Kapitel 4
»Informationen sind im Fluss. Da gibt es natürlich die Abendnachrichten, aber sie fließen auch durch die Blogosphäre und die Internets.«
George W. Bush
Washington, D. C., 2. Mai 2007
An zwei oder drei Abenden die Woche rief ich Sissi in Chiang Mai an oder sie mich. Wir stehen uns wahrscheinlich so nah, wie sich Geschwister stehen können, die nichts gemein haben. Ich liebe sie von Herzen, rechne aber jederzeit damit, dass sie anruft und sagt: »Jimm, ich bin zu dem Schluss gekommen, dass du nur so tust, als würdest du mich mögen, und deshalb will ich nichts mehr mit dir zu tun haben.« Aus diesem Grunde ging die Zahl ihrer engeren Freunde gen null. Um ihr Temperament näher zu erklären, müsste ich ein wenig ausholen.
Als ich heranwuchs, brauchte ich eine Weile, bis ich merkte, dass es einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gab. Und das meine ich nicht anatomisch. Mein Bruder Somkiet und ich waren aus demselben Holz, und das war definitiv pink. Er trug alle meine Sachen, seine aber nie. Wir kicherten und kuschelten ziemlich viel. Wir hatten Puppen und standen lange unter der Dusche, um mich zu betrachten. Irgendwann wurde Mair böse: »Du ziehst sofort dieses Nachthemd aus und putzt deine Fußballstiefel, Freundchen!« Opa Jah brachte ihm Boxhandschuhe mit und meldete ihn beim örtlichen Sportverein an. Im Lauf der Jahre jedoch schwand ihre Entschlossenheit, Somkiet von der Blümchenwiese wegzulocken, auf der er wandelte. Tatsächlich war es Mair, die ihm den letzten Schubs gab.
Mit sechzehn stand Somkiet an jenem oft beschworenen Kreuzweg und brauchte dringend einen guten Rat, möglichst von einer Vaterfigur. Bei uns zu Hause gab es jedoch nur seine Oma, die sich auf das Nirwana vorbereitete, Opa Jah, der seine mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten bei der Polizei beklagte, und mich – hoffnungslos verliebt in Liu De Hua, den Fernsehstar aus Hongkong. Nichts war mir wichtiger als Liu. Auch ich hatte Somkiet abgeschrieben. Nachdem Mair ihr fröhliches Leben aufgeben musste, watete sie jahrelang durch Depressionen. Es war, als stünde sie unter Hausarrest wie Aung San Suu Kyi. Ihre Welt begann am Gehweg vor unserem Laden und endete beim Schrein hinterm Haus. Wir konnten einem Mädchen, das in der Haut eines Jungen steckte, keine große Unterstützung bieten.
Somkiets zwei Jahre auf der Highschool müssen schrecklich gewesen sein. Er lernte gern. Er war klug und hätte sich allem zuwenden können. Aber er zählte zu einer kleinen Schar von grateuys an seiner Schule, die ihren Spaß daran hatten, über den Schulhof zu trippeln, laut zu quieken und sich in Mathe die Fingernägel zu lackieren. Es gab keine Rücktrittsklausel, keinen Wechsel zum anderen Ufer. Man war entweder das eine oder das andere: ein ernsthafter Schüler oder eine Elfe. Wären der Druck nicht so groß und die fachliche Erwartung nicht so gering gewesen, hätte Somkiet jede Universität im Land besuchen können. Doch es waren verworrene Zeiten. Jungen, die Mädchen sein wollten, hatten der Gesellschaft nichts anderes zu bieten als Prostitution und Playback-Travestieshows, und Letzteres war der Weg, den er wählte.
Vor seinem Highschool-Abschluss lief Somkiet von zu Hause weg. Oder besser: Mair packte ihm was zu essen ein und gab ihm einen Haufen Geld in einer braunen Papiertüte. Sie wusste nicht mehr, wie sie ihn zur Vernunft bringen sollte, also verbündete sie sich mit ihm. Ich glaube, im Stillen dachte sie, ihr Sohn würde schon »darüber hinwegkommen« und wieder einer von uns werden. Somkiet änderte seinen Namen in Sissi und arbeitete sich in den Travestieshows hoch: Klomann, Kellner, männlicher Playback-Chorsänger in zweiter Reihe, männlicher Tänzer, weibliche Playback-Chorsängerin in zweiter Reihe, Tänzerin in vorderster Reihe, Exotiktänzerin, und schließlich der Traum aller kleinen Jungen: die weibliche Exotik-Playback-Hauptrolle. Und da nun nahm der Glamour endgültig von seinem/ihrem Leben Besitz. Die Stammkunden in der ersten Reihe zwinkerten ihr zu, zückten die Brieftaschen, und eifrige Sekretärinnen reichten Visitenkarten ihrer Chefs weiter, weil die ihr an die Wäsche wollten – um jeden Preis.
