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»Schsch!« Wieder scheuchte Trevor eine ausgemergelte Katze vom Tisch. Ein halbes Dutzend ausgehungerter, räudiger Tiere strich durch den Speiseraum. Es überraschte ihn nicht; der Ort an sich — die Bestecke und das Geschirr, die Fußböden und die Fenster mit Blick auf das Rollfeld und die langweilige Wüste — bedurfte dringend einer Säuberung. Wenigstens der Kaffee war gut.

Ein graues Tigerkätzchen pirschte unter ihrem Tisch umher und miaute vor Hunger. Dem Tier war heute Glück beschieden, denn Constance fütterte es mit einer Ecke Fladenbrot, die großzügig mit Joghurt und Honig bestrichen war. »Gehen Sie mit den Katzen nicht so hart zu Gericht, sie sind doch von uns abhängig. Ich habe drei Siamesen zu Hause. Wohlgemerkt haben die in meinem Haus auf dem Tisch nichts verloren.« Sie strich der Katze über den Rücken, die daraufhin einen Buckel machte und schnurrte, wobei sich die Hüftknochen durch ihr glanzloses Fell bohrten. »Armes Ding.«

»Diese Engländerin von gestern Abend hat mir erzählt, sie habe gehört, dass die Ägypter die Fluggäste belügen würden, um sie als Touristen hier festzuhalten«, sagte Trevor.

Draußen vor dem Fenster des Speisesaals standen einige Passagierflugzeuge aufgereiht auf dem Rollfeld. Er wusste, dass eines von ihnen nach Nairobi flog. Sogar schon um acht Uhr morgens dampfte die Hitze in flirrenden Wellen vom Asphalt. Bewaffnete Wachen lungerten in der Nähe jedes Flugzeugs und vor jeder Tür und jedem Tor des Flughafengeländes herum. Trevor presste die Handballen gegen seine Schläfen, schon wieder von rasenden Kopfschmerzen geplagt. »Wie zum Henker sollen wir hier wegkommen?«, murrte er.

Er hatte versucht, Nairobi und Calgary anzurufen, vom Telefon an der Rezeption — dem einzigen Telefon auf dem gesamten Transitgelände des Flughafens ein Versuch, der belohnt wurde mit einem Wirrwarr aus unverständlichem Arabisch, gefolgt vom Freizeichen. Er konnte nicht einmal ein Telegramm schicken. Durch die Türen des Speisesaals beobachtete er, wie ihre Mitpassagiere an der Rezeption in der Transithalle mit den Fäusten auf den Schreibtisch einschlugen und auf einer Weiterreise nach Nairobi bestanden.

»Wir bedauern. Ihr nächster Flug geht in einer Woche. Genießen Sie bitte Ihren Aufenthalt«, imitierte Trevor den aufgebrachten Beamten, mit dem er zweimal gesprochen hatte.

Ein Mann in einem Anzug mit Weste, dessen glänzendes Haar straff nach hinten gekämmt war, versuchte, die Menschenmenge mit einer Einladung zu einer Busfahrt zum Parfümgeschäft seines Onkels zu beglücken. Mit den besten Empfehlungen von Cairo Air und der ägyptischen Regierung. In Begleitung bewaffneter Wachmänner nahm Trevor an. Onkel Faisels Parfümgeschäft, Tante Tutus Teeladen, der Familienbetrieb Teppichfabrik. Lassen Sie Ihr Geld gleich hier.

»Genießen Sie Ihren Aufenthalt in Ägypten?«, wollte Trevor von Constance wissen, die gerade Ameisen aus der Zuckerdose klaubte.

»Seien Sie nicht gehässig, mein lieber Junge. Unser Aufenthalt hat gerade erst begonnen«, erwiderte sie und blickte zu ihm auf.

»Haben Sie sich zu der Busfahrt angemeldet?«

»Heute nicht. Ich habe andere Pläne für uns.« Sie nahm eine kleine gläserne Dose aus ihrer Tasche und reichte sie ihm. »Nehmen Sie zwei davon, und trinken Sie nicht noch mehr Kaffee. Ich bin gleich wieder zurück.«

Trevor nahm die Dose in die Hand. Aspirin. Wie konnte sie wissen, dass er Kopfschmerzen hatte? Sie verschwand über die Treppe, die zum Zimmer führte. Was um Himmels willen hatte sie vor? Er winkte nach dem Kellner, damit der ihm Kaffee nachschenkte.

