Kapitel 18
022
Krelis starrte auf die männlichen Geschlechtsorgane hinab, die sorgfältig auf einem dicken, blutgetränkten Stoffpolster ausgebreitet lagen. Alle wiesen Wunden auf, was darauf schließen ließ, dass die Qualen angefangen hatten, lange bevor der Barbier sein Messer gezückt hatte.
Sein Blick wurde verschwommen. Er musste hart schlucken, um sich nicht zu übergeben.
Dorothea glitt hinter ihm entlang und strich ihm mit der Spitze einer großen weißen Feder über das Genick. Sie säuselte: »Erkennst du einen?«
Krelis kniff die Augen zu. Süße Dunkelheit, er hoffte, dass diese Dinger Landen oder Sklaven gehört hatten! Irgendjemand Entbehrlichem. Jemand, über den man sich keinerlei Gedanken machen musste, und keinerlei Gefühle für ihn hegen.
»Ich möchte, dass du fünf Wächter aussuchst, Männer, die du schätzt«, sagte Dorothea. »Soviel ich weiß, ist ein Cousin von dir kürzlich einer meiner Wächter geworden.«
Krelis entfernte sich ein paar Schritte von dem Tisch. »Ja, Priesterin. Ein entfernter Cousin mütterlicherseits.«
»Er wird einer der fünf sein.«
»Für einen besonderen Auftrag?«, erkundigte sich Krelis. Sein Cousin gehörte lediglich dem Sechsten Kreis an. Wenn er so schnell schon Aufmerksamkeit geschenkt bekam, würde das seiner Familie gefallen.
»Gewissermaßen. Du wirst außerdem den jungen Wächter auswählen, um dessen Ausbildung du dich persönlich kümmerst.«
»Wie du wünschst, Priesterin.« Krelis verengte die Augen zu Schlitzen und versuchte sich zu entsinnen, wer aus dem Ersten Kreis auf der Stelle verfügbar war, sodass er ein Gegengewicht zu den beiden weniger erfahrenen Männern stellen könnte. »Was wird von ihnen verlangt werden?«
»Sehr wenig.« Dorothea fuhr sich mit der weißen Feder über das Kinn und lächelte boshaft. »Du hast mich ein wenig enttäuscht, Lord Krelis. Schwierigkeiten mit der Grauen Lady sind eine Sache, aber dass dir diese kleine Schlampe entkommen konnte …« Sie schüttelte den Kopf. »Das bereitet mir Sorgen. Ich frage mich ernstlich, ob du mir treu genug ergeben bist. Und ich frage mich, ob ich bei der Wahl des Hauptmannes meiner Wache einen Fehler begangen habe.«
Krelis wurde schwindelig. »Priesterin …«
»Also habe ich mich entschlossen, dir einen größeren Erfolgsanreiz zu verschaffen.«
Als sie auf ihn zukam, wunderte Krelis sich, dass er diese beutegierige Harpyie jemals mit etwas Verlockendem, Einladendem hatte verwechseln können.
»Kannst du dich noch an deinen Vorgänger erinnern, Lord Krelis?«, schnurrte Dorothea. »Du wirst mir diese fünf Männer bringen. Und jeden Tag, an dem dieses kleine Luder immer noch auf freiem Fuß ist, wird einer der Männer für dein Versagen büßen.« Ihr Blick glitt zu dem blutgetränkten Tuch. »Da du es bist, der sie hierzu auserwählt, werden zumindest die letzten vier begreifen, wer für ihr Leiden verantwortlich ist. Du darfst aussuchen, ob dein Cousin oder dein Protegé als Letztes an die Reihe kommen soll. Ich hoffe, dass du das Luder vorher findest, Krelis. Das hoffe ich wirklich.« Sie fuhr mit der Feder durch die Luft und kitzelte ihn an den Lippen. »Ich erwarte die Männer binnen einer Stunde hier. Verstanden?«
Am liebsten hätte Krelis sich über die trockenen Lippen geleckt, doch er hatte Angst, seine Zunge könnte die Feder berühren. Da nicht die geringste Aussicht bestand, dass er das kleine Luder von einer Königin am folgenden Tag würde ausliefern können, wusste er, welchen Verwendungszweck diese Feder demnächst erfüllen würde. »Ich habe verstanden, Priesterin«, krächzte er. »Ich habe verstanden.«
 
Wie hatte die Sache nur so schief gehen können?, fragte Krelis sich zwei Stunden später, als er sich in seinem Sessel zurücklehnte, eine halb volle Brandyflasche an die Brust gedrückt. Er war so vorausschauend gewesen, so sorgfältig vorgegangen.
Wie hatte die Sache nur so schief gehen können?