Immer heller leuchtete Sissis Stern am Himmel. Jetzt begannen die Schönheitswettbewerbe: Miss David’s Cabaret, Miss Transworld Bangkok. Miss Tran Pan Asia, bis ganz hinauf zur Miss San Francisco Pride, inklusive aller Spesen für den zweiten Platz. Von da an weiter zu Fotos in Heterozeitschriften und Modenschauen und Werbeverträgen, sogar einem Kurzauftritt in einer Fernsehserie. Ernsthafte Angebote von Regierungsbeamten und Militärs und Filmstars, ihr als Geliebter ein eigenes Luxusapartment einzurichten. Sie war ein Sexsymbol, von allen begehrt.
Und dann endlich – Liebe.
Ein Architekt. Ein Deutscher namens Walter. Er machte ihr den Hof, folgte ihr auf Schritt und Tritt, eigentlich kein Stalker, eher getrieben von romantischer Beharrlichkeit. Und – was in Sissis Augen am meisten bedeutete – er war nicht schwul. Er begehrte sie nicht als Mann im Fummel. Er begehrte sie als Frau und hatte ein unbegrenztes Budget, sodass er es auch in die Tat umsetzen konnte. Keine Perversen, keine schrägen Sextouristen mehr für Sissi. Das war eine »normale« Beziehung.
Ich weiß noch, wie Sissi in den Laden kam und aussah wie Marilyn Monroe, die Haare platinblond aufgebauscht, die Absätze hoch wie Bohrinseln. Sie trug einen echten Diamanten am Ringfinger. Ein Mercedes mit Chauffeur parkte gegenüber in unserer kleinen Straße, blockierte den Verkehr. Ich rannte meiner neuen Schwester entgegen, stämmig in meinen Bermudashorts, mit widerspenstigen Haaren und Schlaf in den Augen. Wir drückten uns, bis die Strasssteinchen an ihrer Jacke in meine un-BH-te Brust stachen.
»Ich komme direkt aus dem Krankenhaus«, erklärte sie mir.
»Bist du krank?«, fragte ich.
»Nein. Jetzt bin ich eine von euch.«
Als Hochzeitsgeschenk hatte Walter Sissi das Geschlecht gekauft, von dem sie träumte. Ich kreischte vor Freude, und wir tanzten im Laden herum, und sie warf Mair, die lächelnd hinter dem Tresen stehen blieb, Kusshändchen zu, und dann ging sie wieder zu ihrer Limousine und war weg. Ich wunderte mich, dass Mair das alles so gelassen nahm, erfuhr jedoch später, dass sie und Sissi zahlreiche Telefonberatungen geführt hatten, bevor es zum großen Schnipp kam. Man muss schon eine ganz besondere Mutter sein, wenn man mit seinem Sohn Strategien bespricht, wie er zur Frau werden kann.
Dieser Tag war auch für mich bedeutsam. Als Sissi weg war, ging ich in mein Zimmer, ihr altes Zimmer, und betrachtete mich im großen Spiegel. Dann rief ich Yot an und sagte ihm, ich hätte es mir anders überlegt und wolle ihn nun doch heiraten.
Yot war ein Freund, der unbedingt irgendjemanden heiraten wollte, was keine besonders vielversprechende Voraussetzung für ein gemeinsames Leben war. Für ihn sah die Ehe aus wie Werbung für Wandfarben. Ein debil grinsendes Pärchen in Arbeitshosen und partnerfarbigen Lacoste-Hemden, zwei komatöse, leicht übergewichtige Kinder, alle gemeinsam auf dem weichen, weißen Ledersofa. Iggy, der verspielte, reinrassige Golden Retriever, hält seinen Sabber für das Foto zurück. Ein echter Navaho-Läufer aus Phuket. Eine große Vase, die echte Kinder und ein echter Hund längst umgeworfen hätten. Wände mit Farben, die »Frühlingssonnenaufgang« und »Dickmilch« hießen, in einem Haus, das wie im Prospekt aussah. Wohlsituierte Pärchen als Nachbarn, die winken und »Guten Morgen!« wünschen und niemals furzen oder nachmittags Cocktails in den Treteimer kotzen, weil sie zu besoffen sind, um es bis ins Bad zu schaffen.
Ich hatte kein einziges Andenken, als meine 3,7-jährige Ehe mit Yot, dem Kassierer bei der Siam Commercial Bank, zu Ende ging. Wir machten keine Kinder, weder verzückt noch sonst wie, weil ich keine wollte. Wer will schon Kinder in die Welt setzen, wenn es Leute gibt, die schallisolierte Keller haben und in Lieferwagen herumfahren? Er dachte, er könnte es mir ausreden, aber da gab es für mich nichts zu verhandeln. Er dachte auch, er könne mir die Arbeit ausreden, damit ich in Hausfrauentracht mit seinem Abendessen auf ihn wartete, wenn er nach Hause kam, nachdem er den ganzen Tag lang Leuten mit Hautkrankheiten und ekligen Gewohnheiten Geld hingezählt hatte. Er dachte, er könnte mich zu femininen Kleidern und langen, lockigen Frisuren überreden. Vielleicht bin ich etwas langsam, aber ich brauchte eine Weile, bis ich merkte, dass er die Falsche geheiratet hatte. Von vornherein hatte er feste Vorstellungen gehabt und meinte, es sei nur eine Frage der Zeit, bis ich so weit war, dass ich mich auf hochhackige Schuhe einließ.
