KAPITEL 29
»Habe ich das richtig verstanden? Nach allem, was schon passiert ist, hast du ihn auch noch entkommen lassen?«
»Zunächst einmal ... ich habe gar nichts getan«, fauchte Rayfield in den Hörer. »Ich dachte, der Typ hätte gerade einen schweren Herzinfarkt gehabt. Er war an das verdammte Bett gekettet, vor seiner Tür stand ein bewaffneter Wachtposten, und niemand hätte wissen dürfen, daß der Bursche überhaupt dort war. Ich weiß noch immer nicht, wie sein Bruder es herausgefunden hat.«
»Und sein Bruder ist eine Art Kriegsheld, habe ich mir sagen lassen. Hervorragend dafür ausgebildet, sich jedem Zugriff zu entziehen. Das ist einfach toll.«
»Es dient unseren Zwecken.«
»Würdest du mir das vielleicht mal erklären, Frank?«
»Ich habe meinen Leuten befohlen, gezielt zu schießen. Bei der ersten Gelegenheit werden sie beiden eine Kugel in den Kopf jagen.«
»Und wenn er es vorher jemandem erzählt?«
»Was soll er denn erzählen? Daß er einen Brief von der Army bekam, in dem etwas steht, das er nicht widerlegen kann? Aber jetzt haben wir einen toten Assessor vom Obersten Gerichtshof. Das macht unsere Aufgabe viel schwieriger.«
»Tja, wir sollten eigentlich auch noch einen toten Anwalt aus einer Kleinstadt haben, aber ich habe seltsamerweise noch nirgendwo seine Todesanzeige gelesen.«
»Rider ist verreist.«
»Na toll. Dann warten wir einfach, bis er aus dem Urlaub zurückkommt, und hoffen derweil, daß er nicht gerade mit dem FBI spricht.«
»Ich weiß nicht, wo Rider steckt«, sagte Rayfield wütend.
»Die Army hat eine Geheimdienstabteilung, Frank. Warum läßt du die nicht für dich arbeiten? Kümmere dich um Rider. Anschließend konzentrier dich darauf, Harms und seinen Bruder zu finden. Und wenn du sie aufgestöbert hast, bringst du sie unter die Erde. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt.« Die Verbindung wurde unterbrochen.
Rayfield knallte wütend den Hörer auf die Gabel und starrte zu Vic Tremaine hoch.
»Die Sache gerät völlig außer Kontrolle.«
Tremaine zuckte die Achseln. »Wir legen erst Rider um und anschließend diese beiden Arschlöcher. Dann kann uns nichts mehr passieren«, sagte er mit ernster Stimme, die wie geschaffen zu sein schien, Männer in den Kampf zu schicken.
»Das gefällt mir nicht. Wir sind hier nicht im Krieg.«
»Wir sind im Krieg, Frank.«
»Das Töten hat dich nie gestört, oder, Vic?«
»Mich interessiert nur der Erfolg meiner Mission.«
»Willst du etwa behaupten, du hast nichts empfunden, als du Fiske die Waffe an den Kopf gehalten und abgedrückt hast?«
»Auftrag erledigt.« Tremaine legte die Hände auf Rayfields Schreibtisch und beugte sich vor. »Frank, wir haben gemeinsam viel durchgemacht, auf dem Schlachtfeld und auch sonst. Aber ich will dir etwas sagen. Ich habe dreißig Jahre in der Army verbracht, die letzten fünfundzwanzig davon in verschiedenen Militärgefängnissen wie diesem, obwohl ich mir in der freien Wirtschaft einen Job hätte suchen können, der mir viel mehr eingebracht hätte. Wir alle haben einen Pakt geschlossen, der uns davor schützen soll, für eine Dummheit zu bezahlen, die wir vor langer Zeit begangen haben. Ich habe meinen Teil des Handels eingehalten. Ich habe den Babysitter für Rufus gespielt, während alle anderen ihr Leben fröhlich weitergelebt haben.
Und demnächst bekomme ich nicht nur meine Pension von der Army, ich habe auch eine Million Dollar auf einem Konto im Ausland, die auf mich wartet. Und falls du es vergessen hast - du hast denselben kleinen Notgroschen, den Lohn dafür, daß wir jahrelang diese Scheiße mitgemacht haben. Und nach all dem Mist, den ich hinter mir habe, wird mich nichts und niemand davon abhalten, mir von diesem Geld ein schönes Leben zu machen. Rufus Harms konnte mir gar keinen größeren Gefallen tun, als zu fliehen. Denn jetzt habe ich einen hieb- und stichfesten Grund, ihm das Hirn rauszupusten, und niemand wird deshalb Fragen stellen. Und sobald dieser Mistkerl seinen letzten Atemzug getan hat, wird die Uniform, die ich trage, eingemottet. Endgültig.«
Tremaine richtete sich auf. »Und noch was, Frank. Ich werde jeden aus dem Weg räumen, der auch nur ansatzweise versucht, mir meine Pläne zu verbauen.« Als er das nächste Wort sprach, wurden seine Augen zu schwarzen Punkten. »Jeden.«