15

Angela lud ihn am folgenden Wochenende wieder auf die Farm ein. Am Samstag, nachdem sie den ganzen Tag in berstender Hitze Ballen gehievt hatten, fuhr die Familie hinaus zum Stausee des Swede Lake, mit einem Rennboot im Schlepp und einem Picknick auf der Ladefläche des Trucks. Die Fahrzeuge holperten durch das ausgedörrte Hochland der Prärie, in dem gelb und dunkelrot die Feigen- und die Warzenkakteen blühten. Ein halbes Dutzend Rostbrachvögel huschte über die Straße und zwischen die Kakteen. Auf diesem Land wuchsen nur wenige Bäume; die Prärie ergoss sich übergangslos hinein in den See. Nashornpelikane schöpften mit ihren weit geöffneten, orangefarbenen Schnäbeln Fische aus dem Stausee, und als Bjorne das Boot rücklings ins Wasser gleiten ließ, erhoben sie sich gleichzeitig, wie an einer Schnur gezogen, in einem Windstoß aus Flügelschlägen empor in die Lüfte. Der Bootsrumpf war noch nicht ganz nass, als Bjorne bereits den Motor anließ und die Wasserskier nebeneinander auf den Sandstrand legte.

»Los geht’s!«, brüllte er. »Becca, du bist mein Beifahrer.« Seine elfjährige Tochter sprang in ihrem geblümten, von der Sonne verblichenen und verschlissenen Badeanzug in das Boot und bezog auf dem Heck Position, um Bescheid zu geben, wenn ein Skifahrer gestürzt war, und Handzeichen weiterzumelden.

»Die Gäste zuerst«, rief Helen.

Alle Augen ruhten auf Trevor. Er starrte auf die Reihe breiter Wasserskier aus Fiberglas und wollte nicht zugeben, dass er nicht schwimmen konnte. »Ich brauche erst mal ein Bier. Ich bin fix und alle«, sagte er in einem Ton, von dem er hoffte, er möge lässig klingen.

»Angie!«, brüllte Bjorne, drehte den Motor hoch und ließ das Schlepptau ins Wasser fallen. »Los!«

Angela beugte sich vor und berührte Trevors Arm, als sie an ihm vorüberging. »Willst du nach mir?« Sie legte eine Schwimmweste an, spazierte in den See hinein und streifte sich einen der Skier über. Trevor eilte zu ihr und hob den zweiten Ski vom Strand, um ihn ihr zu reichen, doch bevor er auch nur noch einen Schritt machen konnte, griff sie nach dem vorüberschwingenden Haltegriff, platzierte einen Fuß mühelos hinter den anderen und schoss auf dem einzelnen Ski davon. Trevor fiel die Kinnlade herunter, als er ihr dabei zusah, wie sie gekonnt über die wellige Oberfläche preschte und die Gischt hinter ihr niederging wie ein Wasserfall. Das Publikum an Land klatschte und jubelte.

»Bjorne läuft barfuß Wasserski«, sagte Nancy und hielt sich die Hand vor Augen, um sich vor der Sonne zu schützen. »Aber nicht diesen Sommer.«

»Barfuß?« Trevor konnte sich das nicht vorstellen. »Tut das nicht weh?«

»Nur wenn das Wasser flach ist wie ein Badewanne. Dann hat es zu viel Reibkraft.« Luke ließ einen keilförmigen Stein durch das Wasser schnellen. »Er bringt mir das bei.«

Helen reichte Trevor einen Gartenstuhl und ein Bier, und er setzte sich mit Nancy, Helen und Axel neben den Truck, während Jake am Ufer des Sees im Schilf paddelte. Angela glitt zurück an Land, trat selbstsicher aus der Bindung heraus und auf den Strand, ihr Haar war immer noch trocken.

»Jetzt bist du dran.« Sie ging an Trevor vorüber zur Kühlbox und nahm ein Bier heraus.

