134 TASIA TAMBLYN
Nach dem überraschenden Angriff der Feuerball-Wesen auf die Hydroger bei Theroc hatten General Lanyan und seine Admirale die Idee, den Versuch zu unternehmen, jene Geschöpfe als Verbündete zu gewinnen. Bei den bisherigen Kämpfen waren die Waffen der Terranischen Verteidigungsflotte gegen die Hydroger kaum wirksam gewesen, doch die »Faeros«, wie die grünen Priester die Fremden nannten, hatten zahlreiche Kugelschiffe zerstört und die Angreifer zurückgetrieben.
Tasia Tamblyn hatte ihr Geschick in extremen Situationen mehrmals unter Beweis gestellt und deshalb wählte Lanyan sie aus: Mit einem Manta sollte sie aufbrechen und die flammenden Entitäten suchen. Tasia hatte den Auftrag gern übernommen, fragte sich aber insgeheim, ob der General sie als Roamerin für entbehrlicher hielt als andere TVF-Angehörige.
Bei der Schlacht von Osquivel hatten viele Soldaten und Offiziere ihr Leben verloren, deshalb war Tasia erneut befördert worden. Sie bekleidete nun den Rang eines Captains. Sechs weitere Mantas standen nun formell unter ihrem Kommando, aber General Lanyan wollte Tasia bei ihrer »diplomatischen« Mission keine weiteren Schiffe mitgeben.
»Wir möchten den fremden Wesen nicht als Drohung erscheinen«, erklärte er. »Wenn wir nur mit einem Schiff zu ihnen kommen, sind sie vielleicht eher bereit, mit Ihnen zu kommunizieren.«
Tasia fand sich damit ab, obwohl die Situation sie an Robb Brindle und seine Druckkapsel erinnerte. Seit seinem Tod war sie unruhig und fühlte den Verlust wie einen kalten Stein in der Magengrube. Aber sie musste weiterhin den Weg beschreiten, den ihr der Leitstern zeigte, und irgendwie versuchen, dieses Durcheinander hinter sich zu bringen. Wie immer beabsichtigte sie, die Erwartungen aller anderen zu übertreffen, obgleich das bedeutete, dass die Messlatte beim nächsten Mal noch höher lag.
Vielleicht gelang es ihr, innovative Kommunikationsstrategien für die Verständigung mit den Feuerwesen zu entwickeln und damit die Vorteile der Roamer-Flexibilität zu zeigen. Menschen und Faeros hatten einen gemeinsamen Feind. Tasia erhoffte sich eine Möglichkeit, endlich wirkungsvoll Rache an den Hydrogern zu üben.
Sie hatte sich bereits die von Admiral Stromos Erkundungsgruppe bei Oncier aufgenommenen Bilder angesehen, auf denen die sonderbaren brennenden Entitäten zu sehen waren. Der in eine Sonne verwandelte Gasriese Oncier schien bei diesem ganzen Krieg eine Schlüsselrolle zu spielen. Tasias Manta-Kreuzer erreichte nun das Oncier-System, offenbar eine Heimstätte der Faeros. Ihrer Meinung nach gab es keinen besseren Ort, um nach ihnen Ausschau zu halten.
Nach der verheerenden Niederlage von Osquivel versuchte die TVF, sich zu reorganisieren. Neue Offiziere gehörten zu Tasias Brückencrew. Nach jener Schlacht hatten sich die Ereignisse überstürzt und Tasia hoffte, dass die Neulinge an Bord ihre Pflicht erfüllen und allen Befehlen unverzüglich Folge leisten würden.
Eigentlich sollten die Menschen eine vereinte Streitmacht bilden und ihre politischen Differenzen für die Dauer des Konflikts beiseite schieben. Roamer, Theronen, Bürger der Hanse… Vielleicht ergab sich doch noch etwas Gutes aus dem Krieg, wenn es ihnen gelang, die wichtigen Dinge im Auge zu behalten.
Zwar hatte Tasia derzeit nur einen Kreuzer, aber die TVF hielt ihre Mission für wichtig genug, um ihr einen grünen Priester mitzugeben. Rossia stand wie eine menschliche Telegraphenstation auf der Brücke, dazu bereit, einen Bericht zu senden, wenn sie den feurigen Entitäten begegneten. Staunen oder Furcht schien seine großen Augen aus den Höhlen treten zu lassen.
General Lanyan wollte nicht den gleichen Fehler machen wie bei den von Kompis bemannten Aufklärungsschiffen, die er nach Golgen geschickt hatte und die spurlos verschwunden waren. Tasias Crew bestand allein aus Menschen. Sie vermisste EA und hoffte, dass der Zuhörer-Kompi bald zu ihr zurückkehrte.
»Die Sensoren zeigen sonderbare Werte an«, sagte die Sensoroperatorin.
»Großartig.« Tasia versuchte, sich an den Namen der jungen Frau zu erinnern. Mae? Terene Mae? »Verschaffen Sie mir einen Eindruck, Ensign Mae.«
Als sich der Manta mit hoher Geschwindigkeit näherte, schien die künstliche Sonne namens Oncier zu flackern und zu fluktuieren. »Admiral Stromo war erst vor einem Monat hier, aber Oncier ist um einige Größenordnungen dunkler als bei den letzten Messungen.«
»Vergrößern Sie das Bild, Ensign.«
»Aye, Captain.« Die kleine Sonne Oncier wirkte wie ein langsam verglühender Aschebrocken – sie brannte nicht mehr gelbweiß, sondern orangefarben. Kleine Flecken umgaben den künstlichen Stern, wie leuchtende Motten, die eine unwiderstehlich attraktive Flamme umschwirrten.