Als er seinen Fehler einsah, blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als den Posten neu auszuschreiben. Er log wegen der Affären. Es waren vier, soweit ich weiß. Ich war enttäuscht wegen der ersten Affäre, und etwa drei Monate lang wegen der zweiten. Dann wurde mir bewusst, dass ich gar nicht in einem Strudel des Elends unterging, dass es mir im Grunde egal war. Ich hatte ein hübsches Zuhause und Kabelfernsehen und eine Waschmaschine und einen Trockner. Wozu brauchte ich einen Mann? Ich musste mir nur sagen, dass ich allein lebte. Ich liebte meine Arbeit. Meine Familie kam mich besuchen. Ich wünschte mir, Yot würde eines Tages nach Hause kommen und sagen: »Jimm, ich verlasse dich wegen eines langhaarigen Mädchens, das Kleider trägt.« Das wäre perfekt gewesen. Aber er sagte es nie und wohnte immer weiter in meinem Haus. Irgendwann war ich es leid, ihn in meinem Leben zu haben. Als ich ging, machte ich keinen Aufstand, es war kein Statement, ich war einfach mit ihm durch. Er versuchte gar nicht erst, mich irgendwie zurückzuhalten.
Was sollte ich dazu sagen?
Erst acht Jahre später hörten wir wieder von Sissi, als sie in Mairs Laden stand und fragte, ob sie ihr altes Zimmer wiederhaben könnte. Ich erschrak, als ich sah, was die Zeit mit ihr angestellt hatte. Jetzt sah sie aus wie eine achtundzwanzigjährige Exschönheitskönigin. Ihre weiten Kleider konnten nicht verbergen, dass sie ordentlich zugelegt hatte, und nicht mal mit zementdickem Make-up ließ sich das Gesicht noch straffen. Sie hatte sich gehen lassen und machte nicht den Eindruck, als wolle sie sich in absehbarer Zeit wieder einholen. Außerdem hatte sie nicht die Absicht, irgendwem zu erzählen, was mit ihrem Leben passiert war.
Damals pfuschte ich noch an meiner Ehe herum und wohnte bei meinem Mann, also war ihr altes Zimmer frei. Sie zog mit ihrer kleinen Reisetasche und ihrem Computer ein, und dort begann ihr selbst gewähltes Exil. Der einzige Trost war, dass man nicht zwei Einsiedler im selben Haus haben kann, das ist gegen die Regeln oder irgendwas, also befreite sich Mair aus ihrem Kokon und fing wieder an zu atmen. Es nahm ihr eine gewaltige Last von der Seele, und oft frage ich mich, ob diese schwindende Last möglicherweise auch Fragmente ihrer geistigen Gesundheit enthielt.
Zu dieser Zeit etwa legte Sissi den Grundstein für ihr Internet-Imperium. Sie nutzte das drahtlose Signal aus der Nachbarwohnung und begann sitzend ihre Karriere am unteren Ende der Hackordnung des World Wide Web. Und während sie sich mit den Mechanismen dieses erstaunlichen Netzwerks vertraut machte, lief ihr der eine oder andere Job über den Weg: Marketing, Übersetzung, Redaktion. Acht Jahre später war sie schon der George Soros heikler Internetgeschäfte. Mit Betrügereien im Netz verdiente sie viel Geld. Ich gab mir Mühe, mich nicht nach allzu vielen Details zu erkundigen, weil ich vor Gericht nur ungern lügen wollte. Was ich nicht wusste, konnte mir nicht schaden. Aber ich bekam einige Tricks mit, auf die sie besonders stolz war. Zum Beispiel hatte sie ein Talent dafür, anderer Leute Pornosites zu entern und für ein, zwei Monate zu übernehmen. Da war reichlich zu verdienen. Ich glaube, sie könnte sich eine Weile mit Bankbetrügereien in Nigeria versucht haben, und dann natürlich Identitätsdiebstahl, wie alle anderen auch. Ich glaube, das Hacken hat ihr am meisten Spaß gemacht. Sie konnte sich in eine Website hacken, sie in Sekunden leer räumen und die Informationen für dreiste Manipulationen nutzen, bevor der Betreiber der Seite am nächsten Morgen aus dem Bett kam.
