15

An einem Samstagmorgen im Januar fährt Senator Yowell mit seinem weißen Chevrolet Geländewagen in die Auffahrt zu unserer Wohnung. Unser Subaru wirkt daneben wie ein Zwerg. Da die Vorlesungen erst in einer Woche beginnen, ist Joe noch da. Er schläft auf einem Feldbett im Wohnzimmer. Nachts liegt er meist lange wach und liest Bücher auf Deutsch und Französisch, die vor über hundert Jahren geschrieben wurden. Als er die Wohnungstür aufmacht, bespreche ich gerade mit Meredith am Telefon, welchen Film wir später sehen wollen. Sie hat angeboten, nachher auf dem Weg zu mir bei der Videothek vorbeizugehen. Nick übernachtet bei einem Fußballkollegen, und Joe hat schon einen Plan entworfen, wie er Mom und Dad irgendwohin mitnimmt, damit Meredith und ich ein bisschen Zeit für uns haben. Wenn ich Müdigkeit vorschütze, ist Mom nur schwer zu überzeugen, dass sie weggehen kann.

Das Wunderbare an der Wohnung ist, dass hier alles so viel leichter ist als auf dem Boot. Ich war überrascht, wie schnell ich vergessen hatte, wie es an Land so läuft. Wir müssen unseren Besuch nicht mehr hin und her übers Wasser bringen. Wir haben jetzt viel Besuch. Und die zweite wunderbare Überraschung ist, dass der Typ, der sonst hier wohnt, sein Telefon nicht abgemeldet hat. Es gibt also kein Minutenlimit mehr wie beim Handy.

»Joe, schön, dich zu sehen. Noch Ferien?« Senator Yowells Stimme hallt wie ein Ghettoblaster in einer Tiefgarage. Das Schweigen bedeutet, dass sie jetzt die Hände schütteln. Weil Politiker immer so viel Hände schütteln wollen, hab ich Leonard mal gesagt, es müsse da wohl einen geheimen, unbewussten Code geben, der von Hand zu Hand weitergereicht wird, so wie man damals in den Achtzigern befürchtete, dass Werbung unbemerkt das Unterbewusstsein beeinflusst.

Nachdem Meredith und ich unser Gespräch beendet haben, gehe ich ins Wohnzimmer, um Hallo zu sagen. Wir haben Senator Yowell nicht erwartet, und er ist noch nie einfach so vorbeigekommen. Ich kann nur vermuten, dass es was mit seiner Wiederwahl oder mit Leonard zu tun hat. Leonard geht mit einem Mädchen von St. Margaret’s, das von den Bahamas stammt. Christie. Nicht sehr groß, aber mit viel Oberweite und einer reichen Familie, wie Leonard sagt. Wann immer ich ihn treffe, redet er von nichts anderem. Seit er mit dieser Christie zusammen ist, treffen wir uns neuerdings manchmal auf der Water Lane. Ich gehe dann zumeist zum Secondhand-Buchladen oder zum Friedhof oder zu Meredith, und er holt Christie ab oder bringt sie nach Hause. Sie passt gut zu Leonard, ganz sicher. Obwohl mir schleierhaft ist, wie sie so aufrecht stehen kann und nicht nach vorn kippt mit all dem extra Gewicht da oben.

Der Senator streckt seine Hand in meine Richtung. »Guten Morgen, Daniel«, grüßt er mich. »Leonard sagt, er hat dich letztes Wochenende rumspazieren sehen.«

So charakterisiert mich wahrscheinlich die ganze Stadt, »Daniel spaziert rum«, als wäre ich ein alter, gebrechlicher Nachbar, der jahrelang im Bett lag und sich jetzt wieder erholt hat. Da ist mir die Anonymität vom letzten Jahr lieber gewesen, als ich einfach nur ein strubbelhaariger Junge ohne Manieren war. Wenn ich früher mal spazieren ging, hatte das keinen Hot-News-Status.

»M-hm, ich glaube, er wollte zum Basketball-Spiel von St. Margaret’s«, erwidere ich smalltalkmäßig.

»Ja, Christie ist eine von den Dohlen.«

Ich sehe zu Joe. Was meint er?