Trevor hatte den Kaffee nicht angerührt, als Constance eine halbe Stunde später zurückkam. Ihre Perücke war frisch frisiert, und sie trug ein mit Blumenmotiven bedrucktes Kleid mit einem runden, weißen Kragen. Wenn man von den Laufschuhen absah, sah sie aus, als sei sie auf dem Weg zum sonntäglichen Kirchgang.

»Mein Oma-Kleid«, vertraute sie ihm an und strich eine Falte aus dem Rock. »Ich dachte mir, dass ich es irgendwann würde gebrauchen können.«

Sie hatte sich zurechtgemacht mit Lidschatten, einem Hauch von Rouge auf jeder Wange und sorgsam aufgetragenem, rosafarbenem Lippenstift. Milchig weiße Perlenohrringe hingen von ihren Ohrläppchen herab. In der einen Hand hielt sie eine weiße Ledertasche, in der anderen die Segeltuchtasche mit den Ehegatten. Sie stellte sie vor Trevor auf den Tisch. »Würden Sie wohl bitte auf die Jungs aufpassen? Wir wollen ja nicht, dass sie noch mal jemandem im Weg stehen.«

Dann drehte sie sich schwungvoll um und marschierte durch den Speisesaal in die Eingangshalle. Trevor schnappte sich die Tasche, sprang auf — die Jungs wogen mehr, als er gedacht hatte — und folgte ihr. Constance stiefelte schnellen Schrittes in die Transithalle und auf eine unscheinbare, von einem jungen Soldaten bewachte Tür zu, der von seinem Stuhl aufsprang, als sie sich näherte. Sie hob ihr Kinn und sprach zu dem Mann, der sich weder rührte noch etwas sagte oder in irgendeiner Form reagierte, seine Augen waren geradeaus fixiert auf ein unsichtbares Objekt in der Ferne. Trevor blieb zwanzig Schritte entfernt stehen und beäugte die glänzende Waffe des Mannes, das einzige saubere Teil, das er seit seiner Ankunft in Kairo gesehen hatte. Constance hängte sich ihre Tasche über den Arm, schob ihre Hand in die Armbeuge des Wachmanns und klopfte an die Tür. Als sie aufflog, wechselte die alte Frau ein paar Worte mit jemandem im angrenzenden Raum. Der Wachposten trat zur Seite, und sie entschwand durch den Türrahmen. Die Tür schloss sich hinter ihr mit einem klickenden Laut.

Als Constance verschwand, schnürten Gefühlsregungen mit langen Krallen Trevor die Kehle zu. Was ihn zutiefst verstörte, denn er rühmte sich seiner Fähigkeit, Gefühle in Schach halten zu können, sämtliche Gefühle, die angenehmen wie die unangenehmen. Zügellose Gefühle waren gefährlich und maßgeblich verantwortlich für die Leiden in der Welt. Aber bei dieser Gefühlsregung, die nicht zügellos, wohl aber undefinierbar war, wusste Trevor nicht mehr weiter. Constance war außer Sichtweite und damit nicht mehr kontrollierbar, und sie hatte ihn zurückgelassen mit drei toten Männern in einer mit Sonnenblumen bedruckten Reisetasche. Was, wenn sie nicht zurückkam?

Er blickte nieder auf die Tasche an seiner Hand — was angeblich Leichenrückstände waren, sah aus wie Staub und konnte ebenso gut Mehl sein — und ließ sie auf den Boden gleiten. Er musste nicht warten, sagte er sich. Schließlich war sie ja nur eine Fremde, eine spinnerte Frau mit einer spinnerten Geschichte. Morgen würde er sie vergessen haben. Trevor drehte sich um und lief rasch durch die Hotelhalle und die Treppe hinauf, wobei er von einer Stufe auf die nächste sprang, so erleichtert fühlte er sich, diese Entscheidung getroffen zu haben. Auf der vierten Stufe wurde er langsamer, und auf der sechsten blieb er stehen. Er wandte sich um, bis er die Tasche sehen konnte, die zusammengeknautscht an der Wand lehnte, auf der anderen Seite des Raums, wo er sie zurückgelassen hatte, verloren wie ein ausgesetztes Kind. »Verdammt«, murmelte er, trat mit dem Fuß gegen die siebte Treppenstufe und lief dann zurück in die Transithalle.

