10.

Lana zu Hause:

Weite blaue Tunika (H&M)

Hautenge Jeans (Gap)

Silberne Ballerinas (Topshop)

Lippensalbe (Nivea)

Silberner Nagellack (Rimmel)

 

Geschätzte Gesamtkosten: 75 £

»Ich würde liebend gern verkleidet zu einer Party gehen.«

Wo steckt denn eigentlich Lana?«, fragte Annie sich laut, als sie die Haustür aufschloss.

Ihre Heimkehr in den Schoß der Familie war an diesem Tag nicht so glatt gelaufen, weil sie die Sünde begangen hatte, mit einem kleinen Dorothy-Perkins-Schnäppchen für sich selbst in den Händen nach Hause zu kommen.

Bevor sie es hinter den Jacken an der Flurgarderobe in Sicherheit bringen konnte, stürzte Owen sich mit den Worten auf sie: »Du hast eine Plastiktüte! Muuum! Wie oft habe ich’s dir gesagt? Du sollst immer eine wiederverwendbare Einkaufstasche bei dir tragen!«

»Ja, Owen, ich weiß«, beschwichtigte sie und konnte nur knapp seinen Scheitel mit einem Kuss streifen, bevor er sich duckte. »Tut mir leid. Es soll nicht wieder vorkommen, okay?«

Aber zu spät. Ed hatte es gehört, und schon stand er im Flur und fragte: »Einkaufstasche? Du warst mit deinem Budget von achtundzwanzig Pence oder so pro Tag doch nicht etwa shoppen?«

»Nur eine unglaublich billige Minihandtasche aus dem Kaufhaus, ehrlich!«, verteidigte sie sich.

»Zeig her!«, verlangte er und rückte näher, um sie gründlich zu umarmen und zu küssen.

Sie öffnete die Tasche und zeigte ihm das Armband, die Tasche und … hm … die Kette, die sie in dem Geschäft erstanden hatte. Aber ein großer Teil von ihr ärgerte sich darüber, es tun zu müssen. Mochte ja sein, dass sie auf Eds Ersparnisse zurückgreifen musste, um die nächsten paar Monate zu überstehen, aber sie wollte ganz sicher nicht über jede Kleinigkeit, die sie sich vielleicht einmal gönnte, Rechenschaft ablegen müssen.

»Pass auf!«, warnte sie ihn. »Kann sein, dass ich zickig werde!«

»Okay.« Mit einem Lächeln nahm er sich zurück. »Hübsche Sachen.«

Da beschloss sie, Lana aufzusuchen. Sie zumindest würde ein Schnäppchen-Accessoire verstehen und zu schätzen wissen. »Lana ist in ihrem Zimmer«, informierte Ed sie. »Sie kommt kaum noch raus. Sie hat sich zur fleißigsten Person gemausert, die ich kenne.«

»Das ist wohl dein guter Einfluss«, entgegnete Annie mit einem Zwinkern. »Okay, ich gehe mal zu ihr und sage hallo. Und dann komme ich bald zu meinen Jungs zurück.«

»Ich hoffe, du meinst uns und nicht die Katzen«, erwiderte Ed und sah zu, wie seine zwei alten schlaffen Hauskatzen Hoover und Dyson schnurrend wie Motoren um Annies Beine strichen.

Zum Dachgeschoss, wo Owen und Lana je ein kleines Zimmer bewohnten, führten drei kurze Treppen hinauf. Annie klopfte an Lanas Tür.

Hektisches Tastaturgeklapper war zu hören, und dann fragte Lanas Stimme: »Bist du das, Mum?«

»Ja«, antwortete Annie und trat ein. »Darf ich reinkommen, oder störe ich den nächsten Einstein?«

»Sehr witzig!« Lana stieß sich mit ihrem Stuhl vom Schreibtisch ab, drehte sich um und lächelte ihre Mutter an. »Wie war dein Tag?«, erkundigte sie sich.