Der Senator bemerkt mein Unverständnis. »Du weißt schon, eine von den Hupfdohlen. Sie ist Cheerleader. Für das Team von St. Margaret’s. Das war ein Pokalspiel – jedenfalls hat Leonard so was gesagt, glaube ich.«

An seinem Zögern zwischen den Worten merkst du, dass er nicht sicher ist, was für ein Spiel es war, aber er versucht, hip zu sein und über Sachen zu reden, die einen Teenager seiner Meinung nach interessieren.

»Grüßen Sie ihn mal von mir.« Ich geh an Joe vorbei durchs Wohnzimmer in die Küche.

»Daniel.« Es klingt fast wie ein Befehl.

»Ja, Sir?« Ich bin sicher, der gute Senator merkt an meiner hochfahrenden Stimme, wie ich über seinen Ton gelinde gesagt irritiert ich bin.

»Du solltest hierbleiben«, sagt er ruhig, aber eisern. »Ich will mit deinen Eltern über diese Anzeige wegen Vernachlässigung sprechen, und das betrifft auch dich.«

»Haben meine Eltern darum gebeten, dass Sie kommen?« Ich hab keine Lust, vom großartigen Senator Yowell einen Vortrag über soziale Verantwortung oder so etwas zu hören.

Er klimpert mit den Schlüsseln in der Tasche und mustert Joe, um abzuwägen, ob der jetzt wohl eingreift, damit der Senator sich nicht mit diesem streitlustigen Teenager rumschlagen muss

Er antwortet nicht auf meine Frage. »Sind sie hier?«

Joe deutet auf einen Sessel für Senator Yowell. »Ich hole sie.«

Ich finde es unglaublich, dass Joe diesem Mann, der für seine Korruptheit bekannt ist, Mom und Dad so einfach darbietet wie Opferlämmer. Ausgerechnet Joe, der wissen muss, was für Puristen Mom und Dad sind. Sie haben Walker bereits für die Anfechtung bezahlt. Sie werden sich auf keinen Deal einlassen, für den sie irgendeine Fehlentscheidung mich betreffend eingestehen müssen. Sie haben ihr Leben auf ihren Prinzipien aufgebaut. Weniger als alle anderen Erwachsenen, die ich kenne, sind meine Eltern zu Kompromissen bereit, weder für Geld noch sonst irgendeinen persönlichen Nutzen.

Senator Yowell, soviel er auch immer von der Treue seinen Wählern gegenüber faselt, ist bestimmt nicht anders als all die anderen Politiker in Richmond. Er betreibt Politik wie ein Händler: Um sechs Sachen durchzukriegen, die er will, gibt er fünf auf, die ihm nicht so wichtig sind. Ich habe gehört, was Mom über die Erlöse aus dem Lotteriespiel erzählt hat, die eigentlich an die Leihbüchereien gehen sollten. Für seine Kampagne, den Straßenbelag der Route 17 erneuern und die West Point Bridge neu bauen zu lassen, damit die – hoffentlich bald zahllosen – Touristen leichter nach Essex County reisen können, hat er diese Zuwendungen zurückgeschraubt.

Auch wenn Dad sagt, so laufe es eben in der Welt, glaube ich nicht, dass sie ihn gewählt haben. Mehr Verkehr und mehr Straßen schädigen das Ökosystem und fördern die globale Erwärmung. Zwei ihrer Lieblingsthemen.

Senator Yowell setzt sich, steht aber bald schon wieder auf. Aus dem hinteren Schlafzimmer hören wir Joe mit Mom und Dad verhandeln. Die Schranktür wird geöffnet und geschlossen. Die Toilettenspülung betätigt. Nach einem faulen Samstagmorgen mit der Zeitung im Bett müssen die beiden sich nun anziehen.

»Wie geht es dir, Paul?« Dad ist als Erster draußen, barfuß. Er krempelt die Ärmel hoch und lächelt. »Tut mir leid, dass du warten musstest. Mit Nicks Fußballspielen und Daniels Geschichte haben Sylvie und ich in letzter Zeit nicht mehr oft Gelegenheit, auszuschlafen.«

Senator Yowell tritt vor und schüttelt ihm die Hand. »Tatsächlich ist Daniels Geschichte der Grund, weshalb ich hier bin.«

»Aha?«

»Ich warte lieber noch auf deine Frau.«

»Sicher, sicher. Wie wär’s mit Kaffee?«

»Nur, wenn er schon fertig ist. Ich hab zu Hause welchen getrunken. Darf dieses alte Herz nicht mehr so sehr belasten.«

