124 KÖNIG PETER

Zur großen Überraschung und Freude der schwatzhaften Protokollminister schien König Peter ein sehr persönliches Interesse an der Flitterwochen-Parade zu haben. In Wirklichkeit wollte Peter alles genau im Auge behalten, nachdem Estarra ihm von Sareins Warnung und ihrem Verdacht in Hinsicht auf die königliche Jacht erzählt hatte.

Begleitet von Estarra und OX begab sich der König zu den Wartungsdocks, eine ganze Weile vor dem geplanten Beginn der Fahrt. Die Protokollminister gaben rasch den Medienrepräsentanten Bescheid, die sich sehr über die unerwartete Gelegenheit freuten. Der König und die Königin lächelten, kamen allen Bitten nach und erwiesen sich als sehr kooperativ.

Peter glaubte nicht, dass er Basil auf diese Weise besänftigen konnte. Der angerichtete Schaden war zu groß.

Die Docks, Korridore und Bürgersteige waren sauber, alle Wände gereinigt und poliert. Selbst die anderen Boote in den Wartungshangars glänzten. Rosarote und weiße Pfingstrosen schwammen auf dem Wasser, verströmten einen angenehmen Duft.

Der König zeigte ein ruhiges Lächeln. Seine Anerkennung erfreute die Arbeiter und das Palastpersonal sehr. Königin Estarra blieb dicht an der Seite ihres Mannes und winkte den Leuten zu. Sie spielten beide die Rolle der verliebten Jungvermählten.

In der vergangenen Nacht hatten sie sich mit mehr Leidenschaft geliebt als jemals zuvor. Peter hatte Estarras Wangen und Lider geküsst, überrascht von der Intensität seiner Gefühle. Und er war sehr erleichtert gewesen. Er hatte so nahe an Estarras Ohren geflüstert, dass seine Worte kleinen Küssen gleichkamen. »Seit man mich entführt und in den Palast gebracht hat, bin ich immer misstrauisch gewesen. Es blieb mir gar nichts anderes übrig, als all jenen mit Argwohn zu begegnen, die behaupteten, meine Freunde zu sein.«

Estarra schmiegte sich an ihn. »Du musst jemandem vertrauen, Peter.«

»Ja, und ich glaube, das kann ich jetzt.« Estarra.

Sie war intelligent und tüchtig und mit ihrer Situation ebenso wenig zufrieden wie er mit seiner. Peter hielt sie in den Armen und erzählte von seinen kleinen Brüdern, von seiner hart arbeitenden Mutter und sogar dem Vater, der die Familie verlassen hatte, um auf Ramah ein neues Leben zu beginnen. Sie alle waren ermordet worden, damit niemand die Identität des Königs infrage stellen konnte. Tränen brannten in Peters Augen und er spürte, wie sie das Kissen nässten. Estarra strich ihm mit den Fingern durchs Gesicht, tröstete ihn…

Jetzt stand er mit ihr am Dock und bewunderte die bunten Fahnen. »Geh an Bord, OX.« Peter winkte dem Lehrer-Kompi zu, der gehorsam über den Landungssteg ging.

Einige Arbeiter hatten im Bug der königlichen Jacht Haltung angenommen. Peter winkte ihnen und den Besatzungsmitgliedern zu. Als sich einige wichtigtuerische Beamte darauf vorbereiteten, König und Königin an Bord zu begleiten, hob Peter den Zeigefinger an die Unterlippe und erweckte den Anschein, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. Er wandte sich an einen Protokollminister. »Estarra und ich würden gern allein an Bord gehen und uns dort ungestört umsehen.«

»Das ist sehr ungewöhnlich, Euer Majestät…«

Peter lächelte. »In einigen Minuten können Sie alle an Bord kommen – aber sicher gibt es hier niemanden, der einem Mann einige private Momente mit seiner schönen Braut missgönnt, oder? Morgen, während der eigentlichen Prozession, kann ich wohl kaum einen Kuss von ihr bekommen.« Er beugte sich zu Estarra. Sie kicherte und drückte sich kurz an seine Seite.

Die Zuschauer lachten und applaudierten. Einige besonders tapfere Männer weiter hinten pfiffen sogar. Das Publikum zeigte seine Zuneigung ganz deutlich.

