29.
Bettina zu Hause:
Jeans mit weiten Beinen (Notify)
Kurzärmlige Bluse (Paul & Joe)
Flache braune Sandalen (Jimmy Choo)
Goldene Armbanduhr (Gucci)
Geschätzte Gesamtkosten: 760 £
»Mein Mann hat mir das Budget gekürzt.«
Annie sah Dave an.
Dave sah Annie an.
Dann neigte der Hund seinen Kopf ganz leicht zur Seite und blinzelte.
Er blinzelte? Konnten Hunde blinzeln? Taten sie es absichtlich, oder war es nur ein Reflex? Vermutlich handelte es sich auch nur um so einen blöden strategischen Versuch, sich in ein Herz zu schleichen. Vergleichbar etwa damit, wenn sie an Stellen warme Pipilachen hinterlassen, wo man es überhaupt nicht erwartet, sich kurz bevor man schlafen geht unter der Bettdecke verstecken oder mit dem Kaschmirpulli im Wäschekorb schmusen.
»Was ist?«, fragte Annie den Hund. »Du warst gerade erst draußen. Du musst doch nicht schon wieder!«
Sie redete mit einem Hund. Sie konnte es nicht fassen. Ich rede mit einem Hund, ED! Ich rede mit deinem bescheuerten Hund!
Dave saß in ihrem Büro auf dem Boden und starrte sie unverwandt an.
Ed, Lana und Owen befanden sich in der Schule, denn es war Donnerstagvormittag. Elena traf sich mit einer ukrainischen Freundin, die gerade in London eingetroffen war. Und jetzt war Annie – die Dave-Hasserin – allein zu Hause, mit diesem Hund.
Sie hatte erwartet, dass Dave Verstand genug bewies, sich in der Küche in seinem Körbchen zusammenzurollen und sie in Ruhe zu lassen. Aber nein, offenbar fühlte er sich einsam und war in ihr Büro gekommen, um nachzusehen, was sie dort trieb.
Was treibe ich denn?, fragte sie sich und ließ den Blick über den Laptop, das Telefon, den Stiftebecher und den Stapel Zeitschriften auf ihrem Schreibtisch schweifen.
Sie arbeitete daran, sich für den Rest ihres Lebens zu wappnen. Sie musste wohl oder übel den Tatsachen ins Gesicht sehen: Sie war Annie Valentine, persönliche Einkaufsberaterin und eBay-Unternehmerin, fing ganz von vorn an, außer Frightful-Twit rief aus heiterem Himmel mit einem unglaublichen Angebot an (und, ganz ehrlich, wie groß war die Chance?).
Mit einem tiefen Seufzer fuhr sie den Computer hoch und öffnete die Datei mit ihren Kontakten. Dann loggte sie sich in ihren eBay-Account ein und klickte sich zu ihrer Startseite durch.
AnnieVs Handelsbörse war seit einiger Zeit sträflich vernachlässigt worden. Zum ersten Mal seit Jahren wurde nichts zum Verkauf angeboten. Die Seite zeigte nur ihren eBay-Namen, daneben den blauen Stern einer Turboverkäuferin und in Klammern die Zahl der verkauften Posten (14 521).
Der Verkauf ausgemusterter Kleidungsstücke plus Rabatteinkäufe von The Store plus all der Sachen, von denen ihre Klientinnen sich zu jeder Saison trennten – das alles hatte jahrelang einen lukrativen Nebenerwerb für Annie dargestellt. Im vergangenen Jahr hatte sie mit dem Gedanken gespielt, dieses Geschäft hauptberuflich zu betreiben, und hatte etwas Interessantes angefangen, nämlich den Import chinesischer Schuhe und italienischer Handtaschen. Sogar ein Treffen mit dem Schuheinkäufer von Fraser’s hatte stattgefunden. Wenn das Angebot vom Fernsehen nicht dazwischengekommen wäre, hätte sie mittlerweile wahrscheinlich ihren eigenen kleinen Schuhhandel.
