7.
Svetlana im Fernsehen:
Weiß-blaues tief ausgeschnittenes Tageskleid (Issa)
Lila Tasche aus Leder und Pythonhaut (Francesco Biasia)
Blaue hochhackige Wildledersandaletten (Jimmy Choo)
Zweikarätiger Saphirring (dritter Ehemann)
Geschätzte Gesamtkosten: 86 400 £
»Müllsack!«
Cath? Cath, was ist das hier!?« Svetlana, die einfach unmöglich sexy und glamourös in diesem adrett in Beige gehaltenen Schlafzimmer in einem angenehm grünen Winkel von Südwestlondon aussah, hatte eine Schrankschublade geöffnet.
Sie war ganz und gar nicht glücklich mit dem, was sie darin vorfand.
Mit einem Schnippen ihrer manikürten Finger hob Svetlana einen großen schlaffen beigefarbenen Schlüpfer heraus. Als Nächstes ließ sie einen ausgeleierten BH, dessen Träger sich spiralförmig kringelten, von ihrem langen pinkfarbenen Fingernagel baumeln.
Die zweiundfünfzig Jahre alte Frau, der diese unförmige Unterwäsche gehörte, sah auch nicht glücklich aus. Sie verschränkte ihre Arme über dem ebenfalls ausgeleierten und beigefarbenen Polohemd, das sie zu ihrem ersten Treffen mit den Wonder Women zu tragen beschlossen hatte, und erwiderte nüchtern: »Das ist meine Unterwäsche.« Der Zustand ihrer Dessous schien ihr nicht übermäßig peinlich zu sein.
»Cath, du bist schon zu lange allein, und wenn du solche Wäsche trägst, bleibst du allein für immer. Müllsack!«, ordnete Svetlana an und warf die beanstandeten Wäschestücke flugs zum Abfall. Nach kurzer Inspektion folgte der restliche Inhalt der Schublade.
»Moment!«, protestierte Cath mit verdutztem Gesichtsausdruck, »die Sachen sind alle sehr bequem … Die BHs habe ich erst vor ein paar Monaten gekauft!« Sie sprang vor, schnappte sich den Müllsack, und zwischen den zwei Frauen kam es zu einem kurzen Gerangel. Bob hielt seine Kamera mit festem Griff und wusste, dass er Ärger bekäme, wenn er eine Sekunde dieser Szene versäumte.
»Nein!«, blieb Svetlana hart und zerrte an dem Müllsack. »Abscheuliche, hässliche Unterwäsche! Du bist unter all diesem bequemen Beige doch schöne Frau. Wir kaufen dir neu!«
Was Svetlana leicht versprechen konnte, dachte Annie spontan; sie war schließlich nicht diejenige, die mit einem Budget von 250 £ für den Kauf einer vollständig neuen Garderobe auskommen musste.
Annies Blick schweifte zu Caths Gesicht. Bekümmerung prägte die ein klein wenig strengen Züge. Im Grunde war dieser Ausdruck nicht von Caths Gesicht gewichen, seit das gesamte Wonder-Women-Fernsehteam um 8:45 Uhr an diesem Morgen in ihre Wohnung eingefallen war. So recht auf die unseriöse Art des Fernsehens hatten alle Cath umarmt, geküsst und umschmeichelt, um dann anzufangen, ihr Leben in Fetzen zu reißen.
Miss Marlise hatte ihren Part vor der Kamera sowohl in als auch vor Caths Haus bereits absolviert. Cath hatte ihren Kommentaren mit brennenden Wangen und dann mit vor Entsetzen offenem Mund gelauscht. Miss Marlise dachte nicht eine Sekunde daran, die Gefühle dieser ziemlich schlicht wirkenden Buchhalterin mittleren Alters zu schonen.
»Cath lebt ganz allein hier in dieser langweiligen, beige gehaltenen Wohnung«, hatte Marlise eröffnet. »Nachdem ihr Sohn aus dem Haus ist, geht sie völlig in ihrer Arbeit, ihrem Gartenverein und ihrem Freundeskreis auf, aber, ehrlich gesagt, ist sie dabei selbst ein bisschen langweilig und ein bisschen beige geworden.
Cath hat sich vor fünf Jahren scheiden lassen, und seither gibt es keinen Spaß mehr in ihrem Leben …«
»Glaub mir, vorher hat es auch nicht viel Spaß gegeben«, hatte Cath leise gesagt, und Annie hatte die Bemerkung aufgeschnappt.
