3

Constance wusste, dass sie zu weit gegangen war; der arme Mann sah wieder aus wie Gregory, wenn er als Kind verwirrt und verängstigt gewesen und jede Farbe aus seinem Gesicht gewichen war. Er starrte sie an, als entziffere er Hieroglyphen auf ihrem Gesicht. Sie streckte die Hand nach ihm aus, um ihn zu beruhigen, obwohl sie seine Reaktion für überzogen hielt. Natürlich war ihr bewusst, dass ihre Offenbarung ungewöhnlich geklungen hatte und den meisten wahrscheinlich ziemlich verrückt erscheinen musste. Das war schließlich der Grund dafür, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt niemandem davon erzählt hatte, nicht einmal den Zollbeamten, die sich bislang mit ihrer Erklärung begnügt hatten, dass die Behälter pulverisierte Kräuter enthielten, die sie für ihre Gesundheit benötigte.

»Es ist ihre Asche«, erklärte sie, erwartete aber nicht, dass dieser Zusatz wirklich helfen würde. Der Mann — Trevor — stützte seine Ellbogen auf die Knie und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. »Und nicht einmal ihre gesamte Asche. Nur die Hälfte davon«, fügte sie hinzu und schalt sich dabei insgeheim dafür, immer weiterzuschwafeln wie eine Närrin. Sie hatte sowohl einen Teil von Tommy als auch einen Teil von Martin in ihrem Garten zu Hause in Sooke begraben, weil ihr in letzter Minute Bedenken gekommen waren wegen des Gewichts all der eingeäscherten sterblichen Überreste. Ganz davon zu schweigen, Behälter zu finden, die groß genug waren für die Asche eines ausgewachsenen Mannes. Von Donald hatte sie von Anfang an ohnehin nur die Hälfte bekommen. Sie legte eine Hand auf Trevors Rücken, voller Bedauern über ihr Geständnis. Sie war zu voreilig gewesen, zu euphorisch über die Aussicht, nach Wochen des Alleinreisens plötzlich ein wenig Gesellschaft zu haben. Selbstverständlich hatte sie sich im Verlauf ihrer Reise mit vielen Menschen unterhalten, war dabei aber allzu häufig an Sprachbarrieren gescheitert und an ihrer inneren Stimme, die ihr zu verstehen gegeben hatte, dass es nicht der richtige Zeitpunkt und nicht der richtige Mensch war. Aus irgendeinem Grund hatte sie gedacht, diesem Mann hier vertrauen zu können. Vielleicht hatte sie sich von seiner Staatsbürgerschaft täuschen lassen, von dem Gedanken, dass er aus ihrer Heimat stammte. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Es war nicht meine Absicht, Sie zu beunruhigen.«

An dem Tag, an dem Trevor Wallace fünfeinhalb Jahre alt geworden war, hatte ihn sein achtjähriger Bruder Brent hinter den Getreidespeicher geführt, der wie eine Rakete über der Saskatchewanischen Prärie emporragte, und ihm erklärt, wie Babys gemacht wurden. Trevors Vater und seine Onkel hatten den Tag damit verbracht, Mähdrescher über die Felder zu fahren, während Brent und Trevor hinten auf dem Getreidelaster gesessen hatten. Die frisch gedroschenen Körner waren in fauchenden Kaskaden aus dem Schneckenförderer geregnet und hatten sich zu sachten Hügeln gehäuft, die ihnen bis zu den Knien reichten. Sie hatten ihre Hände in die Kornmassen getaucht, die Heuschreckenköpfe herausgeklaubt und die seidigen Körner zu Weizengummi zerkaut. An jenem Abend, während die Männer sich wuschen und die Frauen auf der Veranda Berge von Essen auf zwei langen Holztischen verteilten, hatten die beiden Jungen in einem brachliegenden Beet gekauert, in dem die Rudbeckien neben der zylindrisch gewölbten Metallwand des Getreidespeichers verrotteten. Mit offenem Mund und großen Augen hatte Trevor seinen Bruder angestarrt, während Brent sich mit gedämpfter Stimme in den grundlegenden anatomischen Details ergangen war. In Trevors Kopf hatte sich alles gedreht. Er war selbst früher ein Baby gewesen. Brent ebenfalls. Seine Mutter hatte es ein ums andere Mal genossen, ihnen Fotos zu zeigen von ihren ersten nackten Minuten auf Erden. Aber wodurch waren diese winzigen Zehen und platten Nasen entstanden? Doch sicher nicht dadurch? Trevor hatte nicht gewusst, ob er lachen oder sich übergeben sollte.