Trevor lehnte sich gegen die Wand — mit Martin, Thomas und Donald zu seinen Füßen — und wartete, mit vor der Brust verschränkten Armen, biss sich auf die Unterlippe, während er die Situation einschätzte. Constance war vor zehn Minuten hinter einer unscheinbaren Tür verschwunden. Der Wachmann erschien nicht minder grimmig und starr, seine Waffe war keine Fata Morgana. Warum war sie nicht wieder herausgekommen? Eine Stelle in der Mitte seiner Brust antwortete auf die Frage mit einem stechenden Schmerz. Er rieb mit dem Zeigefinger an einem Fettfleck auf seinem Hemd, das ganz zerknittert war, weil er es in der Nacht anbehalten hatte.

Es war nicht zu leugnen. Er spürte diesen stechenden Schmerz jedes Mal, wenn er einen neuen Verkaufsjob annahm. Verantwortung. Aber nie, niemals in seinem Leben, hatte sich diese Gemütsregung, dieses Gefühl — er zuckte zusammen bei dem Gedanken an dieses Wort — auf ein anderes menschliches Wesen bezogen. Er sollte ihr eigentlich nachgehen, das wusste er. Doch sah der Soldat an der Tür, ein Junge von achtzehn oder zwanzig Jahren, wie ein Idiot aus, der nicht zögern würde, seine Waffe zu benutzen, wenn er provoziert wurde, weil es ihm Vergnügen bereitete, an einem Ausländer das Schießen zu üben. Trevor blickte in Richtung des Schreibtischs, wo sich die aufgehaltenen Passagiere scharten und mit den Angestellten von Cairo Air stritten, und es tröstete ihn in gewissem Maße zu wissen, dass er eine gute Versicherungspolice und Zeugen hatte. Die Ägypter würden einen internationalen Zwischenfall, bei dem Touristen involviert waren, nicht mögen

Er schluckte und trat entschlossen einen Schritt vor. Der Wachmann rührte sich nicht, aber Trevor war überzeugt, dass sich die Hand des Burschen sofort fester um den Lauf seiner Waffe legte. Mit heftig pochendem Herzen machte er drei weitere Schritte, jeden mit mehr Selbstvertrauen. Dabei studierte er im Flüsterton eine kleine Ansprache ein, debattierte mit sich selbst über den Ton seiner Argumentation, ob sie fordernd oder eher entschuldigend klingen sollte, da öffnete sich die Tür plötzlich, der Soldat trat zur Seite, und Constance kam in die Halle, mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie klopfte dem Wachposten auf die Hand, die den Abzug hielt. Als sie an Trevor vorüberrauschte, beugte sie sich leicht zu ihm herüber und flüsterte: »Wir holen besser unsere Sachen, bevor sie es sich anders überlegen.«

»Was sollte das Ganze?« Trevor lief hinter ihr die Treppen hinauf in Richtung ihres Zimmers. »Mit wem haben Sie sich da unterhalten? Ist Ihnen bewusst, dass Sie sich in die größten Schwierigkeiten hätten bringen können? Diese Männer haben Waffen. Die sind irrsinnig. Würden Sie mir bitte sagen, was hier läuft?«

Als sie in ihrem Zimmer waren, verschloss Constance die Tür und setzte sich aufs Bett.

»Und? Werden Sie mich jetzt endlich aufklären?«, fragte er fordernd.

Constance öffnete ihre Handtasche und ließ Trevor hineinsehen. Darin lagen, ordentlich gebündelt, ihre Reisepässe und Flugtickets.

»Wo... wie...?« Mit großen Augen sah er auf die Dokumente.

Sie schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln.

»Jeder hat eine Großmutter.«