»Lass erst Luke«, erwiderte Trevor. »Wenn er noch sehr viel länger warten muss, wird er sich womöglich in die Hose machen.«

»Danke, Mann.« Luke rannte auf das Wasser zu; die Muskeln seiner Beine wirkten wie aus Holz geschnitzt.

Als Trevor eine dritte Einladung ausschlug mit der Entschuldigung, er habe zu viel Bier intus, zog Angela die Nase kraus und lud Luke zu einem Duett auf Skiern ein. Die beiden fuhren zwanzig Minuten lang Slalom im jeweiligen Kielwasser des anderen. Als Nächste lief Nancy, dann kam Becca — das einzige Familienmitglied, das beim Wasserskifahren beide Füße benutzte. Jake kletterte auf Trevors Schoß und lehnte sich zurück, sein nasser Körper lag kühl auf Trevors Bauch. Trevor wusste nicht, was er mit seinen Händen anfangen sollte, hatte er doch noch nie zuvor ein Kind auf dem Schoß gehabt. Nach einem Moment der Unschlüssigkeit legte er seine Fingerspitzen auf Jakes Schultern und war verblüfft über die Zartheit seiner Haut und die Tatsache, dass der Junge daraufhin den Kopf weit zurücklehnte und ihn anstrahlte. Jakes Augen hatten die gleiche Farbe wie Bjornes.

In der Zwischenzeit waren noch zwei weitere Familien mit ihren Booten eingetroffen, und aus dem Abend wurde eine Party, bei der Essen und Trinken mit der gleichen rasenden Geschwindigkeit aufgetischt und vertilgt wurden, mit der die Boote über das Wasser flogen. Nach dem Abendessen nahm Bjorne seine Eltern mit an Bord und drehte mit ihnen eine langsame Runde auf dem See. Als Helen und Axel es sich wieder auf ihren Gartenstühlen bequem gemacht hatten, gab Bjorne seiner Schwester ein Handzeichen, worauf Angela sich zusammen mit Luke, Becca und drei ihrer Freunde am Ufer aufreihte. Das eine Boot zog die sechs Wasserskiläufer in einer Parallelformation auf den See hinaus. Sie bildeten Paare; jeweils einer der Läufer ließ seine Skier fallen, trat auf das Hinterteil der Skier seines Partners und kletterte dann auf dessen Schultern. Voller Ehrfurcht beobachtete Trevor, wie die drei Paare so nah beieinander durchs Wasser preschten, dass sie einander bei den Händen fassen konnten, um zwei Etagen von jeweils drei Körpern zu bilden. Er hielt die Luft an, als Becca von der mittleren Formation auf Lukes und Angelas Schultern kraxelte, um die Pyramide perfekt zu machen.

»Wie machen die das?«, stieß er aus.

»Übung«, erwiderte Helen.

Trevor pfiff und applaudierte mit all den anderen am Ufer, als die Pyramide eine elegante Runde über den See drehte und dann lachend versank, im seichten Wasser unweit des Strands. Trevor wollte aufspringen, nach unten rennen und sie alle umarmen, aber Jake war auf seinem Bauch eingeschlafen.

Später, als sie im Glanz des Sonnenuntergangs den Truck beluden, um wieder zur Farm zurückzufahren, reichte Angela ihm eine der Kühlboxen und meinte: »Du hättest sagen können, dass du nicht Wasserski läufst.«

»Ich wollte euch nur nicht bloßstellen«, witzelte er. »Ihr hattet da übrigens die Cheops-Pyramide nachgebaut.«

»Wie hast du es geschafft, Jake auf deinen Schoß zu kriegen?«, fragte sie und wedelte dabei mit dem Finger vor seiner Nase.

»Wir hatten uns miteinander verschworen, dich ins Wasser zu schmeißen.«

Sie wirbelte herum und gab Luke ein Handzeichen, der daraufhin mit dem Daumen auf drei seiner Freunde zeigte. Die vier Teenager umzingelten Trevor, nahmen ihm die Kühlbox aus der Hand und zerrten ihn zum See. Als er durch die Luft segelte und klatschend jenseits des Schilfs landete, betete er, das Wasser möge nur ja nicht so tief sein, dass er nicht mehr stehen könnte.

