107 ADMIRAL STROMO

Während die TVF noch immer die Kosten der Osquivel-Niederlage berechnete, dachte man bei den Kampfflotten der zehn Gitter darüber nach, was man hätte anders machen können, um besser gegen die Hydroger zu bestehen.

Mit der konzentrierten Feuerkraft gewöhnlicher Waffen ließ sich gegen die Kugelschiffe kaum etwas ausrichten. Die neuen Kohlenstoffknaller und Bruchimpulsdrohnen hatten zwar Schaden angerichtet, wurden den Erwartungen der TVF-Waffentechniker aber nicht gerecht. Die Soldaten-Kompis hatten mit ihren Kamikaze-Einsätzen einige feindliche Schiffe zerstört, doch bei weitem nicht genug.

Was die Erkundungsschiffe anging, die mit Soldaten-Kompis bemannt waren und bei Golgen feststellen sollten, ob das von den Roamern eingeleitete Kometenbombardement die dortigen Hydroger ausgerottet hatte… Bisher hatten sie noch keinen Bericht übermittelt.

Nur einen empfindlichen Schlag hatten Menschen den Hydrogern versetzt, mit dem Test der Klikiss-Fackel – und das war reiner Zufall gewesen.

Bei der Terranischen Verteidigungsflotte und der Hanse begann man über die Möglichkeit nachzudenken, noch einmal von der Klikiss-Fackel Gebrauch zu machen und sie diesmal ganz bewusst als Waffe zu verwenden, ungeachtet der möglichen Konsequenzen. Nach der Zerstörung der technischen Beobachtungsplattform hatte niemand die neue Sonne namens Oncier untersucht.

Froh darüber, nicht in eine katastrophale Schlacht wie bei Osquivel oder beim Jupiter zu fliegen, brach Admiral Lev Stromo zu einer Erkundungsmission auf, die ihn nach Oncier bringen sollte. Er hoffte, dort irgendetwas zu finden, vielleicht eine Schwachstelle der Hydroger.

General Lanyan gab Stromo einen Moloch, einen grünen Priester für die Kommunikation und zwei Manta-Kreuzer mit. In der Öffentlichkeit betonte Lanyan, eine so kleine Streitmacht zeige, wie sehr die TVF davon überzeugt war, die Hydroger bei Oncier vernichtend geschlagen zu haben. In Wirklichkeit spiegelte sie die bittere Realität des terranischen Militärs wider: Die TVF konnte kaum Schiffe erübrigen. Der Admiral musste mit dem zufrieden sein, was er bekam.

Als sie sich der neuen Sonne näherten, ließ Stromo die Sensorstationen doppelt besetzen und schickte eine Remora-Staffel zum Rand des Sonnensystems, mit der Anweisung, dort nach eventuellen Kugelschiffen Ausschau zu halten. Er wusste, dass er mit seinem lächerlich kleinen Verband keine Chance gegen die Hydroger hatte. Er war bereit, sofort den Rückzug anzuordnen, wenn der Feind erschien – die TVF konnte es sich nicht leisten, noch mehr Schiffe zu verlieren.

Er litt noch immer an der demütigenden Niederlage beim Jupiter und hatte die letzten Jahre damit verbracht, Paraden zu leiten und Schreibtischarbeit zu leisten, anstatt seine Kommandopflichten für Gitter 0 wahrzunehmen. Er wusste, dass ihn die Soldaten hinter seinem Rücken spöttisch Bleib-zu-Hause-Stromo nannten. Jetzt wollte er seine Ehre und hoffentlich auch sein Rückgrat zurückgewinnen.

Der weiß strahlende Gasriese Oncier hing vor ihnen im All. Glitzernde Fels- und Eisbrocken von den vier zerstörten Monden bildeten ein breites Band, das sich noch nicht zu einem Ring geformt hatte. An diesem Ort waren Menschen bestrebt gewesen, vier neue Welten zu erschließen, durch das Licht und die Wärme einer neuen Sonne bewohnbar zu machen.

Stromo beobachtete den Glutball und stellte sich vor, wie es den Hydrogern in der Tiefe des Gasriesen ergangen sein mochte, als sich ihre Welt plötzlich in eine Sonne verwandelt hatte. Er brachte den Fremden kein Mitgefühl entgegen, nicht nach ihrer gnadenlosen Vergeltung sowohl an Menschen als auch an Ildiranern. Vielmehr stellte er sich Oncier als ein Grab für die schlimmsten Feinde der Menschheit vor. Sie hatten es nicht anders verdient!

»Alle Sonden starten. Nehmen wir eine gründliche Sondierung der neuen Sonne vor.«

Automatische Satelliten verließen wie metallene Bienen die beiden Mantas und schwenkten hoch über Oncier in den Orbit. Einige von ihnen tauchten ins Plasma ein und sendeten Daten, bis sie verbrannten; andere glitten durch die schimmernde Korona.

Inzwischen hätte den Wissenschaftlern der Hanse ein im Lauf von sechs Jahren gewachsener Datenberg zur Verfügung stehen müssen, der Auskunft gab über Geburt und Entwicklung einer von Menschen geschaffenen Sonne. Terraforminggruppen hätten damit fertig sein sollen, die vier Monde für die ersten Kolonisten vorzubereiten…

Stromo stand auf der Brücke des Moloch und fühlte die Unruhe der Crew. Die ausgeschickten Remoras meldeten, dass weit und breit keine Kugelschiffe der Hydroger in Sicht waren. Der Admiral holte tief Luft und ließ den Atem langsam entweichen. Eine Routinemission, um wichtige Informationen zu sammeln – weiter nichts.