Sie konnte noch einmal von vorn anfangen, redete sie sich ein. Sie würde schon wieder richtig in Fahrt kommen.
Nur heute … Sie stieß einen tiefen, resignierten Seufzer aus und legte ihr Gesicht in die Hände. Der heutige Tag wurde ihr ein bisschen schwer. An diesem Tag hatte sie das Gefühl, als hätte alles, was sie bisher unternommen hatte, nirgendwohin geführt, und sie stand wieder genau da, wo sie schon so oft gestanden hatte: am Anfang.
»Ach, lass doch das Trübsalblasen!«, ermahnte sie sich erbittert. »Du wirst schon zurechtkommen.«
Annie hob den Kopf. Dave saß immer noch da, den Kopf wie erstaunt leicht zur Seite geneigt. War er nicht taub? Vielleicht nahm er die Schallwellen wahr oder so.
Ja, sie würde zurechtkommen, sagte sie sich erneut. Wenn sie eines beherrschte, dann die Fähigkeit, wieder aufzustehen und von vorn anzufangen. Das war ihre einzigartige Begabung.
In der Hoffnung auf Inspiration warf sie einen Blick auf das Kärtchen, das sie an diesem Morgen ans Schwarze Brett gepinnt hatte. Sie musste den Text nicht noch einmal lesen, sie kannte ihn längst: »Annie Valentine, wie kann ich dir jemals danken? Du hast mein Leben verändert! Alles Liebe, Tina«. Es war gestern mit der Post gekommen, mit zwei von den Polaroids, die Bob aufgenommen und Tina geschenkt hatte: das Vorher- und das umwerfende Nachher-Foto.
»Komm schon!«, rief Annie sich zur Ordnung, als der Blick auf das Kärtchen keine Wirkung zeitigte. »Sehen wir uns zur Aufmunterung mal ganz kurz ein paar Handtaschen bei eBay an, hm, Dave? Du scheinst zwar nicht unbedingt der Handtaschen-Typ zu sein, aber hab Geduld mit mir …«
Sie klapperte auf der Tastatur. Handtaschen … Mulberry … gebraucht … (es war Unsinn, neue Mulberry-Taschen bei eBay zu kaufen, denn es handelte sich höchstwahrscheinlich um Imitationen). Hundertachtundsechzig Ergebnisse wurden angezeigt. Annie prüfte sie profimäßig.
Beinahe ohne zu überlegen, begann sie, den passenden Kontakt von ihrer Liste anzuwählen.
»Angela! Wie geht’s dir, Süße? Hier spricht deine liebste persönliche Einkaufsberaterin, Annie V.«
»Annie!«, kreischte Angela. »Wie geht’s dir? Was macht das Fernsehen?«
»Kacke!«, lautete Annies von Owen geborgte kernige Antwort.
Doch sie setzte ein Lächeln auf und ließ die Geschichte ihres persönlichen Weltuntergangs so witzig wie möglich erscheinen. Dann fuhr sie fort: »Und jetzt schaue ich mir bei eBay ein paar Roger-Saul-Mulberry-Originale an und denke dabei natürlich an dich.«
»Uuuh, was hast du entdeckt?«, wollte Angela wissen.
»Eine rechteckige Tragetasche, Leopardenfell-Effekt, Leder, Perlmuttgriffe. Absolut phantastisch. Anfangsgebot fünfundfünfzig Pfund.«
»Mmmmm. Ich gerate ernsthaft in Versuchung. Die üblichen Bedingungen?«
Annie nahm fünfzehn Prozent für alles, was sie für Klientinnen bei eBay kaufte und verkaufte.
»Mhm. Wie ist es um deine Garderobe bestellt, meine Liebe? Hast du Lust auf einen Einkaufsbummel mit mir? Um mir die Woche zu versüßen?«
»Annie, du weißt, wie gern ich …«
Oha.
»Aber ich dachte, du wärst weg vom Fenster. Raus aus der Sache. Und da habe ich mein Kleidergeld ohne dich ausgegeben. Und ich habe nicht mal allzu viel Mist gebaut«, fügte Angela stolz hinzu.
