25.

Elena in der Umkleidekabine:

Pink-schwarzes rückenfreies, seitenfreies trägerloses Kleid (River Island)

Schwarze hochhackige Peeptoes mit Enkelriemchen (River Island)

Unmengen Armreifen (dito)

Schwarze Clutch (dito)

 

Geschätzte Gesamtkosten: 95 £

»Was mir fehlt, sind Spaßkleider.«

Vielleicht solltest du lieber gehen und allein shoppen!«, lautete Lanas verärgerte Reaktion auf den Kommentar ihrer Mutter zu dem Outfit, das sie gerade in der Umkleidekabine vorführte.

Es war kurz vor vier an einem Sonntagnachmittag im nächstgelegenen Einkaufszentrum. Zwar hatte Annie erst fünfzig Minuten lang mit Lana und Elena die Läden durchstreift, doch sie war jetzt schon überzeugt, dass es fünfzig Minuten zu viel waren.

»Aber brauchst du mich denn nicht an der Kasse?«, erinnerte Annie ihre Tochter und musterte aufgebracht das dürftige Hemdchen und die hautenge PVC-Hose, die sie trug … vielleicht, weil Elena genau die gleichen Teile von den Stangen genommen hatte.

Elenas Modegeschmack war … tja, »atemberaubend« traf es vielleicht. Für Svetlana junior war nichts zu eng oder zu knapp oder zu freizügig.

»Hattest du nicht Bewerbungsgespräche im Sinn?«, konnte Annie sich nicht verkneifen zu fragen, als Elena in einem anscheinend nicht nur rücken-, sondern auch seitenfreien Kleid aus der Kabine trat.

»Hier gibt es bestimmt auch ein paar flotte Kostüme«, setzte sie ohne große Hoffnung hinzu.

»Hab ich Kostüm.« Elena wischte den Rat lässig beiseite. »Hab ich warme Sachen, hab ich Kleider für Arbeit. Aber meine Mutter hat mir das Geld gegeben, und was mir fehlt, sind Spaßkleider.«

Junge, Junge … wie viel Spaß mochte das Supermodel-Double wohl planen, solange es unter Annies Dach lebte? Ein Blick auf den stetig wachsenden Haufen Clubwear in der Umkleidekabine ließ ahnen: jede Menge.

Es war, als Elena anfing, Lana bei der Auswahl Ratschläge zu geben, dass Annie nervös wurde.

»Du hast schöne Beine«, hatte Elena zu Lana gesagt. »Musst du sehr kurzen Rock tragen!«

»Nein«, antwortete Lana jetzt beleidigt auf Annies Frage. »Ich brauche dich nicht an der Kasse, ich habe mein Taschengeld!«

Zwar fühlte Annie sich gekränkt, war gleichzeitig aber auch beruhigt. Sie gab Lana nur fünf Pfund pro Woche, entsprechend konnte sie mit ihren Ersparnissen wohl nicht allzu viele Modesünden erstehen.

»Schön«, muffelte sie zurück, »dann lass ich euch zwei allein. Ich gehe allein shoppen und treffe euch zum Kaffee um …«, sie sah auf die Uhr, »17:00 Uhr.«

»Gut!«, erklärte Lana sich einverstanden.

So geschah es, dass Annie dann schließlich durch die Läden streifte und an nichts als ihre eigene Garderobe dachte.

Die Arbeit bei The Store hatte sie verdorben, daran bestand kein Zweifel. Hier war alles so billig. Allein schon die Säume, so knapp und kräuselig. Und das Material war nicht annähernd so gut wie das, was sie gewohnt war. Die Jacken schienen sämtlich aus einem Mix aus Wolle und ein bisschen Schmirgelpapier zu bestehen, und die Blusen waren aus dünner substanzloser Baumwolle, mit Appretur aufgestockt, die sich bei der ersten Wäsche verflüchtigen würde.

Trotzdem … ach! Ihre Hand zuckte in Richtung Kleiderstange. Das war ja eine ganz entzückende pinkfarbene Seidenbluse! Annie zog sie heraus und prüfte das Preisschildchen. Nur fünfundvierzig Pfund!

