111 KÖNIG PETER
Was Peter vorhatte, war nicht ungefährlich, deshalb bestand er darauf, sich allein auf den Weg zu machen. Als König.
Er hätte Estarra gern alles erklärt und sie in all die Pläne eingeweiht, die wie Spinnweben an ihm hafteten. Aber er wollte sie auch schützen. Solche Dinge hatte sie gewiss nicht erwartet… und jetzt war ihr Bruder auf Corvus Landing ums Leben gekommen. Peter musste weitere Probleme von ihr fern halten und hoffte, dass sie eines Tages verstehen würde.
Nach der prächtigen Hochzeitsfeier konnte er praktisch alles verlangen. Er wählte besonders eindrucksvolle Kleidung und dazu passenden Schmuck, lächelte, hielt den Kopf hoch erhoben und sammelte eine ganze Prozession um sich, bestehend aus Höflingen, Beamten und königlichen Wächtern.
Peter wollte einem Produktionsbetrieb, in dem Kompis hergestellt wurden, einen Überraschungsbesuch abstatten. Es ging ihm nicht darum, Unruhe zu stiften; er beabsichtigte vielmehr, einen Eindruck davon zu gewinnen, was vor sich ging. Jemand musste die Augen offen halten.
Die Protokollminister drängten ihn, ganz offiziell einen Termin zu vereinbaren, aber davon wollte Peter nichts wissen. Er bestand auf seiner ursprünglichen Absicht. »Ich bin der König und mache mich allein auf den Weg, wenn Sie nicht imstande sind, schnell genug Vorbereitungen zu treffen, um mich zu begleiten.« Er wählte ein geeignetes Zeremonienfahrzeug, einen offenen Schweber, der es ihm erlaubte, gesehen zu werden, während er über den Straßen flog. Königliche Wächter liefen zu ihren Gleitern, um ihm zu folgen. Peter lächelte zuversichtlich, amüsiert von ihrer Reaktion. Wenn Basil Wenzeslas nicht da war, wagte es niemand, ihn aufzuhalten.
Die nervösen, aber entschlossenen Funktionäre wandten sich hastig an die Medien und informierten die Verwalter der Kompi-Fabrik, damit sie einen angemessenen Empfang organisieren konnten. Angehörige von Spezialeinheiten, die so genannten Silbermützen, eilten durch die Straßen, um auf der Route für Sicherheit zu sorgen. Das Hauptquartier der Hanse schickte beunruhigt wirkende Repräsentanten, um Peter zu begleiten. Zweifellos sandte es auch dringende Mitteilungen an die Mondbasis, aber Basil konnte nicht mehr rechtzeitig eingreifen – Peter war bereits unterwegs.
Begeisterte Mengen säumten die Straßen und jubelten der königlichen Prozession zu. Über sechs Jahre hinweg hatte die Hanse dafür gesorgt, dass die Bürger ihren König liebten. Das Volk sah einen mitfühlenden Regenten in ihm, der Trauer und Kummer ertragen musste, wenn seine Berater und das Militär versagten. Darauf baute Peter jetzt.
Sie erreichten den aus mehreren Fabriken bestehenden Industriebetrieb am Stadtrand, fern vom Meer und den Bergen. Es handelte sich um einen effizienten Komplex, umgerüstet für den Bau der mit Klikiss-Technik ausgestatteten Soldaten-Kompis.
Als die Prozession im Empfangsbereich landete, verließen Arbeiter ihre Arbeitsplätze, kamen erstaunt näher und jubelten. Königliche Wächter standen ihnen ernst gegenüber.
König Peter winkte den Arbeitern wohlwollend zu. Diese Leute glaubten natürlich, dass sie gute Arbeit für die Terranische Hanse leisteten – sie waren gewiss nicht Teil einer geheimen Sabotageaktion, was auch immer die Klikiss-Roboter planten.
Der Direktor des Betriebs trat vor, begleitet von königlichen Wächtern. Der Mann schien überwältigt zu sein. »Eine solche Ehre haben wir nicht erwartet, Euer Majestät. Wir arbeiten hier sehr hart und ich entschuldige mich für den Zustand der Anlage. Sie ist nicht dafür bestimmt, ästhetischen Ansprüchen zu genügen. Wenn ich rechtzeitig informiert worden wäre, hätten wir alles gesäubert und…«
Peter unterbrach ihn. »Dann hätten Sie Ihre wichtigen Kriegsanstrengungen unterbrechen müssen. Es ist gewiss keine Schande, dass ich einen Industriebetrieb in seinem normalen Zustand sehe. Außerdem: Meine loyalen Untertanen verdienen einen Besuch ihres Königs; ihre Moral wird dadurch sicher gehoben.«
Die nicht eingeladenen Berater der Hanse schoben sich etwas näher an den König heran, wirkten unsicher, aber auch neugierig. Peter achtete nicht auf sie, trat vor und folgte dem Direktor.