»Das höre ich gern«, entgegnete Annie, wenn es auch nicht unbedingt der Wahrheit entsprach.
»Bettina! Hier ist Annie Valentine … Ja … ich freu mich auch, dich zu hören. Wie geht es dir?«
Annie war schon bald beim sechsten Kaltanruf angelangt und hatte nicht einen einzigen Auftrag hereingeholt. Alle waren bereits ohne sie shoppen gegangen oder, schlimmer noch, behaupteten, sie würden in diesem Jahr überhaupt nicht shoppen gehen.
Die Kreditkrise.
Wenn sie dieses Wort noch einmal hörte, würde sie schreien.
»Aber wir müssen ja nicht bei The Store einkaufen«, versuchte sie eine frühere Klientin zu überreden. »An der High Street gibt es so viele phantastische Klamotten zu Schleuderpreisen – beinahe geschenkt! Man muss nur wissen, wo.«
»An der High Street?«, kam die unsichere Frage. »Ich glaube, ich trage die hübschen Sachen, die ich schon habe, lieber noch ein Jahr länger, bevor ich mir etwas Neues kaufe, das ein bisschen … billig ist.«
»Billig ist klug«, versuchte Annie sie zu überzeugen. »Hast du mal die Armreifen im Topshop gesehen? Sie sehen genauso aus wie bei Theo Fennell. Wir alle tragen jetzt Rezessions-Schick …«
Aber es war aussichtslos.
Bettina war auch nicht in der Stimmung, mit ihrer persönlichen Einkaufsberaterin viel Geld auszugeben.
»Mein Mann hat mir das Budget gekürzt«, beschwerte sie sich, woraufhin Annie sich flüchtig fragte, warum Bettina nicht einfach ihren verwöhnten Hintern hochbekam und Geld verdiente, damit sie ihre Ausgaben selbst bestimmen konnte.
»Ich glaube, ich kann mir nicht einmal mehr mein Make-up leisten – nicht mal meine Spezial-Gesichtscremes!«, jammerte Bettina.
»Ich gehe mit dir zum Discounter, der Rimmel führt«, lockte Annie. »Das ist fabelhaft! Kate Moss benutzt überhaupt nichts anderes. Und du solltest mal die neuen Feuchtigkeitscremes von Olaz probieren. Bei Superdrug werfen sie dir die nach. Im Ernst!«
»Wirklich?« Bettinas Interesse regte sich.
»Die sind spitze«, schwärmte Annie. »Seit ich sie benutze, ist mein Gesicht glatt wie ein Babypopo, und du weißt doch, was für eine schrumplige alte Hexe ich war.«
Bei diesen Worten warf Annie einen Blick in den Spiegel. Das Botox hielt noch vor. Das gefiel ihr. Aber eine winzige Auffrischung direkt über den Augenbrauen konnte nicht schaden. Sobald der Rubel wieder rollte!
»Bets, ich habe eine Idee«, setzte Annie an. »Wir könnten uns zum Garderobespiel verabreden. Ich komme zu dir, schau mir an, was du so hast, und wir überlegen uns, wie wir es aufpeppen können, wie es sich für die kommenden Monate optimieren lässt. Wir sichten die Halstücher, Gürtel und Halsketten. Wir kürzen ein paar Säume oder lassen sie aus. Wir arbeiten mit dem, was vorliegt, Schätzchen, und für ein paar Pfund erfinden wir deine Sachen für die nächste Saison neu. Und außerdem … werden wir Spaß haben. Komm schon … sag einfach ja!«, schmeichelte Annie. »Ich könnte morgen kommen … Weißt du was? Ich könnte sogar schon heute.«
»Zum gewohnten Preis?«, fragte Bettina. Jetzt wusste Annie, dass sie den Köder geschluckt hatte; sie mussten nur noch handelseinig werden.
