Schwere Gespräche


Wolf war sofort zu Moni gegangen, als er an diesem Abend nach Hause kam und hatte trotzdem ein schlechtes Gewissen. Zum einen, weil er sie stundenlang mit ihren Gedanken hatte allein lassen müssen, zum anderen, weil er Susanna noch nicht angerufen hatte, obwohl es verabredet worden war. Das lag ihm auf der Seele.

Die Lady bellte kurz, als er klingelte und Wolf war froh, dass sie sie mitgenommen hatte. Ein Hund vermittelte einem Schutz und man war nicht so ganz einsam. Moni öffnete ihm. Sie war immer noch blass und fahl und ging ohne ein weiteres Wort ins Wohnzimmer. Das war sonst gar nicht ihre Art.

„Möchtest du mit mir darüber sprechen?“, fragte er sie behutsam, als er sich auf dem Sofa neben sie gesetzt hatte.

Sie schüttelte den Kopf und schmiegte sich an seine Schulter. „Ich versuche, die Bilder aus dem Kopf zu kriegen.“

„Das dauert bestimmt einige Zeit“, sagte er bekümmert. „Ich hätte dir das gerne erspart.“

„Ich mir auch! Ich bezweifele, dass ich das jemals vergessen kann.“ Sie erschrak, weil ihr plötzlich wieder etwas einfiel. „Oh je, vergessen habe ich etwas ganz anderes. In der Burghofklinik wollte ich anrufen und mit Isabella sprechen.“ Sie wirkte verzweifelt.

„Mir geht es ähnlich“, antwortete Wolf und streichelte Monis Haar. „Niklas‘ Mutter hatte mich gebeten, heute Abend mit ihr Kontakt aufzunehmen. Es ist doch noch nicht so spät. Was hältst du davon, wenn wir jetzt beide unserer Pflicht nachkommen und dann den Abend in Ruhe genießen?“

„Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin, jetzt mit ihr zu sprechen“, wandte Moni ein.

„Glaub’ mir, es geht dir dann besser“, versicherte Wolf. „Ich nehme schon mal die Lady mit und mache uns etwas Schönes zu essen. Schwierige Gespräche kann ich beim Werkeln in der Küche am besten führen. Du kommst dann einfach nach, wenn du so weit bist. Einverstanden?“

„Ja, ist gut“, sagte sie und seufzte leise. Was war dieser scheußliche Anblick schon gegen das, was Isabella hatte durchmachen müssen? Mit einem Mal kam sie sich egoistisch vor.

Wolf stand auf, als er sah, dass Moni in Gedanken versunken war. Er lächelte ihr noch einmal zu, winkte an der Haustür und rief „Bis gleich!“. Dann war sie ganz allein.

Die Einsamkeit erfasste sie mit einer solchen Heftigkeit, dass sie tief Luftholen musste. Sie vermisste Wolf mit einem Mal so sehr. Es tat beinahe weh. Ja, sie war im Moment nicht die Nervenstärkste. Die Sorge um die Menschen, die sie liebte, fraß sie innerlich auf. Es war schlimm zu sehen, wie Bruni nach ihrer Kopf-OP das Gehen schwerfiel. In Kürze würde sie durch die Chemotherapie ihre Haare verlieren. Was sagt man einer Freundin nur, die man begleitet, wenn sie sich eine Perücke kauft? Alles klang gespielt und falsch. Es war nicht wie bei einem Kleidungsstück oder einer Brille. Dinge, die man sich kaufte, um sich zu gefallen, egal, ob sie notwendig waren oder nicht. Eine Perücke bei Krebs war wie ein Pflaster auf einer imaginären Wunde. Schön oder nicht schön war absolut zweitrangig. Es ging mehr darum, einen Makel unauffällig zu verdecken. Moni hatte selbst einmal in der Angst gelebt, an Brustkrebs erkrankt zu sein. Das hatte sich glücklicherweise nicht bestätigt. Sie erahnte die Heftigkeit der inneren Stürme, die in Bruni tobten, aber sie hatte keine Erfahrung darin, die Freundin einer Todgeweihten zu sein. Der Abschied war nur eine Frage der Zeit, denn der bösartige Tumor hatte nicht komplett entfernt werden können. An Isabella nagten andere Geschwüre, die sich in ihrer Seele festgefressen hatten. Hier konnte die Zeit vielleicht Linderung bringen, wenn sie auch vermutete, dass man Gewalt in der Form, wie man sie ihr angetan hatte, kaum jemals verarbeiten konnte. Vom Vergessen ganz zu schweigen. Aber sie musste wissen, dass sie einen Rückhalt in der Familie hatte, auch wenn diese Familie nur noch aus ihnen beiden bestand. Moni schämte sich jetzt, dass sie ihr Telefonversprechen um fünfzehn Uhr nicht eingehalten hatte und wählte die Nummer der Burghofklinik. Sie hatte Glück. Eine Betreuerin holte Isabella an den Apparat.

