3.

Annies Abschieds-Outfit:

Hautenges rotes Strickkleid mit phantastischem Ausschnitt und langen Ärmeln (Vivienne Westwood, mit Händlerrabatt)

Lila T-Bar High-Heels (Timi Woo, direkt aus China)

Klobige lila Perlen (Topshop)

Winzige Diamant-Ohrstecker (Tiffany über Ed)

Hauchdünne rote Nahtstrümpfe (Topshop)

 

Geschätzte Gesamtkosten: 580 £

»The show must go on.«

Es war zwei Minuten vor neun Uhr abends, und Annie rotierte. Sie rückte die auf dem Tapeziertisch in der Einkaufsberatungssuite aufgereihten Sektgläser zurecht. Sie zupfte an dem pinkfarbenen Tischtuch, damit es wirklich perfekt hing. Sie veränderte kaum merklich die Ausrichtung der Sektflaschen.

Das war’s. Das war’s endgültig.

Nach neun Jahren stand ihr Abschied von The Store unmittelbar bevor. Von dem glänzenden und glamourösen, luxuriösen Haute-Couture-Kaufhaus in Knightsbridge in London, das sie all diese Jahre lang glücklich ihren Arbeitsplatz genannt hatte. Nun ja, okay, sie hatte es schon einmal verlassen, doch der Grund war eine ungerechtfertigte Entlassung gewesen und sie innerhalb von Monaten zurückgekehrt.

Jetzt ging sie wirklich. Dies war ein Abgang in Glanz und Gloria. Endgültig. Für immer.

Sie ließ den Blick durch die mit dickem Teppich ausgelegte Suite mit ihren pinkfarbenen Samtvorhängen und leuchtend pinkfarbenen Sofas schweifen. Nie mehr würde sie sich hier mit ihren Kundinnen, alten wie neuen, aufhalten. Nie mehr kritisch mit ihnen in diese mannshohen Spiegel schauen, nie mehr die Ständer voller wunderbarer, herrlicher Kleider durchwühlen, die aus den glitzerweißen verglasten Etagen voll umwerfender Mode heraufgebracht worden waren.

Annie zweifelte nicht daran, dass sie die Kleider fast so sehr vermissen würde wie die Menschen hier. Ganz zu schweigen von ihrem Personalrabatt, der ihr bei der Zusammenstellung ihrer lebhaft bunten und äußerst vielseitigen Garderobe geholfen hatte. Von Prada bis Primark, von Alexander McQueen bis Zara: Ihre Garderobe (die mittlerweile drei Schränke plus all die Kisten und Taschen im Gästezimmer füllte) deckte das gesamte Spektrum ab.

In einer Ecke der Suite befand sich die kleine Zelle, die ihr die ganze Zeit über als Büro gedient hatte. Annie hatte ihren Laptop bereits ausgestöpselt und in seiner Tasche verstaut. Sie hatte die Familienfotos von den Wänden genommen, eine riesige Sammlung von Modemagazinen im Papiercontainer entsorgt und das gesamte Sammelsurium ihrer Habseligkeiten aus ihren Schreibtischschubladen eingepackt: verlorene Knöpfe, Strümpfe mit Laufmaschen, Nadeln, Kugelschreiber, Namensschildchen, Polaroidfotos von Kundinnen, Dankesbriefe von entzückten Klientinnen.

Es hatte sie fast eine Stunde und jede Menge stiller Tränen gekostet, das alles zu erledigen. Jetzt, um Punkt neun Uhr abends, schloss The Store seine Türen zur Nacht, und die Belegschaft sowie Annies Familie und Freunde kamen in die Suite hinauf, um auf ihr Wohl zu trinken und ihr alles Gute zu wünschen.

»Geht’s dir gut, Schätzchen?«, rief Paula, ihre schöne, schlanke schwarze Exassistentin in spe, als sie auf schwindelerregenden Absätzen mit einer riesigen Platte voll Canapés in die Suite eilte.

