14
Belinda
»Andrew ist tot«, flüsterte Stacey Belinda mit gereizter Stimme ins Ohr.
Belinda versuchte sich umzudrehen, ihre stets so direkte Freundin anzusehen, hatte jedoch Mühe, ihre Lage auf dem Fußboden zu verändern. Sie lag mit gerade ausgestreckten Beinen auf dem Rücken, ein Kissen unter dem Steißbein. Sie fühlte sich wie eine rücklings auf dem Panzer liegende Schildkröte, die sinnlos mit Armen und Beinen in der Luft ruderte.
Die Episode fand in Belindas Geburtsvorbereitungskurs statt, und Stacey hatte angeboten, sie an Andys Stelle zu begleiten. Oder besser gesagt, Stacey hatte sich einfach entschlossen, Belinda zu begleiten. Die Hebamme hatte sie gerade angewiesen, Geburtsstellungen zu simulieren, während die Partner ihnen Mut zusprechen, den Rücken massieren und aufmunternde Worte flüstern sollten. »Gibt’s einen Grund, warum du das ausgerechnet in diesem Moment auf den Plan bringst?« Belinda versuchte, jeden Anflug von Hysterie in der Stimme zu vermeiden. Gelegentlich fiel es ihr schwer, bei Stacey nicht die Beherrschung zu verlieren, und das angstvolle Kreischen einer Frau, die fast doppelt so füllig war wie die übrigen Schwangeren, war nahe daran, die entspannte Atmosphäre zu zerstören, die die Hebamme aufzubauen versuchte.
»Ich spüre doch, dass dir meine Massage nicht angenehm ist, und wollte dich nur daran erinnern, warum du mit mir vorliebnehmen musst. Ist jedenfalls nicht zu ändern«, antwortete Stacey sachlich und fügte dann beleidigt hinzu: »Kann schließlich nichts für meine knochigen Hände. Sind ein Erbstück.«
Du meine Güte! Das kann ein langer Abend werden!
Nach Ende des Kurses, eine Dreiviertelstunde später, beharrte Stacey darauf, Belinda nach Hause zu folgen, um sicher zu sein, dass sie auch unversehrt dort ankam. Nach einer frustrierenden Fahrt, während derer Stacey mit ihrem marineblauen Kleinwagen quasi an der Stoßstange von Belindas Auto klebte, erreichten sie Belindas Apartmenthaus, in das Stacey ihre Freundin stur hineinbegleitete.
»Stacey, es sind noch mindestens drei Wochen bis zum Geburtstermin, vermutlich dauert es sogar länger. Ist also kaum zu erwarten, dass die Wehen bei mir aus heiterem Himmel einsetzen. Es ist wirklich nicht nötig, dass du mir ständig überallhin wie ein Schatten folgst.«
»Dass die Wehen einsetzen könnten, macht mir kaum Sorgen. Aber jetzt, da du es ansprichst, muss ich doch auch darüber mit dir sprechen. Ich arbeite an einem Plan. Er gilt für sämtliche unserer Freunde und soll verhindern, dass du allein bist, wenn es so weit ist.«
»Ach, lass mich doch einfach in Ruhe«, murmelte Belinda kaum hörbar wie zu sich selbst.
»Was hast du gesagt?«, fragte Stacey scharf.
»Nichts, nichts. Über diesen Plan sprechen wir gleich. Was hast du gemeint mit ›die Wehen machen dir keine Sorgen‹? Was macht dir denn dann Sorgen?«
»Deine geistige Gesundheit.«
»Du liebe Zeit! Das möchte ich genauer wissen. Dann kannst du genauso gut auf eine Tasse Tee bleiben, oder?«
Stacey setzte sich auf das Rundumsofa, während Belinda Teewasser aufsetzte und Teebeutel in die Becher hängte.
»Nur damit du es weißt! Ich helfe dir ganz absichtlich nicht beim Teekochen. Es ist sehr wichtig, dass du dich trotz deines Zustandes selbst versorgen kannst. In Zukunft wirst du viel allein erledigen müssen – und das unter wesentlich erschwerten Bedingungen.«
»Stacey, wie, glaubst du, habe ich die vergangenen sieben Monate überstanden?«
»Ist mir ein Rätsel, glaub mir.«
Belinda wunderte sich immer wieder über Stacey. Sie klang gelegentlich wie eine mittelalte Glucke. Als der Tee aufgegossen war und sie beide gemütlich auf der Couch saßen, begann Stacey mit ihrem Vortrag.
