19.

Bildschirm-Sirene Svetlana:

Publikumswirksames Tageskleid (Roberto Cavalli)

Publikumswirksame High Heels (Rupert Sanderson)

Hauchfeine Strümpfe (Wolford)

Pinkfarbene Fingernägel (Chanel)

Diamantenhalsband (Harry Winston)

 

Geschätzte Gesamtkosten: 48 000 £

»Was wollen Männer, ist so einfach.«

Annie sah Finn erst beim Frühstück wieder. Er nickte nur knapp in ihre Richtung und nahm dann allein an einem Zweiertisch Platz, wo er prompt eine Zeitung aufschlug und sich hinter ihr verschanzte, um deutlich zu machen, dass er nicht gestört werden wollte.

Nach seinem Abgang am Vorabend hatte Annie ihre Mutter angerufen und sich vergewissert, dass ihr nichts fehlte. Dann hatte sie Bob aufgesucht und mit ihm geredet, und Bob schlug vor, Finn zumindest eine Entschuldigungs-SMS zu schicken. Das hatte sie getan, aber keine Antwort erhalten.

»Er kommt bestimmt darüber hinweg«, versicherte Bob. »Vielleicht könnten wir Tina in Perücke und Rock stecken?«

In Annies Augen war dieser Vorschlag noch abwegiger als Finns Idee, dass sie irgendwie einen Ersatz für Tina suchen sollte.

»Er muss doch ein paar Reserve-Kandidatinnen haben«, überlegte Bob, als er das hörte. »Ausgeschlossen, dass er nicht noch etwas im Ärmel hat! Ich schätze, er hat das nur gesagt, um dich in Angst und Schrecken zu versetzen.«

Der restliche Morgen verlief, gelinde gesagt, ungemütlich. Bob und Annie fuhren zusammen zu Angela, der zweiten Frau in Birmingham, die sie umstylen wollten. Als sie ankamen, probten Svetlana und Miss Marlise mit Finns unübersehbarer Billigung bereits ihre Kameraauftritte.

Annie hielt sich abseits, sah zu und versuchte, so wenig wie möglich Finns Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wenn sie ihm Zeit ließ, würde er sich hoffentlich beruhigen. Vielleicht würde er sich sogar mit Tinas Verwandlung abfinden.

»Dieses ›Was Männer wollen‹ ist so einfach«, begann Svetlana. Sie stand neben der mausgrauen Mutti, die es offenbar sehr nervös machte, sich in die Hände der Wonder Women begeben zu haben.

Svetlana spreizte die Finger einer Hand und zählte mit einer langen pinkfarbenen Kralle die Erfordernisse ab: »Nummer eins: Männer wollen gutaussehende junge Frauen, gepflegt und schön gekleidet. Nummer zwei: Männer wollen Lob, Aufmerksamkeit und viel, viel Liebemachen. Keine Meinungsverschiedenheiten, kein Herumkommandieren, keine Nörgeleien – das ist Tod jeder Ehe. Ist das schon alles.« Sie strahlte in die Kamera. »Gibt es keine Nummer drei.«

Angela gestattete sich nicht den Hauch eines Lächelns; sie sah vielmehr skeptisch aus und wandte sich Svetlana mit der Frage zu: »Aber was wollen Frauen?«

»Tcha!«, machte Svetlana verachtungsvoll. »Wollen Frauen reichen Mann.«

Im selben Moment begann ein Handy schrill zu trillern, und Svetlana versetzte Finn und Bob gehörig in Unruhe, als sie ein Minihandy aus ihrem Ausschnitt zog.

»Hallo, Uri, nein, es ist nicht ungelegen«, schnurrte sie ins Telefon. »Fürrr dich ich habe immerrr Zeit.«

»Toll!«, sagte Finn, obwohl Svetlana ihm jetzt gar nicht zuhörte. »Du baust jetzt auf, Bob, und wir machen es noch einmal genauso, aber diesmal vor laufender Kamera. Und wir rufen sie an, damit wir aufnehmen können, wie sie sich am Handy meldet.«

Als Svetlana ihren Auftritt beendet und Angela noch ein paar goldene Ratschläge mit auf den Weg gegeben hatte, übernahm Miss Marlise.

Zwar hatte Angela erklärt, in ihrem Beruf als Sekretärin »sehr glücklich« zu sein, doch Marlise war nicht beeindruckt und griff zu ihrer Strategie, mit der sie Angela die Karriereleiter hinauf in die Führungsriege zu schicken gedachte.

Als diese Episode im Kasten war, verkündete Finn »Schnitt!« und »Teepause, würde ich sagen«.

Bob stellte die Kamera ab, Angela ging, um den Kessel aufzusetzen, und alle richteten sich auf ein paar Minuten Entspannung ein. Annie wusste, sie sollte die Gelegenheit nutzen und noch einmal mit Finn reden. Sie mochte Missstimmungen nicht lange gären lassen; besser, sie versuchte, sie auszuräumen. Bisher war er doch sehr angetan von ihrer Arbeit gewesen, erinnerte sie sich, als sie auf ihn zuging.

»Finn«, setzte sie an, »könnten wir kurz reden, falls du Zeit hast?«

»Okay, Annie«, erwiderte er und wandte sich ihr zu.

»Was gestern passiert ist, tut mir aufrichtig leid«, sagte sie, »wirklich.«

Sie wünschte sich, Miss Marlise irgendwie verschwinden lassen zu können. Doch die Moderatorin blickte beinahe triumphierend zu ihnen hinüber.