Tasia wandte sich an die Navigationsoffizierin Ramirez. »Bringen Sie uns vorsichtig näher, Lieutenant. Und stumm, ohne irgendwelche Kommunikationssignale.« Tasia fühlte sich von Unbehagen erfasst; sie hatte nicht erwartet, in diesem Sonnensystem so etwas vorzufinden.
Rossia schnitt eine Grimasse, als er den Funkenschwarm sah, der den dramatisch abgekühlten Stern umgab. Der Manta näherte sich und wurde langsamer, damit sie beobachten konnten, ohne selbst bemerkt zu werden.
Bald waren sie nahe genug, um zu erkennen, dass der Funkenschwarm aus gegeneinander kämpfenden Schiffen bestand: Faero-Feuerbälle und diamantene Kugelschiffe der Hydroger. Die Droger setzten unbekannte Waffen gegen die Faeros ein und rissen tiefe Wunden ins stellare Plasma. Oncier schien zu sterben und seine Energie an die Kälte des Alls zu verlieren.
»Wie bei der Schlacht von Theroc«, sagte Rossia. »Faeros und Hydroger sind tödliche Feinde. Zumindest jetzt.«
»Shizz, dies ist schlimmer als bei Theroc«, erwiderte Tasia. »Diesmal greifen die Droger einen ganzen Stern an! Ich glaube, sie werden langsam größenwahnsinnig.« Die Brückenoffiziere murmelten voller Unbehagen und Verwirrung. »Übermitteln Sie einen Bericht, Rossia. Viele Leute im Spiralarm müssen erfahren, was hier geschieht.«
»Aber ich weiß nicht, was hier vor sich geht.« Trotzdem griff der grüne Priester nach dem Stamm des Schösslings, konzentrierte sich und schilderte die Ereignisse durch den Telkontakt.
Tasia beobachtete die hin und her rasenden hellen Punkte. Jeder von ihnen war entweder ein Feuerball oder ein Kugelschiff, groß genug, um zehn Manta-Kreuzer aufzunehmen.
»Wie viele Faeros und Hydroger kämpfen dort gegeneinander?«, fragte Tasia.
Ensign Terene Mae ließ die Sensordaten vom Computer analysieren. »Jeweils über tausend. Und zwar nur auf dieser Seite des Sterns.«
Kugelschiffe und Feuerbälle schwirrten wie zornige Wespen umher. Mehrere Hydroger-Schiffe tauchten ins Plasma der künstlichen Sonne ein. Dunkle Flecken breiteten sich auf der Oberfläche von Oncier aus und wiesen darauf hin, dass dort die Temperatur niedriger war als in den übrigen Bereichen. Das atomare Feuer von Oncier schien immer mehr zu verlöschen – die Hydroger setzten sich gegen die Faeros durch.
»Wenn jene Feuerbälle auf unserer Seite sind, Captain Tamblyn… Sollten wir dann nicht versuchen, ihnen irgendwie zu helfen?«, fragte Mae. Tasia begriff sofort, dass die junge Frau noch keinen Kampfeinsatz hinter sich hatte. Sie kam frisch vom Ausbildungslager auf dem Mars.
»Wir haben nur einen Manta.« Tasia deutete zum Bildschirm und auf den sterbenden Stern. »Was können wir in einer solchen Situation tun? Wir wissen bereits, dass die Droger imstande sind, ganze Monde zu zerstören, und jetzt schicken sie sich offenbar an, eine Sonne zu vernichten. Sie bekämen es wohl kaum mit der Angst zu tun, wenn unser Kreuzer sie angreifen würde.«
»Entschuldigung, Captain«, sagte Ensign Mae und wirkte verlegen.
Zwar gab sich Tasia zuversichtlich, aber in Wirklichkeit fühlte sie sich von der Situation überfordert. Wie sollte die terranische Verteidigungsflotte einen Krieg gewinnen, bei dem ganze Planeten und Sonnen zerstört wurden?
Vor einigen Wochen, als sich die nächsten TVF-Schiffe auf den Weg nach Theroc gemacht hatten, waren sie dort einen halben Tag nach der Niederlage der Hydroger und dem Rückzug der Feuerbälle eingetroffen. Zum Glück hatte das terranische Militär den Theronen dabei helfen können, die Brände zu löschen, denen fast zwei Drittel des Weltwaldes zum Opfer gefallen waren.
Bei Theroc hatten es die Faeros geschafft, das Blatt zu wenden und die Hydroger zurückzutreiben. Doch hier bei Oncier schienen sie ihrem Gegner unterlegen zu sein…
Zum Glück schenkten die titanischen Kombattanten dem einzelnen Manta-Kreuzer nicht die geringste Beachtung. Stundenlang ging der Kampf in der Nähe des sterbenden Sterns weiter, doch immer mehr Feuerbälle erloschen wie Funken in einem kalten Regen.
Tasia saß in ihrem Kommandosessel und beobachtete das Geschehen voller Ehrfurcht.
»Die Menschen sind immer egozentrisch gewesen und haben versucht, sich zu verteidigen, aber ich glaube, bei diesem Krieg geht es gar nicht um uns. Wie entschlossen wir auch kämpfen – wir sind nur unwichtige Zuschauer.« Sie schüttelte den Kopf. »Wie Feldmäuse auf einem gewaltigen Schlachtfeld.«
Weniger als einen Tag nach dem Eintreffen des Kreuzers im Sonnensystem flackerte der künstliche Stern namens Oncier ein letztes Mal auf und erlosch.