Kapitel fünfzehn
Nach dem Transit
Am 11. Juni 1769, acht Tage nach seiner gelungenen Beobachtung des Transits, erkrankte Chappe d’Auteroche an Typhus. Während die Missionsstation sich in einen »Ort des Grauens« verwandelte, setzte Chappe seine Arbeit wie ein Besessener fort. Nachts beobachtete er die Sterne und Planeten, und tagsüber pflegte er sein Team. Alle waren erkrankt – die spanischen Beobachter und ihre Diener hatten es noch geschafft, die Venus zu beobachten, waren aber dann zusammengebrochen, genauso wie Chappes Ingenieur, Uhrmacher und Zeichner. Fast jeder in der Missionsstation »lag entweder im Sterben oder eilte dem Tod entgegen«. Als Chappe selbst mit hohem Fieber erwachte, gab es keinen gesunden Menschen mehr, der ihm hätte helfen können. Zitternd öffnete er seinen Koffer und versuchte, sich selbst mit Abführmitteln zu behandeln. Er könne noch nicht sterben, entschied er, weil er in sieben Tagen, am 18. Juni, eine Mondfinsternis beobachten müsse, um die Länge von San José zu bestimmen – ohne die seine eindrucksvollen Transit-Beobachtungen vollkommen nutzlos gewesen wären. Ref 231
Im Fieberdelirium und von heftigen Kopfschmerzen gequält, starrte Chappe durch sein Teleskop, um die Messungen vorzunehmen. Sich an sein Leben klammernd, zwang er sich Nacht für Nacht, an seine Instrumente zu gehen, um die Sterne und die Verfinsterungen der Satelliten zu beobachten. Schließlich schloss er seine Notizen ab und legte, als er wusste, dass der Tod unvermeidlich war, seine Transit-Aufzeichnungen in eine kleine Kiste. Er war entschlossen, der wissenschaftlichen Welt auch noch nach seinem Tod die unschätzbaren Messungen zukommen zu lassen.
Zu diesem Zeitpunkt waren Dorf und Mission zur »reinen Wüste« geworden – ein Geisterort, leer gefegt von Krankheit und Tod. Die Hitze war unerträglich geworden, und die überlebenden Einwohner wurden unaufhörlich von Insekten angefallen. Von den wenigen, die sich erholten, wurden die meisten von einem zweiten, tödlichen Anfall ereilt.72 Nur zwei Mitglieder des französischen Expeditionsteams überwanden die Krankheit, der Ingenieur und der Zeichner. Chappe, der das Leben immer durch eine rosarote Brille der Übertreibung und Aufregung betrachtet hatte, was seltsam ruhig – er war zufrieden und glücklich mit dem Erreichten. Als der Tod nahte, verhielt er sich wie ein »wahrer Philosoph«, sagte der Ingenieur. Am 1. August, nach Abschluss aller notwendigen astronomischen Beobachtungen, starb Chappe einen friedlichen Tod. Ref 232
Er war einer der wenigen Astronomen, die die Wanderung der Venus zweimal gesehen hatten, und der Einzige, dem die Beobachtung beider Transite von Anfang bis Ende gelungen war. Er hatte mehr als jeder andere Beobachter erreicht, aber seine Aufgabe war noch nicht ganz erfüllt: Ihre Vollendung lag jetzt in den geschwächten Händen seines verbleibenden Teams – es musste dafür sorgen, dass die wissenschaftliche Welt diese einzigartigen Beobachtungen erhielt. Der Ingenieur und der Zeichner, erschöpft und selbst kaum noch am Leben, nahmen das einzige Exemplar von Chappes Aufzeichnungen an sich. Als sie den Astronomen in dem harten Boden von San José beerdigten, wussten sie, dass es nun ihnen oblag, die kostbaren Daten der Académie auszuhändigen und dafür zu sorgen, dass Chappe nicht umsonst gestorben war.
In Pondichéry versuchte Le Gentil sich mit seinem katastrophalen Fehlschlag abzufinden. Er fühlte sich verraten und niedergeschlagen. Während zweier langer Wochen nach dem Transit vermochte er nichts zu tun. Als er nach der Feder griff, um an die Académie in Paris zu schreiben und ihr von seinem Unglück zu berichten, fiel ihm das Schreibgerät aus der Hand. Es trug nicht gerade zur Verbesserung seiner Stimmung bei, als er hörte, der Himmel, der in Pondichéry gegen ihn so »grausam« gewesen war, habe sich in Manila, wo er den Transit ursprünglich beobachten wollte, wolkenlos präsentiert. Wieder hatte er das Gefühl, dass ein Fluch auf ihm liege. Kein anderer Astronom hatte so viele Jahre mit der Jagd auf die Venus zugebracht. Und jetzt würde er mit leeren Händen nach Paris zurückkehren.
