114 KOTTO OKIAH
Die keramikverkleideten Korridore auf Isperos konnten den enormen Belastungen schließlich nicht mehr standhalten und gaben nach. Die Lebenserhaltungssysteme der Station schmolzen in der Lava.
Kotto Okiah konnte nicht, länger auf Rettung warten. Der Basis drohte innerhalb weniger Stunden völlige Vernichtung. Unglücklicherweise waren die Überlebensmöglichkeiten draußen auf der Oberfläche kaum besser.
Die Roamer hatten ihre Versorgungsmaterialien und Ausrüstung bereits in die noch intakten Räume gebracht, aber jetzt wurde die Hitze unerträglich. Immer mehr Lava drängte von unten nach oben. Den Menschen blieb nichts anderes übrig, als in Schutzanzügen nach draußen zu fliehen und zu versuchen, rechtzeitig die dunkle Seite von Isperos zu erreichen.
In den oberen Korridoren herrschte enorme Hitze. Die Metallwände waren so heiß, dass man sich die Finger an ihnen verbrennen konnte, und mit jeder verstreichenden Sekunde stieg die Temperatur. Die Arbeiter streiften reflektierende Anzüge über, legten Lebenserhaltungsmodule an und schlossen Dichtungsmanschetten, um die Glut von sich fern zu halten.
»Beeilung, oder wir werden hier geröstet«, sagte Kotto. Etwas sanfter fügte er hinzu: »Keine Sorge. Die Rettungsschiffe sind unterwegs. Verlasst euch drauf.«
»Haben wir irgendwelche Mitteilungen bekommen? Wie viele Schiffe sind unterwegs? Und wann treffen sie ein?«, fragte ein Techniker mit schriller Stimme. Eine ältere Frau bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick, als sie Anstalten machte, einen Helm aufzusetzen.
»Shizz, woher sollen wir das wissen?«, erwiderte ein Reparaturtechniker. »Unsere Schiffe sind schneller als Kom-Signale.«
»Die Schutzanzüge sind mit Kommunikatoren ausgestattet«, sagte Kotto. »Die Kapazität der Lebenserhaltungsmodule reicht für etwa einen Tag und die Regeneratoren pumpen die ganze Zeit über Kühlflüssigkeit durch die Anzüge.«
»Ja… unter optimalen Bedingungen«, sagte einer der Ingenieure.
»Soll das heißen, diese sind nicht optimal?«, entgegnete Kotto scherzhaft. »Es stehen genug Oberflächenfahrzeuge für uns alle zur Verfügung. Wenn wir von Schatten zu Schatten springen, können wir die Nachtseite erreichen und uns dort eine Woche lang verstecken.«
»So lange reicht unsere Luft nicht, Kotto.«
»Ein Problem nach dem anderen.«
Jeweils zu fünft traten die Roamer durch die Luftschleuse auf die Oberfläche von Isperos. Die ganze Zeit über war der Planet in eine solare Strahlungsflut getaucht. Die Sonne loderte am Himmel, umgeben von Protuberanzen, wirkte wie zornig auf Kotto.
Drei überladene Wagen mit Ausrüstung, Versorgungsgütern und Flüchtlingen waren bereits losgefahren. Die schweren, keramikverstärkten Gleisketten hinterließen tiefe Spuren im weichen Felsgestein.
»Also los. Sieben von uns passen in den nächsten Wagen. Bewegung!«
Sie stiegen ein und Kotto nahm am Steuer Platz. Normalerweise ließen ihn die anderen nicht gern fahren, weil Kotto mehr auf geologische Merkmale und Mineralienvorkommen achtete als auf einen sicheren Weg.
Doch diesmal unternahmen sie nicht einfach nur einen Ausflug. Es ging Kotto darum, sie alle zu retten.
Der Horizont war nah und bildete eine deutlich gewölbte Linie. Sie passierten einen großen Felshaufen, von dem rasiermesserscharfe Schatten ausgingen, und sofort sank die Temperatur. Das Gestein strahlte Wärme ab, aber trotzdem herrschten an diesem Ort etwas bessere Bedingungen.