Miss Marlise rasselte weiter herunter: »Keine neuen Kleider und keine neuen Männer. Caths gesellschaftliches Leben besteht aus Treffen des Gartenvereins und alle vierzehn Tage einmal einem Abend mit ihren verheirateten Freunden. Auf diese Weise wirst du den Richtigen nie kennenlernen, Cath, nicht wahr?«
Dann neigte Miss Marlise sich leutselig der Kamera entgegen, riss begeistert die Augen auf und sprudelte hervor: »Aber, lieber Himmel, welch ein Glück für dich! Die Wonder Women sind hier, um dich wieder hinzukriegen!«
»Juhuu!«, lautete Finns unvermeidlicher Kommentar zu Marlises Einführung. Doch Annie hatte gesehen, wie Cath sich den Augenwinkel wischte, und nahm sie spontan in den Arm.
»Das schneiden sie bestimmt raus«, tröstete sie sie leise, als sie zusammen in die Wohnung gingen. »Warum hast du dich entschlossen, an der Show teilzunehmen, Cath?«
»Meine Freundinnen haben sich zusammengetan und entschieden, mich vorzuschlagen. Ich habe erst davon erfahren, als der Anruf kam.«
»Aber die Vorstellung, umgestylt zu werden, muss dir doch wohl gefallen haben?«
»Hm, ja … eine neue Frisur, ein neues Outfit. Ja«, gab Cath zögerlich zu, »aber ich habe nicht gewusst, dass das Durchwühlen meiner Wäscheschublade und ein Blind Date dazugehören.«
»Nein, kein Date! Nur eine Party, auf der du mit vielen Leuten bekannt gemacht wirst. Und wir sind bei dir und halten dir die Hand. Ehrlich«, versuchte Annie sie zu beruhigen, »ich verspreche dir, diese Sache bringt viel Gutes mit sich!« Sie war immer noch überzeugt davon, dass es so wäre.
Doch jetzt, im Schlafzimmer, als sie Svetlana bei der Arbeit sah, war sie nicht mehr so sicher.
»Okay, ich hole meine Liste.« Svetlana nahm ihre luxuriöse Handtasche aus Leder und Pythonhaut vom Bett. Sie wirkte in diesem Zimmer genauso fehl am Platz wie Svetlana selbst, als wären beide direkt von einem unverschämt teuren Lunch in Knightsbridge versehentlich hierhergebeamt worden.
Die Kamera lief, und Svetlana fand jede Minute sichtlich reizvoll. Völlig unbeabsichtigt präsentierten sich ihre übereinandergeschlagenen Beine und ihr umwerfendes Dekolleté der Kamera aus dem denkbar schmeichelhaftesten Blickwinkel. Auf einen Ellbogen aufgestützt, lag sie auf dem Bett und blätterte in ihrem Notizbuch. Sie fing an, Cath Fragen zu stellen und dabei mit einem kleinen silbernen Stift Notizen zu kritzeln.
»Kein Freund seit deiner Scheidung?«
Cath bestätigte es mit einem Kopfschütteln. Annie sah auf dem Bildschirm, dass die Kamera Caths besorgtes Gesicht dicht heranzoomte.
»Wo könntest du interessante Männer kennenlernen?«, überlegte Svetlana.
Cath zuckte hilflos mit den Achseln und äußerte dann vorsichtig: »Durch die Arbeit? Was nicht heißt, dass ich an jemandem an meinem Arbeitsplatz interessiert wäre … na ja, sie sind alle nett, charmant … aber ehrlich, ich bin ganz glücklich allein.«
Die Art, wie Svetlana die Augen verdrehte, machte deutlich, dass ihr diese Antwort nicht gut genug war.
»Was sind deine Interessen? Hobbys?«, fragte sie.
Cath sah Svetlana an. »Ich arbeite gern im Garten und schaue mir andere Gärten an … und ich gehe gern mit meinem Sohn aus.«
»Was hast du vor Heirat gern gemacht, vor Geburt von Jungen?«, fragte Svetlana so subtil wie ein Vernehmungsbeamter der Polizei.
»Hmmm …« Wieder zoomte die Kamera Caths Gesicht heran. Annie sah, wie eingeschüchtert die Frau war. Das hier war nichts für sie; sie hätte einfühlsam behandelt, aus ihrem Leben in Beige heraus- und auf die Party gelockt werden müssen. Doch Annie musste abwarten, bis sie selbst an der Reihe war. Die Nervosität, mit der sie bei ihrem ersten Bildschirmauftritt gerechnet hatte, war verflogen. Jetzt wollte sie nur noch rasch eingreifen und Cath zur Hilfe kommen.
Denn Annie hatte schon so oft Einblick in die Kleiderschränke und die intimsten Geheimnisse von Menschen genommen. Es ging darum, die innere Abwehr zu überwinden, Selbstbewusstsein aufzubauen – Schritt für Schritt – und der Kundin ein gutes Gefühl zu vermitteln, statt sie zu demütigen.
