11

Trevor wanderte durch endlos flaches Land. Bei jedem Schritt bogen sich die Grashalme unter seinen Füßen, und der Duft von Salbei erhob sich auf den Schwingen des warmen Windes. In der Ferne graste eine Herde von Bisons. Gänseblümchen wiegten ihre Köpfe in der Brise, und Teppiche aus Flachs und Bartfaden rollten sich über das weite Land. Er lief bergauf, die Böschung eines Hügels mit runder Kuppe empor. Auf der Spitze lenkte ein rot und tiefgrau gefärbtes Steingebilde seinen Blick in das kobaltblaue Himmelszelt, in dem Wolken, die aussahen wie Wattebäusche, über seinem Kopf kreisten. Am Außenrand des Hügels arbeitete sich ein Elefant auf ihn zu; die schweren Füße ließen Wogen von Staub in die Luft stieben. Eine Frau saß rittlings auf dem Rücken des Tieres. Constance. Sie winkte und rief nach ihm. Der Elefant schlang seinen Rüssel um Trevors Lenden, schwang ihn empor und platzierte ihn hinter Constance. Trevor blickte in die Tiefe. Er befand sich nicht mehr nur eine Elefantenhöhe über dem Erdboden, sondern so hoch wie hundert Elefanten, und die Prärie erstreckte sich unter ihnen wie eine Landkarte. Sie hatte die Umrisse einer nackten Frauengestalt: die Erde unter den riesigen Füßen des gigantischen Tieres die glatte Haut ihres Oberkörpers, und der Hügel sah aus wie eine pralle Brust. Als Constance ihm das Gesicht zuwandte, wurde sie seine Mutter, und dann war sie plötzlich nicht mehr seine Mutter, sondern Angela, deren farbloses Haar hinter ihr durch den kohlschwarzen Himmel wogte.

» Trevor.« Angela beugte sich über ihn, berührte mit der Hand seinen Arm. Der Elefant verschwand, und Trevor stellte fest, dass er zusammengerollt in einem Bett lag, das ihm nicht vertraut war, in einem Zimmer, das erhellt wurde vom schwachen Licht des Morgengrauens.

»Zeit aufzustehen, Schlafmütze«, flüsterte sie. »Frühstück steht auf dem Tisch.«

Der Duft von Speck und Kaffee, das Klappern von Tellern, eine Stimme aus dem Radio und das schabende Geräusch eines Stuhlbeins wehten die Treppen hinauf in sein Zimmer. Er schüttelte den Kopf, um ihn von den letzten Resten des Traums zu befreien. Wieder so ein verdammter Traum. Der dritte, vierte? Er konnte sie schon gar nicht mehr zählen.

»Man könnte meinen, ich hätte dich aus dem Tiefschlaf gerissen. Wir wollen Bo nicht warten lassen«, sagte Angela, flocht ihr Haar zu einem Zopf und verließ dabei den Raum. »Wir treffen uns unten. Du wirst ein gutes Frühstück brauchen.«

Trevor zwängte seine in Handschuhen steckenden Hände unter die parallel verlaufenden Schnüre und hievte den achtzig Pfund schweren Heuballen von den Gabeln des Hubstaplers. Er hielt ihn mit Hilfe seines Knies im Gleichgewicht, wie Angela es ihm gezeigt hatte, und hob ihn dann auf den Stapel auf der Ladefläche des Lasters. Neben ihm wartete Luke, Bjornes ältester Sohn, ein muskulöser, blonder Teenager mit rundem Schädel und sommersprossigem Gesicht, auf den zweiten Ballen. Angela fuhr den Gabelstapler, ihr Gesicht unter der Baseballkappe aus Jeansstoff war ganz rot von der Hitze, und die Bluse hatte sie sich bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Hatten Trevor und Luke die Heuballen von den Gabeln gehoben, schwenkte sie das Lenkrad und manövrierte den Stapler zum nächsten Ballen, in der Reihe. Auf der Mitte des Feldes lenkte Bjorne die Ballenpresse an den Reihen getrockneter Luzerne entlang. Die Maschine raffte die Ernte zusammen, brachte sie in Form, schnitt und verschnürte sie und ließ den ordentlichen Ziegel dann auf der Rückseite zu Boden fallen. Axel fuhr den Laster und sprang alle paar Minuten heraus, um Anweisungen zu geben, wie die Ballen gestapelt werden mussten. »Wir dürfen auf der Straße keine Ladung verlieren«, sagte er.