Dank der Belohnung, die er geboten hatte, machte jede Räuberbande in diesem Teil des Reiches Jagd auf sie, und dennoch hatten sie nichts außer kalter Spuren und den Knöpfen gefunden, die sein Schoßhund zurückgelassen hatte.
Und in letzter Zeit hatte sein Schoßhund keine weiteren Knöpfe mehr hinterlassen.
Es war seine eigene Schuld, dass er geglaubt hatte, den Ring des Gehorsams angelegt zu bekommen, habe dem Bastard nicht etwas Lebenswichtiges geraubt. Die Angst vor den Schmerzen veränderte die meisten von ihnen. Sie hatten nie wieder das arrogante, selbstsichere Gefühl, dass Ehre und Protokoll sie beschützen würden. Kriegerprinzen wurden mit der Zeit wild. Krieger verkümmerten innerlich.
Aber dieser Schoßhund war noch nicht allzu lange Sklave gewesen, gerade einmal lange genug, um so verzweifelt und verbittert über den Verrat zu sein, dem er die Sklaverei zu verdanken hatte, dass das Angebot, ohne Ring dienen zu dürfen, süß genug geklungen hatte, um dafür jegliches Ehrgefühl zu schänden und den eigenen Verrat zu rechtfertigen. Er war intelligent genug gewesen um einzusehen, dass seine Lebensqualität von Haylls Launen abhing, und dass ein derart großer Gefallen ihm beinahe garantieren würde, dass er die Schmerzen der Peitschenhiebe oder die Qualen des Ringes nie wieder würde spüren müssen.
Beinahe.
Krelis lachte bitter auf. Der Bastard hatte geglaubt, dass er durch den Mord an der einzigen Königin, der es die letzten Jahrzehnte über gelungen war, sich Dorothea zu widersetzen, das Versprechen von Sicherheit erlangen würde.
Doch ein solches Versprechen gab es nicht. Ebenso wenig gab es Sicherheit. Das hatte Krelis endlich begriffen, während er mit angesehen hatte, wie sich fünf Augenpaare mit Angst gefüllt hatten, als er die Männer in dem kahlen Raum zurückließ.
Er war schon immer ehrgeizig gewesen. Dabei hatte er immer geglaubt, das sei so, weil er die Art Macht wollte, an die man nur gelangte, indem man im Ersten Kreis eines starken Hofes diente. Jetzt war ihm klar, dass er vom Ehrgeiz beherrscht worden war, weil er sicher hatte sein wollen. Und er war sicher. Sicher vor den niederen Königinnen, die nicht glauben wollten, dass man einem starken Mann ohne Ring überhaupt vertrauen konnte. Sicher vor den engstirnigen Misshandlungen, die ein Mann von jeder Hexe mit dunklerem Juwel zugefügt bekam. Sicher vor den Quälereien, die dazu da waren, das Ego irgendeines verdorbenen Miststücks zu besänftigen.
Sicher vor allem außer Dorothea.
Also war er überhaupt nicht sicher.
Doch sie war alles, was er jetzt hatte. Auch das war ihm klar geworden, als ihm aufgefallen war, wie sorgsam unbeteiligt die Wächter vor dem kahlen Raum dreingeblickt hatten, um ihn ihre wahren Gefühle nicht ahnen zu lassen. Er hatte das stillschweigende Abkommen gebrochen, dass der Hauptmann seine Männer vor den Launen der Hexen bei Hofe schützen würde. Sie würden ihm weiterhin gehorchen, um nicht bestraft zu werden, doch respektieren würden sie ihn niemals wieder.
Mit einem einzigen Befehl hatte Dorothea ihn von allen außerhalb des Ersten Kreises abgesondert – und selbst von den Mitgliedern des Ersten Kreises würde er isoliert sein, wenn er sich nicht als erfolgreich genug erwies, um sein bisheriges Versagen wettmachen zu können. Wenn sein Cousin Opfer jener grausigen Verstümmelung werden sollte, würde seine Familie zwar Krelis’ Gegenwart tolerieren, wenn er sie besuchte, doch man würde ihn niemals willkommen hei ßen. Sein Traum von einer hübschen, friedfertigen Ehefrau, die er als Zuchtstute benutzen konnte, wäre zusammen mit seinen ungeborenen Kindern ausgeträumt. Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als weiterhin die Huren zu besteigen, die sich in den Häusern des Roten Mondes verdingten.
Krelis hob die Brandyflasche an die Lippen und schluckte, bis er wieder Atem schöpfen musste.
Er würde dieses kleine Luder finden, bevor sein Cousin Dorotheas Messer zu spüren bekam.
Und sein Schoßhund würde den Preis des Versagens kennen lernen.
Die schwarzen Juwelen 05 - Finsternis
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