»Zum Freundschaftspreis«, versicherte sie. »Ich nehme Stundenlohn, und du brichst einfach ab, wenn du genug von dem Spaß hast.«
»Gut, ich glaube, morgen kann es klappen«, stimmte Bettina zu.
Annie wäre am liebsten durchs Zimmer getanzt.
»Gegen Mittag?«, fügte Bettina hinzu.
Annie ließ ihre Planung rasch im Geiste Revue passieren. Morgen war Freitag, der Tag des Miniurlaubs. Sie musste Koffer packen, Essen vorbereiten … sie wollten gegen 16:00 Uhr in London aufbrechen, bevor der freitägliche Stoßverkehr richtig einsetzte. Wenn sie gegen 11:30 Uhr bei Bettina war und sich etwa drei Stunden dort aufhielt, dann blieb ihr gerade noch genug Zeit, um nach Hause zu fahren und alles zu organisieren. Nun ja, es würde hektisch, doch drei Stunden bei Bettina bedeuteten immerhin etwas in der Brieftasche fürs Wochenende.
Sie musste es tun.
»Ist dir 11:30 Uhr recht?«, bot sie an.
»Ja. Und bring ein Fläschchen von dem Olaz mit. Ich will’s mal ausprobieren.«
Als Annie aufgelegt hatte, schlug sie ihren Terminkalender auf und trug in der Freitag-Spalte mit rotem Filzstift in kühnen Buchstaben den Termin ein: »Bettina, Garderobespiel 11:30 Uhr«.
Es war ja nicht so, dass Annie Gefahr lief, die Verabredung zu vergessen, es machte ihr nur Mut, es schriftlich vor sich zu haben. Zu wissen, dass sie wieder im Rennen war und mit ihren Fähigkeiten tatsächlich Geld aus dem Nichts schöpfen konnte. Sie spürte, wie ein wenig von ihrer Energie zurückkehrte. Gerade genug, um die nächsten Anrufe zu bewältigen. Sobald eine ganze Woche in ihrem Terminkalender mit Verabredungen ausgefüllt war, würde sie wieder mehr sie selbst sein.
Als sie sich rasch erneut der Seite mit ihren Kundenkontakten zuwandte, sah sie im Spiegel wieder einmal ihren hüpfenden Pferdeschwanz. Er fiel ernsthaft unter die Kritik, dieser Pferdeschwanz.
Bevor Annie die Nummer ihres nächsten Zielobjekts eingeben konnte, klingelte ihr Handy.
Es war Ed. Sie sah auf die Uhr: 12:45 Uhr schon, also hatte er jetzt Mittagspause.
»Wie geht’s Dave?«, lautete seine erste Frage.
»Ach, so geht das jetzt? Schluss mit: Hallo, Liebling, wie geht es dir? Jetzt kommt der Hund an erster Stelle?«, zog sie ihn auf.
Annie sah sich in dem kleinen Zimmer um und konnte Dave nirgends entdecken. Er war wohl hinausgegangen, als sie telefonierte. Sie musste nach ihm sehen, sich vergewissern, dass er nicht auf die Teppiche pinkelte oder noch eine von Owens Dr.-Who-Figuren fand und zerkaute. Am Vorabend war es zu einer kurzfristigen Aussetzung der liebevollen Beziehung zwischen dem Hund und dem Jungen gekommen, als ein kleiner Zug von außerirdischen Judoon aus Plastik im Zustand der totalen Vernichtung aufgefunden wurde.
»Er ist halb Terrier«, hatte Ed versucht zu erklären. »Terrier buddeln und zerkauen für ihr Leben gern.«
»Und kläffen und pinkeln«, hatte Annie ergänzt.
»Ich möchte nur wissen, ob du dich mit Dave verträgst«, sagte Ed jetzt.