»Teilweise ein bisschen stressig«, gab Annie zurück. »Und deiner?«

»Ach, ich werde es überstehen«, scherzte Lana.

»Ich auch … glaube ich«, meinte Annie, dann setzte sie sich auf die Kante des reichlich überfüllten Betts. Eine riesige Auswahl an Lanas Kleidungsstücken, Taschen, Büchern und Siebensachen lagen hier verstreut.

»Planst du deine Wochenendgarderobe?«, fragte Annie lächelnd.

»Hm … so ähnlich«, antwortete Lana.

»Es ist erst Dienstag«, erinnerte Annie sie.

»Und wenn schon! Ist ja noch nichts dabei rausgekommen.«

»Hast du am Wochenende etwas Größeres vor?«

»Hm … Daisy gibt eine Geburtstagsparty. Bei sich zu Hause«, fügte Lana rasch hinzu. »Die Eltern sind da, es wird nicht zu wild.«

»Klingt gut«, erwiderte Annie, »aber du weißt ja, dass ich dir vertraue. Du bist jetzt älter und viel vernünftiger. Dass du älter wirst, gefällt mir gar nicht, aber Vernünftigerwerden ist gut«, ergänzte sie. »Vielleicht ist das die Entschädigung.«

Sie sah ihre Tochter mit dem hübschen, blassen, süßen Gesicht und dem dunklen Haar lange an. Je älter sie wurde, desto mehr ähnelte sie ihrem überaus gutaussehenden Schauspieler-Dad. Annie ließ diesen Gedanken zu.

Nur in wenigen Momenten des Tages gestattete sie sich den Gedanken an den verstorbenen Roddy Valentine, mit dem sie sechs Jahre lang verheiratet gewesen war. Sehr glücklich verheiratet, bis ein kleiner, absolut unglückseliger und unsinniger Unfall ihn seiner Familie entrissen hatte.

Wie sie Leuten, die danach fragten, gelegentlich erklärte: Nein, man kam nicht darüber hinweg, nicht über einen derartigen Verlust. Man musste sich allerdings irgendwann wieder fangen und weitermachen – besonders um der Kinder willen. Irgendwo auf dem Weg, im Lauf der Jahre, hatte sie die Wut, die in ihr tobte, aufgegeben und eine Art Frieden mit ihrer Lage geschlossen.

Roddys Verlust war Teil dessen geworden, was sie alle ausmachte: Annie, Lana, Owen, Dinah, Connor, sogar Ed.

Das Einzige, was ihr immer noch das Herz brach, wenn sie den Gedanken zuließ, war die Vorstellung, wie stolz, wie unendlich stolz Roddy auf seine Kinder gewesen wäre. Doch das würden sie nie von ihm zu hören bekommen.

Deshalb musste sie überkompensieren. »Du siehst echt hübsch aus«, sagte sie zu Lana. »Dein Haar gefällt mir so.«

»Oh, danke!« Ihre Tochter lächelte und zog ein bisschen schüchtern ihre Locken über die Schultern.

»Ich bin froh, dass es nicht mehr gar so schwarz ist. Das heißt, das war schon in Ordnung«, berichtigte Annie sich, »aber damit sahst du ein bisschen nach Tod aus.«

»Ja, ein bisschen zu sehr nach Gothic-Szene. Das habe ich hinter mir«, pflichtete Lana ihr bei. »Also, was gab’s heute bei den Filmaufnahmen?«, fragte sie und konnte das begeisterte Lächeln, das die Vorstellung von ihrer Mum beim Fernsehen heraufbeschwor, nicht verbergen.

