6.

Owen chillt nach der Schule:

Kapuzensweatshirt (H&M)

Weißes Hemd (Schuluniform)

Jeans, bis zu den Knöcheln herausgewachsen (Gap)

Graue Socken (Schuluniform)

Hausschuhe (Weihnachten)

 

Geschätzte Gesamtkosten: 60 £

»Wir haben dich als Umweltverschmutzerin Nummer eins im Haushalt identifiziert.«

Du hast da ein wirklich hübsches Häuschen«, bemerkte Bob, der Kameramann, als er am Ende des Arbeitstags vor Annies Zuhause anhielt. »Dein Alter arbeitet bei der Stadt, oder?«

Ja, sie konnte sich glücklich schätzen, in diesem schönen alten Haus in Highgate zu leben, in einem der hübschesten Viertel Nordlondons. Aber deswegen hatte sie bestimmt keinen reichen alten Banker geheiratet.

»Ha!« Annie lachte. »Da irrst du dich aber gewaltig, Freundchen! Zunächst einmal ist mein Alter jünger als ich.«

»Nicht schlecht!«

»Das Haus hat seiner Mutter gehört«, erklärte Annie, während sie ihre Handtasche und den Stapel von Drehplänen zusammensuchte, die sie im Lauf des Tags erhalten hatte. »Wir haben uns bis über beide Ohren verschuldet, um seine Schwester auszahlen zu können.«

»Sehr schön.«

»Ja, wunderbar, bis ich dann merkte, was damit nicht stimmte und wie viel Geld wir brauchen würden, um alles in Ordnung zu bringen«, gestand Annie.

»Aber jetzt sieht es doch prima aus.« Bob nahm das hübsche weiße Haus mit den blauen Blumenkübeln längs des Wegs bis zu der einladenden blauen Haustür näher in Augenschein.

»Es ist nicht übel«, stimmte Annie zu, die bereits ausgestiegen und im Begriff war, die Tür zu schließen. Einen Moment lang erwog sie sogar, Bob hereinzubitten, aber sie war zu müde. Es war ein sehr, sehr langer Tag gewesen, und sie wusste, dass im Haus ein Chaos auf sie wartete.

»Und was macht der Alte nun wirklich?«, fragte Bob mit in Annies Augen übertriebener Neugier.

»Er ist Musiklehrer«, antwortete sie und fügte hinzu, für den Fall, dass Bob enttäuscht wäre, nachdem er einen Banker vermutet hatte: »Und er ist der beste Koch aller Zeiten … und ausgesprochen sexy!«

»Hast du ein Glück!«

»Ich weiß!« Annie schlug die Autotür zu, und Bob kurbelte das Fenster herunter.

»Kümmere dich nicht um diese Miss Marlise. Wie ich hörte, geht sie auf dem Weg nach ganz oben über Leichen. Du musst für deine Sache kämpfen!« Mit diesen Worten legte er den Gang ein, winkte kurz und fuhr los.

Als ihr der schreckliche »Garderobiere«-Moment ins Gedächtnis gerufen wurde, ließ Annie die Schultern hängen. Doch wie Bob ihr geraten hatte: Sie musste der blöden Kuh Paroli bieten. Immerhin war Finn eingeschritten und hatte rasch erklärt, dass Annie eindeutig als Moderatorin zu gelten hätte.

Sie öffnete die Haustür und verkündete im warmen Mief von gerösteten Zwiebeln, unter dem Plärren von Radio Four, lebhaftem Jungs-Geschwätz und all den anderen vertrauten Gerüchen und Geräuschen: »Hallo, ich bin zu Hause!«

»Der Fernsehstar ist wieder da!«, rief Ed aus der Küche, und schon erscholl das Poltern von Jungenschritten auf der Treppe.

»Muuum!« Owen war als Erster unten; ihm auf den Fersen folgte sein Freund Milo.

»Hallo!«, begrüßte Annie die zwei.

»Wie war’s?« Owen platzte vor Neugier.

Annie nahm ihn in die Arme, soweit er es zuließ, und begleitete die Jungen in die Küche, wo sie ihnen und Ed ausführlich berichten konnte.

 

»Also, was genau ist das?«, fragte Ed, als Owen und Milo mit einer langen Liste ins Zimmer kamen.

Das Abendessen war vorüber, Hausaufgaben und Musikübung erledigt, Lana hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen, um noch ein wenig mehr zu pauken, und Annie und Ed saßen am Tisch und überlegten, ob sie sich noch ein Glas Wein einschenken sollten oder nicht.

»Ich bin jetzt beim Fernsehen«, hatte Annie Ed gewarnt. »Ich darf nicht mollig werden. Laut Connor muss ich mir einen Personal Trainer und einen Ernährungsberater zulegen.«

»Nicht bei deinem Einkommen, Schatz«, hatte Ed sie erinnert.

»Bist du sicher, dass die Sache mit dem Geld für dich so in Ordnung ist?«, hatte sie fragen müssen.

»Ja«, beteuerte Ed und schenkte ihr Wein nach. »Auf dich!«, sagte er und hob sein Glas. »Auf dich und deine phantastische Karriere! Und ich meine es ernst.«

»Ich und Milo haben eine Liste für euch aufgestellt«, setzte Owen an. Er reckte sich zu seiner vollen Größe, und für seine zwölf Jahre war diese recht stattlich. Er war so dünn, dass sein Kopf zu groß wirkte, und er hielt sich leicht vorgebeugt wie eine zu hoch gewachsene Sonnenblume auf ihrem Stengel. Milo sah ganz ähnlich aus, und sein zottiger schmutzig-blonder Haarschopf ließ ihn vielleicht sogar noch zerbrechlicher erscheinen.