Trevor schob die Baseballkappe zurück, die er sich geliehen hatte, und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Der Tag hatte um sechs kühl begonnen, aber jetzt, zur Mittagszeit, brannte die Sonne unerbittlich auf sie herunter. Seine Schultern schmerzten, und trotz der Handschuhe, die Bjorne ihm am Morgen zugeworfen hatte, bildeten sich an jedem seiner Finger dicke Blasen. Das Frühstück lag ihm wie ein Klotz im Magen; Helen hatte Schinken und Eier in ihn hineingestopft, Toast, Marmelade und Kaffee, gefolgt von Pfannkuchen mit Ahornsirup, an denen Herkules seine helle Freude gehabt hätte. Er hatte auf die Butterbrote zum Morgentee verzichtet, die Bjornes Ehefrau Nancy auf dem Motorrad angeliefert hatte, wusste aber, dass auf die gleiche Weise in wenigen Minuten das Mittagessen eintreffen würde, und obwohl er keinen Hunger hatte, war er dankbar für die Ruhepause.

Bjorne, Angelas Vater, Nancy und sogar Luke nahmen jede seiner Bewegungen genau in Augenschein, taxierten ihn, beurteilten ihn. Die Art, wie er die Heuballen hob, ob er ihre Witze verstand, die Tatsache, dass er Turnschuhe trug und keine Stiefel. Daten für ihre Bilanz. Er war nicht sicher, worum es bei dem Ganzen überhaupt ging. Hatte Angela nicht ganz klar gesagt, dass er ein Freund war? Ein Freund. Wie sie mit dem Gabelstapler herumhantierte, erregte ihn, er konnte nichts dagegen tun; es erregte ihn, wie sie dabei aussah in ihren Jeans und in der Bluse aus Jeansstoff, an der drei Knöpfe offen standen. Er zog sich das Hemd aus der Hose heraus, damit niemand auf seinen Schritt sehen konnte. Er wagte nicht, sich über Müdigkeit zu beklagen, und lobpreiste die Gewichte, die er zu Hause in seinem Kleiderschrank aufbewahrte, ebenso wie seine Zehn-Kilometer-Läufe. Sie wollten sehen, wie ein Stadtjunge arbeiten konnte — er würde es ihnen zeigen. Er hievte den nächsten Ballen hoch, mit aller Kraft. Er fiel auf der anderen Seite des Lasters wieder herunter und mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden.

»Hey, starker Mann. Vorsichtig!« Leichtfüßig sprang Angela vom Gabelstapler und hievte den Achtzigpfünder mit geübter Technik zu ihm nach oben. Er hätte nie gedacht, dass der Anblick der körperlichen Stärke einer Frau ihn dermaßen scharf machen könnte.

»Und das ist die Saskatoonbeere«, sagte Helen und servierte Trevor sein drittes Stück Kuchen mit Eiscreme, wobei sie seine Proteste einfach überhörte. Sie hatte drei Kuchen gebacken und bestand darauf, dass er von allen probierte. Trevor hatte Mühe wach zu bleiben nach dem Tag auf dem Feld. Und erst Helens Abendessen: Brathähnchen, Kartoffelpüree, Soße, grüne Bohnen, grüner Salat, Krautsalat, eingelegte Gurken, Brötchen und Kuchen. Das Rätsel, warum diese Menschen nicht dick waren, löste sich für Trevor während der Unterhaltung beim Abendessen. Pure, harte Arbeit.