»Du veräppelst mich«, hatte er zu seinem Bruder gesagt.

»Ich habe es in einem Buch gelesen«, hatte Brent versichert. »Ehrlich.«

»Schwörst du?«

»Großes Indianerehrenwort«, hatte Brent geschworen und sich mit der Hand ein unsichtbares X auf seine Brust gezeichnet.

Niemand würde es wagen, eine Lüge mit einem Kreuzzeichen zu beschwören. Der kleine Trevor hatte zu den Wolken emporgeblickt, wo laut Aussage des Pastors von der Kirche unten am Ende der Straße Gott der Allmächtige wohnte. Ein Bild von Gott hing im Mittelschiff der Kirche und zeigte einen Mann mit einem wilden Bart, dessen wachsame Augen genau wussten, an welcher Stelle selbst der kleinste Sperling zur Erde fiel. Oder an welcher Stelle die Socke mit gestohlenen Bonbons in der Ecke von Trevors Schrank versteckt war. Gott war nicht glücklich, wenn Trevor sich mit seinem Bruder stritt. Und Er würde nicht glücklich sein, wenn Er erführe, auf welche Weise Babys gemacht wurden. Als die Glocke erklang, die zum Abendessen rief, war Trevor aus seinem Versteck hinter dem Getreidespeicher gekrochen und hatte eine neue Welt voller Mysterien und Gefahren betreten.

Das Gewicht des Grauens dieser neuen Erkenntnis lastete so schwer auf ihm, dass er unfähig war, einen Bissen herunterzubringen, er hatte sein Essen lustlos auf dem Teller hin und her geschoben und aufmerksam seine Eltern beobachtet, um Hinweise zu finden. Nach seinem obligatorischen Bad am Samstagabend, bei dem er verhalten über sein im Wasser treibendes Anhängsel sinniert hatte, hatte seine Mutter ihm seinen Lebertran verabreicht, ihn ins Bett gesteckt, zugedeckt und ihm einen Gutenachtkuss gegeben. Seine Kleidung für die Kirche hatte sie noch ordentlich über die Rücklehne des Stuhls gehängt. Nachdem sie das Licht gelöscht und die Tür geschlossen hatte, wobei ihr Ausgehkleid leicht geraschelt hatte, war sie ins Bad gegangen, um einen Hauch von Lippenstift aufzulegen und sich dann mit ihrem Ehemann auf den Weg zum allmonatlichen Tanzabend im Dorfsaal zu machen.

Kurz nach Mitternacht hatte das Kindermädchen Trevor mit der Nachricht geweckt, dass seine Eltern nur zehn Minuten von der Farm entfernt bei einem Frontalzusammenstoß ums Leben gekommen waren. Trevor hatte sofort und ohne jeden Zweifel verstanden, was geschehen war, und sich am Fußende seines Bettes zu einer Kugel zusammengerollt. Erst als Brent zu ihm gekrochen war und das Oberbett über ihrer beider Köpfe gezogen hatte, erst da hatte er sich zu weinen erlaubt. Gott der Allmächtige war vom Himmel herabgestiegen, um seine Mutter und seinen Vater für ihre Sünden zu bestrafen — für ihre beiden Sünden, Trevor und Brent.

Ein kindliches Wirrwarr von Gefühlen überkam Trevor und machte ihn sprachlos, als Constance ihm ihre Offenbarung machte. »Mein lieber Junge, Sie sehen aus, als würden Sie sich jeden Moment übergeben«, sagte sie. »Ich habe sie nicht umgebracht, falls Sie das denken. Nein, es ist ihre Asche. Ich habe ihre Asche da drin.«

Trevor war verlegen, weil er so heftig reagiert hatte, und kämpfte darum, seine Kontrolle wiederzuerlangen, während die alte Frau ruhig dasaß und die drei verstörenden Behälter aufgereiht zwischen ihnen auf der Bank standen. Er wusste nicht warum, aber überraschende Verkündungen hatten diese Wirkung auf ihn, sie machten ihn zittrig und erzeugten Übelkeit in ihm. Er wandte seinen Kopf und konzentrierte sich auf ihr Gesicht. Ihre Augen waren heller, als er sie in Erinnerung gehabt hatte, und sahen ihn so herausfordernd aufrichtig an, dass er sich schämte.