Dad sieht zu mir, wie ich auf der Heizung sitze und auf die Straße hinausschaue. »Hast du nicht noch Hausaufgaben zu machen, Daniel?«

»Ich habe ihn gebeten, hierzubleiben«, sagt der Senator und steht so ungelenk da wie beim Plumpsack, wenn du zu langsam warst. Abgesehen von der Nacht der Party, als Leonard ihn praktisch aus der Küche geworfen hat, hab ich ihn nie zuvor so komisch aus der Wäsche gucken sehen. Der dunkle Anzug und die gestreifte Krawatte reichen aus, dass er in unserer Wohnung fremd wirkt. Die Yowells und meine Eltern sind nicht so eng miteinander befreundet, dass sie sich gegenseitig nach Hause zum Essen einladen oder zusammen ins Kino gehen. Aber sie treffen sich wohl auf Partys anderer Leute und haben dort Kontakt. Und der Senator und meine Eltern duzen sich.

Während meine Mutter durch den Flur kommt, fährt sie sich mit den Fingern durch die Haare, als wär ihr eben eingefallen, dass sie sich noch nicht gekämmt hat. Dad wirkt wie hypnotisiert von ihrer Erscheinung. Was ein guter Hinweis darauf ist, dass sie da hinten nicht wirklich geschlafen haben. Er zwinkert ihr zu und wird rot, als er merkt, dass ich es gesehen habe. Mom kriegt nichts mit. Sie geht direkt zu Senator Yowell und nimmt ihn kurz in den Arm.

»Das ist ja so lieb von dir, dass du das tust, Paul.«

Dass er was tut? Ich bin völlig verwirrt. Hat die Vernachlässigungsklage uns derart zu sozial Ausgestoßenen gemacht, dass es gefährlich ist, zu uns nach Hause zu kommen? So lieb von dir, dass du das tust? Was hat er getan, außer einen perfekten Samstagmorgen zu stören mit der Anspielung auf die peinlichste Sache, die den Landons je passiert ist – verursacht durch die Unfähigkeit meines Körpers, die richtige Art von Blutkörperchen zu bilden?

»Wäre es am Küchentisch praktischer?«, will Mom wissen. »Mit Stift und Papier?«

»Gute Idee.« Er folgt ihr in die Küche, dann folgt Dad den beiden, und ich bleibe auf der Heizung sitzen und frage mich, was mit mir los ist, dass ich nicht verstehe, wovon zum Teufel die reden und seit wann sie die besten Freunde sind.

»Daniel«, ruft Dad. »Wir warten auf dich.«

Ich werde immer neugieriger.

Während der Senator über das bestehende Gesetz redet und die Gründe, warum das Jugendamt Klage gegen Mom und Dad eingereicht hat, hören wir zu, ohne ihn zu unterbrechen. Walker hat ihnen das bereits alles erklärt, wahrscheinlich sogar mehr als ein Mal, aber ich habe bisher immer nur Bruchstücke mitbekommen. Der Vortrag des Senators ist sehr langatmig. Dennoch bin ich beeindruckt, wie sehr er sich mit den Details auskennt. Ich hätte nicht gedacht, dass er einem so kleinen Fall in seinem Wahlbezirk so viel Aufmerksamkeit schenken würde.

Er lächelt abwechselnd zu Mom und zu Dad. Es sieht so aus, als wollte er dafür sorgen, dass sie allein durch den Augenkontakt immer weiternicken. »Natürlich wisst ihr«, sagt er, »dass die diesjährigen Sitzungen zur Gesetzgebung bereits in Gang sind. Die Zeit läuft uns davon. Ich habe den Text des neuen Gesetzentwurfs mitgebracht, der euch allerdings nicht viel sagen wird mit all dem Rechtskauderwelsch. Kernaussage ist, dass es dem Gericht bei Vernachlässigungs- und Miss-brauchsfällen eine Hintertür offen lässt, wenn die oder der Jugendliche mindestens vierzehn ist und über alle medizinischen Aspekte und Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt wurde. Und natürlich wenn er oder sie zustimmt.«

Der Senator schlürft seinen Kaffee, als würde ihm die Zeit genau hier in dieser Küche davonlaufen, falls er die Worte nicht schnell genug rausbekommt. Meine Eltern hängen an seinen Lippen. Ich bin ganz aufgeregt bei der Vorstellung, dass ich der Jugendliche bin, von dem sie sprechen: Deshalb bekomme ich einiges nicht mit, was er über Senatoren sagt, die den Gesetzentwurf mit unterstützen, und wie die einzelnen Delegierten seiner Meinung nach abstimmen werden.