„Hallo Tante Moni, alles gut bei dir?“, fragte sie. „Ich habe den ganzen Nachmittag in Reichweite des Telefons gewartet, aber ich hatte ja eh nichts anderes zu tun.“

Moni versuchte herauszuhören, ob ein unterschwelliger Vorwurf in ihren Worten mitschwang und überlegte fieberhaft, was sie ihr erzählen sollte. Keinesfalls was sie erlebt hatte, aber was dann?

„Ein bisschen Magen-Darm“, flunkerte sie und hoffte auf Vergebung für ihre Notlüge, „aber jetzt ist alles wieder im Lot. Entschuldige bitte.“

„Ist doch kein Problem“, beruhigte Isabella sie.

„Und dir? Wie geht es dir? Fühlst du dich besser?“, wollte Moni wissen.

„Keine Ahnung. Hier läuft alles ganz gut, aber wenn ich erst wieder allein klarkommen muss ...“, sagte Isabella nachdenklich.

„Musst du doch gar nicht! Du kannst gerne noch bei mir wohnen bleiben“, schlug Moni vor. „Das Haus ist wirklich groß genug.“

„Danke“, gab sie zurück, „das ist total lieb von dir und ich weiß es auch zu schätzen, aber ich war immer ziemlich selbstständig. Ich möchte wieder leben. Verstehst du? Selbstbestimmt und frei.“

„Ja klar. Ich dachte auch nur. Wenigstens für denÜbergang könntest du vielleicht noch etwas Unterstützung brauchen. Weißt du denn schon, was du in Zukunft machen möchtest?“

„Auf keinen Fall will ich in mein altes Leben zurück. Zu viel Blut, zu viel Leid, zu viel Erinnerung“, sagte Isabella mit Nachdruck. „Also geht es auch nicht nach Esens zurück. Eine andere wird sich bestimmt freuen, wenn sie meine Praxis übernehmen kann. Ich habe aber eine Idee, die ich gerne mit dir besprechen würde.“

„Hier am Telefon, oder möchtest du damit lieber warten?“, fragte Moni.

„Ist doch kein Geheimnis“, schmunzelte Isabella insgeheim. „Es geht um das Erbe meiner Mutter. Ich glaube, ich gehe nach Teneriffa und führe ihre esoterische Einrichtung weiter. Ein radikaler Schnitt, ich weiß. Aber ich denke, ich sollte woanders ganz neu anfangen.“

Moni hatte es ein bisschen die Sprache verschlagen. Darauf wäre sie im Traum nicht gekommen. Nicht nach der nahen Vergangenheit.

„Denk mal drüber nach, Tante Moni“, sagte Isabella in ihre Gedanken hinein.

„Könntest du deine Freundin Vicky nicht auch dafür gewinnen?“ Moni fand ihren spontanen Einfall klasse und ihre Nichte wäre nicht allein. „Sie hat doch einen Hang zur Esoterik.“

Isabella stutzte. „Äh, nein. Das ist keine gute Idee. Sie will nichts mehr mit mir zu tun haben, seit ich aus Esens weg bin.“

„Schade“, sagte Moni, „ich dachte, ihr hättet euch so gut verstanden, aber ich habe mich auch schon gewundert, dass sie sich nie gemeldet hat. Dafür hat Dr. Pettenkofer angerufen und sich nach dir erkundigt. Den hat das damals ganz schön mitgenommen.“

Isabella blieb still.