In dieser Saison hatte sie sich in jede einzelne der neuen Farben verliebt: die Pink- und Orangetöne, die Gelb- und stimmungsvollen Grün-Nuancen. Sie wollte etwas in jeder Schattierung.

Mit ein paar zusätzlichen Halstüchern oder Baumwolltops in den richtigen Farben könnte sie ihre gesamte Garderobe auffrischen.

Mmm … der Schmuck hier war ebenfalls vorzüglich. Dieser glänzende breite Armreif in Pink-Violett? Das war genau das, was sie wollte. Und der magentarote Pulli mit Fledermausärmeln?

Sie nahm ihn zur näheren Inspektion vom Bügel. Es war so seltsam, wenn Dinge, die man in früherer Zeit getragen, geliebt, dann überwunden und schließlich verabscheut hatte, wieder in Mode kamen. Wie dieser Pulli. Mit siebzehn hatte sie einen fast identischen in Kobaltblau besessen.

Der blaue hatte den gleichen U-Boot-Ausschnitt, aber längere Ärmel gehabt. Die Designer waren eindeutig mit dem Fledermausärmel an den Zeichentisch zurückgekehrt und hatten eingesehen, dass es nur mit ellbogenlangem Ärmel klappte. So konnte man die Arme senken, ohne wie eine echte Fledermaus herumzuflattern.

Annie betrachtete den Pulli und entschied, dass sie ihn anprobieren musste, und wäre es nur um der alten Zeiten willen. Sie erinnerte sich sogar noch an ihre Ratlosigkeit bezüglich des alten kobaltblauen: Mit dem U-Boot-Ausschnitt und den drapierten Ärmeln war es kaum möglich zu entscheiden, wo oben und unten war.

Mit einem Armvoll Sachen in der Umkleidkabine ging Annie ganz professionell vor und prüfte alles darauf, wie es an ihr aussah statt auf dem Bügel, und indem sie im Geiste eine Liste der Sachen zu Hause in ihrem Kleiderschrank aufstellte, die dazu passen würden.

Das Einzige, woran sie kaum einen Gedanken verschwendete, war der Preis. Auf ihrem Bankkonto waren noch ungefähr 3,26 Pfund übrig, also konnte sie sich eigentlich gar nichts leisten. Aber hier, so sagte sie sich, befand sie sich in der Filiale einer Kaufhauskette. Wenn sie mit ihrem Überziehungskredit ein paar Sachen kaufte, würde kein großer Schaden entstehen. Und – bei diesem Gedanken wurden ihre Augen zu schmalen Schlitzen – lauerten da nicht in ihren Schränken noch ein paar Sachen, die sie verkaufen konnte? Einige verblichene Kostbarkeiten, die ausgegraben und bei eBay angeboten werden konnten, um ein paar hundert Pfund lockerzumachen?

Der Pulli und die Seidenbluse waren bildhübsch. Als sie sich im Spiegel betrachtete, waren es nicht die Kleidungsstücke, die ihr Probleme bereiteten, und ihre Figur war es auch nicht. Sie wusste haargenau, wie sie diesen vollbusigen, apfelförmigen Körper zu kleiden hatte, den sie immer diesseits von Größe 38 zu halten verstand.

Nein, was ihr urplötzlich ins Auge stach, war ihr Haar. Auch heute war nichts daran ungewöhnlich oder falsch. Die goldenen und aschblonden Highlights waren absolut up to date für die Fernsehkamera. Das Haar war zurückgekämmt und stramm zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengefasst, wie sie es immer handhabte.

Diese Frisur trug sie seit Jahren, weil sie absolut zu ihr passte. Sie hatte feine Züge: ein spitzes Kinn, eine kleine Nase und Lippen, die einen kräftigen Lippenstift benötigten, um gut zur Geltung zu kommen. Der flippige, hüpfende Pferdeschwanz entsprach auch ihrer lebhaften Motorik und großen Tatkraft. Außerdem hatte er einen Lifting-Effekt auf ihre Haut. Gewöhnlich liebte sie den Pferdeschwanz und stellte ihn nie in Frage.

Zur Schlafenszeit, wenn sie ihr Haar löste, sah sie geradezu ungewöhnlich aus. »Die Annie, die nur ich zu sehen bekomme«, bemerkte Ed häufig.