»Das liegt am Jetlag«, gelang es ihm schließlich hervorzuquetschen. »Ich habe die letzte Nacht auf einer Bank auf dem Flughafen von Toronto zugebracht.«

»Ich hätte es Ihnen nicht erzählen dürfen.« Sie griff abermals in die Tasche, und er erschauerte, aber sie holte lediglich eine Flasche Wasser heraus und hielt sie ihm hin.

Er griff danach, setzte sich etwas entspannter hin, drehte den Verschluss ab und nahm einen Schluck. »Sie haben nur Spaß gemacht, nicht wahr?«

Constance schüttelte den Kopf und zeichnete mit dem Zeigefinger ein unsichtbares X über ihre Brust. »Großes Indianerehrenwort.«

Brents Gesicht — er hatte seit Jahren nicht mehr an seinen Bruder gedacht, nicht mehr, seit die Briefe zurückkamen mit dem Vermerk Anschrift unbekannt — schwamm wie ein träger Fisch durch Trevors Gedächtnis, und er schüttelte den Kopf wie ein Hund, der sich das Wasser aus den Ohren schüttelt. Der innere Drang davonzurennen war überwältigend. Er widerstand ihm und kämpfte darum, seine Gefühle im Griff zu behalten, diese gefährlichen und unberechenbaren Mächte. Außerdem befürchtete er, bei einer Flucht doch nur wieder auf die Nase zu fallen, so wackelig und unzuverlässig wie seine Beine waren.

»Drei Ehemänner?«, fragte er stattdessen. Er krächzte wie ein Teenager im Stimmbruch. »In Plastikdosen?« Er räusperte sich, damit sich seine Stimmbänder etwas entspannten. »Das kann nicht Ihr Ernst sein.« Er fühlte sich, als habe er luftleeren Raum betreten, und die Reize, die dabei auf ihn einstürmten, erinnerten ihn zum zweiten Mal an Brent; diesmal allerdings an den Tag, an dem sein Bruder ihn überredet hatte, auf der Farm vom Dach des Heuschobers zu springen. Brent, der voller Selbstbewusstsein unten am Boden umherstolziert war, hatte ihm nach oben zugerufen: »Spring. Du schaffst das!« Ihm war wegen der Höhe ganz flau im Magen geworden, und Trevor hatte von oben nach unten geschaut, auf die goldenen Ballen, die wie sechzig Zentimeter hohe Ziegelsteine aufgehäuft waren, und er hatte den Kopf geschüttelt: »Nein.« Dann, ganz plötzlich, war er in die Luft hineingetreten, und im Fallen war es ihm so vorgekommen, als würde er sich selbst dabei beobachten. Seine eigene Verwegenheit hatte ihn verblüfft, und er hatte sich gefragt, wer das wohl gewesen war, der sich da am Ende wider besseren Wissens für den Sprung entschieden hatte. Wenn seine Erinnerung ihn nicht trog, hatte er sich bei dem Sturz seinen rechten Arm gebrochen.

Constance war innerlich darauf vorbereitet gewesen, dass Trevor weggehen würde, sie hätte es ihm im Grunde nicht verdenken können. Sie musste ihm vorkommen wie eine übergeschnappte alte Frau. Umso mehr überraschte es sie, als er fortfuhr, ihr Fragen zu stellen. Sie hätte lügen und behaupten sollen, dass alles nur ein dummer Streich war, den sie den Leuten spielte, etwas, womit man ein Gespräch in Gang bringen konnte, aber als sie anhob, ihm das zu sagen, sperrte sich ihr Herz dagegen. Die Muskeln in ihrer Brust verspannten sich und hinderten die Worte daran, ihr über die Zunge zu kommen. Ihr Herz erlaubte ihr nicht, diesen Mann zu belügen.