»Ja, ganz bestimmt!«, versuchte Annie fröhlich zurückzuzwitschern, doch es klang nicht ganz überzeugend.

Paula stellte die Canapés ab, stürzte sich auf Annie und schloss sie in die Arme.

»Ich bin am Boden zerstört, weil du gehst«, gab Paula zu. »Es würde mich kränken, wenn du nicht traurig wärst, meine Liebe, aber für dich ist es so toll! Du kommst ins Fernsehen. Du wirst ein Star! Von nun an ist der Annie-Valentine-Stil nicht nur den Damen vorbehalten, die sich das Shoppen hier leisten können. Jetzt ist er etwas für alle!«

Na ja, für alle, die den Sender Home Sweet Home sehen, von dem ich übrigens bis gestern nie gehört hatte, dachte Annie.

Mit einem wachsenden Kloß im Hals sagte sie zu Paula: »Das ist lieb von dir, Schätzchen, richtig lieb«, und drückte sie fest an sich.

»Lass dich anschauen!«, verlangte Paula und trat einen Schritt zurück, um ihre frühere Mentorin zu begutachten.

Annie hatte ihr Haar zu dem für sie typischen hohen Pferdeschwanz zusammengefasst. Ihr leicht gebräuntes Gesicht mit den braunen Augen, feinen Zügen und dem gewinnenden Lächeln wirkte lebhaft und heiter. Paula glaubte, dies wäre allein auf Annies Sitzung mit dem hochbegabten Mädchen unten in der Kosmetikabteilung am Bobbi-Brown-Tresen zurückzuführen. Von dem Botox wusste sie nichts.

»Du siehst hinreißend aus!«, beglückwünschte Paula sie eilig. »Westwood zeigt, was du hast. Heiß!«

Das rote Kleid, das Annies vollbusige Figur an den genau richtigen Stellen betonte oder kaschierte, war nicht neu. Es handelte sich um ein erprobtes und bewährtes Lieblingsstück, auf das sie sich immer verlassen konnte.

Wie sie ihren Kundinnen einzuschärfen pflegte: »Große, nervenaufreibende Ereignisse sind nicht der richtige Zeitpunkt, um ein neues Outfit auszuprobieren. Man fühlt sich sicherer, wenn man etwas schon Vertrautes, Zuverlässiges trägt. Warum sonst sind Bräute immer so unsicher?«

»God Save the Queen!«, zitierte Annie scherzhaft ihren und Paulas Code für Westwood. (»God Save the Queens« bedeutete Dolce und Gabbana.)

»Lang lebe die Königin!«, gab Paula noch eins drauf.

»Mein Personalrabatt wird mir wirklich entsetzlich fehlen«, gestand Annie mit einem Seufzer.

»Ganz bestimmt, Annie Valentine!«, musste Nadine, eine der Verkäuferinnen, die gerade die Suite betraten, ihr zustimmen.

Sie führte ein Aufgebot von etwa zehn weiteren Kolleginnen an. Jetzt konnte die Party also beginnen.

»Sie wird keinen Personalrabatt mehr brauchen«, konterte Dale aus der Herrenbekleidung, »oder, meine Liebe?« Er legte die Arme um Annies Taille. »Sie geht zum Fernsehen, und sie wird reich! Wir werden im Heat-Magazine über sie lesen und zu Weihnachten ihre Bücher kaufen, stimmt’s, Püppchen?«

Annie hatte ein flaues Gefühl in der Magengrube. Wenn sie alle wüssten, wie viel sie hier aufgab! Sie meinte, alles für eine äußerst fragwürdige Chance auf Fernsehruhm aufs Spiel zu setzen.

Unter begeistertem Jubel knallte ein Sektkorken. Gläser wurden herumgereicht, gefüllt und klirrten aneinander.