»Seit Andys Tod leidest du ganz offenbar unter einer Art Posttraumatischem Stresssyndrom, das sich erst recht manifestiert hat, nachdem du von deiner Zwillingsschwangerschaft erfahren hast. Die Folge waren Halluzinationen, sodass du dich in eine geradezu wahnhafte Fantasiewelt hineingesteigert hast, in der Andy als guter Geist herumspukt, dir Geschenke bringt und dir gewisse hilfreiche Dienste leistet. Ich habe immer wieder versucht, dir das mit vernünftigen Erklärungen auszutreiben. Aber mittlerweile ist ein Punkt erreicht, an dem drastische Maßnahmen nötig sind. Du hast bald zwei Babys zu versorgen, und das geht nur mit Vernunft und Realitätssinn. Auch aus rein rechtlichen Gründen. Als Freundin habe ich für dich am Freitag einen Termin bei einem sehr renommierten und gefragten Psychiater vereinbart.«
Mit Freunden, wie du es bist … Belinda musste unwillkürlich lachen. »Dir ist wirklich nicht zu helfen, was?«
»Wie bitte?«
»Stacey, ist dir gar nicht aufgefallen, dass ich diese Spukgeschichte mit Andy schon seit Wochen nicht mehr erwähnt habe?«
Stacey runzelte nachdenklich die Stirn. »Bist du sicher?«
»Natürlich bin ich sicher. Nach meiner Rückkehr von der Farm vor ein paar Monaten habe ich versucht, die seltsamen Zeichen zu ignorieren. Besonders leicht ist mir das allerdings nach James’ Besuch gefallen. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass er dahintergesteckt hat. Er hat mir die Blumen geschickt und versucht, mir zu helfen. Am Tag, als er mich besucht hat, hat er die Einkäufe aus dem Kofferraum meines Wagens zur Wohnung transportiert – bevor ich überhaupt wusste, dass er da war.«
»Dann … dann bist du drüber weg?«
»Bin ich. Und zwar komplett. Andy spukt nicht … hat nie gespukt. Das war sein Zwillingsbruder.«
Stacey war sichtlich enttäuscht. »Und warum erfahre ich das erst jetzt?«
Belinda rutschte verlegen auf der Couch hin und her. Sie hatte über die Angelegenheit geschwiegen, um vor allem Stacey nicht erklären zu müssen, was zwischen ihr und James beinahe geschehen wäre.
»Keine Ahnung. Vielleicht bist du so auf meinen sogenannten ›posttraumatischen Stress‹ fixiert gewesen, dass dir entgangen ist, wie ich mich verändert habe«, entgegnete Belinda bemüht lässig.
»Möglicherweise ist mein eigenes Leben zu anstrengend, als dass ich mich dauernd um deine Befindlichkeiten kümmern könnte«, konterte Stacey von oben herab. »Du bist nicht der Nabel der Welt, Belinda.«
In Belinda regten sich augenblicklich Schuldgefühle. Und das aus mehr als nur einem Grund. Sie schob jenen Moment mit James weit von sich und versuchte sich auf die Freundin zu konzentrieren. Sie hatte vergessen, dass auch das Leben ihrer Freundinnen weiterging, egal welche einschneidenden Ereignisse sich in Belindas Leben abspielten.
»Entschuldige. Du hast vollkommen recht. Dann reden wir doch zur Abwechslung mal von dir. Was gibt’s Neues? Was ist passiert?«
»Nicht so schnell! James soll es also gewesen sein? Er hat angeblich all die Dinge getan, die du Andy zugeschrieben hattest?«
»Was ist los? Ich dachte, wir reden jetzt von dir. Trotzdem. Die Antwort ist ja. Es war James. Aber kommen wir zu …«
»Nein, nein. Lass mich kurz nachdenken. Was ist mit dem Bus – dem Bus, der deinetwegen umgekehrt ist. Wie hat er das erklärt?«
»Gar nicht. Ich habe ihn nicht gebeten, mir alles haarklein zu erklären. Vielleicht war er zufällig im Bus und hat den Fahrer gebeten umzukehren.«
»Das kaufe ich dir nicht ab. Warum sollte er ausgerechnet diese Buslinie benutzen? Außerdem hättest du ihn doch beim Einsteigen sehen müssen. Und was ist mit der Autobatterie, die plötzlich neben deinem Wagen gestanden hat? Wie konnte er wissen, dass die Batterie in deinem Auto den Geist aufgegeben hatte?«
»Warum versuchst du so beharrlich, mir die Sache mit James auszureden? Sei doch froh, dass es für alles eine Erklärung gibt.«
»Für mich zählt nur eine vernünftige Erklärung. Du solltest James anrufen und die entsprechenden Fragen klären. Finde heraus, wie er das angestellt hat.«
»Oh, nein. Das ist wirklich nicht nötig.« Belinda versuchte, ihre Verlegenheit zu überspielen. Stacey war die Letzte, mit der sie über ihre verwirrenden Gefühle für James sprechen wollte.