»Ich hatte drei Ehemänner«, sagte sie mit fester Stimme und lachte dann über ihre eigenen Worte. Wie sich das für einen Fremden anhören musste. »Nicht alle auf einmal. Ich will nicht hoffen, dass Sie das denken. Nein, einen nach dem anderen.«

Sie beobachtete ihn und war erleichtert zu sehen, dass die Farbe in sein Gesicht zurückkehrte. Er hatte sich dieses Mal nicht aufgelöst wie Schnee, der in eine Regenpfütze fiel; ein schwaches Lächeln flog bei ihrem Geständnis über seine Lippen. Es war ihr früher peinlich gewesen, so viele Ehemänner gehabt zu haben, ganz so, als sei das ein Zugeständnis, versagt zu haben. Aber da sie alle gestorben waren, hatte sie aufgehört, sich darum zu sorgen, was andere Leute dachten, und inzwischen glaubte sie insgeheim, dass es ihrer Persönlichkeit einen Hauch von Verwegenheit verlieh. »Ach, Darling, ich hatte nur drei Ehemänner«, pflegte sie mit Iris zu scherzen, wenn sie auf der Terrasse des Cottages in Sooke Tee miteinander tranken.

»Soll ich Ihnen über sie erzählen? Wie das passiert ist, dass ich jetzt hier mit ihren sterblichen Überresten sitze?«, fragte sie. »Ich denke mal, das kommt Ihnen verrückt vor.«

Er nickte so langsam mit dem Kopf, dass sie nicht sicher war, was genau er damit bestätigen wollte: dass sie verrückt war oder ihre Geschichte. Allerdings wollte sie das auch gar nicht wissen. »Mit welchem soll ich anfangen?«

Er machte weit hinten im Rachen ein hüstelndes Geräusch, und sie befürchtete, dass er sie nicht wirklich ernst nahm. Sie konnte es nachvollziehen, war aber erfreut, als er unverbindlich mit dem Zeigefinger auf die Dose mit dem Backpulver wies, die neben seinem Oberschenkel stand.

»Das ist Martin«, erklärte sie.

»Er hat mehr Volumen als die beiden anderen«, erwiderte Trevor.

»Nun, ich habe ein paar Sachen dazugegeben.«

»Dazugegeben... ein paar Sachen?« Seine Augen, die, wie sie feststellte, ebenso grün waren wie Martins, wurden immer größer.

»Zu seinem Leichnam, bei der Einäscherung. Dinge, die ihm viel bedeutet haben. Die Pantoffeln, die er jeden Abend nach dem Essen trug, seine Pfeife, seine Gesammelten Werke von William Shakespeare. Dinge eben, die er, außer mir natürlich, geliebt hat. Ich dachte mir, dass er sie vielleicht brauchen könnte. Man weiß ja nie.«

Trevor verzog die Mundwinkel zu einem Grinsen, und ihr war klar, dass er versuchte, ein Lachen zu unterdrücken.

»Verspotten Sie mich nicht«, schimpfte sie und schüttelte den Kopf. Dabei spürte sie, wie die überhängende Haut unter ihren Augen über den Wangenknochen vibrierte; das war eine der Folgen des Alterns, die sie sehr lange ignoriert hatte und die ihren Verdruss jetzt nur noch größer machte. »An Martins Tod bin ich beinahe selbst gestorben. Ich habe es geliebt, seine Asche im Haus zu haben und hin und wieder mit ihr zu reden. Wir haben immer über alles geredet.« Sie konnte nur knapp die Tränen zurückhalten und griff in den Ausschnitt ihrer Bluse nach dem Spitzentaschentuch, das sie im Körbchen ihres Büstenhalters aufbewahrte, damit es jederzeit griffbereit war.