Es gab Tage, an denen ich mich fragte, wie ich mein Leben der Aufklärung von Verbrechen und der Ergreifung von Straftätern widmen konnte, und dennoch nichts unternahm, um Sissi aus dem Verkehr zu ziehen. Die Antwort kam mir eines Abends, als ich mit ihr Grand Theft Auto III spielte. Warum – fragte ich mich – machte es mir solchen Spaß, mit abgesägten Schrotflinten auf unschuldige, alte Damen zu schießen? Es war doch offensichtlich – weil es nicht real war. Die Welt, in der Sissi ihre Verbrechen beging, existierte nicht. Die Onlinebanken, die sie ausraubte, hatten keine Mauersteine, keinen Mörtel und keine Kugelschreiber, die an Metallbändeln hingen. Die Wohltätigkeitsvereine, die sie sich ausdachte, gab es gar nicht. Selbst die Identitäten, die sie klaute, waren fiktiv. Niemand kam mit einem Namen, einer Adresse, einer Sozialversicherungsnummer zur Welt. Das waren alles künstliche Zusätze. Wen interessierte es also, ob jemand sie sich auslieh. Es war, als würde man Winnie Puh auf der Straße kidnappen, ihn in einen kalten, feuchten Keller sperren, kleine Scheibchen von ihm abschneiden und diese in braunen Umschlägen der Polizei schicken. Und soll ich euch was sagen? Es wäre denen egal. Er ist Fiktion. »Nur zu«, würden sie sagen.
So rechtfertigte ich Sissis berufliche Tätigkeit vor mir selbst. Ihr Erfolg in der Cyberwelt bedeutete, dass sie keine Verwendung für die eigentliche, baumbewachsene Welt jenseits der Mauern hatte. Nach Einbruch der Dunkelheit zwängte sie sich manchmal durch das Tor der Universität und machte etwas Powerwalking, aber sie schämte sich ihres Aussehens zu sehr, als dass sie bei Tage unter Leute ging. Wobei ich anmerken sollte, dass sie gar nicht so schlimm aussah. Nachdem sie dem Dämon Alkohol abgeschworen hatte und sich von Mairs nährstoffreichen, wenn auch geschmacklosen Speisen ernährte, brach ihr alter, rosiger Teint wieder durch. Opa Jah richtete ihr hinterm Haus eine kleine Sportecke mit einem Trimm-dich-Rad und einer faltbaren Yogamatte ein. Sie sah besser aus und kam auch langsam wieder besser mit sich selbst zurecht. Ein, zwei Mal hatte sie in Verkleidung kurze Ausflüge zum Supermarkt unternommen und war sogar bei Tageslicht über den Campus spaziert. Ich glaube, das war wohl auch der Grund, wieso Mairs Verrat sie so hart traf.
Inzwischen hatte sie wieder ein eigenes Schneckenhaus, eine kleine, dunkle Einzimmerwohnung. Sie ließ sich das Essen kommen, hatte eine junge Assistentin, die Besorgungen für sie erledigte, und verschwand vollständig in ihrem Computer. Ich war eine ihrer wenigen Verbindungen zur Realität, sodass man sich vorstellen kann, wie enttäuschend meine regelmäßigen Berichte aus dem Busch für sie bisher gewesen waren.
»Hey, Sissi.«
»What’s up?«
Ach, ich habe ganz vergessen zu erwähnen, dass Sissi und ich unsere Gespräche immer mit einem ordentlichen Schlag Anglizismen aufpeppen. Wären wir darin sicherer, würden wir dem Thailändischen vermutlich ganz abschwören. Dieser Mischmasch ist so etwas wie unsere Geheimsprache. Auf ihrem Bildschirm spricht man Englisch, und ich habe so das Gefühl, als würde sie der Sprache der Thais nicht mehr vertrauen – und auch nicht den Leuten, die sie sprechen. Das Personal in ihrem Haus hält sie für eine Philippina. Ich dagegen spreche Englisch, weil ich zwischen Highschool und Uni ein Auslandsjahr eingelegt habe. Ich wollte in ein englischsprachiges Land, aber die waren alle so voll, dass man mich nach Australien geschickt hat. Bis ich verstanden hatte, was die reden, wurde es schon wieder Zeit, nach Hause zu fliegen. Massenkommunikation war mein Hauptfach und Englisch mein Nebenfach. Ich hatte meinen MA in Englisch halb fertig, als Mair mit ihrer kleinen Überraschung kam. Mein Englisch hat so einen Thai-Akzent, bei dem die Worte klingen, als hätten sie keine Endungen, aber Sissi versteht mich wunderbar.
»Nichts Besonderes. Was macht das Net?«, fragte ich.
»Rockt.«
»Was macht Leather?«
Leather war ihr momentaner Onlinegalan. Sie führten eine ausgesprochen stürmische, sexuelle Internet-Beziehung. Auf seinen Fotos war er eine Art George Clooney in Bondage. Sissis Onlinepersona war – Sissi, vor achtzehn Jahren und atemberaubend schön, dass einem ganz weich in den Knien wurde. In ihrer Vorstellung war sie es immer noch.
»Er lässt sich eine Fünfzehn-Zentimeter-Schraube zwischen die Hoden nageln«, sagte sie.