Stromo hatte sich mit klugen politischen Entscheidungen hochgearbeitet, mit geschickt durchgeführten Manövern und bürokratischen Erfolgen. In Friedenszeiten waren solche Dinge wichtig, aber jetzt bedeuteten sie kaum mehr etwas. Niemand hatte einen Feind wie die Hydroger erwartet.

Dem Admiral wurden die Knie weich bei der Vorstellung, es erneut mit den Fremden zu tun zu bekommen, und eine solche Furcht geziemte sich nicht für den vielfach ausgezeichneten Helden, der den Ramah-Aufstand beendet hatte.

Damals war Stromo erst Major gewesen. Die Kolonisten auf Ramah hatten ihre Unabhängigkeit von der Hanse erklärt, die Charta zerrissen und alle Außenwelt-Vermögenswerte beschlagnahmt. Sie hatten Handelsschiffe und ihre Fracht konfisziert, sie als Ressourcen für die »unabhängige Welt Ramah« beansprucht. Die Anführer der Aufständischen waren selbstgefällig und naiv gewesen, wirklich von der Unabhängigkeit ihres Planeten überzeugt. Sie hatten nicht daran gedacht, wie sehr Ramahs Bevölkerung vom Import abhing – Arzneien, Lebensmittel, technische Hilfe und Versorgungsmaterial mussten von anderen Planeten eingeführt werden.

Stromo hatte damals genau gewusst, wie man mit so etwas fertig wurde. Er brachte eine beeindruckend große Kampfflotte in Ramahs Umlaufbahn, erklärte die Regierung für illegal und wies darauf hin, dass Ramahs Bürger von den Vorzügen der Hanse abgeschnitten waren. Mit einem entschlossenen Angriff ließ er die drei wichtigsten Raumhäfen von Ramah besetzen. TVF-Soldaten brachten die konfiszierten Schiffe und auch einige andere, die Bewohnern von Ramah gehörten, in ihren Besitz – Schadenersatz für die Beschlagnahme der Vermögenswerte.

Anschließend sendeten Stromos Schiffe verlockende Werbung für die neuen Produkte der Hanse, die auch Ramah zur Verfügung standen, wenn sich der Planet wieder dem Handel öffnete. Nach nur vier Wochen war die radikale Regierung gestürzt und eine zerknirschte Gruppe von Politikern nahm erleichtert die Gelegenheit wahr, erneut die Charta der Hanse zu unterschreiben. Stromo war stolz auf diesen Erfolg gewesen.

Einen solchen Feind konnte Admiral Stromo verstehen. Die Hydroger aber ließen sich nicht einfach mit hübscher Propaganda überwältigen…

Am zweiten Tag der Sondierungen rief ein aufgeregter Brückentechniker den Admiral aus seinem Quartier, in dem er sich um sein Logbuch gekümmert hatte. »Etwas geschieht dort unten, Sir. Wir messen seltsame Fluktuationen und Anomalien tief im Innern der neuen Sonne. Etwas… bewegt sich.«

»In dem ehemaligen Gasriesen?« Stromo streifte seine Uniformjacke über und verließ die Kabine. »Aber dort ist es so heiß wie im Innern eines Sterns!«

»Vielleicht haben sich die Droger spezielle Asbestanzüge zugelegt. Lassen Sie sich die Einzelheiten von der technischen Crew erläutern, Sir.«

Auf der Brücke des Moloch betrachtete Stromo das gefilterte Bild der neuen Sonne. »Dort unten, Admiral«, sagte einer der wissenschaftlichen Fachleute. Er vergrößerte die wogenden Plasmawolken und richtete den Zoom auf etwas, das zunächst wie ein Sonnenfleck ausgesehen hatte. »Seit einer Stunde orten wir… Dinge in der Chromosphäre.«

»Und es handelt sich nicht um magnetische Aktivität oder Protuberanzen?«

»Ganz und gar nicht, Sir. Sehen Sie es sich selbst an.«

Stromos erstaunter Blick fiel auf eine rot glühende ovoide Kapsel, auf ein eiförmiges Gebilde, das hin und her glitt, die Ränder waren aufgrund von Licht und Hitze verschwommen. Es änderte den Kurs, stieg durch Sonnenflecken auf und schwamm durch den Ozean aus superheißem Gas.

Weitere Kapseln erschienen und stiegen aus den feurigen Tiefen von Oncier auf.

»Gefechtsstationen besetzen!«, befahl Stromo, von Kummer erfasst. Der Alarm heulte durchs Schiff und die Manta-Kreuzer näherten sich dem Moloch. »Rufen Sie die Remoras zurück und treffen Sie Vorbereitungen für den Rückzug.« Er beorderte den grünen Priester auf die Brücke, damit er der Erde eine Dringlichkeitsnachricht übermitteln konnte.

Als der Moloch sich zurückzog, kamen fünf der eiförmigen Kapseln wie leuchtende Kometen näher. Trotz der Filter blendete ihr Gleißen so sehr, dass Stromo kaum den Blick auf sie gerichtet halten konnte. Hitze umwaberte die Gebilde, als enthielten sie die Energie einer ganzen Korona.

Die fünf Feuerbälle – Raumschiffe? – kamen so schnell näher, dass den TVF-Schiffen gar nicht genug Zeit blieb auszuweichen. Sie umkreisten den kleinen Verband, offenbar ohne feindliche Absicht – sie schienen nur neugierig zu sein. Schließlich formierten sie sich wie Meteore mit einer Mission, sausten durchs All fort und ließen Oncier hinter sich zurück.

Admiral Stromo sank in den Kommandosessel. Er schwitzte und seine Hände zitterten. Er seufzte schwer und fühlte die Blicke der Brückencrew auf sich gerichtet – die Männer und Frauen wirkten erleichtert und verblüfft.

Stromo räusperte sich und sah die wissenschaftlichen Fachleute an. »Was zum Teufel geht hier vor?«