»Hier warten wir zehn Minuten, damit der Wagen einen Teil der aufgenommenen Hitze loswird. Wenn er schmilzt, müssen wir zu Fuß weiter, und das wäre alles andere als angenehm.«
»In Ordnung, Kotto.«
Als sie wieder losfuhren, schien das Gleißen um sie herum noch intensiver zu sein als vorher. Die Sonne hing wie ein unheilvoll starrendes Auge am Himmel, loderte und flackerte so, als könnte sie jeden Moment explodieren.
Die ersten Rettungsschiffe erreichten das Sonnensystem, als Kotto und seine Begleiter noch zehn Kilometer von der Nachtseite entfernt waren. Andere Wagen hatten es bereits in die kühle Dunkelheit geschafft und einen Landebereich für die Shuttles vorbereitet.
Unterwegs hatte Kotto den Kontakt zu einem Fahrzeug verloren. Die Fahrerin hatte einen Notruf gesendet, ohne ihre Position angeben zu können. »Die Systeme versagen. Navigation völlig ausgefallen. Es besteht die Gefahr, dass wir die Integrität der Außenhülle verlieren… Risse bildeten sich in der Hülle!« Es folgten ein Schrei und dann gnädige Statik.
Kotto biss die Zähne zusammen und fuhr weiter. Die Techniker und Ingenieure hatten die Risiken gekannt, als sie hierher gekommen waren. Die Roamer würden sich an die Toten erinnern und ihrer gedenken – aber erst nachdem möglichst viele von ihnen Isperos verlassen hatten. Kotto musste dafür sorgen, dass keine weiteren Wagen verloren gingen.
Die alte, erfahrene Händlerin Anna Pasternak führte die Rettungsschiffe an, die sich der dunklen Seite von Isperos näherten. Sie musste den Anflug jedoch abbrechen, als der von der Sonne ausgehende solare Sturm noch heftiger wurde – die Strahlung wirkte sich störend auf die Navigationssysteme aus. Die Rettungsschiffe blieben im Schatten des Planeten und ihre Crews versuchten, einen Rettungsplan zu entwickeln.
Kottos Wagen erreichte die dunkle Seite und gesellte sich dort fünf Fahrzeugen hinzu, die in einem flachen Krater standen, dessen Boden zahllose Male geschmolzen und dann wieder hart geworden war. Bei einem Wagen im Landebereich war ein Sauerstofftank undicht geworden, und deshalb ging den Roamern an Bord allmählich die Atemluft aus. Zwei andere Fahrzeuge konnten mit ihrer Ausrüstung helfen, aber das würde die Katastrophe nur um eine Stunde hinauszögern.
»Sie müssen jetzt landen«, teilte Kotto den Schiffen mit. »Wenn wir nicht innerhalb der nächsten Minuten abgeholt werden, haben Sie mit dem Flug hierher Zeit und Treibstoff vergeudet.«
Vor sechs Jahren hatte ihn Jess Tamblyn hierher geflogen und der junge Roamer war den Protuberanzen der instabilen Sonne geschickt ausgewichen. Jene Erkundungsmission hatte Kotto davon überzeugt, dass eine dauerhafte Basis auf Isperos eingerichtet werden konnte. Seit damals waren die solaren Stürme schlimmer geworden, vielleicht ein Anzeichen dafür, dass im Innern der Sonne irgendetwas geschah.
»Na schön, wir können eine große Party oder ein großes Begräbnis haben«, wandte sich Anna Pasternak an die Kommandanten der anderen Schiffe. »Mir sind Partys lieber. Sie warten Ihre Schiffe doch regelmäßig, nicht wahr? Mal sehen, wie viel sie aushalten.«
Die Überlebenden von Isperos verließen ihre Fahrzeuge und standen im Dunkeln. Hitze und Furcht ließen sie in ihren Schutzanzügen schwitzen.
»Wir lassen die Ausrüstung und das Versorgungsmaterial zurück«, entschied Kotto. »Die aufgezeichneten Daten sollten wir mitnehmen, falls Sie Platz für die Datenwafer haben.«
Die Rettungsschiffe kamen wie Engel vom Himmel und sanken dem Krater entgegen. Die Kom-Kanäle übertrugen freudige Stimmen. Noch bevor das erste Schiff auf dem unebenen Boden landete, teilte Kotto seine Leute in Gruppen ein und organisierte die Evakuierung, damit die Roamer, deren Lebenserhaltungsmodule kaum mehr funktionierten, als Erste an Bord gehen konnten. »Nichts vergeudet Zeit mehr als Panik. Bereiten wir uns nicht selbst Probleme.«
Probleme, so fand Kotto, gab es bereits genug. Mit schmerzhafter Deutlichkeit wurde ihm klar, dass er seinen Traum von einer produktiven Kolonie auf Isperos aufgeben musste. Es war ihm nicht gelungen, alles zusammenzuhalten.
