… Minus 069 Countdown läuft …
 
Riesige rostige Heizungsrohre, über und über mit Spinnweben bedeckt, wanden sich in verrückten Mustern die Decke entlang. Als der Heizofen plötzlich ansprang, hätte er vor Schreck beinahe aufgeschrien. Der Adrenalinstoß sandte Schmerzen durch seine Glieder und sein Herz, einen Moment lang war er geradezu lähmend.
Er sah, dass auch hier alte Zeitungen herumlagen. Tausende. Sie waren mit Schnüren zusammengebunden und an der Wand aufgestapelt. Tausende von Ratten hatten sich ihre Nester darin gebaut. Ganze Familien starrten den Eindringling mit misstrauischen rubinroten Augen an.
Er entfernte sich vom Fahrstuhl, ging über den rissigen Zementboden und blieb nach einer Weile stehen. An einem Pfeiler entdeckte er einen großen Sicherungskasten, und dahinter lagen einige Werkzeuge unordentlich verstreut. Er hob ein Brecheisen auf und ging weiter, den Blick immer auf den Boden gerichtet.
Kurz vor der hinteren Wand entdeckte er zu seiner Linken das Hauptlüftungsrohr. Er ging hin und betrachtete es sich näher, wobei er sich fragte, ob sie wussten, dass er hier unten war.
Der Rohrdeckel bestand aus einem Stahlgitter und hatte einen Durchmesser von etwa neunzig Zentimetern; an der hinteren Seite fand er eine Einkerbung für das Brecheisen. Richards setzte es an, stemmte die Abdeckung hoch und stellte einen Fuß auf das Eisen, um sie zu halten. Dann schob er die Hände unter den Ansatz der Abdeckung und zog sie nach oben. Sie fiel krachend zu Boden, was die Ratten erschrocken aufkreischen ließ.
Das Rohr neigte sich in einem Winkel von fünfundvierzig Grad nach unten, und Richards schätzte, dass der Innenraum nicht mehr als fünfundsiebzig Zentimeter im Durchmesser betragen konnte. Es war drinnen sehr dunkel. Plötzliche Platzangst ließ seinen Mund ganz trocken und filzig werden. Zu eng, um sich darin zu bewegen, fast schon zu eng, um darin zu atmen. Aber es musste sein.
Er drehte den Deckel wieder um und lehnte ihn so gegen das Rohr, dass er ihn, sobald er hineingeklettert war, von unten über die Öffnung ziehen konnte. Dann ging er zum Sicherungskasten zurück, schlug mit dem Brecheisen das Vorhängeschloss herunter und öffnete ihn. Er wollte gerade damit anfangen, Sicherungen herauszunehmen, als er noch eine Idee hatte.
Er tastete sich zu den Zeitungen hinüber, die in vergilbten Stapeln fast die ganze Längsseite der Ostwand bedeckten. Dort kramte er das zerknitterte, eselsohrige Streichholzheft aus seiner Hosentasche, mit dem er sich seine Zigaretten angezündet hatte. Es waren noch drei Streichhölzer übrig. Er riss ein Stück Papier aus einem Packen und formte eine Art Fackel daraus, die er sich wie einen Hut unter den Arm klemmte, während er ein Streichholz anzündete. Die Zugluft blies es sofort wieder aus. Das zweite fiel ihm aus den zitternden Händen und verlosch auf dem feuchten Boden.
Beim dritten klappte es. Er hielt es an seine Fackel, und eine gelbe Flamme züngelte hoch. Eine Ratte, die vielleicht spürte, was auf sie zukam, huschte über seine Füße hinweg und verschwand in der Dunkelheit.
Er hatte das Gefühl sich schrecklich beeilen zu müssen, aber er wartete trotzdem, bis die Flamme hoch am Papier aufloderte. Er hatte keine Streichhölzer mehr. Vorsichtig steckte er die Fackel in einen Spalt in der brusthohen Zeitungswand und wartete. Bis er sah, dass das Feuer sich ausbreitete.
An der angrenzenden Wand stand der große Öltank, der das YMCA-Gebäude versorgte. Vielleicht würde er explodieren. Richards nahm an, dass es dazu kommen würde.
Jetzt trabte er zum Sicherungskasten zurück und begann die langen, zylinderförmigen Sicherungen herauszureißen. Er schaffte die meisten, bevor das Licht im Keller ausging. Dann tastete er sich den Weg zum Belüftungsrohr, unterstützt vom immer heller aufflackernden Feuer des brennenden Papiers.
