10 KÖNIG PETER
Der König kleidete sich an, bevor er seine Gemächer verließ. An diesem Morgen hatten die Bediensteten bunte, verzierte und unbequeme Gewänder bereitgelegt, die zweifellos von einem Komitee entworfen und ausgewählt waren. Peter schenkte ihnen keine Beachtung, wählte seine eigenen Sachen und schickte die Lakaien fort, die ihm bei Knöpfen und Kragen helfen wollten. Raymond Aguerras Mutter hatte ihn gelehrt, sich selbst anzuziehen.
»Basil will gar keinen Herrscher«, wandte er sich wie beiläufig an den Lehrer-Kompi. Jahrelang hatte OX ihm von den Nuancen der Macht und Rhetorik erzählt und inzwischen sah er in dem Kompi mehr als nur eine Datenbank oder eine Sammlung historischer Dateien. Er zog an einer Manschette. »Er will einen Schauspieler.«
Peter hatte schon früh beschlossen, sich alle Mühe zu geben, ein guter König zu sein. Spielerisch zunächst hatte er damit begonnen, hier und dort kleine Veränderungen vorzunehmen, deren Bedeutung sich darauf beschränkte, seine Unabhängigkeit zu zeigen. Statt der protzigen, mit Schmuck überladenen Umhänge König Fredericks trug er eine schlichte Uniform, grau, blau und schwarz. Der Vorsitzende war damit einverstanden und glaubte, dass der preußische Stil besser zu einem Volk im Krieg passte.
»Sie sollten besser beides sein, König Peter«, erwiderte OX, der ebenso wie Basil Wenzeslas dazu übergegangen war, den König zu siezen. Der freundlich aussehende Lehrer-Kompi hatte die Siedler begleitet, die mit dem ersten Generationenschiff von der Erde aufgebrochen waren. Jetzt stand er in den Diensten der Terranischen Hanse und half bei der Ausbildung der Großen Könige. »Aber es verbirgt sich noch mehr hinter Ihrer Rolle. Die Menschen müssen an Sie glauben.«
Peter lächelte. »Also gut. Gehen wir und zeigen wir uns beim Weg zum Situationsraum.«
Als Raymond war er in einer eng miteinander verbundenen, aber sehr armen Familie aufgewachsen. Er hatte mit Gelegenheitsarbeiten Geld verdienen müssen und dabei die gewöhnlichen Leute kennen gelernt, die nie Aufsehen erregten.
Jene Menschen waren die tatsächlichen Untertanen des Königs, aber Basil ließ sie bei seinen großen Plänen außer Acht. Der Vorsitzende verstand sich ausgezeichnet darauf zu erkennen, wie die einzelnen Teile eines Puzzles zusammenpassten, aber der kleinere Maßstab des Lebens blieb ihm fremd. Er kannte keine echten Menschen, nur politische Projektionen und allgemeine ökonomische Konzepte. Das machte ihn zu einem guten Geschäftsmann, aber nicht zu einem Oberhaupt, das Loyalitätsgefühle weckte.
Mit OX an seiner Seite schritt Peter durch den breiten Flur. Er lächelte einer hispanischen Frau in mittleren Jahren zu, die eine Alabasterbüste von König Bartholomäus putzte. »Hallo, Anita.« Er betrachtete das perfekte Gesicht der Statue. »Glauben Sie, der alte Bartholomäus hat wirklich so ausgesehen? Oder handelt es sich vielleicht um eine idealisierte Darstellung?«
Die Frau freute sich darüber, dass er ihr Aufmerksamkeit schenkte. »Ich… ich vermute, so sah er für das Auge des Bildhauers aus, Euer Majestät.«
»Da haben Sie sicher Recht.«
Zusammen mit OX setzte Peter den Weg zu der früheren Bibliothek fort, die man inzwischen in einen Situationsraum verwandelt hatte. Einst war sie voller Bücher gewesen, viele von ihnen so alt und fragil, dass man sie gar nicht mehr lesen konnte. Jetzt füllten flache Displays die Regale.
Taktische Offiziere und Berater fanden sich hier regelmäßig ein, um einen Eindruck von der Lage auf den Hanse-Kolonien zu gewinnen und festzustellen, wo in den zehn Raum-Gittern sich Schiffe der Ildiraner und der TVF befanden. Zwar lud man Peter nie offiziell ein, aber trotzdem kam er einmal in der Woche hierher. Keiner der Experten schickte ihn fort – dazu wäre eine Anweisung des Vorsitzenden nötig gewesen. Doch Basil machte nie eine Szene. Als der König und OX eintraten, saß Wenzeslas in einem gepolsterten Ledersessel und nickte nur.