Annie sah Geoff und zwei Damen aus der Buchhaltung eintreten; sie waren bereits im Pub gewesen, um dort auf den Startschuss zu warten. Und jetzt kam Dinah, Annies Schwester, etwas zögerlich herein.

Aber immer noch keine Spur von Ed und ihren Kindern oder ihrem besten Freund Connor oder ihrer Chefin, Helena Montserrat.

Dinah, Annies jüngere Schwester – sie hatte auch noch eine ältere, Nic –, war ein sehr wichtiger Mensch in ihrem Leben. Sie wohnte ganz in ihrer Nähe im Norden von London, mit ihrem Mann Bryan und ihrer Tochter Billie. Sie war ein ängstlicherer, nicht so impulsiver Mensch wie Annie und zerbrach sich freundlicherweise häufig Annies Kopf, doch sie stellte eine enge Vertraute und Helferin in jeder Lebenslage für Annie dar.

»Hey, du!«, rief Dinah und winkte knapp. In Kleidungsfragen entschieden künstlerischer und experimentierfreudiger als ihre große Schwester, trug sie etwas lebhaft Fliederfarben-Blaugrünes aus der jüngsten Kaufhaus-Kollektion. Während Annie Marken und langlebige »Schlüsselelemente« liebte, bevorzugte Dinah billige Mode aus Kaufhausketten oder, noch besser, Secondhandläden.

»Dinah!« Annie schloss ihre Schwester in die Arme. »Sind Ed und die Kinder schon hier?«

»Nein, aber sie sind bestimmt auf dem Weg.«

»Und die Mungobohne?« Das war ihr derzeitiger Spitzname für Connor, ihren Schauspieler-Freund. Connor war kürzlich nach LA gezogen, weil er seinem neuen amerikanischen Agenten zufolge »hier und jetzt total angesagt« war und daraus Kapital schlagen musste. Laut Connors Berichten hatte das Leben in LA ihm nicht gestattet, den unbekümmerten, feuchtfröhlichen Lebenswandel fortzusetzen, den er als Schauspieler in London genossen hatte. Nein. Das Leben in LA bestand offenbar aus endlosen Meetings, einer Ernährung von Tofu und Mungobohnen und fünf Stunden Schwitzen pro Tag unter einem Personal Trainer, was alles so affig und lächerlich wirkte, dass Annie und Dinah es als ihre Pflicht ansahen, ihn bei jeder Gelegenheit damit aufzuziehen. Da Connor sich für vier Tage in London aufhielt – zum Vorsprechen, nicht nur wegen Annies Party –, hatten sie jetzt ihre große Chance.

»Ist die ganze Vertragsangelegenheit nun geklärt?«, fragte Dinah ihre Schwester mit leiser Stimme, sah ihr aber in die Augen.

»Ach!«, rief Annie. Hier wollte sie nicht darüber sprechen.

»Der Vertrag?«, bohrte Dinah. »Kriegst du, was du haben wolltest?«

»Schätzchen, ich kriege genug, um mühsam über die Runden zu kommen, und mehr sage ich jetzt nicht«, antwortete Annie grimmig.

»Oh nein!«, flüsterte Dinah. »Ist es schlimm?«

»Noch schlimmer«, flüsterte Annie zurück.

»Was willst du tun?«

Aber es war zu spät; von allen Seiten stürzten sie sich auf Annie. So viele Leute, mit denen sie reden musste. Annie hatte das Gefühl, von einem Grüppchen zum anderen weitergereicht zu werden – wie ein Päckchen auf einem Kinderfest.

In einer Ecke gegenüber entdeckte sie Ed und die Kinder, die sich mit Dinah und Paula unterhielten, aber es dauerte noch ein paar Minuten, bis sie sich von der Gruppe, die sie mit Beschlag belegte, loseisen und zu ihnen gelangen konnte.