»Moment mal.« Trevor hob die Hand um abzuwehren. »Es war nicht meine Absicht, Sie aufzuregen. Ich bin interessiert. Das bin ich wirklich. Hier...«, er wies wieder auf die Dosen, die zwischen ihnen auf der Bank standen, »der hier. Erzählen Sie mir über den in der Erdnussbutterdose.«

Sie atmete tief durch, um den Vogel zu beruhigen, der in ihrer Brust mit den Flügeln flatterte. Sie hatte geglaubt, es würde einfach sein, das alles zu erzählen, dass sie Zeit gehabt hatte, sich mit allem abzufinden und ihren Frieden zu machen. »Donald«, sagte sie mit bebender Stimme. »Das da ist Donald.« Eine Flamme des Zorns flackerte auf, sodass der Vogel in ihrer Brust sich erhob wie Phönix aus der Asche — eine Reaktion, die sie jedes Mal hatte, wenn sie über ihren zweiten Ehemann sprach, selbst nachdem sie zwanzig Jahre getrennt gewesen waren. »Er starb wenige Wochen nach Martin«, sagte sie und löschte mit den Worten die Flamme in ihrem Inneren, indem sie sich selbst sagte, dass Donald tot und nicht mehr da war. »Ich versuche, die beiden voneinander fernzuhalten.«

Trevor sah sie verwirrt an. »Voneinander fernzuhalten? Wen?«

Sie hielt inne und überlegte, ob das, was sie als Nächstes sagen wollte, möglicherweise dazu führen würde, dass der Mann sie in die Irrenanstalt brachte; nur war es jetzt, da sie angefangen hatte zu reden, zu spät, um noch irgendetwas zurückzuhalten. »Donald und Martin. Die Vorstellung, die beiden könnten nebeneinander...« Sie stockte und atmete durch die Enge hindurch, die ihr die Kehle zuzuschnüren drohte. »Donald hasste Martin.« Für den Fall, dass der Mann falsche Vorstellungen hatte, fügte sie noch erklärend hinzu: »Martin hasste keine einzige Seele.« Eine einsame Träne rann über ihre Wange.

Trevor schaute weg.

Constance blinzelte und war auf einmal verzweifelt darauf bedacht, seine Aufmerksamkeit zurückzugewinnen, als sei sie das Einzige, was verhindern konnte, dass sie gänzlich zusammenbrach. »Es tut mir leid, mein lieber Junge, aber wenn ich an Martin denke, werde ich immer etwas weinerlich.« Sanft berührte sie Trevors Knie. »Er hätte Sie sehr gern gehabt.« Trevor rutschte ein ganz klein wenig weg von ihr, und sie zog ihre Hand zurück, weil sie ihm nicht das Gefühl vermitteln wollte in der Falle zu sitzen. Intime Vertrautheit war nicht gut, wenn die Menschen das Gefühl hatten, ihr nicht entrinnen zu können.

Sie wischte die Träne fort, setzte sich aufrecht hin und straffte ihre Schultern. Donald war Bestandteil ihres Lebens, sie konnte ihn nicht ignorieren. Also fing sie noch einmal an, zögerlich und unsicher darüber, wie viel sie preisgeben sollte. »Donald starb im März — Lungenkrebs.« Sie hatte von seinem Tod am Telefon erfahren, von Susan. Sie hatte den Schmerz in der Stimme ihrer Tochter gehört und selbst ein sonderbares Gefühl von Befreiung gespürt. Und sie hatte sich geweigert, für die Beerdigung nach Winnipeg zu fliegen, und den Tag in ihrem Garten verbracht. Erwartet hatte sie, dass sie sich fühlen würde, als habe sie Grund zum Feiern, aber stattdessen hatte sie ihren drei Ehen nachgetrauert. Im Verlauf des langen Nachmittags war ihr Plan ohne ihr Dazutun aufgetaucht, wie ein Keimling, der sich seinen Weg durch den Morast ins Sonnenlicht bahnt. »Ich bat seine zweite Frau um einen Teil seiner Asche.« Sie hielt inne und erinnerte sich, wie schwierig es gewesen war, die vertraute Telefonnummer zu wählen und zum ersten Mal am anderen Ende der Leitung die Stimme der Frau zu hören. »Ich wusste, dass man ihn einäschern würde — er hätte die Vorstellung, in der Erde zu verrotten, niemals ertragen.«

Ihr war bewusst, dass Trevor mit den Augen den Bewegungen ihrer Hände folgte, die wie zwei Schmetterlinge auf der Stelle in der Luft flatterten, eine Angewohnheit, die sie niemals hatte ablegen können. Nicht einmal, als ihr Vater sie gezwungen hatte, sich abends nach dem Essen eine halbe Stunde auf sie zu setzen, während er sie über ihren Tag ausquetschte. »Ich erhielt einen Brief von ihrem Rechtsanwalt, der für die Hälfte von Donalds Asche eintausend Dollar von mir forderte.« Sie hob die Brauen. »Ich hatte mich immer gefragt, welche Motive sie wohl gehabt haben mochte, ihn zu heiraten.« Sie fragte sich, ob Trevor sie für theatralisch hielt. Susan hatte sich schon immer über ihre dramatische Natur beklagt.