Peter richtete einen bittenden Blick auf den Protokollminister. Die Änderung der Pläne schien ihn zu verwirren, aber die Reaktion der Zuschauer entging ihm nicht; außerdem bot sich ihm hier Gelegenheit, dem Königspaar einen Gefallen zu erweisen. »Na schön, wir gestatten es Ihnen – aber nur für einige Minuten. Sie sind der König, Euer Majestät; die Öffentlichkeit erwartet ein bestimmtes Verhalten von Ihnen.«

Peter lächelte und zwinkerte ihm zu. »Wir bleiben nicht so lange fort, dass man bestimmte Dinge vermuten könnte.«

Arbeiter kamen über den Landungssteg und vollführten stolze Willkommensgesten. »Wir begrüßen Sie an Bord, König Peter. Sie werden alles zu Ihrer vollsten Zufriedenheit vorfinden.«

»Da bin ich sicher, denn immerhin haben so tüchtige Männer und Frauen wie Sie alles vorbereitet.« Peter führte Estarra über den Steg. OX war bereits unter Deck im Maschinenraum verschwunden.

Peter nahm sich einige Minuten Zeit, um übers Oberdeck zu wandern, Wimpel und auf Hochglanz poliertes Gold zu bewundern. Schließlich schlang er den Arm um Estarras Taille, zog sie näher; er wusste, dass alle sie beobachteten. Dann verschwanden sie unter Deck, so wie kurz zuvor der Kompi.

Als die Leute am Dock sie nicht mehr sehen konnten, trennten sich die beiden und begannen damit, die Jacht zu durchsuchen. Sie öffneten Schränke, sahen in den einzelnen Kabinen nach, blickten unter Kojen und Tische. »Wir wissen nicht, was Pellidor hier angestellt hat«, sagte Peter. »Aber viele andere Personen haben sich an Bord dieses Bootes aufgehalten, und das bedeutet: Was auch immer er getan hat, es muss gut verborgen sein.«

OX befolgte seine Anweisungen, indem er sich den Maschinenraum vornahm und dort alle Apparate und Maschinenteile überprüfte. Peter hatte den Kompi heimlich mit detaillierten technischen Daten ausgestattet. OX kannte die exakten Spezifikationen der königlichen Jacht und konnte Anzeichen von Sabotage erkennen.

Peter wusste, dass ihnen nicht viel Zeit blieb. Draußen erklangen erneut einige Pfiffe und er rief mit gedämpfter Stimme: »Hast du irgendetwas gefunden, OX?«

Der Kompi kam aus dem Maschinenraum. »Ich habe die Bordsysteme der Jacht einer vollständigen Kontrolle unterzogen und dabei eine gefährliche Vorrichtung im Inneren einer Treibstoffspule entdeckt.«

Peter war nicht überrascht. »Was für eine Vorrichtung?«

»Eine Plasmabombe. Klein, aber sehr leistungsfähig. Sie hätte den größten Teil der Jacht zerstört und alle Personen an Bord getötet. Sie wären nicht mit dem Leben davongekommen.«

»Dahinter steckt Basil. Hast du die Bombe deaktiviert?«

»Ja. Die Jacht ist jetzt völlig sicher.«

»Danke, OX.« Peter brauchte einige Sekunden, um den Zorn aus dem Gesicht zu verbannen.

»Es gibt da ein sonderbares Detail«, fuhr der Kompi fort. »Die molekulare Struktur der Plasmabombe enthält gewisse leicht zu identifizierende chemische Signaturen – sie weisen auf eine Produktion durch die Roamer hin. Die Konfiguration ist mit Material von Rand Sorengaards Piratenschiffen identisch, die vor sechs Jahren von der TVF aufgebracht und konfisziert wurden.«

»Roamer?«, fragte Estarra. »Mein Bruder wird in einigen Monaten die Sprecherin heiraten. Warum sollten die Roamer einen Groll gegen uns hegen?«

»Die Roamer haben hiermit nichts zu tun«, sagte Peter. »Die Hanse verwendet identifizierbare Roamer-Technik, um anschließend irgendeinen armen Händler als Sündenbock zu verhaften.« Er wandte sich an OX. »Haben Hanse oder TVF in letzter Zeit ungewöhnliche Maßnahmen ergriffen oder irgendein Roamer-Schiff beschlagnahmt?«

OX griff auf seine Datenbanken zu. »Ja, ein Handelsschiff der Roamer wird in der Mondbasis festgehalten, nachdem es der Erde Versorgungsgüter geliefert hat. Es gehört einem gewissen Denn Peroni.«

»Das ist der Vater der Sprecherin!«, entfuhr es Estarra verblüfft.