»Ihr seht fantastisch aus!«, rief Annie. »Meinetwegen habt ihr euch so große Mühe gegeben.«

Owen, der sich das international anerkannte »schicke« Outfit für Zwölfjährige zu eigen gemacht hatte – gebügeltes Hemd, gebügelte Khakihose, leidlich saubere Converse-Schuhe –, wurde als Erster umarmt. Er nahm es klaglos hin, obwohl seine Mum ihm das Haar zerzauste, das er so sorgfältig seitlich gescheitelt hatte.

Lana bekam einen Kuss auf die Wange, dann ließ Annie sich einen Augenblick Zeit, um ihr neues blaues Kleid zu bewundern. Obwohl Lana es mit leicht befangener Teenager-Schlaksigkeit und schlecht aufgetragenem Eyeliner trug, war sie in Annies Augen doch wunderschön.

Ed hatte sich gewaltig ins Zeug gelegt. Irgendwie hatte er seinen widerspenstigen Haarschopf unter Kontrolle gebracht und seinen üblichen ausgeleierten, wolligen Tweedlook durch das modische Jackett, das Hemd und die Krawatte ersetzt, die Annie lange, bevor sie wusste, dass sie in ihn verliebt war, für ihn ausgesucht hatte.

»Hey, du«, sagte sie weich und streifte seine Lippen mit einem Begrüßungskuss. »Du siehst gefährlich süß aus.«

Und er roch auch noch gut.

»Aha«, pflichtete er ihr bei. »Ich musste doch deinem Kleid gerecht werden.« Er strich ihr mit der Hand über den Rücken.

»Ganz der Annie-Magnet. Schon gut, stürz dich wieder ins Getümmel! Wir kommen zurecht. Wir wissen ja, dass wir dich am Ende der Party zurückbekommen.«

»Habt ihr das Buffet gesehen?« Owen deutete auf den Tapeziertisch, auf dem jetzt Snacks angerichtet waren. »Hammermäßig!«

Plötzlich verschwand Annies Gesicht – samt Bobbi-Brown-Kosmetik, Botox und allem – an dem üppigen, warmen, freundlichen Busen Delias, der Reinigungskraft der ersten Etage.

»Annie Valentine«, dröhnte sie in unverkennbar jamaikanisch eingefärbtem Englisch, »was soll ich nur ohne dich machen? Wenn du in diesen feinen Fernsehhäusern jemanden zum Putzen brauchst, sag sofort Delia Bescheid, hörst du? Ich denke, Mr. Geoff stört sich nicht daran, wenn ich das sage, oder?« Delia wies auf den Personalchef. »Wenn er einen Job beim Fernsehen kriegen könnte, wäre er auf der Stelle hier weg, stimmt’s, Mr. Geoff?«

Geoff tat ihr den Gefallen und lachte laut.

Wieder empfand Annie dieses leise Unbehagen. Das hier sollte ihr ganz großer Augenblick sein. Die Art von Abschied vom Alltäglichen, von der jeder träumte. All diese Menschen, mit denen sie so lange zusammengearbeitet hatte, waren so aufgeregt, freuten sich so für sie, und in Wahrheit ging sie hinaus ins Nichts. Für dreitausendsechshundert Pfund zu einem Digitalsender. Zu einer Show, von der kein Mensch je hören würde. Sie hatte das Gefühl, diese Party abbrechen oder zumindest verlauten lassen zu müssen, dass sie vielleicht zurückkommen würde. Betrachtet die Sache als vorübergehend, hätte sie am liebsten im ganzen Raum verbreitet, womöglich klappt es gar nicht!

»Uuuh!«, rief eine der Verkäuferinnen aufgeregt. »Ist das da drüben nicht Connor McCabe?«

Annie drehte sich um und sah Connor seit mehreren Monaten zum ersten Mal wieder. Das reichte, um ihre Übelkeit ein bisschen abzuschwächen. Ganz gleich, welche Probleme sie belasteten: Connor gelang es gewöhnlich immer, sie aufzumuntern.