»Meine Eltern sind mit einem Segelschiff von Schweden nach New York gekommen.« Helen servierte ihm diese Information zusammen mit einer Ladung Kartoffelpüree und einer Suppenkelle voller Soße. »Sie besaßen beide keinen einzigen Heller. Sie sind zu Fuß nach Minnesota gegangen und von da rauf nach Alberta bis zu dem alten Flussbett östlich von hier.«

Nach dem Essen räumte Angela die Teller ab und ließ Wasser ins Spülbecken laufen. Trevor stand auf, um zu helfen, da der Abwasch in Regina zu seinen Aufgaben gehört hatte, seit er fünf Jahre alt gewesen war.

»Bleib sitzen«, befahl Helen, als sie aus dem Wohnzimmer in die Küche kam, die Arme beladen mit Fotoalben. Axel und Bjorne stießen grunzende Laute aus, entschuldigten sich und gingen nach draußen auf die Westveranda, »um uns den Sonnenuntergang anzusehen«, wie sie behaupteten. Nancy scheuchte die Kinder nach draußen und ging dann ihrerseits.

»Wir haben Bilder, die zurückreichen bis ins Jahr 1930.« Helen legte die Alben vor Trevor auf den Tisch. Sie öffnete das erste und zeigte auf ein Schwarz-Weiß-Foto. »Meine Eltern.« Der Mann, groß und breitschultrig wie Axel, hatte eine helle Haarmähne und schaute in die Linse wie ein verschrecktes Reh, den Arm um die schmalen Schultern einer entschlossen wirkenden Frau geschlungen, die ihr Haar offen trug und mit breitem Lächeln zu ihrem Mann aufblickte. Eine ältere Ausgabe von Angela. Jetzt begriff Trevor, wem sie ihr Aussehen und ihre dunklen Augen verdankte.

Trevor blätterte langsam durch die abgegriffenen Seiten, und Helen gab zu jedem Foto einen Kommentar ab.

»Das da ist Matthew.« Sie wies auf ein Bild, das einen dünnen, schüchtern wirkenden Teenager auf einem Traktor zeigte.

»Matthew?«, hakte Trevor nach.

»Unser Mittlerer«, sagte sie. »Er unterrichtet an einer Landwirtschaftsakademie in Ontario. Kommt nicht oft nach Hause; Axel und ich haben ihn letztes Jahr aber besucht. Er hat zwei Töchter.«

Trevor schaute zu Angela hinüber, die wirkte, als sei sie in Gedanken versunken, mit einem Geschirrtuch um den Hals und Flocken von Spüllauge auf den Unterarmen. Sie hatte nie erwähnt, dass es noch einen zweiten Bruder gab, doch hatte er sie andererseits auch noch nie nach ihren Geschwistern gefragt.

Trevor hielt sich lange mit den Fotos auf, die Angela zeigten: das flachsblonde Baby im Arm ihres Vaters, der auf einer Schaukel aus Holzplanken saß, das Kleinkind, das sich Gartendreck in den Mund gestopft hatte, eine Vierjährige in einem Heuschober mit einem fetten kleinen Hund. Das Foto mit der Schulklasse, auf dem ihr Haar, nahezu weiß, einen kurzen Fransenschnitt hatte und ihr ein Kniestrumpf unten um den Knöchel hing. Als etwa Zehn- bis Zwölfjährige war sie ein echter Wildfang gewesen in Jeans und mit Zöpfen, immer ein Tier — Hund, Huhn, Pony, Welpe — im Schlepp. Er blieb an einem Foto hängen, das Angela dabei zeigte, wie sie das Fell eines Kälbchens putzte. Sie hatte auf dem Bild ihren Rechtsanwaltsblick, die Augen, die durch Haut und Knochen hindurchsehen konnten.

»Du hast dich nicht groß verändert«, frotzelte er. Sie trat vom Spülstein weg und schlug ihm mit dem Zipfel des Geschirrhandtuchs auf den Schenkel.

»Hey!«, lachte er, blätterte dann eine Seite weiter. Angela, die einen kleinen Mann in Cowboystiefeln umarmte. »Wer ist der Typ?«

Angela beugte sich herüber. »Unwichtig«, meinte sie. »Das reicht hier jetzt auch.« Sie packte die Alben zusammen, hob sie vom Tisch und verschwand damit im Wohnzimmer.