»Ja, gut«, sagte Finn, »aber du hast uns vor große Probleme gestellt.«

»Dieser Nachmittag mit Tina«, holte Annie noch einmal aus, »hat einfach irgendwie eine Eigendynamik angenommen. Ich fand es hochinteressant …«, sie stockte, »und ich dachte, es wäre auch interessant für die Zuschauer. Ich wollte dir keine Kopfschmerzen bereiten.«

»Hast du aber. Also … deshalb will ich hier bei Angela ein bisschen mehr Kontrolle übernehmen. Du kannst mit ihr einkaufen gehen und eine Auswahl möglicher Outfits mitbringen. Dann wird sie gefilmt, wenn sie sie hier anprobiert, wobei Svetlana und Miss Marlise sie beraten. Ich suche ein Outfit aus, das mir zusagt, und den Rest kannst du zurückbringen …« Er lächelte verkrampft. »So gehen wir von jetzt an vor. Dein Einverständnis vorausgesetzt.«

Annie war, als wären Miss Marlises Worte Wirklichkeit geworden. Sie sollte nur noch die Garderobiere sein.

Als Finn sie stehen ließ und sich seinen Becher Tee abholte, hätte Annie sich am liebsten aufs Sofa geworfen und geweint. Stattdessen hob sie ihre Handtasche vom Boden auf und kramte das Päckchen extrastarken Kaugummi heraus, das sie dort bereithielt. Vor vielen Jahren hatte sie gelernt, dass scharfer Pfefferminzgeschmack genau das Richtige war, um Tränen zurückzuhalten.

Kaum hatte sie den Kaugummi in den Mund geschoben und zugebissen, als Svetlana ihr Handy einsteckte und zu ihr eilte. Mit einem entzückten Lächeln auf dem Gesicht vertraute sie ihr im Flüsterton an: »Will Uri noch einmal mit mir ausgehen. Ist er junger, gutaussehender Mann, Annie. Hab ich beschlossen, gibt es nur eins, was ich tun kann: Muss ich sehen, was er will. Hab ich deshalb beschlossen, Hochzeit auf Eis zu legen.«

Als sie Annies entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte, fügte Svetlana hastig hinzu: »Sag ich nicht ab. Nein, nein, Absage nicht. Nur aufschieben, sag ich Harry, muss ich überlegen, ob ist das Beste für mich. Also, ein Mann wie Uri …«

»… ist nie im Leben so nett wie Harry«, beendete Annie den Satz für sie. »Tu’s nicht«, beschwor sie ihre Freundin, »bitte! Du machst einen ganz großen Fehler!«

»Aber Uri«, widersprach Svetlana, »verdient er so viel Geld. Womöglich an einem Tag so viel wie Harry in einem Jahr.«

»Du hast jetzt dein eigenes Geld«, erinnerte Annie sie. »Du brauchst keinen Mann, der dich aushält.«

»Bin ich aber interessiert. Sehrrr interrressiert«, widersprach Svetlana.

»Bitte schön, Mädels«, unterbrach Bob ihr Gespräch und reichte beiden eine Tasse Tee.

»Bob?« Annie sprach leise, damit Finn sie nicht hörte.

»Hat jemand Tina davon unterrichtet, was passiert ist?«, fragte sie besorgt. »Sie glaubt schließlich, sie würde im Fernsehen sein. Sie hat es ihrer Familie, ihren Freundinnen, ihrer kleinen Tochter angekündigt … Sie sprudelte regelrecht über vor Begeisterung, als wir gegangen sind. Wie sollen wir ihr beibringen, dass die Episode fallengelassen wird?« Annie musste es wissen. »Sie kriegt doch nicht etwa einfach einen Brief oder einen unterkühlten Anruf von Nikki, oder?«

Bob zuckte die Achseln. »Ich glaube, du machst dir einfach ein bisschen zu viele Gedanken«, meinte er. »Vergiss sie einfach! Irgendjemand wird das schon erledigen. Lass es!«

»Ja«, stimmte Svetlana ihm zu, »hast du schon genug Ärger.«

»Aber es wird sie am Boden zerstören!«, protestierte Annie. »Restlos. Und das nach all der Arbeit, nachdem wir sie so phantastisch rausgebracht haben!«

»Du«, korrigierte Bob, »du hast das gemacht, ich habe nur gefilmt. Ich will dir ein Kompliment machen, Annie, also schau nicht so besorgt drein.«

»Kannst du nicht ein bisschen von deinem Filmmaterial auswählen?«, fragte Annie. »Besonders die Szenen beim Friseur, als sie toll frisiert war und so hinreißend aussah. Könntest du ihr nicht eine DVD davon zusammenstellen? Dann hätte sie doch wenigstens etwas«, bat Annie. »Ich ertrage die Vorstellung nicht, wie sie zu Hause mit ihrer kleinen Tochter sitzt und denkt, wir hätten sie fallengelassen, weil sie sich uns gegenüber geoutet hat. Und das wird sie denken, seid doch mal ehrlich«, zischte Annie, »denn es ist die Wahrheit!«

»Ich schau mal, was ich übers Wochenende zustande bringe«, gab Bob nach. »Ich sehe mir das Filmmaterial an und stelle eine DVD für sie zusammen, die du ihr dann schenken kannst. Okay. Annie, die Glucke«, fügte er hinzu.

»Danke. Herzlichen Dank!« Annie drückte seinen Arm. »Ich habe ihre Handynummer, ich werde ihr Bescheid sagen.«

»Pass auf!«, warnte Bob. »Pass auf, dass Nikki Zeit hatte, sie zu informieren, sonst bist du diejenige, die die Nachrichten überbringt, und dadurch könntest du in noch größere Schwierigkeiten geraten.«

An Bobs Gesicht vorbei sah Annie Miss Marlise viel näher als erwartet bei ihnen stehen. So nahe, dass ihr unbehaglich wurde. Aber sie konnte das Gespräch doch nicht belauscht haben … oder?