Zum Glück war Stacey so sehr mit diesem neuen Mysterium beschäftigt, dass ihr Belindas panischer Blick entging. »Die Meute trifft sich Samstag in einer Woche zum üblichen Gekicke. James ist dabei. Komm doch auch und schau zu. Dann können wir ihn zur Rede stellen.«
»Was soll das heißen, ›zum üblichen Gekicke‹? Seit wann läuft das? Und warum weiß ich nichts davon?«
»Dachte nicht, dass dich das interessiert. Ein paar von den Jungs wollten die Tradition fortsetzen … Ich meine, Andrews Idee … einmal im Monat zusammen Fußball zu spielen … auch nach seinem Tod. Sie hatten vor, dich einzuladen, aber ich habe ihnen gesagt, dass du nicht in der Lage bist, Fußball zu spielen, und sie dich in Ruhe lassen sollen.«
Belinda war perplex. »Ihr habt euch getroffen … einmal im Monat in Erinnerung an meinen Andy, und du hast es nicht für nötig gehalten, mich dazu einzuladen?« Belinda beschlich dasselbe elende Gefühl wie damals in der Schule, wenn ihre Freundinnen sich ohne sie zum Gummitwist getroffen hatten. Das war häufiger vorgekommen. Beim Gummitwist war sie kaum zu schlagen gewesen, und die anderen Mädchen hatten sich immer wieder heimlich in einer abgelegenen Ecke auf dem Schulhof getroffen, damit auch sie eine Gewinnchance hatten. Das verletzende Gefühl, ausgeschlossen zu werden, konnte sehr wehtun.
»Dachte nicht, dass du interessiert bist.« Stacey fehlte offenbar jedes Gespür dafür, wie sehr sie die Freundin verletzt hatte. »Auf alle Fälle hatte ich dadurch die Möglichkeit, sämtliche Freunde in meinen Plan einzubeziehen, ohne dass du dazwischenfunken konntest. Mein Plan jedenfalls sieht vor, dass du von der fünfunddreißigsten Schwangerschaftswoche an – und das ist nächste Woche – nie mehr allein sein sollst. Bei Zwillingen setzen die Wehen erfahrungsgemäß um die siebenunddreißigste Woche oder sogar früher ein. Daher ist es wichtig, dass immer jemand da ist, der dir zur Seite steht, die Klinik anruft, dich zur Entbindungsstation fährt und so weiter. Ich muss zugeben, die anderen haben sich bisher nur zögernd darauf eingelassen. Trotzdem bin ich sicher, dass sie letztendlich mitmachen. Coombes habe ich für die Nachtdienste eingeteilt. Er kennt Schichtarbeit. Jules werde ich für die Mittagszeiten unter der Woche einteilen. Was die Wochenenden betrifft …«
»Raus!«, unterbrach Belinda Staceys Redeschwall.
»Mach dich nicht lächerlich. Wir haben noch eine Menge zu besprechen.«
»Stacey, ich meine es verdammt ernst. Was bildest du dir ein? Mein Leben einfach zu verplanen? Ich will nichts mehr davon hören. Also bitte, geh! Und zwar JETZT!«
»Belinda, dein Ton gefällt mir nicht.«
Belinda dachte daran, wie oft sie die Absicht gehabt hatte, Andys Freunde anzurufen. Immer wieder hatte sie im letzten Augenblick gekniffen und sich gefragt, weshalb sich niemand bei ihr meldete, keiner die Verbindung zu ihr suchte. Währenddessen hatte sich ihre beste Freundin regelmäßig mit dem gesamten Freundeskreis getroffen – ohne sie. Das tat weh. Sie verlor die Beherrschung.
»RAUS MIT DIR! RAUS! RAUS AUS MEINER WOHNUNG, VERDAMMT NOCH MAL!«, schrie sie, schleuderte Kissen nach Stacey, die vor Schreck ihren Teebecher auf den Teppichboden fallen ließ. Die heiße Flüssigkeit breitete sich aus und versickerte im Teppichflor. »Du hast sie ja nicht alle! Ich gehe! Aber nur, damit du dich beruhigst – das bist du deinen ungeborenen Kindern schuldig. Ich hoffe, du weißt das«, erklärte Stacey. Ihr belehrender, herablassender Ton machte Belinda nur noch wütender. »Ich schätze, wir sollten den Termin beim Psychiater lieber nicht absagen«, fügte sie hinzu, als sie zur Tür hinausging. Belinda knallte sie hinter ihr ins Schloss.
Sie benötigte eine gute halbe Stunde, bis sie endlich wieder zur Ruhe fand.
Am darauffolgenden Tag gelang es Belinda kaum, sich bei ihren Schwimmkursen auf den Unterricht zu konzentrieren. Der Streit mit Stacey ging ihr nicht aus dem Kopf. Davon abgesehen waren es die letzten Schwimmstunden, die sie vor ihrem Mutterschaftsurlaub gab. Und das machte alles nur noch schwieriger. Sie tat ihr Bestes, sich die Beurteilungen ihrer Schüler einzuprägen, um ihrem Nachfolger ein korrektes Bild des Leistungsstandes ihrer Gruppe vermitteln zu können. Trotzdem verwechselte sie die Lachlans mit den Joshuas und die Ellas mit den Avas. Doch sie war erfahren genug, um das Programm dennoch reibungslos abzuspulen. Zum Glück leitete sie an diesem Tag den Kurs für Fortgeschrittene, sodass keine Nichtschwimmer darunter waren, auf die man besonders aufpassen musste. Immer wieder wurde sie von den Gedanken an Stacey abgelenkt.