»Dave nehme ich dir immer noch übel«, erwiderte Annie. »Ich brauche nun wirklich keinen Dave in meinem Leben. Zunächst einmal ist das so ein bescheuerter Name. Wenn er doch taub ist, könnten wir ihn vielleicht umtaufen?«
»Tja …« Da hatte sie nicht ganz unrecht, musste Ed zugeben. »Darüber solltest du mit Owen reden. Er war es doch, der sich so sehr einen Hund gewünscht hat, und er hat ihn ausgewählt.«
»Warum habe ich nichts davon gewusst? Bevor vollendete Tatsachen geschaffen waren?«
»Du hättest nein gesagt«, erinnerte Ed sie. »Und überhaupt, wie oft hast du etwas getan, ohne mit mir darüber zu sprechen, weil du genau wusstest, dass ich nein sagen würde?«
Darauf wusste Annie keine Antwort.
»Wie geht es deiner Mum?«, fragte er, um die Hundedebatte abzuwürgen.
»Ich habe sie einkaufen geschickt. Wenn sie in einer halben Stunde nicht zurück ist, muss ich einen Suchtrupp losschicken. Aber ich schätze, sie kommt zurecht.«
»Ich freue mich riesig darauf, mit dir zu verreisen«, verkündete Ed.
»Ja … Warte nur bis Sonnabend, wenn du erfährst, was ich dir zum Geburtstag schenke!«
»Du brauchst eine kleine Auszeit nach allem, was du durchgemacht hast.« Er räusperte sich zögernd, bevor er fortfuhr: »Aber … ich glaube, wir müssen Dave mitnehmen.«
»WAS?!«
»Na ja, ihn auch noch zu versorgen, das wäre ein bisschen viel für Dinah, zusätzlich zu den Kindern und Elena. Sie wird Elena in unserem Interesse wohl ständig im Auge behalten müssen.«
Annies Anklopf-Funktion meldete sich.
»Ein anderer Anruf, Schätzchen«, erklärte sie Ed, fest entschlossen, dass sie es irgendwie umgehen würde, Dave in den Miniurlaub mitnehmen zu müssen. »Muss auflegen.«
»Annah!«
Svetlanas Stimme in der Leitung war nicht zu verwechseln.
»Hey, wie geht es dir?«
»Scheußlich! Fehlst du mir an allen Enden bei den Dreharbeiten. Ist nervenaufreibend. Geht Marlise shoppen mit den dicken Frauen und bringt sie zum Weinen.«
Annie musste unwillkürlich befriedigt lächeln, als sie das hörte. Ha! So einfach, wie Finn es sich gedacht hatte, war es nicht, sie mir nichts, dir nichts zu feuern und zu ersetzen.
»Rufst du an, um dich nach Elena zu erkundigen?«, fragte Annie spitz. Fast eine ganze Woche war seit Elenas Ankunft vergangen, und Svetlana hatte sie noch immer nicht mal besucht.
»Ist so schlechter Zeitpunkt, Annah! Schrecklich!«, jammerte Svetlana. »Macht Igor mich nervös. Hat er so viel Geld an der Börse verloren; ich glaube, versucht er irgendwie, mein Haus zurückzubekommen.«
»Ich dachte, das Haus wäre dein Eigentum?«, wunderte Annie sich. »Ich dachte, du hättest es bei der Scheidung als Abfindung bekommen.«
»Oh ja, aber so viele Bedingungen. Ist kein guter Zeitpunkt für Probleme – egal welche Probleme. Und Elena ist Problem. Das weiß ich. Harry, kämpft er immer für mich, aber hat Igor mehr Anwälte, mehr Geld, und überhaupt, ist Harry ehrlicher Mann. Igor: Gauner!«
»Hast du mit Harry darüber gesprochen?«
»Ja, über Igor, natürrrrlich. Aber fragt er immer wieder: Bist du absolut ehrlich zu mir? Ist da noch irgendetwas, das ich wissen müsste?«
»Aber du hast Harry doch über Elena informiert, oder?«, bohrte Annie weiter.