Ein leichter Schweißfilm glänzte auf Caths Gesicht. Wenn sie noch weiter in die Enge getrieben wurde, weigerte sie sich vermutlich, überhaupt noch an der Show teilzunehmen.
»Früher habe ich gern gezeichnet«, presste sie schließlich hervor und fügte hastig hinzu: »Aber ich war nicht sonderlich gut.«
»Zeichnen«, konstatierte Svetlana und schrieb schwungvoll in ihr Notizbuch. »Und?«
»Ich lese gern …«
»Lesezirkel? Habe ich davon gehört …«, fiel Svetlana ihr ins Wort und notierte sich auch diese Idee.
»Tja …« Caths Stimme klang sehr unsicher.
»Sonst noch was? Was du gern machen würdest? Etwas Neues?«
»Hmmm … ich wäre gern ein bisschen fitter.«
»Ausgezeichnet!« Svetlanas Miene hellte sich auf. »Trittst du in Fitnessclub und Sportverein ein. Lernst du viele, viele durchtrainierte Männer kennen!«
Bei dieser Aussicht schien Cath ihre Arme noch fester zu verschränken.
»Und Schnitt!« Finn ließ die Klappe vor der Kamera zuschnappen. »Teepause für alle! Dann geht’s weiter mit Annie Valentine, der Herrin der Garderobe.«
Mit einem neuerlichen Blick auf die leicht traumatisierte Cath kam Annie eine Idee. »Lasst mich doch rasch Caths Garderobe durchsehen, bevor wir sie filmen«, bat sie. »Mir fallen bestimmt ein paar interessante Dinge ein, über die wir vor der Kamera reden können. Damit sparen wir ein bisschen Zeit.«
»Schön«, stimmte Finn zu, wie Annie es nicht anders erwartet hatte. Er wollte um jeden Preis Zeit sparen – Geld sparen und das Budget unterschreiten.
Indem sie sich mit ihrem reizendsten Lächeln an Nikki, Finns Assistentin, wandte, fragte Annie: »Bist du ein Schatz und bringst uns beiden eine Tasse Tee?«
Sobald das Team das Schlafzimmer verlassen hatte, führte Annie Cath zu ihrem Bett und ließ sie dort Platz nehmen. »Du liebe Zeit!«, rief sie. »Tja, sie waren ein bisschen ruppig zu dir, Schätzchen, nicht wahr?«
Bei diesen Worten drohte Cath in sich zusammenzufallen. Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich das durchhalte. Die Leute werden alles sehen! Die Leute, mit denen ich arbeite! Ich meine, alle sollten einfach gehen und mich in Ruhe lassen. Ich glaube, ich will eigentlich gar nicht weitermachen.«
Ein paar Sekunden lang streichelte Annie einfach nur tröstend Caths Rücken.
Dann klopfte es an der Tür, und Nikki kam mit zwei Bechern Tee. Annie nahm sie entgegen und lächelte dankbar, schlug der neugierigen Assistentin aber nachdrücklich die Tür vor der Nase zu.
»Okay«, begann Annie sanft und setzte sich wieder, »was hält man in deinem Freundeskreis davon, dass du in dieser Show auftrittst? Und dein Sohn?«
Cath umfasste den Becher und trank einen Schluck. »Alle haben sich echt für mich gefreut«, gestand sie. »Ich glaube, alle wollten mich schick gekleidet und gutaussehend erleben. Es ist ziemlich lange her, dass ich darauf überhaupt Mühe verwandt habe. Ich donnere mich nicht auf … und gehe nicht auf Partys …« Ihre Stimme versagte.
»Gut, hör zu, was deine Freunde und dein Junge dann zu sehen bekommen«, sagte Annie, »ihre liebste Freundin und die allerliebste Mum wird hinreißend aussehen, nur für sie. Vergiss alle anderen, und tu’s nur für sie, weil sie sich so für dich freuen werden! Komm schon!«, ermunterte sie Cath. »Trink deinen Tee aus! Ich würde ihn ja gern mit etwas Stärkerem aufpeppen, aber dann werfen sie mich womöglich aus der Sendung.«
Cath hob den Blick und lächelte kaum merklich. »Ich war noch nie im Fernsehen«, gab sie schüchtern zu.
»Gut, dann sind wir schon zu zweit. Aber wie man im Showgeschäft so sagt: Kopf hoch – die Show muss weitergehen.«
»Also, wie böse sieht es hier aus?«, fragte Annie mit einem Zwinkern, als sie vor Caths Kleiderschrank trat und die schlichten weißen Doppeltüren öffnete. Cath hatte augenscheinlich aufgeräumt, bevor das Kamerateam eintraf. Alles war säuberlich gefaltet oder auf Bügel gehängt. Annie war im Begriff, das alles zu ändern. Mit beiden Händen griff sie beherzt zu, zog mehrere Kleider aus dem Schrank und warf sie aufs Bett.