»Eindrucksvoll.«
»Ja. Was macht die Hühnerfarm?«
»Letztes Wochenende haben zwei neue Hähne angefangen. Sie sind auf Probe. Wenn sie bis Freitag nichts gezeigt haben, kommen sie weg.«
»Wie schwer kann das denn sein?«
»Meine Rede.«
»Mair?«
»Sie ist … Ich glaube, es tut ihr gut hier unten. Sie ist ganz verrückt nach ihren Hunden, und wir haben das Meer direkt vor der Tür, und … na, du weißt schon.«
»Ja.«
»Sissi?«
»Ja?«
»Mir sterben hier unten die Leute weg.«
»Langeweile?«
»Nein. Mord. Meinst du, du kannst mir helfen?«
»Knabbern Koalas Eukalyptus?«
Das habe ich ihr beigebracht. Es ist Australisch und bedeutet »ja«. Es gehört zu dem Wenigen, was ich down under gelernt habe. Ich erzählte Sissi von der Sache mit dem VW-Bus, bis zu meinem letzten Besuch dort.
»Und da habe ich was gefunden, Sissi. Dieser Bulli hatte einen flachen Werkzeugkasten hinter dem Fahrersitz. Das Werkzeug war noch drin. Aber ich habe etwas Gras gefunden, in Plastik eingewickelt. Es war zugeklebt, damit es trocken blieb.«
»Hast du es geraucht?«
»Nach vierzig Jahren? Ich glaube nicht, dass Gras mit den Jahren besser wird.«
»Einen Versuch wäre es wert.«
»Okay, aber entscheidend ist, dass das Wasser noch nicht eingedrungen war. Im Plastik steckte auch Papier, zwei Zettel, geviertelt. Damit haben sie bestimmt das Gras geraucht. Die Zettel waren aus Werbeflyern rausgerissen, vermutlich von der Firma, bei der sie den Bus gemietet hatten. Es war ein thailändisches Reisebüro namens Blissy Travel in Surat Thani.«
»Telefonnummer?«
»Ja, aber die war nicht lang genug. Damals hatten sie nur sechs Ziffern. Im Telefonbuch gibt es kein Blissy Travel, und das Postamt in Surat hat mir erklärt, die Adresse gehöre inzwischen zu einem Honda Service Centre. Also stecke ich fest.«
»Mal sehen, was ich tun kann.«
»Danke. Und wenn du schon dabei bist, könntest du mal nach einer Familie sehen, die Chainawat heißt? Das sind die Leute, die Old Mel den Streifen Land verkauft haben. Ist doch ein seltsamer Zufall, dass sie sich ausgerechnet ein Grundstück mit zwei Leichen vom Hals geschafft haben.«
»Irgendeine Ahnung, wie der Bus in die Erde gekommen ist?«
»Die Polizei nimmt an, dass es eine Grube war. Loch gegraben. Bulli reingeschoben. Alles wieder zugeschaufelt.«
»Aber du bist anderer Meinung.«
»Ja, aber nur, weil es keinen Sinn ergibt. Ich habe die Leichen gesehen, als sie gerade ausgegraben wurden. Die beiden saßen wie … Okay, sie waren nur noch Skelette, aber es sah aus, als säßen sie da und freuten sich über ihren Ausflug. Sie waren weder gefesselt noch geknebelt. Wenn man in eine Grube gestoßen wird, gerät man doch in Panik, oder? Man versucht, da rauszukommen. Man sitzt nicht nur da, starrt durch die Windschutzscheibe und klammert sich ans Lenkrad. Verdammt noch mal, das Mädchen hatte ihre Hand auf dem Oberschenkel des Fahrers!«
»Das ist ja wirklich ergreifend.«
»Dann verstehst du, worauf ich hinauswill?«
»Absolut. Es ist ungewöhnlich. Sie müssten ganz ruhig gestorben sein, durch Drogen, Gas oder irgendwas. Wahrscheinlich waren sie schon tot, als man sie in den Bus gesetzt hat. Klingt nach einem rücksichtsvollen Killer.«
»Oder einem Psychopathen.«
»Weißt du, ob die beiden Fremde oder Einheimische waren?«
»Die Leute von der Gerichtsmedizin wollten sich nicht festlegen. Sie meinten, von der Statur her wären die beiden eher klein, aber sie wollen lieber auf ihre Chefin aus Bangkok warten, als wilde Mutmaßungen anzustellen. Meinst du, es macht einen Unterschied?«
»Klar. Wenn es Kalifornier sind, wollten sie vielleicht nur in ihrem Lieblingsauto begraben werden. So was machen die da drüben. Ich gehe davon aus, dass du nicht weißt, wie alt sie waren, oder?«
»Nein, und ich schätze, hier unten kriegen wir auch nichts mit. Ich glaube kaum, dass irgendwer in der Gerichtsmedizin Pak Nam Bescheid gibt, selbst wenn sie was rausfinden würden.«
»Wo ein Web ist, ist auch ein Weg.«
»Du machst doch nichts allzu Illegales, oder?«
»Wenn die Leute so dumm sind, mit vollen Taschen durch den dunklen Cyberwald zu wandern, haben sie es nicht besser verdient, als beraubt zu werden. Da draußen gibt es kein Gesetz.«
»Und du bist die Königin der Banditen.«
»Zu viel der Ehre. Kann ich sonst noch was für dich tun?«
»Ich weiß nicht genau. Hast du Zeit für noch eine Geschichte?«
Ich erzählte ihr vom Abt und seinem Nonnenproblem. Je mehr ich ihr erzählte, desto klarer wurde mir, dass ich nicht ausreichend Hintergrundinfos über die beiden Hauptakteure hatte. Ich würde noch mal hinfahren müssen. Ich erzählte ihr das Wenige, was ich wusste, und sie versprach, mir zu helfen. Ich hoffte, sie würde mir sagen können, wieso es in diesem Fall eine Nachrichtensperre gab. Außerdem bestellte ich eine Ausgabe des Vinaya Pitaka, des »Korbs der Disziplin« mit den zweihundertsiebenundzwanzig Regeln für Mönche. Darin wurden die Regularien umrissen, die das Dharma in Thailand bestimmten. Ich wollte nicht in unserem örtlichen Internetladen mit den Spielefreaks um den Drucker streiten, also fragte ich Sissi, ob sie ihren weiblichen Freitag bitten könnte, es mir zu schicken.