Als sich alle an Bord der Rettungsschiffe befanden, zählte Kotto die Überlebenden und stellte mit großem Kummer fest, dass einundzwanzig Personen ums Leben gekommen waren. Ein zweiter Wagen war auf der Tagseite liegen geblieben, als seine Gleisketten in einer Lache aus geschmolzenem Gestein feststeckten. Die enorme Hitze hatte die Treibstoffzellen zur Explosion gebracht, und dabei waren alle Insassen gestorben. Das letzte Opfer war eine Frau, die nur wenige Minuten vor dem Eintreffen der Rettungsschiffe ihr Leben durch einen Ausfall der Schutzanzugsysteme verlor – sie erfror in weniger als sechzig Sekunden.
Kotto betrat Anna Pasternaks Cockpit, das Gesicht rot und voller Blasen, der Körper erschöpft und wie ausgedörrt. Die Pilotin sah über die Schulter und kam seinen Dankesworten zuvor. »Danken Sie mir noch nicht, Kotto. Wir müssen noch dem stellaren Orkan entkommen. Alle unsere Schiffe sind voll besetzt und eigentlich viel zu schwer. Uns blieb nicht genug Zeit, um eine richtige Evakuierungsgruppe zusammenzustellen.«
»Ich bin froh, dass Sie nicht gewartet haben«, sagte Kotto. »Obwohl ich dachte, ich hätte mehr Zeit, um die Kolonie zusammenzuhalten.«
»Das Universum spielt uns gern Streiche. Ich bin immer davon überzeugt gewesen, dass mich meine Tochter Shareen überlebt. Ich dachte, ich bekäme mindestens ein Dutzend Enkel von ihr. Aber diesen Traum haben die Droger zerstört, als sie Shareens Himmelsmine über Welyr angriffen.«
»Gibt es bei den Roamern keine erfreulichen Geschichten?«, fragte Kotto und seufzte.
Pasternak flog nach Instinkt, als sie das Schiff aus dem Schatten des Planeten steuerte – woraufhin die Sonne ihnen den Krieg erklärte. Sie streckte Plasmaarme ins All, schien damit bis nach Isperos greifen zu wollen. In der Korona flackerte und gleißte es noch heller als zuvor.
»Eine derartige solare Aktivität habe ich noch nie erlebt!«, rief die Pilotin. »Gauben Sie, die Sonne wird zur Nova oder gar zur Supernova?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Kotto. »Sie gehört zu einer anderen stellaren Kategorie.«
Viele Statusanzeigen vor Anna Pasternak glühten rot. Sie rang mit den Systemen, während das überladene Rettungsschiff immer wieder erbebte. Einige der anderen Roamer-Schiffe befanden sich in einer noch kritischeren Situation – sie erinnerten Kotto an erschöpfte Schwimmer, die zu ertrinken drohten. Der Sonnenwind schleuderte ihnen dichte Partikelströme entgegen und das Feuer von Protuberanzen tastete nach ihnen.
»Sie von Isperos gerettet zu haben und dann auf dem Rückweg zu verbrennen… Das wäre verdammt schade.«
»Ja, ein echter Schlag ins Gesicht.«
Statik knisterte aus den Kom-Lautsprechern. Die anderen Roamer-Schiffe berichteten von Defekten, von Ausfällen bei den Triebwerksund Lebenserhaltungssystemen. Die Rettungsschiffe versuchten, dem Zorn der Sonne zu entkommen. Sie bildeten eine Gruppe, doch jedes von ihnen war auf sich allein gestellt.
Anna Pasternak biss sich auf die Lippe. »Sie müssen allein zurechtkommen. Ich habe kein Heftpflaster für Sie übrig.« Erschrocken hob sie den Kopf. »Shizz!« Eine Protuberanz jagte ihnen entgegen, schneller als das Schiff. »Hier schwebt zu viel Zeug herum. Wenn ich jetzt den Sternenantrieb aktiviere, riskieren wir, von einem Kieselstein pfannkuchenflach gedrückt zu werden.«
»Wohl eher von einem der Metallcontainer, die wir mit dem Katapult ins All geschickt haben«, sagte Kotto.