»Wie zu erwarten war, haben sie ein paar Bedingungen daran geknüpft.« Er lacht auf, redet aber sofort weiter. »Der oder die Jugendliche muss reif sein und die Krankheit lebensbedrohlich. Natürlich können wir jetzt noch nicht wissen, wie der Text am Ende lauten wird.« Er fährt damit fort, uns zu sagen, wer sich bereits für das neue Gesetz ausgesprochen hat und wer noch unentschieden ist. Einige der Namen habe ich schon mal irgendwie in den Nachrichten gehört, aber ich interessiere mich nicht besonders für Abstimmungsergebnisse von Politikern. Senator Yowell scheint jeden anderen Politiker danach einschätzen zu können, wie er zu bestimmten Themen abgestimmt hat (oder nicht), von denen ich nicht mal zu fünfzig Prozent jemals etwas gehört habe. Mom und Dad nicken immer noch.

Ich verliere den Faden, als Mom mit ihrer Litanei von Fragen ansetzt, wie das denn nun mit der Vernachlässigungsklage zusammenhängt, die der Grund für ihren Schuldspruch war. Wie kommt sie darauf, dass der Senator sich für diese Anklage interessiert? Warum macht er hier plötzlich einen auf bester Kumpel meiner Eltern, die ihm bestimmt nie irgendwas für seinen Wahlkampf spenden werden. Die finanzielle Situation der Landons ist in allen Klatsch- und Tratschgesichten der Stadt sicher ebenso Thema wie die KRANKHEIT. Ihre Stimmen dröhnen von fern an mein Ohr, während ich angestrengt überlege, ob ich Filme oder Fernsehsendungen über politische Intrigen kenne, die das plötzliche Interesse des Senators an einer so unbedeutenden Angelegenheit erklären könnten, wo er sich doch um viel größere Themen kümmern sollte, zum Beispiel die legislative Agenda des gesamten Staates.

Holden würde ernsthaft an der Aufrichtigkeit des Senators zweifeln. Er würde an die Pencey denken und den alten Knacker Ossenburger, der haufenweise Geld gespendet hat, damit sie ein Wohnheim nach ihm benennen, weil er sich selbst so megamäßig findet. Ich wünschte, ich hätte Holdens Freund Marsala hier, der jetzt einen fahren lassen könnte oder rülpsen würde oder was auch immer, nur irgendetwas, um die Dinge wieder in die richtige Perspektive zu rücken. Trotz aller großen Worte und flotten Phrasen möchte ich wetten, dass der Senator keine Ahnung hat, welche Behandlungsmöglichkeiten mir überhaupt noch offenstehen. Ich weiß es ja selbst nicht. Er muss einen Grund haben, weshalb er dieses Gesetz geändert sehen möchte. Einen Moment lang überlege ich, ob Leonard vielleicht auch krank ist. Vielleicht werden wir alle von diesem blöden Fluss vergiftet. Aber dann sehe ich ein, dass das nur gedachter Invasion-der-Körperfresser-Mist ist.

Ohne mitzukriegen, dass er mich verloren hat, leistet der Senator weiterhin Überzeugungsarbeit. Das kann er immerhin am besten. »Wenn der Gesundheitsausschuss den Gesetzentwurf durchwinkt«, sagt er, »geht er nächste Woche vor das Repräsentantenhaus, vielleicht Dienstag. Dann muss der Entwurf vor Ablauf der nächsten Woche noch vom Senatsausschuss bestätigt werden und dann vom ganzen Senat. Ich bleibe dran.«

Moms Augen leuchten bereits, aber Senator Yowell redet und redet.

»Ich glaube, mit ein bisschen Überredungskunst kann ich genug Stimmen zusammenkriegen. Die religiöse Rechte liebt es. Die Republikaner lieben es, weil es dem Staat Macht wegnimmt und dem Individuum zurückgibt, den Familien. Wenn wir genug Stimmen bekommen, wird es durchgewunken.«

Was Senator Yowell im Grunde sagen will, ist, dass er versucht, innerhalb von sieben Tagen ein Gesetz zu ändern, das seit Jahren, vielleicht sogar Jahrhunderten besteht. Ich bin erst sechzehn, aber sogar ich kann sehen, dass das ganz schön optimistisch gedacht ist. Alle reden ständig davon, wie altmodisch Virginia ist.