„Du“, nahm Moni den Faden wieder auf, „ich schlage dir vor, dass du nach der Entlassung erst mal zu mir kommst, dann planst du alles ganz in Ruhe. Weißt du schon, wann das sein wird?“

„In ein paar Wochen, schätze ich. Ich sage dir dann rechtzeitig Bescheid.“

„Gut, ich helfe dir am Anfang gerne, wo ich kann ...“, sie machte eine Pause, „... wenn du möchtest. Soll ich dich denn vorher noch mal besuchen kommen?“

„Nein danke, du musst nicht extra nach Aerzen fahren. Ich komme hier gut klar. Aber dein Angebot, mich anfangs zu unterstützen, finde ich ganz toll. Wollen wir in einer Woche wieder telefonieren?“, fragte Isabella.

„Ja, das machen wir“, antwortete Moni, legte auf und nahm sich vor, in Isabellas Zimmer nach Vickys Briefen zu suchen. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren. Die beiden waren wie Zwillingsschwestern gewesen, hatte ihr Isabella einmal gesagt.

Moni war froh, dass das Gespräch besser verlaufen war, als sie befürchtet hatte. In der Vergangenheit war das nicht immer so gewesen. Lange schweigsame Passagen hatten sich an das gereiht, was Moni zu ihrer Nichte gesagt hatte. Es schien wirklich bergauf zu gehen, vor allem, weil sie jetzt Pläne zu schmieden schien.

Während Moni eine Flasche El Coto aus dem Keller holte, telefonierte Wolf mit Susanna. Es war ein komisches Gespräch. Wie tauschte man sich mit jemandem aus, den man vor über zwanzig Jahren zuletzt gesehen hatte? Eine Frau, in die man verliebt gewesen war und die einen plötzlich ohne ein Wort verlassen hatte. Er hätte ihr gerne das eine und andere gesagt, damals schon. Heute hatte er noch mehr anzuführen. Ein gemeinsamer Sohn war ihm plötzlich mehr oder weniger zufällig präsentiert worden. Hinterrücks eingeschleust über die Staatsanwaltschaft, damit er sich um ihn kümmern sollte. Ob sie jemals vorgehabt hatte, es ihm auch direkt zu sagen, dass Niklas ihrer beider Sohn war? Was musste das für das Kind bedeutet haben, nie zu wissen, wer sein Vater ist? Wut stieg wieder in ihm auf. Was für eine egoistische, ignorante Ziege! Staatsanwältin war sie geworden. Klar, das war natürlich etwas anderes als nur Kriminalbeamter. Ob sie auch eine gute Mutter gewesen war, das mochte er bezweifeln. Als er sie anrief, hatte er sich richtig in seinen Groll hineingesteigert und war auch bereit, einiges an Dampf abzulassen.

Sie hatte es verdient, fand er, aber sie ließ ihm keine Chance.

„Spar’ dir deine Beschimpfungen“, sagte sie nach der Begrüßung, „ich kann mir meinen Teil denken.“

Er holte tief Luft.

„Ich komme gleich zur Sache“, sprach sie weiter, bevor er einen Ton sagen konnte. „Mir bleiben nur noch Wochen oder Tage. Ich habe Krebs im Endstadium. Bitte kein Mitleid. Ich habe Karin, also Dr. Kukla, meine Studienkollegin, gebeten, dass sie Niklas in deiner Abteilung unterbringt, wenigstens übergangsweise. Mir war es wichtig, dass ihr euch neutral kennenlernt. Jetzt weißt du zwar durch Dritte wegen des DNA-Abgleichs Bescheid, aber das konnte ich nicht voraussehen, und es erspart mir lange Erklärungen.“

„Kann ich jetzt auch mal was sagen ...?“, begann Wolf.

„Nein! Hör mir erst bis zu Ende zu. Es ist damals meine Entscheidung gewesen, dich in Unkenntnis zu lassen und später Niklas auch. Ich wollte uns ersparen, eine Ehe oder feste Beziehung nur wegen des Kindes einzugehen. Das wäre eh schiefgegangen. Es hat schon zu allen Zeiten Mütter gegeben, die ihren Nachwuchs selbst großgezogen haben. Ich tauge nicht als Partnerin. Wahrscheinlich war oder bin ich auch eine schlechte Mutter, aber meine Eltern, die sich meist um ihn gekümmert haben, haben sicherlich die Lücken füllen können.“

Wolf war perplex, seine Wut war verraucht. Ihm fehlten die Worte.