Doch jetzt störte der Pferdeschwanz sie urplötzlich. Nur andeutungsweise … ein Augenblick des Zweifels.

So trug sie ihr Haar seit Jahren … sie versuchte, sich zu erinnern, wie lange. War es tatsächlich seit Owens Geburt? Vor zwölf Jahren? Wollte sie diese Frisur bis in alle Ewigkeit tragen?

Sollte sie vielleicht auf einen Nackenknoten umsatteln? Auf eine geringfügig förmlichere Hochsteckfrisur? Das würde von vorn genauso aussehen, von hinten aber ein bisschen erwachsener und soignierter. Vielleicht.

Vielleicht ein blonder Kurzhaarschnitt?

Der Gedanke erschreckte sie. Musste man nicht zierlich und rappeldürr sein, um sich ganz kurzes Haar leisten zu können?

Ein blonder Kurzhaarschnitt.

Schon der Bergriff schreckte sie ab. Sie dachte an Tinas Haarschnitt und versuchte sich vorzustellen, wie ihre eigenen goldenen Locken auf den weißen Fliesenboden im Friseursalon fielen.

Nein! Sie erschauderte unwillkürlich. Das war zu brutal. Wenn sie als Teenie oder Twen ihr Haar hatte kurz schneiden lassen, hatte es jedes Mal kaum eine Woche gedauert, bis sie es zutiefst bereute, und ein langes, langes Jahr, bis der Fehler behoben war.

Trotzdem, kurzes Haar sollte befreiend wirken und das Gesicht um Jahre verjüngen. Hatte sie es nicht bei so vielen Klientinnen erlebt? Vom gediegenen Bob zum ausgeflippten Igel. Vielleicht sollte sie mit dem Friseur über eine kleine Veränderung reden … nur reden, die Alternativen sichten.

Als sie schließlich zur Kasse ging, hatte sie beachtliche Beute gemacht. Da waren der Pulli mit Fledermausärmeln, zwei Baumwolltops in Fuchsia und Kobaltblau, der pinkfarbene Armreif, ein duftiges limonengrünes Halstuch, dem sie nicht hatte widerstehen können, und die pinkfarbene Seidenbluse mit der extravaganten Rüsche auf dem Vorderteil.

Ratter-pling, ratter-pling, ratter-pling.

»Das macht einhundertundvierundachtzig Pfund und fünfundachtzig Pence«, ließ die Kassiererin sie wissen.

Womit ihr Konto um 181,59 Pfund überzogen war. Aber so viele Sachen, alles für den Preis von höchstens einem Top oder so bei The Store! Im Grunde war es ein Schnäppchen.

Hochzufrieden, weil sie so viel Geld »gespart« hatte, griff sie nach ihren Tüten und machte sich auf den Weg zum Café.

Sie zückte sogar ihr Handy und schrieb Bob eine SMS, der sich ständig über das Konsumverhalten seiner Frau beklagte.

»Sag deiner Frau, sie soll bei Mango einkaufen. Billig und phantastisch. Bis Montag! Annie x.«

Schon nach wenigen Minuten kam die Antwort: »O.K. Montag im 10:15-Zug?«

»Ja«, schrieb sie zurück.

»Nimm zu lesen mit. 6,5 Stunden Fahrt«, lautete Bobs Antwort.

»Wie?!«, schrieb sie zurück. »Wie halten Svet + Miss das aus?«

Sie hatte Owens Straßenkarte angesehen und sich gesagt, dass es im Grunde gar nicht so weit bis Glasgow war. Ihr war ganz bestimmt nicht in den Sinn gekommen, dass sie fast den ganzen Montag im Zug verbringen würde.

In Glasgow würden sie, wie in Birmingham, zwei Tage lang filmen. Bedeutete das, dass sie auch den ganzen Dienstag im Zug sitzen würde? Außerdem hatte Ed am Sonnabend Geburtstag, und sie hatte noch kein Geschenk für ihn.

In diesem Augenblick meldete sich zum ersten Mal das schlechte Gewissen wegen der Einkaufstüten in ihren Händen. Für Ed hätte sie ihr Konto überziehen sollen …

Ihr Handy meldete eine weitere SMS von Bob.

»Svet + Miss fliegen«, lautete sie.

Wie bitte?!

Das war so UNFAIR!