»Kein Problem«, sagte sie.
»Hat deine Assistentin dich eigentlich schon mal gesehen, oder sitzt du hinterm roten Vorhang, wenn du ihr Anweisungen gibst?«
»Also wirklich. Kein Sarkasmus, bitte. Kin und ich führen lange Gespräche.«
»Und sie schreckt nicht entsetzt vor dir zurück?«
»Sie ist Birmanin.«
Birmanen schreckten so leicht vor nichts zurück. Sie brauchten Geld. Ich war froh, dass mein Exbruder jemanden zum Reden hatte, aber es machte mir Sorgen, dass Sissi keine Luft mehr brauchte, ob versmogt oder nicht.
»Wir vermissen dich hier alle«, sagte ich. »Wieso kommst du nicht her und wohnst bei uns?«
»Genau. Pol Pots Blog aus der Hölle. ›Hübsch hier. Schade, dass du nicht dabei bist. Wir könnten alle gemeinsam brennende Exkremente schaufeln‹.«
Ich nahm es als ein Nein.
Mair bestand darauf, dass ich, sobald ich die Hunde gefüttert hatte, mit ihnen einen langen Spaziergang am Strand machte. Mit unangeleinten, freilebenden Tieren. Ich versuchte, ihr zu erklären, dass die Hunde sicher auch ohne mich einen Verdauungsspaziergang unternehmen würden, sofern ihnen der Sinn danach stand. Aber sie machte nur wieder diese Sache mit den Augenbrauen, und schon gehörten die Morgen- und Abendspaziergänge zu meiner täglichen Routine. Da stapfte ich durch den weichen Sand, während John sich vor mir hinwarf, in freudiger Erwartung, am Bauch gekrault zu werden, derweil Gogo zwanzig Meter hinter uns zurückblieb und so tat, als trabe sie rein zufällig sowieso in unsere Richtung. Es war eine gute Gelegenheit, Gedanken zu sortieren. Am Montagmorgen jedoch kam John nicht mit.
Arny rollte seinen Baumstamm, während ich oben in der Hotelküche Frühstück zubereitete. Beide blickten wir auf und sahen, dass Ba Nok, die Nudelfrau, über den Sand in unsere Richtung stapfte. Sie trug die leblose John vor sich her. Das Tier hatte Schaum vorm Maul, als wäre es beim Zähneputzen gestört worden, was natürlich nicht der Fall war. Ba Nok überreichte mir den Kadaver, weil Arny nicht vorgetreten war, um ihn ihr abzunehmen. Sie erzählte, sie habe den Hund am Morgen vor ihrem Nudelstand gefunden und ihn wiedererkannt, weil sie unsere Mutter schon so oft mit ihm gesehen hatte. Sie dachte, wir wollten vielleicht …
Ich fragte sie, ob sie wüsste, wer unseren Hund vergiftet haben könnte, was sie verdächtig schnell verneinte. Ich wusste, dass sie log. Ich bedankte mich bei ihr und wandte mich dem Laden zu. Mair stand davor, mit verschränkten Armen und ihrem Titanic-Lächeln im Gesicht.
»Mair, ich …«
Sie lachte ein wenig und kam, um mir den Kadaver abzunehmen.
