17.

Chef-Friseur Ben:

Kapuzenpullover mit Comic-Aufdruck und Reißverschluss (Topman)

Weißes Unterhemd (Topman)

Weiße Boardshorts (Rip Curl)

Flipflops (Animal)

 

Geschätzte Gesamtkosten: 110 £

»Unglaublich!«

Sie mussten über eine Stunde auf den Friseurtermin warten. Dann machte Chef-Friseur Ben, weil er gefilmt wurde, volle drei Stunden lang ein Riesentamtam, kämmte und kürzte, bis er sich endlich mit der Frisur einverstanden erklärte.

Als die ersten entschlossenen Schnitte getätigt worden waren und Tina tatsächlich gehört hatte, wie ihr schweres Haar zu Boden fiel, war sie plötzlich nervös geworden.

»Ich hole die Notfallausrüstung!«, hatte Annie verkündet und war aus dem Salon gelaufen.

Eine Viertelstunde später kam sie mit einer halben Flasche Sekt zurück. Sekt war Annies Lieblingsmedikament, sie brachte ihn in den meisten Notfällen zum Einsatz, weil er so tröstlich lecker, beruhigend teuer und dank der Kohlensäure extrem schnell wirksam war.

Wie sie wusste, schworen manche Menschen auf Bachblüten-Notfalltropfen, doch nach Annies Meinung sah man nach ein, zwei Gläsern Sekt garantiert jede Katastrophe in rosigerem Licht.

»Trink!«, wies sie Tina an, die inzwischen bei einem ohrlangen Bob angelangt war, aber eher begeistert als entsetzt wirkte.

»Ich glaube, ich könnte auch einen Schluck gebrauchen«, bemerkte Bob leise, als die Kamera pausierte.

»Wieso?«, fragte Annie.

»Finn hat angerufen. Wollte wissen, warum wir so lange brauchen. Er warte im Hotel verzweifelt auf das Filmmaterial. Bei dem Tempo, in dem dieser Typ schneidet, kann es spät werden.«

Um sechs Uhr abends war im Salon eine ganze Flasche Sekt geleert worden, und Partystimmung breitete sich aus.

Wie Annie vorausgesagt hatte, war der Haarschnitt ein Triumph. Tina sah atemberaubend aus, hinreißend. Wie eine junge, knackige Demi Moore. Der dichte dunkle Pony reichte ihr bis knapp über die Augen. Jeder wollte wissen, wo sie sich das Tattoo hatte stechen lassen, und Ben knipste geschäftig noch mehr Polaroidfotos von ihr und bat sie, am Wochenende zu einem richtigen Fotoshooting für sein Schaufenster zu ihm zu kommen.

Tina lachte und weinte vor Glück. Sie musste unbedingt ihre Mum anrufen, um ihr die Neuigkeit mitzuteilen, dann holte sie Julia ans Telefon und informierte sie ebenfalls.

»Mummy hat sich die Haare ganz kurz schneiden lassen. Ja – ganz kurz. Ein bisschen wie ein Junge, aber doch ein richtiger Mädchenschnitt«, erklärte sie.

Und, ja, es handelte sich um einen sehr flaumigen, femininen Schnitt, und Ben war eifrig mit Haarwachs zugange und zupfte Strähnchen an Nacken und Hals zu kleinen Löckchen.

»Du musst dich umziehen«, drängte Annie, »musst allen den Gesamt-Look präsentieren!« Sie drückte Tina die Topshop-Tüten in die Hände und geleitete sie zum Waschraum des Salons.

Als Tina in ihren High Heels, der engen Hose und der Korsage wieder zum Vorschein kam, applaudierte die kleine Schar der Friseure und Friseurinnen.

»Unglaublich!«, entfuhr es Ben unter dem Jubel und den Pfiffen ihrer neuen Bewunderer.

Annie hatte sich nur ein einziges Mal nach einer Modenschau hinter der Bühne aufgehalten, und genauso wie damals fühlte sie sich jetzt im Salon Taylor. Als wäre gerade in Teamarbeit etwas erstaunlich Kreatives und Erfolgreiches zustande gekommen. Vielleicht gestatteten sie alle sich für einen Augenblick die Illusion, dass ein Star geboren war.

Vielleicht würde Tina ja nur in ihrem eigenen kleinen Kreis glänzen, aber urplötzlich hatte sie eindeutig das Zeug zum Star.

Schüchtern ging Tina auf Annie zu.

»Schultern zurück«, erinnerte Annie sie, »Kopf hoch, zeig, was du hast!«

Selbst Annie konnte kaum glauben, dasselbe Mädchen vor sich zu haben. Die schüchterne, unabhängige Person in Schlabberkleidung, die sie an diesem Morgen kennengelernt, die vergessen hatte, wie man sich hübsch zurechtmacht, die seit Jahren nicht ausgegangen war – geschweige denn ein Coming-out erwogen hätte …

Sie offenbarte sich jetzt. Die Hüllen und die Haare waren gefallen, und die neue Tina kam aus ihrem Kokon zum Vorschein.

Tina streckte ihre Arme aus und zog Annie an sich.

Annie erwiderte innig die Umarmung. »Weiter so, Mädel!«, ermutigte sie Tina. »Zeig’s ihnen! Hau sie vom Sockel, du Weiberheldin!«

Das zog einen Aufschrei nervöser Begeisterung nach sich.

Bob filmte Tina eifrig aus jeder möglichen Perspektive. Endlich war er der Meinung, genug getan zu haben und dass es Zeit wäre einzupacken, Tina nach Hause zu bringen und das Filmmaterial bei Finn abzuliefern. Eben gerade war eine SMS vom Produzenten/Direktor eingetroffen, der wissen wollte, um welche Zeit Bob denn wohl im Hotel sein könnte.

»Ich bin nervös«, gestand Bob Annie, als sie sich wieder im Kombi anschnallten, um zum Hotel zu fahren.

»Sei nicht albern!«, beruhigte sie ihn. »Überleg doch mal, wie die Leute auf Tina reagiert haben – selbst ihre Mum!«

»Ja, aber so steht es nicht im Drehbuch, Annie«, entgegnete Bob sorgenschwer. »Und so was ist gefährlich.«