Nach einer kleinen Pause gestand Svetlana: »Nein, Annah. Noch nicht. Ist kein guter Zeitpunkt.«
»Aber Harry muss es wissen«, versuchte Annie sie zu überzeugen. »Wenn Igor es nun herausfindet, und Harry weiß nichts davon?«
»Weißt du, habe ich Angst, dass Igor längst weiß von Elena. Vielleicht will er mich dadurch überreden, ihm das Haus zu überlassen.« In Svetlanas Tonfall schwang jetzt echte Sorge mit. »Vielleicht hat Igor Elena überhaupt erst hergeholt. Macht er irgendwas Geheimes. Kommt Überraschung, ich weiß, ich werde betrogen.«
Annie verstand Svetlanas Sorge. Als Igor die Scheidung einreichte, hatte er versucht, seine Söhne mitzunehmen und seine Frau mittellos zurückzulassen. Es war Svetlanas dritte Scheidung, und dank der reichen Männer, gegen die sie sich wehren musste, war ihr klar, dass sie um jeden Penny kämpfen musste. Solche Männer nahmen es nicht gut auf, wenn die Frauen, mit denen sie abgeschlossen hatten, einen Teil ihres Vermögens forderten.
»Hast du noch mal was von Uri gehört?«, fragte Annie und hoffte, dass Svetlana wenigstens von dieser Problemquelle die Finger gelassen hatte.
»Ah ja, aber habe ich ihn hingehalten. Ist aber gut für mich, noch einen Mann in Reserve zu haben. Falls es Problem gibt mit Harry, ich schnipse mit Finger, rufe Uri an, mache Harry eifersüchtig. Ganz einfach.«
»Also bleibt Elena noch eine Weile bei uns?«
»Ja bitte, meine liebste Freundin! Bin ich dir so dankbar dafür.«
Annie hörte erneut das Anklopfsignal, beendete das Gespräch mit Svetlana und nahm den neuen Anruf entgegen.
»Hallo, Annie? Hallo … Hier ist Cath – du weißt schon, du bist mit dem Fernseh…«
»Cath! Natürlich weiß ich – wie geht’s dir?«, erkundigte Annie sich.
»Mir geht es gut«, erwiderte Cath.
»Hast du’s verkraftet, dich im Fernsehen zu sehen?«
»Beinahe …«, antwortete sie, doch es hörte sich an, als würde sie dabei lächeln.
»Hast du dein sexy schwarzes Kleid schon mal wieder getragen?«, wollte Annie wissen.
»Ja, es ist hinreißend.«
»Freut mich zu hören.«
»Deswegen rufe ich an. Du hast mir doch deine Karte gegeben und gesagt, wenn ich mal mit dir einkaufen gehen wollte … Also, wenn du diesen Service immer noch anbietest … Ich meine, du bist jetzt beim Fernsehen und hast vielleicht keine Zeit oder du hast deinen Preis raufgesetzt …«
»Nein, nein, nein«, unterbrach Annie sie, überrollt von einer Woge der Begeisterung. »Wenn du Lust auf den persönlichen Einkaufsberatungsservice von Annie Valentine hast, stehe ich dir jederzeit zur Verfügung, Schätzchen!«
Während Annie zuhörte, was Cath kaufen wollte und wann sie Zeit haben würde, war sie ziemlich sicher, ein merkwürdiges Kratzen zu hören. Ein bisschen Scharren, dann ein eindeutiges Kratzen. Mit dem Hörer am Ohr stand sie auf und schaute sich im Zimmer um. Nein … nichts.
Anscheinend kamen die Geräusche aus ihrem Schlafzimmer. Rasch ging sie hinüber und stieß auf Dave, der knurrend etwas grau und silbern Glitzerndes in der Schnauze hielt und es energisch schüttelte. Seine Zähne hatten sich tief in den Gegenstand gegraben, und mit einer Pfote drückte er ihn zu Boden und versuchte, ihn durch Kratzen zu unterwerfen. Der Hund hielt seine Beute fest, zerrte und biss, stellte sicher, dass die Miu-Miu-Handtasche ihm nicht entkommen konnte.
»Nein!«, schrie Annie auf und stürzte sich auf das widerliche kleine Viech. »NEIN! Gib das her! KUSCH!«