Trevor verschlief den größten Teil des nächsten Wochenendes, weil er sich von einer Verkaufsreise erholen musste, doch fingen er und Angela an, auf der Farm auszuhelfen, wann immer sie Zeit dazu hatten. Sie fuhren freitags nach der Arbeit los und Sonntagabend oder am frühen Montagmorgen wieder zurück. Jeden Abend, wenn es dunkel war und die anderen im Haus schliefen, schlich Angela sich in sein Zimmer. Eines Freitags kamen sie an und stellten fest, dass man das Einzelbett aus Angelas Zimmer herausgeholt und in Trevors Zimmer gestellt hatte. Die Betten standen da wie Ehebetten, und eine Vase mit Rudbeckien stand auf der Kommode. Am nächsten Morgen beim Frühstück schaufelte Helen eine Ladung Rührei auf ihre Teller und meinte: »Ich hoffe, ihr zwei nehmt Verhütungsmittel.«

Angela kniff ihrer Mutter in die Schulter. »Ich bin fast zweiunddreißig, Ma.«

»Bei Gott, genau das ist es ja, was mir Sorgen macht.« Helen gab zwei Extra-Streifen Speck auf Trevors Teller.

Zwischen Trevor und Bjorne entwickelte sich eine lockere Freundschaft. Bjorne zeigte ihm, wie man die Farmgeräte benutzte: den Gabelstapler, den Traktor, den Aufsitzmäher, den Mähdrescher. Trevor fuhr mit ihm im Truck, um die Bewässerungsrohre zu überprüfen oder Futter für das Vieh zu transportieren. Wenn sie in dem Ford über die Felder hoppelten, redeten sie über Eishockey. Über seine Herzprobleme sprach Bjorne nie. Trevor wusste von Angela, dass seine Herzoperation für Ende Oktober geplant war, nach der Ernte.

Mitte Juli bat Bjorne Angela und Trevor ihn zu begleiten, um von einer Farm im südlichen Saskatchewan einen Bullen abzuholen. Die drei zwängten sich nebeneinander ins Führerhaus des Fünftonnen-Trucks mit einem Lunchpaket von Helen, das groß genug war, um sie eine ganze Woche zu ernähren. Sie fuhren gen Süden, Angela zwischen den beiden Männern. Sie erzählten einander Witze und hörten Musik. Das Land wurde immer karger und flacher, je weiter sie nach Süden kamen. Unweit der Grenze zu Saskatchewan erstreckte sich zu beiden Seiten der Straße jahreszeitlich bedingtes Sumpfland, und der Asphalt wurde zu einem sich windenden Band, das an einem breiten, seichten See entlangtrieb. Riesige Schwärme von Kanada-Kranichen mit roten Köpfen suchten auf ihren dürren Beinen nach Futter; Riesentafelenten und Spießenten tauchten und fraßen in ihrer ausgelassenen Gemeinschaft. Als der Truck sich näherte, rannten die Vögel in Schwärmen über das Wasser, erhoben sich in die Lüfte und drehten in großen, lärmenden Wolken am Himmel ihre Runden. Tiefe Wolkenbänke nahten von Osten her, und der Wind wurde über der Weite des Wassers immer stärker. Kleine Wellen mit weißen Gischtkronen schlugen an den Straßenrand. Windböen brachten den Truck zum Schaukeln, drohten, ihn von der Straße in den mit Wasser gefüllten Graben zu wehen. Als der Sturm losging, fuhr Bjorne an den Straßenrand, weil die Regentropfen zu dick und zu schwer waren für die Windschutzscheibe, als dass sie draußen noch irgendetwas hätten erkennen können. Sie mussten sich gegenseitig anbrüllen, weil der Lärm auf dem Metalldach so heftig war; er machte die Atmosphäre im Inneren des Trucks intim und gemütlich. Trevor streckte seinen Arm hinter Angela auf der Rücklehne aus. Er wollte sie immerzu berühren und fragte sich, ob sich das so anfühlte, wenn man verliebt war.