„Du sagst ja gar nichts ...“, bemerkte sie, „aber egal. Es ist jetzt wie es ist. Ich werde in Kürze sterben, und es wäre mir eine Beruhigung, wenn du ein Auge auf Niklas haben könntest. Er hat dann niemanden mehr – außer dir.“

„Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass es mit uns auch hätte gut gehen können?“, fragte Wolf bedrückt.

„Nein“, sagte sie, „wieso sollte es? Ich bin beziehungsunfähig. Ich kann mich kaum selbst ertragen. Falls du dich erinnerst, haben wir uns damals oft gestritten.“

„Ja und?“, wandte Wolf ein. „Das ist doch normal, wenn man sich zusammenrauft. Weißt du, wie schlimm das damals war, als du so plötzlich weg warst, ohne ein einziges Wort, mündlich oder auf Papier? Nix, einfach gar nichts. Ich hatte keine Chance.“

„Solltest du auch nicht. Ich wollte es nicht, aber ich habe dich nicht vergessen und immer im Blick behalten.“

„Was hast du?“, fragte er entgeistert.

„Jetzt reg’ dich mal nicht auf. Das mit deiner Verlobten hat mir übrigens leidgetan. Immerhin hast du dir andere Frauen gesucht. Ich bin solo geblieben. Auf meine Nachrichten hast du ja nie geantwortet.“

„Welche Nachrichten?“

„Na, mein kleines E-Mail-Spiel. Du hast nie gefragt, wer damit gemeint ist. Ich habe nach einem Weg gesucht, dir eventuell mitzuteilen, dass du einen Nachkommen hast.“

Wolf schluckte. „Die mysteriösen Mails waren von dir?“

„Ja, ich begann damit, nachdem meine Diagnose feststand.“

„Ohne Namen, mit wechselnden IP-Adressen. Ich habe wer weiß was vermutet, aber darauf wäre ich ehrlich gesagt nie gekommen.“

„Konntest du ja auch nicht, weil ich es nicht wollte. Wenn du geantwortet hättest, hätte ich es mir vielleicht irgendwann überlegt, dir reinen Wein einzuschenken. Ich dachte, mir bliebe noch viel Zeit. Jetzt ist sowieso alles egal. Du kannst denken, was du willst. Du kannst mich blöd finden, mich beschimpfen. Mich interessieren nur noch drei Dinge: Erstens, dass ich mir keine Sorgen um euch machen muss, zweitens, dass die Schmerzen erträglich bleiben und drittens einen sanften, schnellen Tod.“

Ihre Stimme schwankte.

„Du machst dir Sorgen um uns? Tut mir leid, jetzt verstehe ich gar nichts mehr“, entfuhr es Wolf, der sich an die letzte dieser Mails erinnerte: Sie lebt noch immer weiter in Sorge um euch.

„Nur, weil ich aus Angst vor Nähe lieber allein bleibe, heißt das nicht automatisch, dass ich keine Gefühle habe“, bemerkte sie spitz. „Vielleicht erfreut es dein männliches Ego zu wissen, dass du der Einzige in meinem Leben warst.“

„Du bist gegangen, obwohl du mich liebtest?“ Wolf war fassungslos.

„Nein, ich bin gegangen, weil ich dich liebte.“

„Das ist zu hoch für mich“, sagte Wolf resigniert, „ich glaube, da werden wir verständnistechnisch nicht auf einen Nenner kommen. Aber ich kann dir versichern, dass ich mich um unseren Sohn kümmern werde. Auf deine anderen beiden Wünsche habe ich keinen Einfluss. Hast du denn jemanden, der ...?“

„Es ist alles geregelt“, unterbrach sie ihn, „ich habe mir, als es mir schlechter ging, eine Wohnung in Jever genommen. Immer von Margens zu fahren, war mir zu anstrengend. Außerdem will ich nicht in dem schönen, alten Haus sterben, das Niklas gehören wird. Er soll nicht immer, wenn er dort ist, daran denken müssen. Wann es so weit ist, werde ich selbst entscheiden, aber der Tag wird nicht mehr fern sein. Niklas wird anschließend sofort davon erfahren.“

Wolf schwieg.