Ungefähr nach der Hälfte der Zeit gewannen die Schüler mit ihrem Können und ihrer Lernbereitschaft allerdings ihre volle Aufmerksamkeit zurück, und sie konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit. Ihre Gruppe der Fünfjährigen machte die ersten Versuche im Schmetterlingsstil.
»Belinda! Schau doch mal! Da drüben! Das ist mein Dad! Siehst du ihn? Neben meiner Mum. Der mit der Krawatte! Mein Dad!« Oliver hatte seine Runde »Schmetterling« hinter sich und gesehen, dass sein Vater den Rest der Stunde anwesend war.
Belinda tat ihr Bestes, seine Begeisterung zu teilen. »Wow, das ist ja großartig, Oliver!«
»Ja, isses. Das ist mein Dad!«
Sie versuchte, beim Anblick seines ernsten Kindergesichts nicht zu lachen, das so viel Stolz auf den Vater ausdrückte. Vielleicht muss ich das Unterrichten doch noch nicht aufgeben, dachte sie wehmütig. Ich könnte noch ein paar Wochen weitermachen.
Eine Stunde später, im anschließenden Kurs, musste sie ihre Meinung revidieren. Es war definitiv Zeit, das Unterrichten aufzugeben. Die Teilnehmer waren drei Brüder im Alter von zehn, acht und sieben Jahren, die ihre Geduld stets auf eine harte Probe gestellt hatten. Bei ihren Freistil-Runden sprangen sie meistens zu dicht nebeneinander vom Beckenrand, sodass mindestens einer der drei von einem Fuß der anderen am Kopf getroffen wurde und laut zu brüllen begann: »Das hat er absichtlich gemacht!«, während der vorausschwimmende Bruder, wütend über die Ungerechtigkeit, schrie: »Er ist mir viel zu nah gekommen!«
»Wirst du’s vermissen?«, erkundigte sich eine andere Schwimmlehrerin bei Belinda auf dem Weg unter die Dusche. Wie durch ein Wunder hatten sich die drei Brüder wieder einmal nicht verletzt und überlegten sich vermutlich bereits, wie sie ihrem neuen Lehreropfer das Leben schwer machen konnten. Einen Moment tauchte vor Belindas geistigem Auge Olivers niedliches Kindergesicht auf. Dann wiederum dachte sie an ihr ständig nach Chlor riechendes Haar, den Sprint im Schwimmanzug an kalten Wintertagen zum Auto, um sich zu Hause zu duschen, und an die anstrengenden Geschwister, die sich gegenseitig mit Kickboards die Köpfe einschlugen. Vermutlich war sie einfach reif für eine Auszeit – mit oder ohne Schwangerschaft.
»Ha!«, antwortete sie. »Schätze, ich kann’s aushalten.«
Dieses Mal musste die Dusche im Schwimmbad genügen, denn sie sollte Jules zwanzig Minuten später vor dem Kino treffen. Sie wollten sich eine Vorstellung in einem Gold Class-Kino gönnen. Jules hatte einige Klausuren bestanden, aber Belinda benötigte keinen bestimmten Grund für eine Vorstellung in der Gold Class – denn sie passte mittlerweile kaum noch bequem in einen normalen Kinositz.
»Kommt Stacey auch?«, erkundigte sich Jules, als Belinda sie atemlos nach dem Dauerlauf vom Parkplatz zum Eingang des Kinos traf.
»Nee. Nur wir beide.«
Jules zuckte gleichgültig mit den Schultern. Sie machte kein Hehl daraus, dass sie Stacey kaum vermisste. Als sie ihre Tickets vorgezeigt hatten und zu ihren Plätzen hasteten, fragte Belinda so beiläufig wie möglich: »Hast du auch an diesen monatlichen Fußballspielen teilgenommen, von denen ich gerade erst erfahren habe?«
»Du meine Güte, ich wusste, dass Stacey das eines Tages um die Ohren fliegen würde. Tut mir leid, dass ich dir nichts davon erzählt habe. Stacey hat behauptet, du seist nicht interessiert. Außerdem würde dich jede Erinnerung an Andy nur unnötig aufregen. Ich hatte zwar den Eindruck, dass sie das über deinen Kopf hinweg entschieden hatte, aber du kennst mich – ich mische mich ungern ein. Und Stacey kann verdammt unangenehm werden.«
Im nächsten Moment hatten sie ihre Plätze gefunden. Die Freude über die gemütlichen, tiefen Polster und Fußstützen lenkte sie kurz vom Thema ab.
»Du liebe Zeit, wie soll man sich danach je wieder an einen normalen Kinositz gewöhnen?«, stöhnte Jules und streckte genüsslich die Beine aus.