Nahton, der grüne Priester des Flüsterpalastes, war ebenfalls zugegen und saß neben einem jungen Weltbaum, dessen goldener Stamm spindeldürr wirkte – er hielt sich für den Empfang von Telkontakt-Berichten bereit. Nachrichten trafen auch mit Postdrohnen ein, die große Strecken zurücklegten und nur wenig Ekti verbrauchten. Solche Drohnen brachten nicht nur Mitteilungen und Transportdaten der Hanse-Welten, sondern auch Bilder von Städten für die Kolonie-Datenbank.
»Wir haben noch immer nichts von der Dasra-Erkundungsflotte gehört, Vorsitzender«, sagte Admiral Lev Stromo. »Sie ist jetzt eine Woche überfällig.«
Eine Gruppe von TVF-Schiffen war zu einem Gasriesen geschickt worden, um dort einen weiteren Versuch zu unternehmen, mit den Hydrogern zu verhandeln. Es war in erster Linie eine Public-Relations-Geste, und niemand erwartete einen greifbaren Erfolg. Bisher hatten die Fremden alle Friedensangebote ignoriert.
»Wir hätten der Flotte einen grünen Priester für die unmittelbare Kommunikation mitgeben sollen«, brummte Basil. »Leider konnten wir keinen erübrigen.«
Nahton blieb ungerührt und schenkte der indirekten Kritik keine Beachtung.
Militärberater und Koloniespezialisten sahen sich Updates an und entwarfen ein komplexes Muster der Zivilisation. Derzeit gab es neunundsechzig Planeten, die die Charta der Hanse unterzeichnet hatten. Hinzu kam eine Hand voll Satellitenkolonien und nicht verzeichneter Lager. Strategen besprachen bekannte Veränderungen beim Schiffseinsatz und anschließend modifizierten Techniker die Bilder, um einen möglichst präzisen Eindruck von der Lage im Spiralarm zu vermitteln.
Peter betrachtete die Details und versuchte, eigene Schlüsse zu ziehen.
Nahton krümmte die Finger um den dünnen Stamm des Schösslings und verband sein Bewusstsein mit dem Weltwald. Von überall im Spiralarm übermittelten grüne Priester dem Wald Berichte, und auf diese Informationen griff Nahton zu. Falten bildeten sich in seiner Stirn und die dunklen Tätowierungslinien in seinem Gesicht strebten aufeinander zu. Schließlich sah Nahton besorgt auf. »Ich habe Berichte von sechs verschiedenen grünen Priestern bekommen, vier auf Kolonialwelten und zwei an Bord von diplomatischen Schiffen.«
Basil bemerkte Nahtons Besorgnis und beugte sich vor. »Worum geht es?«
»Mehrere Kugelschiffe wurden beim Flug durch unbewohnte Sonnensysteme gesichtet. Sie haben keinen Kontakt hergestellt, sich aber mehreren Planeten genähert und offenbar Sondierungen vorgenommen.«
Peter deutete auf die Sternkarte. »Kennzeichnen Sie die Stellen, wo man die Kugelschiffe gesichtet hat. Vielleicht lässt sich ein Muster erkennen.«
»Nur sechs meiner Kollegen sahen die Hydroger.« Der grüne Priester nannte die Namen weit entfernter Sonnensysteme und rote Punkte erschienen im Mosaik. »Usk. Cotopaxi. Boone’s Crossing. Palisade. Hijonda. Paris Drei.«
OX trat einen Schritt vor, obgleich seine visuellen Sensoren leistungsfähig genug waren, um alle Einzelheiten selbst aus größerer Entfernung zu erkennen. »Das scheint keine einfache Verteidigungsstellung zu sein. Nun, nicht auf allen Kolonialwelten befinden sich grüne Priester. Viele andere Kugelschiffe der Hydroger könnten unentdeckt geblieben sein.«
Basil runzelte die Stirn. »Untersuchen Sie alle von Postdrohnen übermittelten Dateien. Stellen Sie fest, ob es Droger-Bilder gibt.«
»Nach den Berichten haben die Kugelschiffe keine Anzeichen von Feindseligkeit gezeigt«, sagte Nahton. »Es scheinen Scouts zu sein, die von einem Sonnensystem zum nächsten fliegen.«
»Die Hydroger verlassen ihre Gasriesen nicht, nur um ein bisschen herumzuschnüffeln«, sagte Admiral Stromo. Er hatte das Kommando über die Gitter-0-Flotte geführt, die beim Jupiter von den Fremden besiegt worden war. »Bisher kamen sie immer nur, um anzugreifen.«
Dieser Hinweis gab König Peter zu denken. Er beobachtete die roten Punkte der Kugelschiff-Sichtungen, die kein erkennbares Muster formten. »Bis jetzt.«