Die drei und der Besitzer des Bullen brauchten eine ganze Stunde, um das angriffslustige Tier in den Truck zu bekommen. Auf der Heimfahrt schnaubte und scharrte er hinten, obwohl sie ihm ein Beruhigungsmittel verabreicht hatten.

»Warum macht ihr es nicht mit künstlicher Befruchtung?«, fragte Trevor.

»Wir haben es gern, wenn unsere Damen glücklich sind.« Bjorne zwinkerte Trevor zu und stupste Angela in die Seite, die ihm einen Klaps aufs Knie gab. »Hey Trev, ich habe ein Lied für dich geschrieben«, erzählte er.

»Für mich?«, fragte Trevor. »Du hast für mich ein Lied geschrieben?«

»Das habe ich. Es ist eine liebliche kleine Weise. Schade, dass ich meine Gitarre nicht dabeihabe.«

»Sing es trotzdem«, sagte Angela und lächelte Trevor an, der auf die Geste reagierte, indem er sprachlos dasaß. Jemand hatte ein Lied für ihn geschrieben? »Wie heißt es?«

»Weiß ich noch nicht genau«, gab Bjorne zur Antwort. »Es ist noch nicht ganz fertig, muss noch weiter ausgearbeitet werden.«

»Halt uns nicht hin«, protestierte sie. »Leg los, du kannst es an uns austesten.«

»Willst du es hören, Trev?«, fragte Bjorne.

»Ja, natürlich!« Trevor nickte vor sich hin. »Und ob.«

»Okay, los geht’s.« Bjorne schob seine Baseballkappe nach hinten und fing an zu singen, in einem klaren Bariton, der das Führerhaus mit Klang erfüllte.

»Auf dieser alten Farm malochst du dir die Finger wund.
Auf dieser alten Farm malochst du dir die Finger wund.
Doch geb’ ich sie nie auf, denn sie ist mein Zuhaus’.
Auf bei Morgengrau’n, das Land lässt mich nicht ruh’n.
Auf bei Morgengrau’n, das Land lässt mich nicht ruh’n.
Mein Körper, der schmerzt, ich werd’ malochen bis zum Tod.
Mein Baby, das liebt den Traktor mehr als mich.
Mein Baby, das liebt den Traktor mehr als mich.
Mein Baby, das wird geh’n, wenn der Traktor nicht mehr ist.
Bruder, ich hab’ den Swede-Lake-Traktor-Blues.
Bruder, ich hab’den Swede-Lake-Traktor-Blues...«

Er schlug mit der Handfläche auf das Lenkrad. »Verdammt, für die letzte Zeile will mir einfach nichts einfallen.«

Angela und Trevor sahen einander an und brachen in schallendes Gelächter aus, als sie Bjornes Gesichtsausdruck sahen.

»Was amüsiert euch beide denn so?« Er warf seine Kappe auf das Armaturenbrett, und unter seiner Bräune war zu sehen, dass seine Ohren und seine Wangen ganz rot wurden.

»Ich habe noch nie gesehen, dass du dich wegen irgendwas geschämt hast«, frotzelte Angela. Sie beugte sich hinüber und küsste ihn auf die Wange. »Es ist fantastisch«, versicherte sie ihm.