Sie drängte sich durch die Menge zu ihm vor, doch er war bereits von einer Gruppe Fans umringt, die ihm die Hand schüttelten oder ihn nur mit aufgeregter Miene anstarrten. Er war inzwischen ein großer Fernsehstar und hatte erst kürzlich einen Kinofilm gedreht, war also wirklich bekannt. Du liebe Zeit, gerade erst hatte Hello! einen doppelseitigen Artikel über ihn gebracht!

»Connor«, begrüßte Annie ihn, »du bist gekommen!«

»Oh ja, von deinem bloßen Anblick!«, witzelte er und nahm sie fest in die Arme.

»Du siehst phantastisch aus«, lobte sie, und es entsprach der Wahrheit. Sonnengebräunt, durchtrainiert, dunkles Haar, blitzende Filmstar-Augen, kräftige breite Schultern, schmale Taille. Er war die personifizierte männliche Schönheit. Aber leider, es war so tragisch, zumindest für Frauen: Er war schwul.

»Kann ich dich einen winzig kleinen Augenblick sprechen?«, fragte Annie und deutete die Zeitspanne mit einem Millimeterabstand zwischen Daumen und Zeigefinger an.

»Ja. Wo kann ich übrigens meine Tasche abstellen?«

Sie führte ihn ein bisschen abseits vom allgemeinen Partytrubel in ihr Minibüro.

»Es ist so toll!«, schwärmte er, als sie sich zusammen in den kahlen weißen Raum zwängten. »Ich bin so stolz auf dich. Eine bedeutende neue Entwicklung!«

»Okay, bitte ein bisschen weniger Hollywood!«, ermahnte sie ihn. »Du redest jetzt mit mir, nicht mit irgendeinem flotten Produzenten.« Sie sah ihn forschend an.

»Wie geht’s dir?«

»Gut«, antwortete er mit einem beruhigenden Lächeln.

»Und Hector?«

»Prima«, versicherte Connor, bezogen auf seinen Partner, den er nach LA mitgenommen hatte. »Er wird noch muskulöser und brauner als ich.«

»Es ist phantastisch, dich zu sehen!«, konnte Annie sich nicht verkneifen zu gestehen. »Du fehlst mir. Jede freie Minute in den nächsten paar Tagen verbringst du bei mir, ja?«

Connor nickte zustimmend.

»Aber es gibt ein Problem«, fuhr Annie unmittelbar fort, weil sie wusste, dass ihr an diesem Abend nur wenige Minuten mit dem einzigen Menschen in ihrem Leben zur Verfügung standen, der alles über das Fernsehen wusste. »Die Sendung wird auf einem winzigen Digitalsender ausgestrahlt, und sie haben eine dritte Moderatorin hinzugeholt. Sie hat einen Namen, deshalb müssen sie sie anständig bezahlen, und ich soll diese Serie, die gesamte Serie, für dreitausendsechshundert Pfund machen.«

Connor zuckte nicht mit der Wimper. Sie hatte erwartet, dass er empört nach Luft schnappen oder doch wenigstens die eine oder andere Braue hochziehen würde.

»Verdient man beim Fernsehen doch entschieden weniger, als ich gedacht habe?«, fragte Annie. »Hast du es mir verschwiegen? Können nur Leute mit Privatvermögen beim Fernsehen arbeiten?«

»Nein, sei nicht albern!«, erwiderte Connor. »Aber die Anfangsgehälter sind niedrig. Alle geben sich damit zufrieden, weil sie ihre Chance auf den großen Wurf haben wollen. Und das musst du auch tun.« Er griff nach ihrem Pferdeschwanz und ließ ihn durch seine Hand gleiten.