Im Innern der Fabrik kamen sie an den Fenstern von hermetisch abgeriegelten und staubfreien Produktionsräumen vorbei, in denen elektronische Schaltkreise hergestellt wurden. In Schutzanzüge gekleidete Techniker hantierten mit Kommandomodulen, die auf Jorax’ Klikiss-Technik basierten. Der König sah sich alles aufmerksam an und stellte nur wenige Fragen. Der Direktor begann sich zu entspannen, als sie den Weg fortsetzten.
Während der Tour bemerkte Peter zwei schwarze Klikiss-Roboter, die den Produktionsvorgang beobachteten. Aus irgendeinem Grund bereiteten sie ihm Unbehagen. Er konnte nicht glauben, dass tatsächlich alle ihre Erinnerungen gelöscht waren und nicht eine dieser Klikiss-Maschinen wusste, was zum Verschwinden ihrer Schöpfer geführt hatte.
Wenn er ihnen befahl, die Fabrik zu verlassen – würden ihm die insektenartigen Roboter gehorchen?
Die Komponenten der Soldaten-Kompis waren sehr komplex und bildeten ein technisches Labyrinth, das selbst für die besten Wissenschaftler der Hanse unergründlich blieb. Aber da die Kompis dringend gebraucht wurden, verzichteten die Techniker darauf, zu viele Fragen zu stellen.
Als sie das Ende der Besichtigungstour erreichten, verschränkte Peter die Arme und schien zufrieden zu sein. »Nun, Direktor«, sagte er dann, »mithilfe der Klikiss-Technik haben Sie erhebliche kybernetische Fortschritte erzielt, nicht wahr?«
»Ja, Euer Majestät. Mit den kopierten KI-Subroutinen sind wir einen großen Schritt vorangekommen – sie machen diese Modelle weitaus komplexer als die anderen Kompis. Unsere besten Computer- und Elektronik-Spezialisten hätten hundert Jahre gebraucht, um einen solchen Durchbruch zu erzielen.«
Der König nickte. »Haben Sie die Klikiss-Komponenten auseinander genommen und ihre Grundprinzipien untersucht? Verstehen Sie alle Einzelheiten der kopierten Technik, mit der die neuen Kompis ausgestattet werden?«
»Nicht… ganz, Euer Majestät.« Der Direktor wirkte verwirrt. »Worauf… äh… wollen Sie hinaus?«
»Auf dies: Verstehen Sie, was hier produziert wird? Oder duplizieren Sie einfach nur ganze Klikiss-Systemmodule, ohne zu wissen, wie sie funktionieren?«
»Wir… äh… verwenden die Technik des demontierten Klikiss-Roboters als Beispiel. Die Kompi-Systeme basieren auf den Dingen, die bei unseren Roboter-Freunden ganz offensichtlich funktionieren.« Der Direktor deutete auf den nächsten Klikiss-Roboter, der dem König und seinen Worten großes Interesse entgegenzubringen schien. »Da wir im Krieg sind, hat es niemand von uns für nötig gehalten, das Rad neu zu erfinden, Euer Majestät.«
Peter kniff die Augen zusammen. »Direktor, ich glaube, ich spreche für uns alle, selbst für die Beamten, wenn ich sage: Uns ist durchaus klar, wie ein Rad funktioniert.« Einige Zuhörer lachten leise. »Aber hier entstehen überaus komplexe Komponenten und sie stammen letztendlich von intelligenten Robotern, die von einer geheimnisvollen fremden Spezies entwickelt wurden, die unter mysteriösen Umständen verschwand.