»Ich habe die Fotos von deiner Abiturfeier noch nicht gesehen«, rief er ihr nach.

»Die stehen auf dem Geschirrschrank«, versicherte Helen ihm. »Und das von der Abschlussfeier der Universität ebenfalls.« Helen schob ihren Stuhl zurück. »Ich denke, ich fange besser mal mit dem Brot an.«

»Warum hat sie das jetzt alles weggenommen?«

»Ich nehme an, weil sie nicht möchte, dass du Bekanntschaft machst mit den anderen Männern in ihrem Leben.« Helen schüttete Weizenkörner in eine elektrische Mühle.

»Was meinst du damit?«

»Mach dir keine Gedanken.« Sie drückte einen Schalter und brüllte gegen den Lärm der Maschine an: »Du verpasst da nicht viel.«

Trevor wanderte hinüber zur Fliegengittertür. Seine Beine fühlten sich steif an, und die Muskeln in seinen Armen schmerzten. Von drinnen konnte er hören, wie Bjorne und sein Vater sich auf der Veranda unterhielten. Die beiden Männer saßen nebeneinander auf einer Holzbank, rauchten und erörterten die Vorteile, die runde Heuballen gegenüber rechteckigen hatten. Neben Bjorne lehnte eine Gitarre an der Wand.

»Wir müssen bald zu runden Ballen übergehen, Dad«, führte Bjorne an. »Das machen sie jetzt alle. Wir werden bald keine Abnehmer mehr finden.«

»Unsere Geräte sind immer noch gut«, gab Axel zur Antwort. »Das Vieh interessiert es nicht, ob der Ballen rund oder eckig ist.«

Als sie die Tür schlagen hörten, rissen sich beide Männer die Zigaretten aus den Mündern, aber als sie Trevor erblickten, lachten sie leise vor sich hin und steckten sie wieder zwischen die Lippen.

»Wir dachten, du seist Ma«, sagte Bjorne.

Die Fliegengittertür quietschte noch einmal, und plötzlich stand Helen mit einem Eimer voller Küchenabfälle in der Hand hinter Trevor. » Trevor ist gescheit. Der raucht nicht«, schalt sie Sohn und Gatten. »Er weiß, was gut für ihn ist. War dieser Kojote letzte Nacht hinter meinen Hühnern her?«

»Mach dir darüber keine Sorgen, Ma. Ich habe Bretter vor die Löcher genagelt«, antwortete Bjorne. »Und du solltest wissen, dass ich meine Raucherei reduziert habe. Außerdem wird Dr. Adams mich so zusammenflicken, dass ich fast wieder so gut wie neu bin. Und wenn du Trevor auch nur noch einen einzigen Bissen mehr zu essen gibst, wird er uns morgen bei der Arbeit nicht nützlich sein.«

Helen blickte verwirrt auf den Eimer nieder. »Das ist für meine Hühner«, sagte sie, erst dann fiel ihr das Grinsen auf dem Gesicht ihres Sohnes auf. »Wenn du nicht so groß und kräftig wärst, würde ich dich verhauen.« Liebevoll schlug sie ihm mitten auf den Kopf und lief dann schnellen Schrittes in Richtung Scheune, mit sich selbst schimpfend.

»Bye Ma!«, rief Bjorne ihr nach, drückte dann seine Zigarette aus und nahm die Gitarre vom Boden. Er wandte sich Trevor zu. »Ang hat gesagt, dass du auf einer Farm aufgewachsen bist. In welcher Gegend?«

»Im Süden von Saskatchewan. In der Nähe von Moose Jaw.« Es war sicherer, es möglichst vage zu halten. »Spielst du oft?«

»So oft ich kann. Was bedeutet, dass ich nicht oft spiele, wegen der Farm und der Familie.« Bjorne schlug ein paar Moll-Akkorde an.

»Er hatte in der High School seine eigene Band«, warf Axel ein.

