Kapitel 18
Krelis starrte auf die männlichen
Geschlechtsorgane hinab, die sorgfältig auf einem dicken,
blutgetränkten Stoffpolster ausgebreitet lagen. Alle wiesen Wunden
auf, was darauf schließen ließ, dass die Qualen angefangen hatten,
lange bevor der Barbier sein Messer gezückt hatte.
Sein Blick wurde verschwommen. Er musste hart
schlucken, um sich nicht zu übergeben.
Dorothea glitt hinter ihm entlang und strich ihm
mit der Spitze einer großen weißen Feder über das Genick. Sie
säuselte: »Erkennst du einen?«
Krelis kniff die Augen zu. Süße Dunkelheit, er
hoffte, dass diese Dinger Landen oder Sklaven gehört hatten!
Irgendjemand Entbehrlichem. Jemand, über den man sich keinerlei
Gedanken machen musste, und keinerlei Gefühle für ihn hegen.
»Ich möchte, dass du fünf Wächter aussuchst,
Männer, die du schätzt«, sagte Dorothea. »Soviel ich weiß, ist ein
Cousin von dir kürzlich einer meiner Wächter geworden.«
Krelis entfernte sich ein paar Schritte von dem
Tisch. »Ja, Priesterin. Ein entfernter Cousin
mütterlicherseits.«
»Er wird einer der fünf sein.«
»Für einen besonderen Auftrag?«, erkundigte sich
Krelis. Sein Cousin gehörte lediglich dem Sechsten Kreis an. Wenn
er so schnell schon Aufmerksamkeit geschenkt bekam, würde das
seiner Familie gefallen.
»Gewissermaßen. Du wirst außerdem den jungen
Wächter auswählen, um dessen Ausbildung du dich persönlich
kümmerst.«
»Wie du wünschst, Priesterin.« Krelis verengte die
Augen
zu Schlitzen und versuchte sich zu entsinnen, wer aus dem Ersten
Kreis auf der Stelle verfügbar war, sodass er ein Gegengewicht zu
den beiden weniger erfahrenen Männern stellen könnte. »Was wird von
ihnen verlangt werden?«
»Sehr wenig.« Dorothea fuhr sich mit der weißen
Feder über das Kinn und lächelte boshaft. »Du hast mich ein wenig
enttäuscht, Lord Krelis. Schwierigkeiten mit der Grauen Lady sind
eine Sache, aber dass dir diese kleine Schlampe entkommen konnte …«
Sie schüttelte den Kopf. »Das bereitet mir Sorgen. Ich frage mich
ernstlich, ob du mir treu genug ergeben bist. Und ich frage mich,
ob ich bei der Wahl des Hauptmannes meiner Wache einen Fehler
begangen habe.«
Krelis wurde schwindelig. »Priesterin …«
»Also habe ich mich entschlossen, dir einen
größeren Erfolgsanreiz zu verschaffen.«
Als sie auf ihn zukam, wunderte Krelis sich, dass
er diese beutegierige Harpyie jemals mit etwas Verlockendem,
Einladendem hatte verwechseln können.
»Kannst du dich noch an deinen Vorgänger erinnern,
Lord Krelis?«, schnurrte Dorothea. »Du wirst mir diese fünf Männer
bringen. Und jeden Tag, an dem dieses kleine Luder immer noch auf
freiem Fuß ist, wird einer der Männer für dein Versagen büßen.« Ihr
Blick glitt zu dem blutgetränkten Tuch. »Da du es bist, der sie
hierzu auserwählt, werden zumindest die letzten vier begreifen, wer
für ihr Leiden verantwortlich ist. Du darfst aussuchen, ob dein
Cousin oder dein Protegé als Letztes an die Reihe kommen soll. Ich
hoffe, dass du das Luder vorher findest, Krelis. Das hoffe ich
wirklich.« Sie fuhr mit der Feder durch die Luft und kitzelte ihn
an den Lippen. »Ich erwarte die Männer binnen einer Stunde hier.
Verstanden?«
Am liebsten hätte Krelis sich über die trockenen
Lippen geleckt, doch er hatte Angst, seine Zunge könnte die Feder
berühren. Da nicht die geringste Aussicht bestand, dass er das
kleine Luder von einer Königin am folgenden Tag würde ausliefern
können, wusste er, welchen Verwendungszweck
diese Feder demnächst erfüllen würde. »Ich habe verstanden,
Priesterin«, krächzte er. »Ich habe verstanden.«
Wie hatte die Sache nur so schief gehen können?,
fragte Krelis sich zwei Stunden später, als er sich in seinem
Sessel zurücklehnte, eine halb volle Brandyflasche an die Brust
gedrückt. Er war so vorausschauend gewesen, so sorgfältig
vorgegangen.
Wie hatte die Sache nur so schief gehen
können?
