… Minus 047 Countdown läuft …
 
In einem Kellerloch entdeckte er einen Haufen weggeworfenen Isoliermaterials und kletterte hinunter, wobei er sich an den hervorstehenden Anschlusseisen festhielt. Er suchte sich einen Stock und stocherte damit in dem Haufen herum, um die Ratten zu vertreiben, doch er wurde nur mit einer aufsteigenden Wolke Fiberglasstaub belohnt, der ihn zum Niesen brachte. Er schrie auf, denn das Niesen schmerzte fürchterlich in der gebrochenen Nase. Keine Ratten. Die Ratten lebten alle in der Stadt. Er stieß ein heiseres, bitteres Lachen aus, das in dem großen, dunklen Raum abgerissen und zersplittert klang.
Dann wickelte er sich in die Streifen des Isolationsmaterials, bis er aussah wie ein menschliches Iglu – aber es war warm. Er lehnte sich an die Kellerwand und döste halb ein.
Als er aufwachte, hing eine schmale Mondsichel, nicht mehr als ein kleiner Streifen Licht, am östlichen Horizont. Er war immer noch allein. Keine Sirenen waren zu hören. Es mochte so gegen drei Uhr nachts sein.
Sein Arm tat weh, aber das Blut war inzwischen geronnen. Er zog ihn sanft aus dem Isoliermaterial und reinigte die Wunde sorgsam von den Glasfiberfusseln. Das Geschoss der Maschinenpistole hatte ihm ein ziemlich großes Stück Fleisch kurz über dem Ellbogen weggerissen. Er konnte von Glück sagen, dass ihm die Kugel nicht den Knochen zertrümmert hatte. Aber sein Knöchel schmerzte umso mehr. Der Fuß selbst fühlte sich seltsam und geisterhaft an, als gehörte er nicht mehr zu ihm. Er vermutete, dass der Knochen eigentlich genagelt werden müsste.
Mit diesen Gedanken schlief er wieder ein.
Als er erwachte, war sein Kopf klarer. Der Mond stand halbhoch am Himmel, aber es gab noch keine Anzeichen der Morgendämmerung. Er hatte etwas vergessen
Es war ein hässlicher Schock, als es ihm einfiel.
Er musste bis zum Mittag zwei Kassetten einwerfen, wenn sie noch rechtzeitig bis zur Sechs-Uhr-dreißig-Sendung im Games Building sein sollten. Das bedeutete Aufbruch, oder das Geld abzuschreiben.
Aber Bradley war auf der Flucht oder schon gefasst.
Und Elton Parrakis hatte ihm die Cleveland-Adresse nicht gegeben.
Und sein Knöchel war gebrochen.
Etwas Großes (ein Reh? Aber waren die im Osten nicht schon ausgerottet?) brach plötzlich rechts von ihm durch das Unterholz. Er zuckte vor Schreck zusammen. Die Isolationsstreifen glitten wie Schlangen von seinem Körper. Er versuchte sie wieder um sich festzuzurren und schnaufte unglücklich durch die verletzte Nase.
Da saß er also, ein Stadtbewohner auf einer verlassenen Baustelle, die von der Natur zurückerobert wurde, mitten im Nirgendwo. Plötzlich erschien ihm die Nacht selbst lebendig und böswillig, furchterregend, voller verrückter Geräusche.
Richards atmete durch den Mund ein und überdachte seine Möglichkeiten und deren Konsequenzen.
1. Nichts tun. Einfach sitzen bleiben und warten, bis die Lage sich wieder beruhigt hatte. Die Folge: Das Geld, das er sich Stunde um Stunde verdiente, würde ab heute Abend sechs Uhr nicht mehr ausgezahlt werden. Er würde umsonst sein Leben aufs Spiel setzen, und die Jagd auf ihn würde trotzdem weitergehen. Selbst wenn er die dreißig Tage schaffte, würde er dafür keinen Cent kriegen. Die Jagd würde weitergehen, bis er auf einer Bahre weggebracht wurde.
2. Die Kassetten nach Boston schicken. Es konnte Bradley oder seiner Familie nicht mehr schaden, denn sie waren ja schon aufgeflogen. Die Konsequenzen: (1) Die Bänder würden mit Sicherheit von den Jägern nach Harding weitergeschickt werden, die mittlerweile Bradleys Post überwachten. Aber sie würden ihn (2) auf diese Weise sofort in jeder Stadt aufstöbern, von der er sie ohne Zwischenadresse aufgab.
3. Die Bänder direkt an das Games Building in Harding schicken. Die Konsequenzen: Die Jagd würde weitergehen, aber er würde vermutlich an jedem Ort erkannt werden, der groß genug war, um einen Briefkasten zu besitzen.
Alles miese Aussichten.
Herzlichen Dank, Mrs. Parrakis. Vielen Dank.
Er stand auf, schüttelte die Isolation ab und warf den nutzlosen Kopfverband oben auf den Haufen. Nach kurzem Überlegen vergrub er ihn unter dem Isoliermaterial.
Er machte sich auf die Suche nach einer Stütze (wobei er sich wieder der Ironie, die Krücken im Wagen vergessen zu haben, bewusst wurde), und als er ein Brett fand, das ihm ungefähr bis unter die Achsel reichte, warf er es auf den oberen Rand des Kellerlochs und begann seinen mühsamen Aufstieg über die Anschlusseisen.
Als er endlich zitternd und schwitzend oben stand, merkte er, dass er seine Hände sehen konnte. Das erste schwache Morgengrau hatte begonnen, die Dunkelheit zu durchdringen. Er sah sich noch einmal sehnsüchtig auf dem Gelände um und dachte: Es wäre so ein gutes Versteck gewesen …
Aber nein. Schließlich war es kein Versteckspiel, sondern eine Jagd. War es nicht das, was die Einschaltquoten hochtrieb?
Ein wallender Bodennebel kroch sturzbachartig durch die kahlen Sträucher und Bäume. Richards blieb einen Moment stehen, um sich zu orientieren, und humpelte dann zum Waldrand, der nördlich an das verfallene Baugelände stieß.
Unterwegs hielt er noch einmal an, um seinen Mantel oben über seine Krücke zu schlagen, dann verschwand er im Gebüsch.
Menschenjagd
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