»Das ist lange her«, erwiderte Bjorne. »Also erzähl mal. Wie hast du Angie kennengelernt? Auf der Uni?«

Trevor wollte ihnen die Wahrheit nicht erzählen. Dass sie einander in einer Bar begegnet waren. Dass sie sich in einer verrauchten Kneipe von Calgary gegenseitig aufgegabelt hatten. Dass sie zu ihr nach Hause gegangen waren und noch in der gleichen Nacht miteinander geschlafen hatten. Und die Regeln aufgestellt hatten. Nichts Ernstes. Lockerer Sex, hin und wieder was zusammen trinken. Kein Gefühlskram. Er konnte ihnen das nicht erzählen. Diese gesunde Familie hätte diese Informationen über ihr jüngstes Kind und ihre Schwester nicht begrüßt.

»Nein, wir haben uns durch einen gemeinsamen Freund kennengelernt«, log er.

»Ach so«, Bjorne schlug mit den Fingern wahllos ein halbes Dutzend Noten an. »Du bist also kein Anwalt? Was machst du beruflich?«

»Ich verkaufe Farmgeräte.«

»Farmgeräte?« Die beiden Männer sahen einander an. »Juchu, du bist keiner von diesen sauteuren, verweichlichten Rechtsanwaltstypen, mit denen Angie so rumhängt?«, frohlockte Bjorne und stellte die Gitarre wieder auf den Boden. »Mit Farmgeräten können wir was anfangen.«

»Für welche Firma arbeitest du, mein Sohn?«, fragte Axel.

»Forrester.«

Axel nickte anerkennend. »Gute Firma.«

»Was habt ihr dieses Jahr Neues auf dem Gebiet von Traktoren?«, fragte Bjorne.

»Wollt ihr euch einen neuen anschaffen?«, fragte Trevor zurück, glücklich darüber, endlich etwas positive Aufmerksamkeit von den beiden Männern zu bekommen. »Mir ist aufgefallen, dass der Traktor, den ihr in der Scheune stehen habt, ziemlich alt ist. Er sieht aus wie ein Case, Jahrgang 1968.«

»1965. Dad hält sie am Laufen, bis sie buchstäblich auseinanderfallen«, witzelte Bjorne. »Ich bin letzte Woche mit dem Ding zum Nordfeld rausgefahren, und hinten sind dauernd Teile abgefallen.«

»Nun erzähl doch keine Geschichten. Es bringt doch nichts, hart verdientes Geld zu verschwenden«, argumentierte Axel. »Er mag alt sein, aber er tut immer noch seinen Dienst.«

»Was für Ballenpressen verkauft ihr?« Bjorne zwinkerte seinem Vater zu. »Rundpressen?«

Axel brummte leise vor sich hin.

»Der John Deere 530 ist gerade rausgekommen.« Trevor spürte, wie er umschaltete auf Verkäufermodus, wie er aalglatt und selbstsicher zu schwafeln begann. »Nur eine Bindung, wahlweise mit einem Spalter.«

»Was für eine Kupplung?«

»Freilauf. 1000.«

Die beiden Männer löcherten Trevor mit Fragen. Sie diskutierten die Motorstärke von Traktoren, Hubraum und Pflugleistung und machten Verbesserungsvorschläge, bis die Sonne in einem Flammenmeer aus Farben am Horizont versunken war. Angela rettete ihn, indem sie ihn daran erinnerte, dass die Arbeit am Sonntag bei Sonnenaufgang wieder losginge. Bjorne schlug ihm spielerisch auf die Schulter. »Pass mir schön auf meine kleine Schwester auf.«

Trevor versuchte, bei diesem Anschlag auf seine überarbeiteten Muskeln nicht das Gesicht zu verziehen, und es gelang ihm zu lächeln. Bjorne zwinkerte ihm zu.

Er fühlte sich, als habe er eine Prüfung bestanden.

Trevor drückte die Flügelfenster in seinem Schlafzimmer weiter auf, um wenigstens den Hauch einer Brise zu ermutigen in den heißen, stillen Raum zu dringen. In der Ferne jaulte ein Kojote. Caesar A. knurrte draußen im Hof. Trevor ließ seinen wunden Körper in das schmale Einzelbett gleiten. Sechs Uhr in der Frühe war schon bald. Morgenstund hat Gold im Mund. Er hoffte, dass er sich am Morgen überhaupt noch würde bewegen können. Er war eingeschlafen, bevor er auch nur noch einen einzigen weiteren Gedanken fassen konnte.