Während Le Gentil seine traurige Heimreise plante, begannen die Mitglieder der gelehrten Gesellschaften Europas, die Daten des zweiten Transits zu sammeln. Abermals machten sich Forscher in Paris, London, Stockholm und Sankt Petersburg eifrig an die gewaltige Aufgabe, die Ergebnisse zusammenzufassen. Die Astronomen beeilten sich, ihre Resultate aufzuschreiben, sodass Ende 1769 riesige Datenmengen zwischen den wissenschaftlichen Gesellschaften ausgetauscht wurden. Dieses Mal erwiesen sich die Russen – ermutigt durch Katharinas großes Interesse am Transit – als besonders tüchtig. Nur drei Monate nach dem Transit wurden 51 gedruckte Berichte von der Kaiserlichen Akademie an Kollegen und Gesellschaften in ganz Europa geschickt. Ref 233
Doch keine der russischen Beobachtungen war vollkommen befriedigend. In Sankt Petersburg notierte der deutsche Astronom Christian Mayer, der erst zwei Wochen vor dem Transit eingetroffen war, dass die von ihm ermittelten Eintrittszeiten ungewiss seien, weil die Venus verzerrt erschienen sei. Der deutsche Astronom in Orenburg berichtete von einem ähnlichen Phänomen: Er nannte den Rand des Planeten »wellenförmig«. Einer der Schweizer Astronomen auf der Halbinsel Kola konnte zwar die Eintrittszeit festhalten, aber die Wolken hinderten ihn daran, den Austritt der Venus zu sehen, während der andere Schweizer (der ein wenig weiter westlich beobachtete) nur einen Vorhang aus Dauerregen sah. Rumowskijs Assistent, der in letzter Minute den Befehl erhalten hatte, den Transit auf Kildin zu beobachten, war gestorben. Als einzigem von Katharinas Astronomen war es Rumowskij selbst auf Kola gelungen, die Eintritts- und die Austrittszeit festzuhalten – aber er hatte gewisse Zweifel, weil seine Sicht häufig von Wolken beeinträchtigt wurde.
Als mehr und mehr Berichte aus ganz Europa in Sankt Petersburg eintrafen, wurde ersichtlich, dass das Wetter schlechter als beim ersten Transit gewesen war. Ein Astronom in Göttingen war durch Wolken behindert worden, während die Beobachter in vier dänischen Städten wegen des schlechten Wetters absolut »nichts« gesehen hatten. Die Beobachtungen in Uppsala und Stockholm waren auch enttäuschend gewesen. Wie Wargentin seinen ausländischen Kollegen berichtete, hatte der Transit-Tag als »einer der schönsten« des Sommers begonnen, doch gegen Abend, als sie sich gerade für die Venus bereit machten, hatten sich Wolken vor die Sonne geschoben. Einige von ihnen hatten die Eintrittszeiten notiert, doch da die Abendsonne teilweise verdeckt war und niedrig am Horizont stand, differierten die Ergebnisse um etliche Sekunden. Die Schweden waren die ganze Nacht aufgeblieben in der Hoffnung, in den frühen Morgenstunden einen weiteren Blick auf die Venus zu bekommen, doch der Himmel blieb hartnäckig bei der Bewölkung. Ref 234
Auch die Franzosen waren enttäuscht. Die Beobachtung auf Ludwigs XV. Château de la Muette bei Paris wurde von einem plötzlichen Schauer unterbrochen – was die große Menge der Schaulustigen dazu veranlasste, sich unter viel »Lärm und Durcheinander« in den Beobachtungspavillon zu drängen. In Paris verpasste Lalande den Zeitpunkt des ersten Kontakts, weil »ich mich genau dort befand, wo die Wolken 25 Sekunden zu früh aufzogen«.