»Kann ich irgendwie verstehen«, bemerkte Belinda, als habe sie Jules gar nicht zugehört. »Aber du hättest es mir wenigstens sagen können. Hätte mich gefreut, die anderen wiederzusehen.«
»Belle! Hörst du schlecht? ICH. MISCHE. MICH. NICHT. EIN. Das ist eine Sache zwischen dir und deiner Busenfreundin. Du hechelst doch sonst alles mit Stacey durch. Ich komme immer dann ins Spiel, wenn du wieder in der Lage bist, die Stadt unsicher zu machen und Alkohol zu trinken. Keine Verwechslungen, bitte!« Sie hielt inne und trank einen Schluck Coca-Cola. »Psst. Die Vorschau fängt an.«
Belinda konnte Jules nicht böse sein. Man musste sie nehmen, wie sie war: eine großartige Freundin, wenn man ausgehen und Spaß haben wollte. Keine Freundin für schwierige Situationen und definitiv keine Freundin, die sich in hitzige Auseinandersetzungen einmischte. Belinda fragte sich flüchtig, ob ihre Freundschaft die Geburt der Zwillinge überdauern würde. Sie hatten sich erst vor ein paar Jahren kennengelernt, in ihrem ersten Semester an der Universität von Sydney, wo sie die Abneigung gegen einen besonders gemeinen Tutor geeint hatte. Während Stacey dagegen sehr prüde sein konnte, wenn es um Vergnügungen ging, war sie doch diejenige, auf die man sich in harten Zeiten verlassen konnte, die sich kümmerte – ob man es wollte oder nicht. Außerdem war sie mit Stacey seit Kindheitstagen befreundet. Sie hatten auf der Farm miteinander gespielt, zusammen das Internat besucht, viel gemeinsam erlebt. Ob aus bester Absicht oder nicht, diesmal war Stacey, der Kontrollfreak, zu weit gegangen. Das konnte Belinda ihr nicht so schnell verzeihen.
Der Film entpuppte sich als eine jener Liebeskomödien mit abgedroschenem, vorhersehbarem Plot und mittelmäßigen Gags. Die anspruchslose Machart des Films gab Belinda Gelegenheit, ihre Gedanken schweifen zu lassen. Sie ertappte sich dabei, wie sie über den kleinen Oliver aus ihrem Schwimmkurs nachdachte und darüber, wie stolz er auf seinen Vater war. Falls sie zwei Jungen bekam, würden diese eines Tages auch stolz auf sie sein? »He, schau dort drüben! Das ist unsere Mum!« Oder galten Gesten wie diese nur Männern, weil kleine Jungen in ihrem Vater den großen Helden sahen? Während die Mutter einfach für selbstverständlich genommen wurde?
Na großartig! Jetzt gingen die Gefühle wieder mit ihr durch. In letzter Zeit kam das immer häufiger vor. Jules glaubte bestimmt, der Schmachtfetzen auf der Kinoleinwand hätte sie zu Tränen gerührt. Wie peinlich! Je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger Verständnis brachte sie für den kleinen Oliver auf. Er war gar nicht so niedlich. Sein Verhalten eher ärgerlich. Außerdem hatte er ständig eine Rotznase. Und wenn sie es sich genau überlegte, war das Kind bereits ausgesprochen sexistisch. Ich meine, also wirklich – warum zeigst du nicht auf deine Mutter, Junge? Warum kriegt sie nicht denselben Heiligenschein wie der Vater?
Zwei Wochen später, als es Samstag wurde, war Belinda glücklich, etwas vorzuhaben – auch wenn die Aussicht, Stacey beim Fußballspiel zu treffen, sie nervös machte. Nachdem sie in der vergangenen Woche zu arbeiten aufgehört hatte, waren ihr die Tage doch sehr lange und öde vorgekommen – besonders da sie in der Mitte des Semesters auch ihre Kurse an der Universität nicht mehr wahrnehmen konnte. Keine Vorlesungen, auf die man sich freuen konnte, und das für längere Zeit. Wer wusste schon, wann sie wieder die Zeit hätte, an die Universität zurückzukehren, um ihr letztes Studienfach abzuschließen?
Sie parkte vor dem Sportplatz und schlang sich ein leichtes Halstuch um, als sie aus dem Auto stieg. Es war ein seltsam windiger Nachmittag. Schmetterlinge flatterten in ihrem Magen, und ihr Bauch zuckte unter Trommelwirbeln an Tritten. Sie ging auf die Gruppe von Freunden zu, die sich bereits versammelt hatten, und merkte, dass sie nicht nur wegen Stacey nervös war. Sie hatte seit der Beerdigung keinen von Andys Freunden wiedergesehen – wie würden sie sich ihr gegenüber verhalten? Offensichtlich »überrascht«, wie sich herausstellte.
Ich fasse es nicht! Stacey hat ihnen nicht einmal gesagt, dass ich schwanger bin!
Sie musste das obligatorische Ritual von Phrasen wie: »Ja, es ist großartig, dass ich schwanger bin! Ja, ich bin eine wandelnde Tonne, aber das kommt, weil ich Zwillinge erwarte, und ja, war ein ziemlicher Schock, und natürlich ist Andy der Vater, tut mir leid, dass ich es euch nicht gesagt habe, und natürlich könnt ihr meinen Bauch berühren.« Offen gestanden empfand sie das Ganze als Tortur.