Bjorne drehte sich auf seinem Sitz und starrte an ihr vorüber Trevor an. »Ich brauche eine unparteiische Meinung. Trevor?«

Trevor hob die Hand, schloss die Augen und ließ das Lied in seinem Kopf noch einmal erklingen. »Wie wäre das hier«, meinte er und sang in einem schwankenden Tenor: »Bruder, ich hab den Swede-Lake-Traktor-Blues. Bruder, ich hab den Swede-Lake-Traktor-Blues. Mein Baby mach ich glücklich und kauf ihr ’nen John Deere.«

Bjorne stieß einen pfeifenden Laut aus, und Angela jubelte. »Perfekt. Das wird ein Hit werden«, frohlockte Angela und legte ihre Arme um ihrer beider Schultern. »Swede-Lake-Traktor-Blues von Bjorne Steffansson und Trevor Wallace, den Unschlagbaren.«

Trevor glaubte nicht, je zuvor in seinem Leben glücklicher gewesen zu sein, als in diesem Moment.

Der Sturm erwies sich als Vorbote glücklicher Fügungen, und die Regenfälle, die sie so dringend brauchten, setzten wie auf Stichwort ein. Auf den Feldern wuchs der Weizen hoch und grün, und die festen, hellen Samenköpfe verhießen eine erfolgreiche Ernte. Die Stimmung, die sich auf der Farm ausbreitete, spiegelte Zufriedenheit, sie hatten eine Glückssträhne.

Eines Abends Anfang August eiste Angela Trevor nach dem Abendessen ganz schnell von der Veranda los, bevor die Männer m ihn in ihre übliche Sitzung hineinziehen konnten, bei der geredet und geraucht wurde.

»Lass uns rausfahren.« Sie ließ die Schlüssel des Trucks von einer Hand in die andere fallen. Sie fuhren an Bjornes Haus vorüber und durch zwei Abzäunungen auf einen Pfad, der nur selten benutzt wurde. Da er inzwischen gut geschult war, öffnete Trevor jedes der zwei mal vier Meter großen Stacheldrahttore auf dem Weg und schloss es hinterher wieder. Der Pfad wurde nach der zweiten Abzäunung immer enger und war irgendwann in dem frisch gemähten Stoppelfeld kaum mehr als solcher zu erkennen. Der Truck schaukelte und rumpelte einen seichten Hügel empor, auf dem die Weizenfelder in unbebautes Land übergingen. Nur hie und da zierten Tüpfelchen niedriger Gräser und struppiger Salbeibüsche die steinige Landschaft.

»Wir lassen diesen restlichen Teil der eigentlichen Prärie wild wachsen.« Angela beschrieb mit ihrem Arm einen weiten Bogen. »Opa und Oma wollten es so. Wir haben hier eine Menge Pflanzen und Tiere, die man sonst kaum noch findet. Diese violetten Blumen sind Lupinen. Etwa einen Kilometer weiter im Norden gibt es eine Familie von Kaninchenkäuzen. Nächsten Frühling bringe ich dich da mal raus, damit du dir die Bartfußhühner ansehen kannst, wenn sie auf der Balz sind.«

Nächsten Frühling? Eine Woge von Wärme durchflutete Trevor bei der Aussicht auf die Zukunft. Sie beide hatten bisher noch nie etwas geplant. Es gefiel ihm, wie sich das anhörte, ein Plan, ein paar Vögel zu besuchen... nächsten Frühling. Vor ihnen fiel die flache Ebene steil hinab in ein enges Flussbett, einen smaragdgrünen Riss in der Prärie, und auf der anderen Seite stand gleich hinter dem Ufer eine Blockhütte.

»Das ist die Hütte meiner Großeltern, von der ich dir erzählt habe.« Sie brachte den Truck zum Stehen und schaltete den Motor ab.

»Ja, ich erinnere mich.« Er streckte seine Hand aus, um sie auf Angelas Schenkel zu legen, doch sie glitt bereits aus der Wagentür. Er folgte ihr den schmalen Pfad hinunter in die Wasserrinne, in der ein Bach über Steine und Kies hinwegplätscherte. An den Seiten hatten sich Tümpel aus stehendem Wasser gebildet, in denen dick die Rohrkolben und die Teichsimsen wuchsen. Klumpen weißen Flaums von kanadischen Pappeln drifteten in den Strömungen und säumten die Ufer des Bachs.