Auch in England hatten die Astronomen ihre Mühe. Nevil Maskelyne prüfte die britischen Beobachtungen und fand die Ergebnisse schlechter als erhofft. Die sieben Astronomen, die die Eintrittszeit am Royal Observatory in Greenwich gemessen hatten, lagen spektakuläre 53 Sekunden auseinander – ein schlechtes Ergebnis im Allgemeinen und für Maskelyne im Besonderen, der in dem Ruf stand »einen Grad an Genauigkeit zu erzielen, der selten erreicht & nie übertroffen wird«. Die Unterschiede waren »größer, als ich erwartete«, bemerkte er trocken. In London hatten einige Beobachter Probleme wegen der Rauchschwaden, die aus Tausenden von Schornsteinen der Metropole aufstiegen – etwas, was die Astronomen in Glasgow zu verhindern suchten, indem sie in einer Anzeige in der Lokalzeitung »die Einwohner baten … ihre Öfen und Kamine zu löschen«. Ref 235
Abgesehen vom schlechten Wetter zeigte sich auch rasch, dass die meisten Astronomen mit den gleichen Phänomenen zu kämpfen hatten wie während des ersten Transits. Die Beobachtungen waren gespickt mit Bemerkungen wie: Der Rand des Planeten »wallte« oder bewegte sich »wie die Wellen einer stürmischen See«. Die Venus wurde höchst unterschiedlich beschrieben: So sah sie aus »wie ein Apfel, der an seinem Stiele« mit dem Rand der Sonne verbunden sei, »wie der Hals eines Rundkolbens« oder wie ein »spitzer Trüffel«. Andere hatten bemerkt, dass der Planet mit dem Rand der Sonne im Augenblick des Ein- und Austritts mittels eines »schmalen Schattens« oder durch ein »dunkles Band« verbunden war. »Die kreisförmige Gestalt der Venus war verzerrt«, berichtete Maskelyne aus Greenwich, während andere beschrieben, wie »unförmig« oder »verschwommen« der Planet gewesen sei. Manche hatten wieder den leuchtenden Ring gesehen, und fast alle Europäer beklagten sich über »flatternde Dünste«. Obwohl die besten Instrumente benutzt wurden, fühlten sich die Beobachter in Stockholm, Uppsala, Paris, Greenwich, Sankt Petersburg, Orenburg und anderswo in Europa und Russland wieder von den Launen der Venus behindert: vom sogenannten Tropfenphänomen, von Dünsten und Wellenbewegungen. Ref 236
Die Ergebnisse aus Pello waren nicht besser, wie Wargentin feststellte, als er im Juli Fredrik Mallets Bericht erhielt. Der arme Mallet, der das Unglück fast so häufig anzog wie Le Gentil, hatte nicht das Geringste gesehen. Obwohl der Himmel zuvor tagelang klar gewesen war, zogen wenige Stunden vor dem Transit Wolken auf. Dadurch hatte Mallet die beiden entscheidenden Augenblicke verpasst: als sich die Venus am Abend auf die Sonne schob und als sie sie in den frühen Morgenstunden verließ. Der melancholische Astronom konnte es nicht fassen, dass er völlig vergeblich durch Eis und Schnee gereist war. Jedes Mal, wenn er an die »elende Nacht« denke, werde er noch deprimierter, schrieb Mallet. Und an einen Freund: Er sei mit Venus »entzweit«.
Nur dem gewissenhaften Anders Planman war es in Kajaani gelungen, den Transit zu beobachten, obwohl sich der Himmel in den Stunden vor dem Ereignis hinter einer dichten Wolkendecke verbarg. Der Astronom war verzweifelt gewesen. »Noch nie«, schrieb er an Wargentin, »waren meine Ängste und Sorgen so groß.« Planman hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, als er mit »Tränen« in den Augen sah, wie sich der Himmel plötzlich öffnete, gerade lange genug, um zu zeigen, wie sich die Venus auf die Sonne schob. Mit perfektem Timing – nur Minuten nachdem Planman die äußere und innere Austrittszeit festgehalten hatte – schlossen sich die Wolken wieder. Kurz darauf hörte er ein Gewitter nahen und nahm an, er werde die Venus nie wiedersehen. Er hatte sein Observatorium schon verlassen, kehrte aber glücklicherweise um 2 Uhr nachts zurück, denn wie von einer göttlichen Hand bewegt, öffnete sich der dichte Wolkenvorhang wieder, und die Sonne schaute heraus – genau in dem Augenblick, als die Venus die Sonnenscheibe verließ. Bis dahin war Planmans Beobachtung die einzig erfolgreiche von den nördlichen Beobachtungsstationen. Ref 237
Obwohl niemand große Offenbarungen von den Beobachtungen in Mitteleuropa erwartet hatte, wo der größte Teil des Transits in die Stunden der Dunkelheit fiel, waren die ersten Berichte enttäuschend. Jetzt konnten die Forscher nur auf die Ergebnisse aus Indien, Kalifornien, der Südsee und auf die restlichen Berichte vom nördlichen Polarkreis hoffen. Da fast jeder Astronom in Europa Mühe gehabt hatte, genaue Daten aufzuzeichnen, erwartete man auch von den Berichten der Fernexpeditionen nicht viel. Es war sehr wahrscheinlich, dass die Astronomen von der anderen Seite der Erdkugel auf die gleichen, wenn nicht noch schlimmere Probleme gestoßen waren.