Es stellte sich heraus, dass Stacey gesagt hatte, Belinda sei »in ihrem Zustand« nicht in der Lage, Fußball zu spielen, oder »nicht in der Lage zu spielen«. Und alle hatten angenommen, sie spiele damit auf Belindas Trauer um Andy an. Aus diesem Grund hatte niemand angerufen, wollte keiner sie noch unglücklicher machen. Jules hatte sich in ihrer typischen unparteiischen Art nicht die Mühe gemacht, die Freunde aufzuklären. Belinda kam sich plötzlich sehr dumm vor, keinen angerufen, niemandem die Neuigkeit mitgeteilt oder einfach nur mit ihnen über Andy gesprochen zu haben. Sie hatte verdrängt, dass die Jungs in den letzten Jahren auch ihre guten Freunde geworden waren. Sie hatte ihre Gesellschaft vermisst. Sogar der unverhohlen sexistische und gewöhnungsbedürftige Shanks brachte sie zum Lachen, als er den Arm um ihre Schultern legte und ihr mit seiner Umarmung fast die Luft zum Atmen nahm.
»Also, und wo ist jetzt unsere geschätzte Spielführerin?«, fragte Belinda. Sie war überrascht, Stacey nirgends entdecken zu können. Normalerweise hätte sie längst die Gruppe in Teams aufteilen und den Einzelnen ihre Positionen zuweisen müssen. Sie war sich sicher nicht zu schade, mit bunten Teamabzeichen aufzukreuzen und sie auf eine Aufwärmrunde um den Sportplatz zu schicken.
»Offenbar hat sie heute keine Zeit.« Beim Klang der Stimme erstarrte Belinda. Sie hatte völlig vergessen, dass auch James da sein würde. Immerhin waren die anderen auch seine Freunde. »Wie ich sehe, sind jetzt alle auf dem Laufenden, oder?«, bemerkte er und stellte sich vor Belinda. »Du siehst wirklich gut aus«, erklärte er mit herzlichem Lächeln.
»James, schön, dich zu sehen!« Zu dick aufgetragen, ärgerte sie sich. Benimm dich einfach normal. »Was hast du von Stacey gehört?«, fügte sie hinzu und merkte sofort, wie unnormal sie sich verhielt.
»Sie hat mich angerufen, als ich gerade aus dem Wagen steigen wollte. Hat gefragt, ob du da seist. Weil ich dein Auto gesehen habe, habe ich Ja gesagt. Dann hat sie mich gebeten, euch auszurichten, dass sie heute verhindert ist. Habt ihr beiden euch gestritten, oder was?«
Belinda fühlte, wie sie vor Verlegenheit rot wurde. So wütend sie auf Stacey auch war, sie wollte nicht der Grund sein, weshalb sie nicht erschien. Normalerweise war es nicht ihr Stil, Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Dann fiel ihr wieder ein, dass Stacey der Grund war, weshalb Belinda in den vergangenen Monaten nicht hatte dabei sein können, und die Schuldgefühle waren verflogen.
»Was ist, Leute? Soll’s heute noch was werden mit dem Kicken?«, fragte sie und ließ James’ Frage unbeantwortet.
Sie setzte sich auf den Rasen und sah zu, wie ihre Freunde ausschwärmten, sich in zwei Gruppen teilten und dann mit einem Spiel begannen, das man nur im weitesten Sinne als »Fußball« bezeichnen konnte. Nach wenigen Minuten hatte Jules bereits das erste Tor für ihre Mannschaft geschossen. Während ihre Mitspieler jubelten, wurde Belinda klar, dass ihr gar nicht mehr so fröhlich zumute war. Sie war eher eifersüchtig. Sie hatte das Fußballspielen mit Andy geliebt. Rückblickend war die Zeit, in der das »Gekicke« stattgefunden hatte, viel zu kurz gewesen.
Sie schloss die Augen, ließ sich von den vertrauten Geräuschen mitreißen. Das Quietschen des Balls auf feuchtem Gras. Das Getrappel schneller Schritte und das Rauschen des Windes in den Bäumen am Spielfeldrand. Die lauten, atemlosen Stimmen, das hysterische Gelächter, während die Freunde um den Ball kämpften.
Die Geräuschkulisse führte sie zurück zu einem Tag wenige Wochen vor Andys Tod. Sie hatte beinahe das Gefühl, die Zeit sei damals stehen geblieben. Natürlich war dieser Sommer wärmer, doch auch damals hatte ein heftiger Wind geweht … Ja, ihre Zeitreise funktionierte. Sie erlebte jenen Augenblick, als sie beim Spiel eine Auszeit von wenigen Minuten genommen hatte, während Andy weiter auf dem Rasen geblieben war und mit einer Energie und Leidenschaft den Ball getreten hatte, als ginge es um sein Leben.
