Kapitel 27
Jared, Talon, Blaed, Yarek, Thera und Lia saßen in
einem Kreis im Innern einer Kutsche.
Beziehungsweise in zwei Halbkreisen, dachte Jared
mit einigem Unbehagen. Blaed und Yarek flankierten Thera, Talon und
er Lia.
Beinahe wünschte er sich, man hätte nicht Yarek
gewählt, um die Überlebenden von Ranonwald und Wolfsbach zu
vertreten. In den letzten Stunden, die ihm noch blieben, wollte er
sich nicht mit seinem Onkel entzweien.
Doch das hing ganz von Yarek ab. Jared hatte seine
Wahl bereits getroffen.
»Ich werde mich ergeben«, sagte Lia leise.
Theras grüne Augen wurden eisig. »Sei keine Närrin!
Meinst du wirklich, diese Bastarde werden den Rest von uns am Leben
lassen?«
»Er hat gesagt …«
»Er ist Hayllier, und der Hauptmann der
Wache von diesem Miststück Dorothea. Was hattest du zu hören
erwartet? ›Macht es uns leicht, denn wir werden euch sowieso alle
umbringen?‹ Sobald sie dich einmal haben, hält sie nichts mehr
davon ab, die Kraft ihrer Juwelen zu entfesseln und den Ort hier in
Schutt und Asche zu legen.«
»Wenn ich mich ergebe, werden sie vielleicht
wenigstens die Kinder verschonen«, beharrte Lia.
Thera schenkte ihr einen vernichtenden Blick. »Hast
du jemals ein kleines Mädchen gesehen, nachdem ein paar Männer
ihren Spaß mit ihr gehabt haben? Insbesondere hayllische Männer?
Oder was sie einem Jungen antun? Ich würde Cathryn lieber die Kehle
aufschlitzen, als sie dem
zu überlassen, was da draußen auf sie wartet. Und Corry und Eryk
ebenfalls. Zumindest wäre das kurz und schmerzlos.«
Lia gab einen besorgten Laut von sich. »Diese
Menschen haben schon genug durchgemacht.«
»Diese Menschen werden sterben«, sagte Thera
barsch.
»Wegen mir.«
Thera stieß eine Reihe obszöner Flüche aus. »Du
redest wirklich dummes Zeug, wenn du nicht genug Schlaf bekommen
hast.«
Graue Augen trafen auf grüne.
Jared konnte spüren, wie Talons Aufmerksamkeit
wuchs, während alle anderen die beiden Frauen beobachteten, die
einander so gut in ihren Stärken ergänzten. Thera und Lia bewegten
sich nicht, schienen kaum zu atmen.
Eine Minute verstrich.
Zwei Minuten.
Schließlich sagte Lia leise: »Das Wagnis der
Königin.«
»Ja«, erwiderte Thera ebenso leise. »Das ist die
einzige Möglichkeit, die uns bleibt.«
Yarek räusperte sich. »Was ist dieses Wagnis der
Königin?«
Lia hielt weiterhin Theras Blick stand. »Etwas, das
mir meine Großmutter beigebracht hat.«
Talon musterte die beiden Frauen aus
zusammengekniffenen Augen.
Da Talon über die meiste Erfahrung im Kampf
verfügte, gab Jared dem Kriegerprinzen die Gelegenheit, etwas zu
sagen. Es überraschte ihn jedoch nicht, als Talon sein
nachdenkliches Schweigen nicht brach.
Yarek räusperte sich ein weiteres Mal. »Natürlich
möchte ich deiner Großmutter gegenüber nicht respektlos erscheinen,
Lady, aber ich bezweifle doch sehr, dass uns irgendetwas gegen
einen Angriff so vieler Krieger beistehen kann.«
»Das hier schon. Wenn jeder genau das tut, was er
tun soll, dann schon.«
»Bleibt uns genug Zeit, alles vorzubereiten?«,
fragte Talon ehrerbietig.
»Ja«, antwortete Lia, während Thera langsam
nickte.
Talon erhob sich. »Dann gebe ich meinen Männern
Bescheid.«
»Nein.« Theras Stimme nahm eine gespenstische Note
an, die Jared erzittern ließ. »Geh mit Blaed und Jared und gebt den
anderen Bescheid, die mit uns von Raej gekommen sind.« Ihr Mund
verzog sich zu einem boshaften Lächeln. »Sagt es ihnen
allen. Yarek, du unterrichtest deine Leute. Sie werden etwas
Zeit benötigen, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass es wieder
einen Kampf geben wird. Aber geh leise und behutsam vor.«
Es kostete Yarek einige Anstrengung, sich vom Boden
zu erheben. »Egal, ob sie genug Zeit haben oder nicht. Sie werden
sich an den Gedanken gewöhnen müssen. Was bleibt ihnen schon
anderes übrig?«
Thera blickte zu ihm auf. »Nichts.«
Jared lehnte sich zu Lia hinüber, wobei er sich
nicht sicher war, ob er sie mit dieser Geste beruhigen wollte oder
sich selbst Trost erhoffte.
Sie wich vor ihm zurück und vermied selbst diesen
leichten Körperkontakt.
Es machte nichts, sagte Jared sich, als er zusammen
mit den anderen Männern die Kutsche verließ. Er machte ihr keinen
Vorwurf daraus, dass sie ihm nicht nahe sein wollte. Und er würde
ihr gewiss keinen Vorwurf daraus machen, dass sie für ihn nicht
einmal halb so viel empfand wie er für sie. Es hätte sowieso nichts
daraus werden können.
Aber, Mutter der Nacht, wie sehr er sich wünschte,
sie würde sich noch ein einziges Mal von ihm umarmen lassen!