Trotz der Ungenauigkeit der ersten Ergebnisse waren die rasche Kehrtwende und die reibungslose Kommunikation zwischen den gelehrten Gesellschaften wahrhaft beeindruckend. Die Académie in Paris erfuhr von den Beobachtungen in Stockholm und London schon Ende Juni, während Planmans Beobachtungen aus Kajaani Anfang August in Frankreich eintrafen. Wargentins Brief über die Beobachtungen in Uppsala und Stockholm wurde in der Petersburger Akademie keine sechs Wochen nach dem Transit verlesen. Berücksichtigt man die Ozeanüberquerungen und die zeitaufwendigen Überlandreisen, war es äußerst bemerkenswert, dass Maskelyne den Kolonisten schon am 2. August, nur zwei Monate nach dem Transit, für ihre Beobachtungen danken konnte und dass Planman die Erfahrungsberichte seiner russischen Kollegen im September las. Im Oktober druckte eine deutsche Zeitung die russischen Beobachtungen, und im November erschienen die ersten Ergebnisse aus Nordamerika im offiziellen Organ der Royal Society. Ende des Jahres wurden die Fellows der Royal Society von Lalande unterrichtet, dass es einem französischen Missionar auf Martinique und Pingré auf Haiti gelungen war, den Beginn des Transits zu beobachten. 73 Ref 238
Im November 1769 trafen noch mehr Berichte aus dem Norden ein. Jeremiah Dixon in Hammerfest und William Bayley am Nordkap hatten beide Probleme mit Dunst und Wolken gehabt. William Wales, der Hudson Bay nach dem Transit so rasch wie möglich verlassen hatte, war erfolgreicher gewesen. Die vielen Monate Frost hätten sich gelohnt, so konnte er den Fellows der Royal Society mitteilen, denn er habe die Eintritts- und Austrittszeiten aufzeichnen können. Gespannt auf die Ergebnisse aus Vardø, dem wichtigsten nördlichen Beobachtungsort, erbat Lalande Informationen von Maximilian Hell, noch bevor der Jesuit nach Hause zurückgekehrt war, erhielt aber keine Antwort. Verärgert über Hells scheinbare Weigerung, glaubte Lalande, dem Astronom sei es nicht gelungen, den Transit zu beobachten – ein Gerücht, das die Runde machte und zusätzliche Nahrung durch die zunehmend antijesuitische Stimmung in Europa erhielt. Der wirkliche Grund für Hells Schweigen war die Verpflichtung, die er gegenüber dem König von Dänemark eingegangen war, der die Expedition finanziert hatte. Christian VII. bestand darauf, dass Hell seine Resultate zuerst der Königlich-Dänischen Akademie der Wissenschaften in Kopenhagen vortrug – was am 24. November 1769 geschah. Erst dann durften die Daten der Beobachtung auf Vardø veröffentlicht und in Umlauf gebracht werden, in einer Druckauflage von 120 Exemplaren.74 Ref 239
Die Wissenschaftler der gelehrten Gesellschaften mussten ein ganzes Jahr warten, um die nächsten Resultate zu erhalten. Im Dezember 1770 traf Chappes Ingenieur endlich mit den Aufzeichnungen von den erfolgreichen kalifornischen Beobachtungen und der Nachricht von dem Tod des Astronomen in Paris ein. Jetzt fehlten nur noch die Zeiten aus Pondichéry und aus der Südsee; doch – was die europäischen Wissenschaftler nicht wussten – Le Gentil hatte gar nichts beobachten können, und die Mannschaft der Endeavour kämpfte in Jakarta mit dem Tod.75
Cook hatte Tahiti einige Wochen nach dem Transit verlassen, um mit dem zweiten Teil seines Auftrags zu beginnen. Sie hatten Neuseeland umsegelt und fuhren dann an der Ostküste Australiens entlang, wo Cook den Ort ihres ersten Landgangs Botany Bay nannte – in Anerkennung der vielen neuen Pflanzen, die sie dort entdeckt hatten. Die Botaniker fanden hochaufragende Eukalyptusbäume mit abblätternder Rinde und seltsame Büsche mit prächtigen Blüten, die wie riesige Kegel aus pelzigen Blütenblättern aussahen. Durch die Wälder hallten unheimliche Laute von Tieren und Vögeln, die kein Weißer je gesehen oder gehört hatte – ein verheißungsvolles Land voll Überfluss und Fruchtbarkeit. Während Joseph Banks und sein Botaniker hektisch Pflanzen sammelten (so viele, dass sie nicht rasch genug pressen konnten), erkundete Cook die Küstenlinie mit Charles Green, der für die astronomischen Beobachtungen zur exakten Bestimmung ihrer Positionen sorgte.