Dann ergriff die Erinnerung von ihr Besitz, und sie durchlebte jede Minute mit verblüffender Präzision noch einmal. Bei diesem besonderen Match hatten sie sich zur Abwechslung einmal strenger an die Regeln gehalten, die Tore genau gezählt, sodass die Partie tatsächlich in einen ernsten Wettkampf ausartete. Beim Stand von 3:3 war ihre Mannschaft im Ballbesitz. Sie hatten beschlossen, dass das nächste Tor die Partie beenden sollte, denn alle sehnten sich nach einem kühlen Getränk in ihrer Stammkneipe. Coombes wurde mit dem Ball abgedrängt und schoss einen Pass zu Andy, der sofort auf das Tor zudribbelte. Das restliche Team feuerte ihn mit lauten Rufen an, denn alle gingen davon aus, dass in den nächsten Sekunden das Spiel zu Ende sein würde – Andy war kaum vom Ball zu trennen.
Andy setzte gerade zum Schuss an, als Jules, die Torhüterin der Gegenseite, aus dem Tor und auf ihn zulief. Andy, der damit in eine ungünstige Schussposition geriet, die Hoffnung auf einen für sicher gehaltenen Torschuss aufgeben musste, drehte sich zur Seite und sah Belinda an, die rechts neben ihm aufgelaufen war. Sie war bereit gewesen, ihm den Rücken frei zu halten, hatte jedoch kurz zuvor erkannt, dass das nicht nötig sein würde.
»Belle, das ist deiner!«, hatte er gebrüllt, sich mit einem schnellen Trick den Ball auf den anderen Fuß außer Reichweite von Jules gelegt, einen Pass zu Belinda getreten und sie damit in die perfekte Schussposition gebracht. Sie war davon so überrascht, dass die Ballannahme etwas ungeschickt ausfiel. Das Gras war nach einem kurzen Regenguss am Vormittag noch feucht, und ihre Schuhsohle glitt an dem nassen Ball ab, als sie zum Schuss ansetzte. Ihr Bein flog über dem glitschigen Ball in die Luft, sie verlor die Balance und landete mit einem Plumps auf dem Rasen.
Belinda hob gerade noch rechtzeitig den Kopf, um zu sehen, wie der Ball nach ihrem missglückten Schuss quälend langsam über die Torlinie kullerte, noch bevor Jules ihn erreichen konnte. Als Jules wütend aufschrie, jubelten Andy und Belinda im Chor. Sie hatten nicht nur gewonnen, sondern echtes Teamwork bewiesen, einen weiteren Schritt nach vorn in ihrer Beziehung gemacht. Die Feier später im Pub war der Abschluss eines wunderbaren, aufregenden Nachmittags gewesen. Sie erinnerte sich, auf Andys Schoß gesessen zu haben, während seine Finger spielerisch über ihr Rückgrat geglitten waren und er ihr ins Ohr geflüstert hatte: »Du bist meine Heldin! Meine zauberhafte, tollpatschige Heldin!«
Großer Gott, ich vermisse dich so sehr, Andy.
In diesem Moment überlegte sie, ob Stacey mit ihrem Versuch, sie von alledem fernzuhalten, vielleicht doch nur ihr seelisches Gleichgewicht im Auge gehabt hatte. Schließlich saß sie jetzt am Spielfeldrand und war eifersüchtig auf die anderen, weil sie nicht auf dem Spielfeld stehen und Tore schießen konnte und sie diese brennende Sehnsucht nach Andy, seiner Liebe und seinen Zärtlichkeiten fast umbrachte. War sie wirklich schon bereit für diesen Ort und seine Leute? Je länger sie darüber nachdachte, desto weniger war sie sich ihrer Gefühle sicher. Sie vermisste Andy. Und sie wünschte auch, er wäre hier, an ihrer Seite. Aber da war noch etwas, so etwas wie eine nicht vollständig zu erklärende, wachsende Zufriedenheit. Das Gefühl, sich trotz aller Trauer mit dieser Situation abfinden, über Andys Tod hinwegkommen zu können.
Belinda schlug die Augen auf, sah dem Spiel auf dem Rasen zu und war nicht länger eifersüchtig. Es dauert nicht mehr lange, dann kann auch ich wieder Fußball spielen. Wenn auch nicht mit Andy, dann doch eines Tages mit zwei kleinen Andys. Und so kräftig, wie sie mir gerade in die Nieren treten, können sie keine schlechten Fußballspieler werden.
Sie verbrachte den restlichen Nachmittag damit, die anderen aus ganzem Herzen anzufeuern und zu bejubeln, und genoss es einfach, mit Andys Freunden zusammen zu sein. Es war eine richtig gute Truppe. Später im Pub kreiste die Unterhaltung natürlich um Erinnerungen an Andy.
Es war eine Erleichterung, zu hören und zu erleben, wie seine engsten Freunde so entspannt über ihn sprachen – ganz anders als damals bei der Beerdigung, wo sie nur in bleiche Gesichter mit geröteten Augen gesehen und tränenerstickte Stimmen gehört hatte. Es hatte sie fast erschreckt, diese »toughen« Kerle in dem Zustand zu erleben. Diese Art von Emotionen hatte sie nicht von ihnen erwartet.