»Okay«, fuhr er fort, »Ed und du, habt ihr in den nächsten Monaten genug zum Leben, falls du diesen Job übernimmst?«

»Ha! Ich habe versucht auszurechnen, wie wir über die Runden kommen können … vielleicht gerade so eben. Aber wirklich nur knapp.«

»Okay. Dann sei sparsam!«, riet Connor ihr. »Sei sparsam und reiß dir ein Bein für den Fernsehsender aus. Daraus wird sich schon etwas ergeben. Versprochen! Wenn die Show gut ist, wird ein großer Sender sie kaufen. Wenn du großartig bist, wird jemand anders dich anwerben. Was wäre das Schlimmste, was dir passieren könnte?«

Annie bemerkte das transatlantische Näseln, ganz zu schweigen von dem Wortschatz, den er sich angeeignet hatte.

»Das Schlimmste, was mir passieren könnte? Mal sehen«, begann Annie erbittert. »Meine Kinder könnten nicht mehr auf die St. Vincent’s gehen, weil ich das Schulgeld nicht mehr aufbringe, ich würde unser Haus verlieren, weil ich meinen Anteil der Hypothek nicht zahlen kann, und The Store stellt mich nicht wieder ein, und ich bin arbeitslos.«

»Tja … ja, das ist alles ziemlich schlimm«, gab Connor zu, »aber ehrlich, was willst du machen? Jetzt aufgeben«, forderte er sie heraus, »bevor du überhaupt angefangen hast?«

»Nein«, entgegnete Annie mit der Andeutung eines Lächelns.

»Ganz ausgeschlossen!«, bekräftigte Connor. »Also, ich will dir zwei Dinge sagen: Du gehst mit einem großen Erfolgslächeln auf den Lippen los, denn: The show must go on. Und du schließt nie im Leben wieder einen Vertrag ohne meinen Agenten ab.«

 

Helenas Ansprache war sehr freundlich. Obwohl Annies Chefin erst seit etwa fünf Monaten im Amt war, ließ sie die ganze Belegschaft wissen, welch wertvolle Mitarbeiterin sie verlor. Sie schloss mit der Versicherung, dass Annie, falls es vor der Kamera nicht klappen sollte, hinter den Samtvorhängen herzlich willkommen wäre, und das verstärkte Annies Entschlossenheit zu gehen. Sie wollte jetzt nach vorn blicken. Sie konnte nicht zurück. Selbst wenn es über ihren Dreimonatsvertrag hinaus beim Fernsehen nicht klappen sollte, konnte sie nicht gleich wieder in diesen selben Job einsteigen. Es war eindeutig Zeit für etwas Neues.

Annie fing Paulas Blick auf, und plötzlich sah sie ganz verschwommen. Dann weinte sie hoffnungslos in eine Cocktailserviette und hoffte, dass Trish, die Make-up-Künstlerin, an wasserresistente Wimperntusche gedacht hatte.

Die Verabschiedung dauerte zu lange und war zu traurig und endgültig. Was so übersprudelnd und voller Aufregung wie eine Hochzeit begonnen hatte, endete wie eine Beerdigung unter Tränen und Umarmungen. Bis Annie sich endlich draußen auf dem Gehsteig wiederfand, im Kreis ihrer trostspendenden Familie.

Ed wie auch Owen hatten ihre Arme um Annies Taille gelegt, als sie The Store hinter sich ließen, während Lana fröhlich ihre Eindrücke des Abends zum Besten gab.

»Wie geht’s dir?«, wollte Ed wissen.

»Ganz gut.« Annie bemühte sich, nicht zu schniefen. »Es wird schon …«

»Du warst großartig«, erinnerte er sie. »Wie hat Helena dich noch gleich genannt? Annie V, die tonangebende Einkaufsberaterin. Hier«, er reichte ihr ein zerknittertes, aber sauberes Herrentaschentuch, das er aus seiner Hosentasche gefischt hatte, »ich war auf alles vorbereitet.«

»Danke.« Annie presste es vor ihre Augen.

»Also, du Fernsehstar, nehmen wir ein Taxi nach Hause oder die Limousine?«, witzelte Ed.

»Da!« Annie setzte zum Sprint an. »Da kommt der Bus!«