Inzwischen sind die neuen Soldaten-Kompis an Bord fast aller TVF-Schiffe und bedienen unsere wirkungsvollsten Waffen. Viele Remoras und Mantas sind so modifiziert worden, dass sie allein von Kompis geflogen werden können. Und Sie sagen mir, dass wir nicht wissen, wie sie funktionieren, dass niemand darüber Bescheid weiß?«
»Sie stellen das Problem zu einfach dar, Euer Majestät.« Der Direktor sah sich verzweifelt nach Hilfe um. »Unsere Kybernetiker kennen alle grundlegenden Algorithmen, aber um der Zweckdienlichkeit willen haben wir einige existierende Komponenten und Programme der Klikiss-Roboter angepasst und verwenden sie bei unbedeutenden Systemen. Der Vorsitzende Wenzeslas war damit einverstanden.«
Peter runzelte die Stirn. »Der Vorsitzende Wenzeslas hat im Verlauf dieses Krieges einige… übereilte und verhängnisvolle Entscheidungen getroffen. Wissen Sie, dass von Soldaten-Kompis bemannte Erkundungsschiffe bei Golgen spurlos verschwanden?«
»Ja, ja, Euer Majestät. Eine Tragödie. Aber bei der Schlacht von Osquivel haben die Kompis hervorragende Arbeit geleistet. Dadurch wurden bestimmt viele Leben gerettet.«
»Dem widerspreche ich nicht. Aber es bereitet mir Unbehagen, so viel Vertrauen in etwas zu setzen, das uns rätselhaft bleibt. Die Klikiss-Roboter können uns nicht einmal den Grund für das Aussterben ihrer Schöpfer nennen.«
»Euer Majestät, Sie wollen doch nicht etwa andeuten…«
»Ich rate nur zu Vorsicht. Die Techniker und Kybernetiker der Hanse sollten eigentlich imstande sein, alle Klikiss-Module zu analysieren, bevor wir sie in den neuen Soldaten-Kompis verwenden. Ich meine, wir sollten alles überdenken.«
»Wir müssen die von der TVF bestimmten Quoten erfüllen, Euer Majestät. Was Sie vorschlagen, kostet viel Zeit und…«
»Aber es wäre die Mühe sicher wert«, sagte der König und hob die Stimme. »Zum Wohle des Königreichs ordne ich hiermit die Einstellung der Produktion an, bis wir die fremde Technik völlig verstehen. Stellen Sie weiterhin Komponenten her und bereiten Sie Kompis vor, aber liefern Sie keine aktivierten Roboter aus, bis diese wichtigen Fragen beantwortet sind.«
Die Arbeiter wechselten erstaunte und besorgte Blicke. Aber sie hatten gehört, wie der König seine Zweifel zum Ausdruck brachte, und dadurch kamen ihnen selbst Bedenken.
Einer der gut gekleideten Hanse-Repräsentanten trat vor. »Ich fürchte, das ist nicht möglich, Euer Majestät.«
Peter sah den blonden Funktionär so an wie ein Insekt – den entsprechenden Gesichtsausdruck hatte er Basil abgeschaut. »Bitte? Wie lautet Ihr Name?«
»Pellidor, Euer Majestät. Franz Pellidor, Sonderbeauftragter des Vorsitzenden Wenzeslas. Es tut mir Leid, aber Sie können die Produktion nicht unterbrechen. Dies ist eine autonome Fabrik.«
Peter wahrte sein wohlwollendes Gebaren, doch alle spürten, dass er kühler wurde. »Mr. Pellidor, ich habe berechtigte Zweifel geäußert. Die Sicherheit der Hanse hat für mich oberste Priorität.« Die Blicke der königlichen Wächter wechselten zwischen Peter und dem Hanse-Repräsentanten hin und her. Sie wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten.
»Derartige Entscheidungen müssen von den Experten getroffen werden, Euer Majestät«, beharrte Pellidor. »Wir werden dieses Problem mit gründlichen Analysen und sorgfältigen Untersuchungen lösen.«
»Das hoffe ich«, erwiderte Peter. »Aber bis dahin werden keine weiteren Soldaten-Kompis aktiviert. Das ist mein königlicher Befehl.«
»Eine solche Anweisung dürfen Sie nicht geben, Euer Majestät.«
Peter ließ sich seine Empörung anmerken und winkte den Arbeitern zu. »Glaubt jemand unter Ihnen, dass ein – wie war noch Ihr Titel? – Sonderbeauftragter des Vorsitzendem im Rang höher steht als der König?« Er lachte, um auf die Absurdität dieser Vorstellung hinzuweisen. Die meisten Arbeiter lachten ebenfalls. Die Beamten wurden unruhig und wichen zurück.
Peter wandte sich an die Arbeiter. »In dieser Fabrik haben alle hart gearbeitet und können stolz auf das Erreichte sein. Es dürfte Ihnen kaum etwas ausmachen, sich während der nächsten Wochen weniger anstrengen zu müssen. Natürlich bekommen Sie vollen Lohnausgleich.«
Die Arbeiter jubelten und Pellidors Gesicht wirkte starr wie eine Maske. Plötzlich erkannte Peter ihn wieder. Pellidor war einer jener Männer gewesen, die den jungen Raymond Aguerra entführt hatten. Zorn entflammte hinter Peters blauen Augen, doch er hielt ihn unter Kontrolle.
»Sie gehen zu weit, Peter«, sagte Pellidor gerade laut genug, damit er ihn hörte.
»Wie könnte das möglich sein?« Peter hob spöttisch die Brauen. »Fragen Sie diese Leute: Bin ich nicht der König?«