»Es gibt diverse Möglichkeiten, wie ein Hund hier unten seinem Schöpfer begegnen könnte«, sagte sie und wischte den Schaum mit der Hand ab. »Von einem Skorpion gebissen, von einer Kokosnuss erschlagen, ertrunken, ganz zu schweigen von allen möglichen Krankheiten und Insektenplagen.« Ein Mord kam auf ihrer Liste nicht vor. »Wie schön, dass sie noch ein glückliches, halbes Jahr hatte. Wenn ihr uns entschuldigen würdet …«
Hoheitsvoll trug sie John in den hinteren Teil des Ladens, und wir beschlossen, ihr nicht zu folgen. Ich drückte Arnys große Hand und ließ ihn mit seinen feuchten Augen dort allein. Wir hatten noch nicht mal gefrühstückt, aber mir schien, dass keiner von uns an diesem traurigen Morgen Hunger haben würde, also machte ich allein einen Spaziergang. Fast war ich schon beim Palmenwäldchen am anderen Ende der Bucht, als mich plötzlich eine unermessliche Trauer überkam. Zwar saß ich auf einem angespülten, alten Bambusfloß, doch fühlte ich mich, als stürze ich ab, als stecke ich im Maul eines Krokodils, das mich wütend auf die Steine schlug. Ich konnte es nicht fassen. Meine Tränen wollten kein Ende nehmen. Wollten sie einfach nicht. Ich war direkt froh, dass ich an diesem trostlosen Ort saß, wo mir niemand auf die Schulter klopfte und erklärte, es würde alles wieder gut werden. Ich hatte oft genug geweint, seit ich meinem 21. Jahrhundert entrissen worden war, doch das viele Wasser hatte mir selbst gegolten. Trauer um mich. Mitleid mit mir. Ich Ärmste. Diesmal jedoch weinte ich um jemand anderen – etwas anderes – und schämte mich für die vielen selbstsüchtigen Tränen, die ich vergeudet hatte. Ich blickte auf, und ein paar Meter vor mir saß Gogo. Zeit für ihren Spaziergang. Das Leben ging weiter.
Als ich auf meinem Fahrrad beim Feuang-Fa-Tempel ankam, erwartete ich eigentlich, dass der Wachmann hinter der Regentonne hervorspringen würde, doch da war niemand. Ich musste das Rad den steilen Hang hinaufschieben, denn fit war ich zuletzt 1997 gewesen: drei kurze Monate Volleyballtraining, die ich schon bald bereute. Ich nahm den Pfad nach links, der zum Betonweg führte, und mir fiel auf, dass große Teile der Bougainvilleen-Büsche offenbar in einem Akt übereifriger Gartenarbeit herausgerissen worden waren. Ich lief an der halb geweißten Wand entlang und kam zur Nonnenunterkunft. Meine Nonne saß auf der Stufe vor dem Eingang und beobachtete etwa zwanzig Tempelhunde. Alle bemühten sich höflich um einen Platz am großen Blechtablett mit Reis und Sardinen, das sie ihnen hingestellt hatte. Ich blieb stehen, um ihnen zuzusehen. Ich sah kein Gerangel, hörte kein Knurren. Keiner kämpfte um die letzte Gräte. Da musste ich an John denken.
Ich hätte gedacht, Nonnen würden einem weinenden Mädchen zu Hilfe eilen und ihr ein Taschentuch und eine Umarmung anbieten, doch diese Frau saß nur da und tat, als sähe sie nicht, dass ich mir die Augen ausheulte. Es dauerte einige Minuten, bis ich meine Stimme wiederfand und ihr berichten konnte, was passiert war. Sie versuchte, mich davon zu überzeugen, dass es Johns Karma war, speiste mich damit ab, dass sie es jetzt bestimmt besser hatte, was die Tragödie ihres vergangenen Lebens wieder wettmachte. So weit hatte ich noch gar nicht in die Zukunft gedacht. Irgendwer hatte unseren Hund ermordet. Ich fragte, ob Rache in diesem Leben denn gar keine Option sei. Wie zu erwarten, erklärte sie mir, der Mörder würde seine Quittung in einer späteren Inkarnation bekommen, doch das half mir kein bisschen. Ich wollte, dass der Mörder seine Quittung hier und jetzt bekam, damit ich dabei zusehen konnte.
Ich merkte, dass ich zu viele miese Vibrations in den Tempel brachte, und rief mir in Erinnerung, weshalb ich gekommen war. Also fragte ich, ob ich dem jow a wat noch ein paar Fragen stellen könne.
Sie überraschte mich, indem sie sagte: »Er ist in der Polizeizentrale in Lang Suan.«
»Wozu?«
»Es gab gestern Abend einen Zwischenfall.«
»Was ist passiert?«
»Der Flegel, der den Tempel bewacht hat – Sie sind ihm gestern begegnet … er wurde überfallen.«
»Ist er tot?«
Ich gab mir Mühe, meine Begeisterung zu bändigen.
»Nein, aber jemand hat ihn niedergeschlagen. Er war bewusstlos und liegt im Krankenhaus.«
»Weiß man, wer es war?«
»Die Detectives verdächtigen Abt Kem. Sie meinen, er hätte versucht zu fliehen.«
Ich sah mich um. Es gab keine Mauer, keinen Zaun. Wer die Absicht hatte zu fliehen, konnte laufen, wohin er wollte.