Bevor sie die Kneipe verließ, nahm Coombes sie beiseite. »Was ist, kommst du zur Verleihung der GameTech Awards am nächsten Samstag?«, fragte er. Belinda hatte bereits vor einigen Wochen eine Einladung zu der Veranstaltung erhalten, die sie in den letzten beiden Jahren zusammen mit Andy besucht hatte. Und obwohl sie zu schätzen wusste, dass Andys Chef sie auch in diesem Jahr eingeladen hatte, hatte die Vorstellung, sie ohne Andy wahrzunehmen, noch vor Wochen geschmerzt wie eine offene Wunde. Inzwischen war sie gelassener geworden. Trotzdem war die Aussicht, mit Andys Arbeitskollegen zusammenzutreffen und zu hören, wie sie von den Projekten sprachen, an denen er bis zu seinem Tod gearbeitet hatte, ihrem Seelenheil bestimmt nicht zuträglich.
»Ich weiß, dass ihr eine besondere Hommage an Andy plant, aber ich bin nicht sicher, ob ich das ertragen kann. Ob ich komme, hängt davon ab, wie ich mich am Tag der Veranstaltung fühle. Ist das in Ordnung?«, antwortete sie sachlich. Coombes nickte, schien ihre Bedenken zu verstehen.
Davon abgesehen stellte sich in Belindas Leben ganz allmählich eine gewisse Normalität ein. Sie fühlte sich nicht länger von Andys spiritueller »Präsenz« verfolgt, hatte sich mit ihrer Schwangerschaft mehr als abgefunden, fühlte sich wohl im Kreis ihrer Freundinnen und Freunde und war auch in James’ Gegenwart einigermaßen entspannt. Dieses Gefühl einer gewissen Zufriedenheit hielt auch die folgende Woche an. Selbst Doktor Vashna bemerkte die Veränderung.
»Alles in Ordnung, Belinda? Sie sind jetzt in der siebenunddreißigsten Woche schwanger. Mit Zwillingen. An diesem Punkt sind die meisten Frauen der Verzweiflung nahe, würden mich am liebsten überreden, sie durch einen Kaiserschnitt von ihren Babys zu befreien. Aber Sie wirken entspannter als je zuvor während Ihrer Schwangerschaft.«
Belinda lächelte daraufhin nur kryptisch und genoss ihre überlegene Einstellung im Vergleich zu ihren Geschlechtsgenossinnen. Sie hörte kaum noch zu, als Doktor Vashna ihr eindringlich ans Herz legte, sich bei den ersten Anzeichen von Wehen – die von jetzt an täglich einsetzen konnten – sofort in die Klinik zu begeben.
An jenem Abend, als sie das Abendessen zubereitete und ein wenig atemlos zur Musik durch die Küche tanzte, fühlte sie sich pudelwohl. Ein Gefühl, das auch noch anhielt, als sie vor The Amazing Race im Fernsehen einschlief. Bis sie durch das Klingeln des Telefons geweckt wurde.
Einige Minuten später legte sie wieder auf und musste sich an der Küchentheke festhalten, als Schwindel sie erfasste. Das eben geführte Telefongespräch beherrschte ihre Gedanken. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Sie hatte Hitzewallungen, war nervös und unruhig. Hatte das dringende Verlangen nach frischer Herbstluft und einem nächtlichen Spaziergang, um Klarheit in ihre Gedanken zu bringen.
Belinda öffnete die Wohnungstür und erstarrte, als ihr Blick auf einen Gegenstand auf dem Fußboden fiel. Was war das? Ein Schokoladenriegel? Sie bückte sich mühsam, um ihn aufzuheben. Als sie den Aufdruck auf der Verpackung las, kamen die Tränen. Es war ein Cadbury Schokoriegel mit einem leuchtend gelben Streifen quer über der Vorderseite mit der Aufschrift »Neu! Ihr Lieblingssnack!«. Das Bild einer riesigen Ananas auf dem Papier verschwamm vor ihren Augen. Sie öffnete die Packung. Der Inhalt bestand aus zahlreichen Lagen von Ananas-Schokoriegeln – ihre Lieblingsschokolade. Der Abend, an dem Andy um ihre Hand angehalten hatte, tauchte vor ihrem geistigen Auge auf. Sie taumelte zurück in die Wohnung. Ihr Atem ging stoßweise.
»Es ist noch nicht vorbei«, sagte sie sich leise. »Ich habe gewusst, dass du es gewesen bist. Immer nur du, Andy. Du bist wirklich hier bei mir, stimmt’s?«
Als Antwort durchzuckte ein stechender, scharfer Schmerz ihren Leib. Aua! Versuchte Andy mit ihr in Verbindung zu treten? Vielleicht war es als sanfte Umarmung gedacht gewesen, und er hatte es nur etwas übertrieben. Als guter Geist verlor man vielleicht gelegentlich die Kontrolle über sich.
Unsinn, du Dussel!, meldete sich eine ausgesprochen vernünftig klingende Stimme. Überleg doch mal! Erinnere dich an den Geburtsvorbereitungskurs! Ich weiß genau, was das war. Und du weißt es auch. Das war eine Wehe.