Kühle Hände massierten Trevors Glieder, seine Haut war von Körperöl ganz glitschig. Warme Lippen lagen auf den seinen, feuchter Atem stieß an seine Wange. Wieder ein Traum. Er zog den Körper der Traumfrau nach unten auf seinen herab. Träume hatten ihre Vorteile, sinnierte er, und mit einem Lächeln auf dem Gesicht schlief er wieder ein.

Trevor erwachte, als sich der Himmel im Osten rosa färbte. Er war an die Wand gedrückt; Angela lag zusammengerollt hinter ihm, und der Duft von Lavendel hing in der Luft. Er drehte sich um, verzog das Gesicht vor lauter Schmerz und stützte sich auf seinen Ellbogen, um sie zu betrachten. Sie bewegte sich im Schlaf, und aus den Tiefen ihrer Kehle drang ein Laut, der wie das sanfte Stöhnen eines Tieres klang. Er erinnerte sich an das Gefühl, einen warmen, flauschigen Ball in den Händen gehalten und das raue, nasse Reiben einer Zunge auf seiner Wange gespürt zu haben, als er den Ball gegen sein Gesicht gedrückt hatte. Aber woher rührte diese Erinnerung? Tante Gladys hatte ihnen nicht erlaubt, Tiere zu halten. Er strich Angela eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie sah so friedlich aus, die scharfen Züge waren vom Schlaf geglättet. Wie wenig er doch über sie wusste. Und sie über ihn. Sie hatten die Regeln und dicke Betonmauern zwischen sich aufgestellt. Gestern Abend, auf den Seiten von Helens Fotoalbum, hatte er einen Blick erhascht auf die wahre Angela, auf die, die einen Welpen mit einer Babyflasche fütterte und im Schulorchester die Posaune spielte. Er fragte sich, wie er wohl aussah, wenn er schlief.

»Hey!«, flüsterte er und rüttelte an ihrer Schulter. Sie seufzte und quälte sich, eines ihrer Augen zu öffnen. »Darfst du hier sein?«, fragte er, obwohl er viel lieber vorgeschlagen hätte, den ganzen Tag im Bett zu blieben.

Sie schloss das eine Auge wieder. »Das ist okay. Sie kommen nicht mehr nach oben wie früher.«

»Aber ist das nicht gegen die Regeln?«

»Du und deine blöden Regeln«, murmelte sie.

»Meine Regeln?«, protestierte er. »Ich dachte, das seien unsere Regeln.«

»Alles deine.« Sie drehte sich auf den Rücken, die Augen nach wie vor geschlossen.

»Und was war an dem Abend, an dem ich dich gebeten habe, über Nacht zu bleiben?«

»Goldene Regel für jeden Rechtsanwalt. Sei immer skeptisch, wenn plötzlich Veränderungen im Verhaltensmuster auftreten.« Sie schob ihren Kopf in seine Armbeuge und drückte einen Kuss auf sein Brustbein. »Wie spät ist es?«

Er blinzelte auf die Uhr auf dem Schreibtisch. »Halb sechs.«

Sie rollte sich auf ihn. »Gut, dann bleibt uns eine halbe Stunde.«

»Autsch«, war alles, was er sagte.

Ein einsames Kojotenmännchen saß neben einem Gebilde aus Stein auf der Kuppe eines flachen Hügels. Es streckte die Schnauze empor zu den verblassenden Sternen und heulte in den hellen Himmel, an dem der Morgen graute. Dann lauschte es auf eine Antwort von seiner Gefährtin und heulte noch ein zweites Mal, um das junge Männchen, dem er kurz zuvor begegnet war, zu warnen nur ja Abstand zu halten. Die weite Prärie verschluckte seinen Gesang. Der Kojote tappte den Hügel hinab in Richtung der Hütte am Rand des alten Flussbetts. Seine Schultern waren steif, sein Fell verfilzt, doch war er stark und emsig und hatte auch mit siebzehn Jahren auf dem Buckel immer noch ein Weibchen angelockt. Er blieb häufig stehen, um zu urinieren — auf einen Steinhügel, in einen struppigen Salbeibusch, an den Rand eines Pfads, an einen Zaunpfahl — , und dabei schnupperte seine wachsame Nase die ganze Zeit nach der Witterung eines Rivalen.