»Genau, aber es war nicht zu übersehen, dass sie die Lage hier nicht im Griff hatten, und deshalb fanden sie, es sei für alle Beteiligten – womit sie sich selbst meinten – das Beste, wenn der Abt hinter Schloss und Riegel käme.«
»Und wer ist nun über den Wachmann hergefallen? Wurde etwas gestohlen?«
»Nicht, dass ich wüsste. Aber wie Sie wahrscheinlich auf dem Weg hierher gesehen haben, wurden die Bougainvilleen verwüstet.«
»Und hatten unsere Freunde und Helfer aus Bangkok dazu etwas zu sagen?«
»Sie meinten, wahrscheinlich wollten die Hunde eine Eidechse ausgraben. Es schien ihnen nicht so wichtig zu sein.«
»Ich glaube, das sollte ich mir mal näher ansehen.«
Ich bückte mich nach meinen Sandalen und fand nur noch eine. Die andere war nirgends zu sehen. Die Nonne lachte.
»Das war bestimmt Reisbällchen«, sagte sie.
»Wer war was?«
»Er gehört zu unserer Meute. Er ist der Jüngste und Frechste von allen. Außerdem kleptomanisch veranlagt.«
Sie sammelte ihre Sandalen ein und ging um ihre Hütte herum. Ich hüpfte ihr hinterher. Dort saß ein puddingförmiger Welpe, mit sich und der Welt zufrieden, gefleckt wie eine Kuh, das eine Auge schwarz. Er sah tatsächlich aus wie eine Handvoll klebriger Reis. Er hielt meine Sandale zwischen den Zähnen. Jaulend und nur widerwillig gab er sie wieder her, dann durfte die Nonne ihm das Ohr kraulen.
»Er sieht wohlgenährt aus«, sagte ich.
»Er frisst absolut alles: Baumrinde, Insekten, Erde, Schaumstoff und manches, was man lieber gar nicht wissen möchte. Ich weiß nicht, wie er das alles verdaut. Wir hätten Ihre Sandale keinen Augenblick später finden dürfen.«
Gemeinsam gingen wir zu den verwüsteten Büschen, mit den Hunden im Schlepptau. Das Grün war nur in der Nähe der dunklen Blutflecke auf dem Betonweg verwüstet. Die Erde sah nicht aufgewühlt aus, sodass mir schleierhaft war, wie man die Hunde dafür verantwortlich machen konnte. Irgendwer hatte die Büsche einfach ausgerissen. Die Nonne ragte über mir auf, mit einem großen weißen Schirm in der Hand, der uns vor der Sonne schützte. Ich wollte schon wieder aufstehen, als ich ein billiges, durchsichtiges Plastikfeuerzeug in der Rinne neben dem Weg fand. Es war leer. Wahrscheinlich hatte es nichts zu bedeuten. Müll. Während einer Beerdigung macht jemand eine Zigarettenpause und schlendert den Pfad entlang. Ihm geht das Gas aus, er wirft das Feuerzeug weg. Aber irgendein Countrysänger oder Sherlock Holmes hatte gesagt: »Nichts hat nichts zu bedeuten.« Das war von jeher mein berufliches Mantra gewesen, sodass man meinen sollte, ich wüsste, wer es gesagt hat. Ich fand ein schwarzes Blumensamentütchen im Beet gegenüber und steckte das Feuerzeug hinein.
Wir kehrten zu meinem Fahrrad zurück, die Nonne und ich dicht gedrängt unter dem Sonnenschirm, sie mit ihrem Arm um meine Schulter. Unerwartete Intimität machte sich breit.
»Abt Kem sagte, er sei am Samstag den Pfad hinaufgelaufen, weil die Hunde verrückt spielten«, sagte ich. »Er fürchtete, sie hätten eine Kobra gefunden.«
»Davon gibt es hier so einige.«
Ich sah mich nach unserem Trauerzug um. Reisbällchen hielt eine Kokosnussschale im Maul und schien als Einziger das Kreuz nicht zu bemerken, das er gemeinsam mit den anderen verfluchten Hunden der Apokalypse zu tragen hatte.
»Die Bande macht mir keinen sonderlich aufgeregten Eindruck«, musste ich zugeben.
»Es ist heiß«, antwortete sie. »Niemand hat in dieser Jahreszeit viel Energie.«
»Und was könnte sie dann in Unruhe versetzen?«
Die Nonne lächelte und erinnerte mich einen Moment an Mair. Sie ließ den Schirm sinken, faltete ihn zusammen und gab ihn mir.
»Warten Sie ein paar Sekunden, dann folgen Sie mir«, sagte sie und lief den Pfad hinunter.
Es schien mir ein sonderbarer Wunsch zu sein, doch ich tat, was man mir sagte. Erst einer der Hunde, dann noch einer blickte zu mir auf, zum Schirm in meiner Hand. Dann hinüber zum Rücken der Nonne. Dann wieder zu mir. Und plötzlich stand ich mitten in einer Löwengrube. Zähne und Sabber und wildes Geheul und gemeinschaftlicher Zorn, der mir eine Heidenangst einjagte. Am liebsten hätte ich den Schirm weggeworfen und wäre gerannt, doch die Nonne drehte um, kam zurück und nahm die vermeintliche Waffe wieder an sich. Die Hunde steckten ihren Koller weg wie Cowboys ihre Revolver, und trabten träge weiter.
»Ihr Beschützerinstinkt uns gegenüber ist sehr ausgeprägt«, sagte sie.