An Moms Gesicht kann ich erkennen, dass sie ihm glauben will. Aber die letzten sechs Monate haben es ihr schwergemacht, überhaupt an was zu glauben. Trotzdem widerspricht sie nicht.

Dad sieht verloren aus. »Das klingt ... kompliziert, Paul. Und ... ist es nicht schon zu spät für uns? Ich meine nicht für Daniel, sondern für den Richter und unsere Verurteilung.«

»Oh, nein!« Senator Yowell schüttelt den Kopf wie ein Zocker am Pokertisch in einem Hollywoodfilm. Er spielt den Ich-steh-direkthinter-euch-Aufrichtigen. »Die Gerichte wissen noch nichts von dem neuen Gesetzentwurf. Und der Aufschub durch die Anfechtung sollte euch helfen. Nimmt euch aus dem Rampenlicht. Ein Richter kann dann später umschwenken, wenn Richmond sich nur laut genug meldet.« Seine Stimme wechselt vom Mann-mit-Verantwortung-Modus in den Krankenpfleger-Modus. Megaschleimig. »Sylvie, ich bitte euch ja nicht, Partei zu ergreifen oder öffentlich aufzutreten. Ich brauche nur eure Zustimmung zum nächsten Schritt. Was mit dir und Stieg passiert ist, liefert den Delegierten ein klares Bild. Ich bin egoistisch genug zuzugeben, dass eure Situation genau das ist, worauf wir gewartet haben, um die Einmischung des Staates in Familienangelegenheiten einzuschränken.«

Mom versagt beinahe die Stimme. »Werden wir vor dem Ausschuss aussagen müssen?«

»Das wird wohl nicht nötig sein. Ihr habt schon so viel getan. Den Rest könnt ihr uns überlassen.«

Dad macht ein skeptisches Gesicht. »Bist du sicher, dass die Presse sich nicht auf Daniel stürzen wi...«

»Die Leute vom Jugendamt werden schreien«, unterbricht ihn Mom. »Diese Frau wird das nicht einfach auf sich beruhen lassen. Sie wird dagegen ankämpfen. Du weißt, dass sie das tun wird. Wahrscheinlich steht ihr Job auf dem Spiel, wenn sie nicht genug Leute drankriegt: soundso viele nachgewiesene Vernachlässigungen, soundso viele Kinder zu Pflegeeltern. Sie ist immer noch sauer, dass wir Unterstützung aus dem Hilfsfonds von Medicaid bekommen, nachdem unsere Ersparnisse für das Hausboot draufgingen.«

Das ist mir neu. Und es haut mich um. Die ganze Zeit über dachte ich, Mom und Dad hätten sich bis aufs Blut verschuldet, um mich auf diesem blöden Hausboot von Keimen fernzuhalten. Dabei haben sie in Wahrheit das System manipuliert. Vielleicht sogar betrogen.

»Daniel.« Dad sieht wahrscheinlich, wie mir die Flammen aus den Ohren schießen. »Über Medicaid können wir später reden.«

»Nein, nicht später und nicht jetzt.« Ich stehe auf. »Ihr seid doch alle gleich. Macht Deals, tauscht Schulunterricht gegen Bluttransfusionen, verhandelt über mein Leben.« Wehe, wenn Senator Yowell jetzt über mich schmunzelt! Wütend sehe ich zu Dad. »Kein Aye-aye, Sir, abergerne, Sir mehr! Macht doch alle, was ihr wollt mit euren Deals und Tauschgeschäften und sonst was, aber lasst mich aus dem Spiel!«

Ich bin schon halb bei Meredith, als der Windschutz vor unserer Haustür gegen den Rahmen schlägt. Ich höre ihn laut zuschlagen, und aus dem Augenwinkel sehe ich Dad in Hemdsärmeln auf der vorderen Treppe. Er reibt sich vor Kälte die Arme, sagt aber nichts, während ich verschwinde, sondern sieht mir nur nach. Gutes Training, Dad, gutes Training.