Es war so, wie sie es erwartet hatte: zahlreiche oft getragene, bequeme, sackartige Sachen, vorwiegend in Beige, Rohweiß und Hellblau. Es gab ein paar unverhoffte Ausbrüche von Farbenwahn, aber nichts davon hatte sich als übermäßig erfolgreich erwiesen.
Annie hielt eine weitgeschnittene dreiviertellange Hose mit einer Art Graffiti-Druck in die Höhe. Scheußlicher Schnitt, scheußliche Farben für Cath, aber trotzdem wider Erwarten durchgeknallt.
»Die hier ist ein kleines bisschen verrückt«, stellte Annie fest. »Ich glaube, du hast eine versteckte wilde Ader, die wir nur noch nicht zu sehen bekommen haben.«
»Oh nein!«, widersprach Cath. »Die war einfach nur billig, ich habe sie für einen Urlaub gekauft.«
»Ein sehr interessantes Teil.« Annie lächelte und legte die Hose aufs Bett.
Sie brauchte nicht lange, um Caths restliche Garderobe durchzusehen. Alles, was so abgetragen und ausgeleiert war, dass es nicht einmal mehr fürs Rote Kreuz taugte, wanderte auf einen Haufen. Sachen, denen Annie neues Leben einhauchen zu können glaubte, kamen auf einen anderen. Es waren so viele Rollis aus Baumwolle, stellte sie entmutigt fest. Warum keine tiefen Ausschnitte und hübschen Blusen, um etwas Haut und eine aparte Halskette zu zeigen?
Auf dem Bett war noch Platz für die Glanzstücke, die Annie hinten im Schrank aufzustöbern hoffte. Vielleicht fand sie ein, zwei Kleider, eine besondere Bluse oder einen Rock … Dinge, die nur eine kleine Änderung oder neue Accessoires benötigten, um sie in völlig neue Outfits zu verwandeln. Obwohl sie gründlich suchte und den Kleiderhaufen noch ein zweites Mal durchwühlte, fand sie nichts als lässige, funktionelle, praktische Sachen.
Die Teepause war zu Ende, und das Kamerateam latschte ins Schlafzimmer zurück. Lampen wurden umgestellt, und Nikki frischte Annies und Caths Gesichtspuder und Lipgloss auf.
Finn besprach die Perspektive, die er wünschte, die Richtung des Dialogs zwischen Annie und Cath und verkündete schließlich: »Und Action!«
Annie wurde warm; sie war etwas aufgeregt, als die Kamera jetzt direkt auf sie gerichtet wurde. Doch sie versuchte, die Nerven zu bewahren. Mehr als alles andere wollte sie einfach nur sie selbst sein. Im Gegensatz zu Miss Marlise hatte sie nicht vor, sich eine neue überlebensgroße Fernsehpersönlichkeit überzustülpen. Sie hatte längst begriffen, dass es das Beste war, ganz authentisch zu sein, und wenn das den Leuten nicht gefiel – Pech gehabt!
»Gut, mein Schatz«, begann sie und kramte geschäftig durch Caths auf dem Bett verstreute Kleider. »Ich habe die Sweatshirts, die alten T-Shirts, die Poloblusen, die Fleecepullover, die Schlabberhosen und die langen dunklen Röcke gesehen. Aber ich frage mich: Wo sind deine besonderen Sachen? Wo sind die Kleider und der Glitzerkram? Was ziehst du an, wenn du auf eine Hochzeit eingeladen bist? Oder auf eine Party? Oder mit jemandem ausgehen willst?«
Cath blickte offen zu Annie auf und antwortete: »Ach, ich habe nichts anzuziehen, deshalb gehe ich nicht hin.«
»Ach, Schätzchen!« Annie sah Cath an und vergaß völlig die Kamera. »Das ist das Allertraurigste, was ich seit langer Zeit gehört habe. Aber was ist, wenn du Geburtstag hast? Jede Frau muss doch an ihrem Geburtstag etwas Hübsches zum Anziehen haben.«
Daraufhin begann Caths Unterlippe leicht zu zittern, und dann kam ans Licht, was sie unter gar keinen Umständen im Fernsehen hatte preisgeben wollen: »Mein Mann hat mich an meinem Geburtstag verlassen«, brach es aus ihr heraus. Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Jetzt verstand jeder, warum Caths Garderobe keine Partykleider enthielt.
Finn fing den Blick seiner Assistentin ein und formte unhörbar das Wort: »Juhuu!«