Aufgeregte Stimmen kamen aus dem Kom-Lautsprecher. »Seht nur die Sonne! Seht nur die Sonne!«
Pasternak versuchte, das Schiff unter Kontrolle zu halten, als sie sich langsam von der Gefahrenzone entfernten. Kotto beobachtete die feurige Chromosphäre und riss verblüfft die Augen auf, als gigantische eiförmige Objekte wie verformte Kanonenkugeln aus dem Innern der Sonne kamen. Die gleißenden Gebilde rasten ins All, den Roamer-Schiffen entgegen.
»Was sind das für Objekte?«, fragte Kotto. »Sie müssen künstlichen Ursprungs sein.«
»Das hat mir gerade noch gefehlt«, brummte Pasternak. »Glühende Hydroger.«
»Nein, das sind keine Hydroger«, sagte Kotto. »Die Konfiguration der Schiffe ist anders. Diese hier sind elliptisch. Die Spektralanalyse zeigt ganz andere Werte.«
Die Rettungsschiffe der Roamer flogen bereits mit Höchstgeschwindigkeit, doch die elf Feuerbälle kamen schnell näher. Einer von ihnen war so groß wie ein kleiner Mond und hätte ein halbes Dutzend Kampfschiffe vom Typ Moloch aufnehmen können. Sie boten einen so unglaublichen Anblick, dass einige Sekunden verstrichen, bis sich Kottos Ehrfurcht in Sorge verwandelte. Die Situation war auch so schon schlimm genug, doch er befürchtete, dass die eiförmigen Gebilde aus der Sonne alles noch schlimmer machten.
»Wenn ich ordentliche Waffen hätte, würde ich es mit dem einen oder anderen Schuss versuchen«, sagte Pasternak. »Vielleicht sollte ich mit Eiswürfeln nach den Dingern werfen.«
Hinter den Roamer-Schiffen näherten sich die flammenden Objekte einander, bis sich ihre verschwommenen Ränder überlappten. Sie formten eine undurchdringliche Barriere, grell und beeindruckend.
Kotto sah auf die Indikatoren vor Pasternak und stellte erstaunt fest, dass Temperatur und Strahlungsintensität schnell sanken. »Die… die Fremden schützen uns vor der Hitze und dem Partikelstrom der Sonne! Sehen Sie nur. Die angezeigten Werte befinden sich wieder im normalen Bereich.«
Die Roamer-Schiffe setzten ihre Flucht fort und die Feuerbälle blieben hinter ihnen zurück, formten noch immer einen feurigen Schild.
»Sie… schützen uns vor den Protuberanzen. Woher wussten sie von uns? Und… warum sollte ihnen an unserem Wohlergehen gelegen sein?«
Pasternak öffnete wieder die Kom-Kanäle. »Haltet euch nicht mit Fragen auf. Bleibt in Bewegung.«
»Ich beklage mich nicht«, sagte jemand.
»Mein Triebwerk ist nicht länger überlastet«, meldete ein anderer Kommandant. »Zum Teufel auch, wer sind die Fremden?«
Kottos Herz klopfte und er starrte noch immer auf die Bildschirme. Die seltsamen… Schiffe? Geschöpfe? Entitäten?… die aus den Plasmatiefen der Sonne gekommen waren, hatten sie gerettet.
Irgendwie hatten die Feuerbälle gewusst, dass von den Protuberanzen große Gefahr für die Menschen ausging. Die feurigen Ovoide schützten die Roamer-Schiffe auch weiterhin vor dem stellaren Strahlungssturm, bis sie eine sichere Entfernung erreicht hatten.
Dann trennten sich die Objekte voneinander und glitten wie viel zu groß geratene Glühwürmchen hin und her. Sie flogen durch die enorm starken Magnetfelder von Sonnenflecken und tanzten in der Korona, bis sie wie glühende Asche in die superheiße Sonne zurückfielen.
»Nun, das ist eine angenehme Überraschung: zur Abwechselung einmal fremde Wesen, die uns nicht an den Kragen wollen«, sagte Anna Pasternak. Sie wischte sich Schweiß von der Stirn und nahm Kurs auf Rendezvous.