»Das Wasser kommt aus einer unterirdischen Quelle«, erklärte Angela. »Die ist der Grund dafür, dass es diese Farm überhaupt gibt. Durch diese Quelle haben meine Großeltern während der Wirtschaftskrise hier so manchen trockenen Sommer überlebt.«

Sie sprangen über das Geröll des Bachs und kletterten das Ufer hinauf zur Hütte. Die Holzblöcke waren von den vielen Jahren, die sie bereits der Witterung ausgesetzt waren, ausgebleicht und schimmerten silbrig, und wo das Flachswerg herausgefallen war, hatten sich Fugen gebildet. Trevor klopfte gegen eine der Endplanken. »Immer noch solide«, stellte er fest.

»Opa wusste, was er tat«, gab Angela zur Antwort. »Die Schweden wissen mit ihren Händen umzugehen.« Sie öffnete die Verriegelung und stieß die Tür auf. »Ich bin die Einzige, die jetzt noch herkommt.«

Trevor trat hinter ihr in das Haus, das nur aus diesem einen Raum bestand, der offenbar allen häuslichen Erfordernissen genügt hatte: Er war Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer und, wenn man das verstaubte Nachtgeschirr in der Ecke betrachtete, gelegentlich wohl auch das Badezimmer. Angelas Schritte hallten von den Bodenplanken wider. Die Luft roch nach Mäusedreck. Ein Herd aus Gusseisen und Holz und ein handgezimmerter Tisch dominierten den Raum; an der Rückwand stand eine breite Bank, und darüber hing ein Regal mit einem Bügeleisen, Einmachgläsern und einer Waschschüssel aus Blech. Trevor kletterte eine Leiter hinauf auf das leere Hochbett, setzte sich auf den Rand und ließ die Beine baumeln. Zu seinen Füßen stand Angela und blickte andächtig aus dem Panoramafenster in der Wand nach Westen. Die Abendsonne drapierte ihr Licht auf ihr Gesicht und auf ihre Schultern, und in dem strahlenden Dunst umkreisten sie Staubflocken, die aussahen wie Motten. Er stellte sich vor, dass sie zu den Pionieren gehörte, dass sie eine Frau war, die darauf wartete, dass ihr Ehemann von der Arbeit auf den Feldern nach Hause kam. Er ließ sich vom Hochbett auf den Boden fallen, und sie zuckte zusammen und sprang zur Seite, als er polternd landete. Sie mussten beide lachen. Auf der anderen Seite des Raums bot ein zweites Fenster Ausblick auf das Flussbett und die Graslandschaft, die sich dahinter auftat. Trevor fragte sich, ob man an kristallklaren Tagen wohl die Ausläufer der Rocky Mountains am Horizont sehen konnte.

»Opa hat das Glas von Calgary hinten auf einer Kalesche hergebracht, um es Oma zu ihrem dreißigsten Geburtstag zu schenken«, sagte Angela. Sie fuhr mit ihren Fingern über das Fenster und hinterließ damit eine Spur in dem Staub. »Sie hat mir die Geschichte tausendmal erzählt. Er hat sein Lieblingsgewehr verkauft, um das Glas kaufen zu können, und die Rahmen mit einer Handsäge ausgesägt. Mitten im Winter hat er ihr den Sonnenschein geschenkt. Sie hat jedes Mal geweint, wenn sie mir die Geschichte erzählte.«

Trevor schlang seinen Arm um Angelas Schulter. Auf der Kuppe des nächsten Hügels, der weiter nordwestlich lag, entdeckte er ein pyramidenförmiges Steingebilde. Es erinnerte ihn an einen Traum, den er gehabt hatte, in dem ein Elefant mitgespielt hatte, ein Nachthimmel und Constance. Er fragte sich, in welchem Teil der Welt sie jetzt wohl gerade war. Er hoffte, dass sie ebenso glücklich war wie er.