516 Cope … land … Road. Verletz… Verletzte Beamte … Hinterhalt … Automat… «

Dugans Herzschlag stoppte.

»Los, Dyed!«, schrie Borgdanov. Aber Dugan hatte den Wagen bereits gestartet. Mit quietschenden Reifen rasten sie um die Ecke in die Peckham Road hinein.