„Wolf? Bist du noch da?“

„Ja, entschuldige bitte“, sagte er. „Manches ist schwer zu verstehen, anderes schwer zu ertragen. Darum fehlen mir die Worte. Ich muss jetzt erst mal nachdenken.“

„Gut, das verstehe ich. Falls wir uns nicht mehr hören sollten, leb‘ wohl und danke für dein Versprechen. Jetzt bin ich etwas ruhiger.“

„Ich nicht“, seufzte er.

„Tut mir leid“, gab sie zurück und legte auf.

Moni hatte sich ins Wohnzimmer zurückgezogen, als sie hörte, dass Wolf noch telefonierte. Seiner Stimmlage nach, war es kein einfaches Gespräch. Gut, dass ihres mit Isabella besser verlaufen war. Ja, es war direkt hoffnungsvoll gewesen, dachte sie, während sie es sich vorsichtig neben den Katern auf der Chaiselongue bequem machte. Die beiden beanspruchten mal wieder fast den gesamten Platz. Moritz zwinkerte nur müde, streckte sich und nahm eine andere Position ein. Sie kraulte ihn und fand sein Schnurren beruhigend. Max bekam von allem überhaupt nichts mit. Dafür zuckten seine Schnurrhaare im Schlaf. Er träumte wohl. Solche unbeschwerten Träume hätte sie auch gerne, aber am liebsten wären ihr Nächte, in denen sie gar nicht aufwachte. Das wünschte sich Moni oft. Damals in der Jugendzeit war es so gewesen, dass man abends ins Bett ging, einschlief und am nächsten Morgen erst mit dem lästigen Weckerklingeln wieder aufwachte. Seinerzeit hatte sie sogar in der siebenminütigen Pause bis zum zweiten Wecken wieder einschlafen können. Heutzutage war sie dankbar, wenn die Nacht wenigstens bis halb vier ging. Anschließend lag sie meist wach und grübelte. Das war eine sehr lästige Alterserscheinung, fand sie. Es hing wohl mit den Wechseljahren zusammen. Wenigstens sagten das die Ärzte. Moni glaubte jedoch, dass es ohnehin der Fluch zu intensiv denkender Menschen war. Sobald sich das Gehirn einschaltete, startete bei ihr die ewige Spirale des Grübelns. Und nach diesem Anblick am Morgen war zu befürchten, dass sie das Gesicht des Toten vor sich sehen würde.

Als Wolf aus der Küche kam, setzte sie sich auf. Er sah grau und fahl aus, sagte aber nichts, als er neben ihr Platz nahm. Sie schwiegen eine ganze Weile und Wolf, in dessen Kopf die Realität mit dem Wahnsinn des Unabänderlichen kämpfte, war dankbar für diese Stille und Nähe. Reden konnte er mit vielen Menschen, schweigen nicht. Dass in dem Nichts keine Einsamkeit entstand, lag an Monis Wärme und dem Erspüren seines inneren Zustandes. Vor ihr war er nackt, ohne sich bloß zu fühlen. Und er wusste, es war immer gut so, wie er war.

Als sie nach einer Weile, von der er nicht wusste, wie lange sie gedauert hatte, ihre Hand auf seine legte, sah er auf und lächelte sie an. „Es tut mir leid, aber mir ist nicht nach Essen zumute.“

„Ich weiß“, sagte sie, stand auf und zog ihn sanft von der Chaiselongue. „Komm!“, flüsterte sie. Dann folgte sie ihm nach oben ins Schlafzimmer. Der gemütliche Raum mit den Dachschrägen und den kleinen Fenstern an der Traufseite war angenehm kühl. Es dauerte nicht lange, bis sie sich aneinander gewärmt hatten und Haut an Haut in Richtung Fenster einschliefen. Ein schmaler Mond sah ihnen dabei zu.