»Wollt ihr zwei wirklich nichts mehr zu essen?«, erkundigte Annie sich instinktiv. »Einen Joghurt? Ein Brot? Wir haben auch noch reichlich Streuselkuchen übrig.«

»Nein, nein, wir haben genug«, versicherte Owen und hob sein Blatt Papier, um laut vorzulesen.

Irgendwann im vergangenen Jahr hatte er, der eines der schüchternsten Kinder aller Zeiten gewesen war, festgestellt, dass er gern vor Publikum auftrat, sogar ohne Geige in der Hand.

»Okay«, begann er, »hier sind die Vorschläge, die Milo und ich zusammengetragen haben.«

»Vorschläge wofür?«, fragte Annie in Owens dramatische Pause hinein.

»Schsch!«, wies Ed sie zurecht. »Ich glaube, das hier hat mit dem Öko-Komitee zu tun.«

»Ach!«

»Okay. Die zwei wichtigsten Punkte sind, die Heizung herunterzudrehen und das Auto nicht so oft zu benutzen – besonders, weil es so ein großer Benzinfresser ist, Mum«, sagte Owen und sah Annie verweisend an.

»Tut mir leid«, fühlte Annie sich gedrängt zu antworten.

»Dann haben wir noch eine Liste kleinerer, aber trotzdem wichtiger Anweisungen aufgestellt«, fuhr Owen fort. »Bitte immer alles richtig ausschalten und nicht auf Stand-by lassen. Überall Energiesparlampen einsetzen. Viel mehr recyceln. Ausrangierte Sachen an die Wohlfahrt geben. Und alles andere betrifft dich, Mum.«

»Ach ja?«, fragte Annie verblüfft.

»Ja, wir haben dich als Umweltverschmutzerin Nummer eins im Haushalt identifiziert«, erklärte Owen ernst.

»Mich?!« Annie straffte sich auf ihrem Stuhl, und Ed lachte sie leise aus.

»Ja«, sprang Milo Owen bei, »hier ist eine Liste mit Anweisungen extra für dich.«

»Mum soll nicht so lange unter der Power-Dusche bleiben«, las Owen laut vor. »Mum soll nicht so oft Taxi fahren, Mum soll nicht so oft mit dem Handy telefonieren, Mum soll nicht so viele neue Sachen kaufen, Mum soll nicht so viel Wasser aus Plastikflaschen trinken. Mum soll mehr alte Sachen an die Wohlfahrt geben …«

»Schon gut!«, fiel Annie ihm ins Wort. »Ich glaube, das reicht als Gardinenpredigt für heute Abend, oder? Soll ich meine grauenhaften Verbrechen sühnen, indem ich euch ein paar Lotterielose abkaufe?«

»Ausgezeichnet!«, stimmte Owen ihr zu.

 

»Dann bist du wohl zu müde für ein bisschen Spaß?«, fragte Ed leise. Er lag mit Annie im Bett und strich mit einem Finger zärtlich an ihrer Seite hinab.

Sie zog an seinem Arm, bis er sie warm und fest umschlang, und kuschelte sich mit dem Rücken gemütlich an seine haarige Brust.

»Zu müde«, bestätigte sie.

»Ach, Mädchen!«, seufzte er.

»Ein Mädchen?«, zog sie ihn auf. »Was für ein Mädchen? Sollte ich davon wissen?«

»Sei nicht blöd!«, raunte er in ihre Nackenhaare. »Du bist das einzige Mädchen für mich.«

Daraufhin lief ihr ein wohliger Schauer über den Rücken, der sie für einen Moment überlegen ließ, ob sie wirklich zu müde war. Sie drängte ihr Gesäß an seinen warmen nackten Körper und spürte, wie er sich leicht an ihr rührte. Doch dann folgte die Frage, die sie endgültig anderen Sinnes werden ließ.

»Ich weiß, du hast viel zu tun, und das, was du da angefangen hast, ist neu und großartig für dich …«, begann Ed behutsam, »aber hast du wenigstens mal ein bisschen über meine Frage von neulich Abend nachgedacht?«

Schweigen folgte. Das Letzte, was Annie sich in diesem Moment wünschte, war, dieses Gespräch zu führen.

»Schon gut!«, ergriff Ed wieder das Wort. »Du musst mir jetzt keine Antwort geben. Ich weiß nicht einmal, ob ich jetzt eine Antwort will; ich möchte nur wissen, dass du darüber nachdenkst.«

»Ed …«, setzte Annie an. Sie drehte sich zu ihm um.

Sein Blick ruhte auf ihr. Hellblaue Augen forschten sehr ernst in ihrem Gesicht. Sie zog ihn enger an sich, so dass ihr Mund an seiner weichen hellen Schulter lag und sie seinen Blick nicht auf ihrem Gesicht spüren musste. Dann sagte sie mit leiser Stimme: »Du weißt, wie ich darüber denke. Ich habe es mir nicht anders überlegt, und ich glaube wirklich nicht, dass ich meine Meinung je ändern werde. Ich habe ein wunderbares Mädchen und einen hochintelligenten Jungen, und zu unserem großen Glück haben wir dich. Das ist meine Familie, Ed.«

Sie atmete tief durch und fügte hinzu, wohl wissend, welch große Enttäuschung sie ihm damit bereiten mochte: »Ich will kein Kind mehr.«