Er setzte sich auf den Rand, sodass seine Füße im Schacht baumelten, und schob sich langsam hinunter. Als sein Kopf sich unter Fußbodenhöhe befand, stemmte er die Knie gegen die Rohrwand, um sich einen festen Halt zu verschaffen, und zwängte die Arme nach oben über seinen Kopf. Es ging nur langsam. Er hatte fast keinen Platz, um sich zu bewegen. Das Feuer loderte jetzt leuchtend gelb, und das Knistern des brennenden Papiers dröhnte förmlich in seinen Ohren. Dann fanden seine greifenden Finger den Rand des Deckels und er schob ihn nach oben, bis er das Gitter erwischt hatte. Er zerrte ihn langsam nach vorn, bis mehr und mehr Gewicht auf seiner Nacken- und Rückenmuskulatur lag. Als er glaubte, dass die Rillen des Deckels sich genau über dem Rohrrand befanden, gab er einen letzten, kräftigen Ruck.
Der Deckel fiel klappernd an seinen Platz, wobei er Richards’ Handgelenke gewaltsam zurückbog. Richards entspannte die Beine und schoss das Rohr hinunter wie ein Junge auf einer Rutsche. Die Innenwände waren mit Schleim bedeckt, und so rutschte er die vier Meter bis zur Biegung, wo das Lüftungsrohr in eine Gerade überging, mühelos. Seine Füße trafen auf, und er stand da wie ein Betrunkener, der sich an einen Laternenpfahl lehnt.
Er schaffte es nicht in das horizontale Rohr. Das Rohrknie war zu stark gebogen.
Platzangst überkam ihn und nahm ihm den Atem. Ich sitze in der Falle, dachte er gehetzt. Ich stecke fest hier in diesem Rohr, in der Falle, in der Falle -
Ein Verzweiflungsschrei würgte sich nach oben, und er schluckte ihn wieder hinunter.
Ganz ruhig. Klar, das ist abgedroschen, ausgesprochen banal, aber wir müssen hier unten ganz ruhig bleiben. Sehr ruhig. Denn wir sitzen hier am Boden eines Rohres fest und können uns weder nach oben noch nach unten bewegen, und wenn der vermaledeite Tank da oben in die Luft fliegt, werden wir hier unten ganz sauber durchgebraten und -
Er versuchte, sich langsam hin und her zu winden, bis er sich allmählich umdrehen konnte und mit Bauch und Gesicht an der Wand des Rohres lehnte, anstatt mit seinem Rücken. Der Schleimbelag diente ihm dabei als Gleitmittel. Es war jetzt sehr hell im Rohr, und es wurde immer wärmer. Das Gitter des Deckels warf dunkle Gefängniszellenschatten auf sein vor Anstrengung verzerrtes Gesicht.
Jetzt, da er mit dem Brustkorb und Unterleib gegen die Wand lehnte und die Knie in der richtigen Position waren, konnte er ein Stück weiterrutschen. Seine Füße und Unterschenkel glitten in den horizontalen Kanal, bis er in Gebetstellung in der Biegung kniete. Das war immer noch nicht gut. Sein Hintern presste sich gegen die feste Keramikoberfläche der oberen Rohrbiegung.
Er glaubte oben im prasselnden Feuer entfernte Kommandorufe zu hören, aber das konnte auch Einbildung sein. Seinem fiebernden, überanstrengten Verstand konnte er nicht mehr trauen.
Er begann, seine Waden- und Oberschenkelmuskeln in einer ermüdenden Wellenbewegung spielen zu lassen, und nach und nach rutschten seine Knie unter ihm weg. Wieder zwängte er die Arme nach oben, um sich etwas mehr Freiraum zu verschaffen, und nun lag er mit dem Gesicht direkt in dem schmierigen Schleim. Es sah jetzt fast so aus, als würde er hindurchpassen. Er bog seinen Rücken durch, so weit er konnte, und schob sich mit dem Kopf und den Armen nach unten; die einzigen Körperteile, die er noch einsetzen konnte.
Als er dachte, dass gar nichts mehr ginge, dass er einfach unbeweglich dort hängen bleiben würde, ploppten Hüfte und Hintern ganz plötzlich durch die Öffnung des horizontalen Rohrs wie ein Sektkorken aus einem engen Flaschenhals. Er schrammte sich das Kreuz schmerzvoll auf, als die Knie plötzlich unter ihm wegrutschten, und sein Hemd rutschte ihm hoch bis an die Schulterblätter. Dann lag er im Querrohr – bis auf den Kopf und die Arme, die schmerzhaft in einem überdehnten Winkel zurückgebogen waren. Er schlängelte den Rest in das Rohr hinein und ruhte sich einen Augenblick lang keuchend aus. Sein Gesicht war mit Rattendreck und Schleim beschmiert, die blutende, aufgescheuerte Haut auf seinem Rücken schmerzte.
Das Rohr war hier noch enger. Seine Schultern berührten jedes Mal, wenn sein Brustkorb sich hob, die Wände.
Gott sei Dank habe ich Untergewicht.
Keuchend zog er sich in die unbekannte Dunkelheit des Rohrs zurück.
Menschenjagd
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