Mit dem Wind lief er am Rand eines Baus von Präriehunden entlang. Seine Nase zuckte, ein Ohr stand aufrecht nach vorn, das andere war gekrümmt und zerfetzt von einer alten Verletzung. Er setzte sich nieder und beobachtete, wie die ersten Sonnenstrahlen langsam die von Furchen zerklüftete Erde erfassten und mit ihrem Licht die Umrisse der schattenhaften Öffnungen umkreisten, von denen er wusste, dass sie Beute enthielten. Er kauerte sich flach auf den Boden und wartete. Zehn Minuten, fünfzehn. Ein kleiner brauner Kopf lugte aus dem Eingang zu einer der Höhlen, und im Fell am Nacken blitzte das Sonnenlicht. Ein zweiter Kopf erschien an der Außenseite der Kolonie. Der Kojote spannte seinen Körper an. Ein drittes Erdhörnchen kletterte in voller Länge aus seinem Bau, keine vier Körperlängen von ihm entfernt saß es aufrecht auf seinen Hinterläufen, schnupperte in die Luft. Der Kojote schlich auf dem Bauch vorwärts, bis er die Barthaare an der Nase des Tieres sehen konnte. Er sprang; seine Klauen gruben sich in Fell und Fleisch. Er schnappte sich den Kopf zwischen die Kiefer und biss zu. Der Knochen krachte, als er brach. Der kleine Nager bäumte sich noch einmal auf und wurde mit zwei großen Bissen verspeist.

Eines der Erdhörnchen, die Wache standen, pfiff eine Warnung, und nacheinander ließen sich die Tiere zurück in ihren Bau gleiten. Der Kojote buddelte an einem der Eingänge, allerdings mit wenig Enthusiasmus, dann urinierte er hinein in das Loch. Beschwingten Schrittes machte er sich davon, mit entspanntem Schwanz, den er faul hinter sich herschleifen ließ. In Nächten, in denen sich das Jagen als schwierig erwies, lauerte er an den Farmhäusern in der Ferne und suchte dort nach Mäusen oder Hühnern, nur roch es dort, als müsse man auf der Hut sein, und mit dem bellenden Hund konnte er es nicht mehr aufnehmen.

Die Kleinen, sechs Wochen alt, kläfften beim Spielen in dem alten Dachsbau, den das Weibchen für seine Welpen vergrößert hatte. Er lag verborgen unter dem Laub einer Weide. Das Männchen trank aus der Quelle und setzte sich in respektabler Entfernung von der Höhle nieder. Als er einen schnaubenden Laut ausstieß, erschien der Kopf des Weibchens am Eingang zur Höhle. Sie wand sich nach draußen und tanzte das Ufer hinunter zu ihm. Winselnd vor Erregung leckte sie sein Maul und berührte mit den Tatzen seine Schulter. Wieder ließ er ein Schnüffeln vernehmen, woraufhin fünf Welpen aus der Öffnung ihres Heims purzelten und übereinander fielen, um über den Pfad zu ihrem Vater zu gelangen. Sie leckten wie rasend an seinem Maul, er würgte den Präriehund hoch und erbrach ihn auf den Boden. Die Kleinen machten sich über den glänzenden Haufen aus Fleisch und zerlegten Knochen her, knurrten und rempelten einander beim Fressen an. Nach der Mahlzeit streckte ihr Vater sich der Länge nach auf dem Erdboden aus und ließ die Kleinen über seinen Körper klettern. Eine Weile nahm er es geduldig hin und ignorierte das Kneifen und Quetschen, aber als er genug davon hatte, schüttelte er sich frei, blickte noch einmal zurück auf sein Weibchen, und dann machte er sich auf und davon, um ein ruhiges Plätzchen für ein Nickerchen zu suchen.