Dank der Belohnung, die er geboten hatte, machte
jede Räuberbande in diesem Teil des Reiches Jagd auf sie, und
dennoch hatten sie nichts außer kalter Spuren und den Knöpfen
gefunden, die sein Schoßhund zurückgelassen hatte.
Und in letzter Zeit hatte sein Schoßhund keine
weiteren Knöpfe mehr hinterlassen.
Es war seine eigene Schuld, dass er geglaubt hatte,
den Ring des Gehorsams angelegt zu bekommen, habe dem Bastard nicht
etwas Lebenswichtiges geraubt. Die Angst vor den Schmerzen
veränderte die meisten von ihnen. Sie hatten nie wieder das
arrogante, selbstsichere Gefühl, dass Ehre und Protokoll sie
beschützen würden. Kriegerprinzen wurden mit der Zeit wild. Krieger
verkümmerten innerlich.
Aber dieser Schoßhund war noch nicht allzu lange
Sklave gewesen, gerade einmal lange genug, um so verzweifelt und
verbittert über den Verrat zu sein, dem er die Sklaverei zu
verdanken hatte, dass das Angebot, ohne Ring dienen zu dürfen, süß
genug geklungen hatte, um dafür jegliches Ehrgefühl zu schänden und
den eigenen Verrat zu rechtfertigen. Er war intelligent genug
gewesen um einzusehen, dass seine Lebensqualität von Haylls Launen
abhing, und dass ein derart großer Gefallen ihm beinahe garantieren
würde, dass er die Schmerzen der Peitschenhiebe oder die Qualen des
Ringes nie wieder würde spüren müssen.
Beinahe.
Krelis lachte bitter auf. Der Bastard hatte
geglaubt, dass er durch den Mord an der einzigen Königin, der es
die letzten
Jahrzehnte über gelungen war, sich Dorothea zu widersetzen, das
Versprechen von Sicherheit erlangen würde.
Doch ein solches Versprechen gab es nicht. Ebenso
wenig gab es Sicherheit. Das hatte Krelis endlich begriffen,
während er mit angesehen hatte, wie sich fünf Augenpaare mit Angst
gefüllt hatten, als er die Männer in dem kahlen Raum
zurückließ.
Er war schon immer ehrgeizig gewesen. Dabei hatte
er immer geglaubt, das sei so, weil er die Art Macht wollte, an die
man nur gelangte, indem man im Ersten Kreis eines starken Hofes
diente. Jetzt war ihm klar, dass er vom Ehrgeiz beherrscht worden
war, weil er sicher hatte sein wollen. Und er war sicher.
Sicher vor den niederen Königinnen, die nicht glauben wollten, dass
man einem starken Mann ohne Ring überhaupt vertrauen konnte. Sicher
vor den engstirnigen Misshandlungen, die ein Mann von jeder Hexe
mit dunklerem Juwel zugefügt bekam. Sicher vor den Quälereien, die
dazu da waren, das Ego irgendeines verdorbenen Miststücks zu
besänftigen.
Sicher vor allem außer Dorothea.
Also war er überhaupt nicht sicher.
Doch sie war alles, was er jetzt hatte. Auch das
war ihm klar geworden, als ihm aufgefallen war, wie sorgsam
unbeteiligt die Wächter vor dem kahlen Raum dreingeblickt hatten,
um ihn ihre wahren Gefühle nicht ahnen zu lassen. Er hatte das
stillschweigende Abkommen gebrochen, dass der Hauptmann seine
Männer vor den Launen der Hexen bei Hofe schützen würde. Sie würden
ihm weiterhin gehorchen, um nicht bestraft zu werden, doch
respektieren würden sie ihn niemals wieder.
Mit einem einzigen Befehl hatte Dorothea ihn von
allen außerhalb des Ersten Kreises abgesondert – und selbst von den
Mitgliedern des Ersten Kreises würde er isoliert sein, wenn er sich
nicht als erfolgreich genug erwies, um sein bisheriges Versagen
wettmachen zu können. Wenn sein Cousin Opfer jener grausigen
Verstümmelung werden sollte, würde seine Familie zwar Krelis’
Gegenwart tolerieren, wenn er sie
besuchte, doch man würde ihn niemals willkommen hei ßen. Sein
Traum von einer hübschen, friedfertigen Ehefrau, die er als
Zuchtstute benutzen konnte, wäre zusammen mit seinen ungeborenen
Kindern ausgeträumt. Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als
weiterhin die Huren zu besteigen, die sich in den Häusern des Roten
Mondes verdingten.
Krelis hob die Brandyflasche an die Lippen und
schluckte, bis er wieder Atem schöpfen musste.
Er würde dieses kleine Luder finden, bevor sein
Cousin Dorotheas Messer zu spüren bekam.
Und sein Schoßhund würde den Preis des Versagens
kennen lernen.