»Ach, Schätzchen, ich habe keine Ahnung, was als Nächstes passiert!«, platzte Annie heraus. »Die Frau, die ich von Kopf bis Fuß umstylen und zum Ball schicken soll, damit sie ihren Märchenprinzen findet, will nicht hingehen. Ich habe ihr das Kleid, die Tasche und die Schuhe dafür besorgt, aber ich kann nun einmal nicht in ihren Kopf hinein. Jedenfalls nicht in den fünf Minuten, die ich mit ihr vor den Kameras verbringen darf. Ich habe keine Ahnung, was jetzt werden soll.«

Annie ließ sich auf die ausgebreiteten Teenie-Kleider auf dem Bett zurückfallen. Lana brauchte Stunden, um sich fertigzumachen, wenn sie am Wochenende ausging. Manchmal benötigte sie geschlagene zwei Stunden, bis sie aufbruchbereit war, nur um dann noch einmal schnell nach oben zu hasten und sich in letzter Minute für ein völlig anderes Outfit zu entscheiden. Sie war eigentlich fast so unsicher, wenn es um Partys ging, wie Cath sich jetzt erwies – ein Gedanke, der Annie zu der nächsten Frage anregte.

»Wie verwandle ich die ganz normale, unscheinbare Cath für die Kameras in eine Prinzessin, Schatz? Wie stelle ich das an? Sie war seit Jahren nicht mehr auf einer Party. Sie ist zu befangen. Aber der Produzent will diese Party als Happy End. Er will, dass Cath umwerfend aussieht und jedem attraktiven Fremden gegenüber, dem sie auf dem Ball über den Weg läuft, Glück und Selbstbewusstsein ausstrahlt. Also wirklich, du liebe Zeit! Unmöglich, oder wie? Er verlangt nicht einfach ein Umstyling, er will eine Persönlichkeitstransplantation!«

»Aschenputtel kennt nur drei Personen auf dem Ball, und die erkennen sie nicht einmal«, kommentierte Lana versonnen. »Es ist viel leichter, so zu tun, als wäre man jemand anders, wenn man niemanden kennt und wenn man verkleidet ist. Ich würde liebend gern verkleidet zu einer Party gehen. Niemand würde mich erkennen, und ich könnte einfach Mäuschen spielen. Als geheimnisvoller Gast!«

»Ja?« Annie versuchte zu verstehen, was ihre Tochter damit sagen wollte. »Ich sollte sie also verkleiden?«

»Aber sie geht doch auf eine Party, auf der niemand sie kennt, oder?«, hakte Lana nach.

»Ja … ich denke schon. Ich meine, es ist ja keine Familienparty oder so. Jedenfalls soll sie auf irgendeine Party eingeladen werden. Was für eine, weiß ich noch nicht.«

»Warum schickst du sie dann nicht auf einen Maskenball oder so?«, fragte Lana begeistert. »Irgendwohin, wo sie niemanden kennt und niemand sie kennt. Wo sie ihre Befangenheit hinter einer Maske verstecken kann?«

»Weißt du, Schätzchen«, sagte Annie beschwingt und erleichtert, »das ist eine sehr, sehr gute Idee. Das ist eine so erstaunlich gute Idee, dass ich sofort mit jemandem darüber reden muss!«

Lana sah ihre Mutter lächelnd an, doch dann verlangte der Computermonitor wieder ihre Aufmerksamkeit.

»Du arbeitest so hart«, stellte Annie fest. »Ich bin so stolz auf dich!«

»Danke«, antwortete Lana, senkte dann aber den Blick auf ihre Füße, fast als brächte das Lob sie in Verlegenheit.

»Du wirst deine Prüfungen mit Bravour bestehen, nicht wahr?«, erkundigte ihre Mutter sich.

»Das hoffe ich«, erwiderte Lana ein wenig schüchtern.

»Ich bin sehr stolz auf dich«, wiederholte Annie.

»Wäre es schlimm, wenn ich nicht besonders gut bestehen würde?«, wollte Lana wissen.

»Ach du liebe Zeit!«, tat Annie die Frage ab. »Du paukst doch jeden Abend. Du wirst mit Glanz und Gloria bestehen!«