»Außerdem ist er ein wichtiges Clan-Oberhaupt«, sagte Peter. »Was legt man ihm zur Last?«

»Nichts Bestimmtes«, erwiderte OX. »Angeblich gab es bei der Lieferung und in seinen Dokumenten einige Unstimmigkeiten. Ich habe die Dokumente selbst untersucht – sie sind in Ordnung.«

»Verdammt. Man hält ihn also bis zu dem ›tragischen Zwischenfall‹ fest, wird dann Spuren finden und ihn anklagen. Zweifellos soll er bei einem Fluchtversuch ums Leben kommen.« Peter schüttelte den Kopf, als neuerlicher Zorn in ihm brodelt. »Ich weiß genau, wie Basil denkt und auf welche Weise er Probleme löst.«

Estarra glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu können. »Die Hanse will den angeblichen Mordversuch als Vorwand nehmen, um den Roamern den Krieg zu erklären und ihnen das Ekti und alles andere abzunehmen?«

Peter nickte. »Gegen die Hydroger erzielt die TVF keine Erfolge – indem Basil es auf die Roamer abgesehen hat, wählt er einen Feind, von dem er glaubt, dass er leicht besiegt werden kann. Aus dem gleichen Grund griff er bei Yreka so streng durch. Nichts in jener kleinen Kolonie rechtfertigte einen Kampf.«

»Wir müssen Cescas Vater warnen und ihn befreien«, sagte Estarra. »Wer weiß, was passiert, wenn…«

»Vorsicht.« Peter hob die Hand. »Eines nach dem anderen. Ich habe noch immer gewissen Einfluss als König, erinnerst du dich? Ich kann eine königliche Begnadigung aussprechen.« Er überlegte kurz und lächelte dann. »Ich werde Folgendes verkünden: Im ›Geiste einer neuen Offenheit – nicht nur Basil kann diese Worte verwenden – wünscht meine Frau bessere Beziehungen zu den Roamern, die künftig Teil Ihrer erweiterten Familie auf Theroc sein werden. Ich ordne an, dass bürokratische Schikanen ehrlichen Roamer-Händlern wie Denn Peroni gegenüber zu unterlassen sind.

Wir erlassen die Begnadigung, wenn die Paradefahrt beginnt und alle abgelenkt sind.« Peter sah den Lehrer-Kompi an. »OX wird sie persönlich überbringen. Niemand hat einen Grund, seine Motive infrage zu stellen.«

Estarra richtete den Zeigefinger auf den alten Kompi. »Aber Peroni soll so schnell wie möglich aufbrechen, sobald er Gelegenheit dazu hat.«

»Das richte ich ihm aus, Königin Estarra«, sagte OX.

Peter atmete mehrmals tief durch und brachte dabei seinen Gesichtsausdruck unter Kontrolle. Er drückte Estarra an sich. »Wir sind jetzt lange genug hier unten gewesen und müssen nach oben zurückkehren. Lächelnd. Kannst du eine Pokermiene aufsetzen und dir nichts anmerken lassen?«

»Wenn ich mit meinem lieben Gemahl zusammen bin, kann ich Freude über alles zeigen«, erwiderte Estarra. »Sollen wir den Vorsitzenden Wenzeslas zur Rede stellen? Mit dem versuchten Anschlag auf unser Leben kann er doch nicht durchkommen, oder? Das Volk würde ihn zerreißen.«

Peter kniff berechnend die Augen zusammen. »Nein, derzeit machen wir einfach so weiter, als wäre überhaupt nichts geschehen. Die Paradefahrt wird genau so stattfinden, wie sie geplant ist. Mal sehen, wie Basil reagiert. Ich möchte ihm nachher in die Augen sehen, nach dem Scheitern seines Plans.« Er zog Estarra an sich, küsste sie leidenschaftlich und ließ sie dann wieder los. »Von jetzt an herrscht Krieg zwischen uns. Wir müssen einfach darauf vertrauen, dass die Bürger einen wahren König wollen und keine Schattenmacht hinter dem Thron.«