»Sie haben aber keine tausend Dollar dafür bezahlt, oder etwa doch?«

Constance nickte, erleichtert, weil der junge Mann endlich ein Wort gesprochen hatte. »Ich habe es getan.«

Trevor begutachtete das Eichhörnchen auf dem Etikett von Donalds Erdnussbutterglas. »Ich schätze, die Asche kam an.«

»Zwei Wochen später. Die Hälfte.«

»Die bessere Hälfte hoffe ich mal.«

»So etwas gab es bei Donald nicht.«

Trevor zeigte auf den letzten der drei Behälter mit Asche. »Was ist mit dem da? Thomas?«

»Der arme Thomas«, gab Constance zur Antwort. Sie schüttelte eine überwältigende Traurigkeit von sich ab, um sich auf den lebendigen Mann an ihrer Seite zu konzentrieren. »Er hatte niemanden.« Sie nahm die Vitamin-C-Dose von der Bank und stellte sie auf ihren Schoß. »Ich habe ihn in den Anzeigen gefunden.«

»Anzeigen?«

»Den Traueranzeigen. Die Polizei hatte seine Leiche auf der East Pender Street in Vancouver gefunden und suchte nach seinen nächsten Angehörigen.« Iris war mit ihr hingefahren, damit sie ihn identifizieren konnte. Die Beamten von der Polizei waren sehr liebenswürdig gewesen. Bei einer Tasse Kaffee hatte ein Officer die große Menge Alkohol, die man in Thomas’ Blut gefunden hatte, und die Umstände seines Todes beschrieben. Die Umstände seines Lebens konnte sie nur vermuten. Sie hatten sie ins Leichenschauhaus geführt, eine große Schublade aufgezogen, und da war er, ein Schock, ihn nach der langen Zeit zu sehen. Ein alter Mann, nicht nur tot und steif, sondern auch ergraut und verwelkt, von der Statur her fast wie ein Kind.

»Er war obdachlos«, sagte sie. »Er besaß nur noch ein Taschenmesser und eine billige Uhr.«

Trevor saß stumm neben ihr. Hatte sie ihn sprachlos gemacht? »Erstaunlich, dass sie alle im gleichen Jahr starben, nicht wahr?«

Er nickte, doch sie konnte sehen, dass er verzweifelt nach Worten suchte. Aus den Lautsprechern dröhnte eine Stimme in die Halle: »Passagiere des Cairo-Air-Fluges 2374 werden gebeten, sich zum Abflugschalter zu begeben.« Als er das vernahm, schwand die Anspannung aus seinem Gesicht.

»Das ist unser Flug. Der Sandsturm ist vorbei.« Constance erhob sich und fühlte selbst eine Art von Erleichterung. Noch mehr Erinnerungen an ihr Leben konnte sie schwerlich ertragen. Sie steckte ihre Ehemänner, einen nach dem anderen, zurück in die Tasche mit den Sonnenblumen. »Lassen Sie uns gehen. Wir wollen unser Flugzeug nicht verpassen.«

»Aber Sie haben mir noch nicht erzählt, wie Sie an Thomas’ Asche herangekommen sind«, protestierte Trevor, saß immer noch auf seinem Platz und sah wieder aus wie Gregory.

»Die Polizei hat mich gefragt, was ich mit seinen sterblichen Überresten tun wolle.« Sie rüttelte die Tasche. »Und hier ist er.«

Sie drückte Trevor den Griff seines Handgepäcks in die Hand. »Kommen Sie. Wir fliegen nach Afrika!«

Sie lief los. Und bei jedem Schritt blinkten an den Absätzen ihrer Schuhe winzige rote Lämpchen.