In dem Sommer, als Chappes Ingenieur nach Europa zurückgekehrt war, segelte die Endeavour in das Große Barriereriff hinein –2400 Kilometer labyrinthische Riffs und Koralleninseln –, das tückischste Stück Küste auf der ganzen Welt. Schon nach wenigen Tagen lief die Endeavour auf Grund. »Nun blickten wir dem Tod ins Auge«, schrieb Banks in sein Tagebuch. Mit einem riesigen Loch im Rumpf schafften sie es kaum bis an die Küste, doch nach einer Notreparatur des beschädigten Schiffs schickte sich Cook entschlossen an, erneut durch das Unterwasserlabyrinth von messerscharfen Vorsprüngen, Sandbänken und unberechenbaren Strömungen zu manövrieren. Ref 240
Während dieser Wochen gefährlichen Navigierens blieb der Astronom Charles Green unerschütterlich an seinen Instrumenten, selbst wenn die Endeavour gegen Korallenwände gedrückt wurde, »die fast senkrecht aus dem unergründlichen Ozean emporragten«. Ruhig setzte Green seine Beobachtungen fort, gleich, ob die Endeavour kurz davor war, »in Stücke« geschmettert zu werden, wie Cook mehr als einmal befürchtete. Schließlich kamen sie ramponiert, aber noch seetüchtig durch und erreichten Jakarta zwei Monate später – der Schiffsrumpf der Endeavour von Riffen und tropischen Würmern auf eine Stärke von einem Drittelzentimeter dezimiert. Doch gerade als sie dachten, sie seien der Gefahr entronnen, begann der Tod die Mannschaft heimzusuchen: Mit seinen stehenden Kanälen war Jakarta von Malaria verseucht und damals einer der lebensgefährlichsten Häfen der Welt. Als sie zweieinhalb Monate später, Ende Dezember 1770, wieder in See stachen, hatte Cook mehr Männer verloren als während der gesamten Reise zuvor. Ref 241
Auch die Astronomen blieben nicht alle von der schrecklichen Seuche verschont. Am 29. Januar 1771 starb Charles Green an Bord der Endeavour und wurde im Indischen Ozean beigesetzt. Nach dem russischen Beobachter in Kildin, nach Chappe und dem spanischen Beobachter Salvador de Medina in Kalifornien war Green der vierte Transit-Beobachter, der auf der Suche nach der Größe des Sonnensystems starb. Green war seit seinem Aufenthalt in Jakarta krank gewesen, doch statt zu ruhen, geriet er in eine delirante Unruhe, die seinen Zustand noch verschlimmerte. »In einem Anfall von Raserei«, hieß es später in den Zeitungen, »stand er nachts auf und hielt seine Beine aus den Bullaugen, was seinen Tod bewirkte.« Sogar Cook, der Green sonst immer in Schutz nahm, räumte ein, dass der Astronom seinen Tod selbst verschuldet habe, weil »er nicht um Genesung bemüht war«, sondern ganz im Gegenteil, »dem Leiden noch erheblich Vorschub leistete«. Ref 242
Fünfeinhalb Monate später, im Juli 1771, fast genau drei Jahre nach ihrer Abfahrt, kehrte die Endeavour mit den Aufzeichnungen der Transit-Beobachtungen und mit Truhen voller gepresster Pflanzen und Zeichnungen exotischer Landschaften nach England zurück. Dort erzählten die Expeditionsmitglieder Geschichten von astronomischen Beobachtungen und amourösen Abenteuern auf Tahiti, von den Gefahren ihrer Reise und dem fruchtbaren Land in Australien.
Während Cook bei seiner Rückkehr als Held gefeiert wurde und die Astronomen über den Transit-Aufzeichnungen brüteten, war Le Gentil noch immer auf dem Heimweg nach Frankreich. Nach dem Transit in Pondichéry hatte er einen Brief von seinem Agenten in der Normandie erhalten, in dem stand, dass seine Erben das Gerücht verbreiteten, er sei tot, damit sie seinen Besitz unter sich aufteilen konnten. Le Gentil versuchte, augenblicklich aufzubrechen, doch bevor er nach Hause zurückkehren konnte, musste er nach Mauritius segeln, wo er seine umfangreiche naturkundliche Sammlung aus Sicherheitsgründen zurückgelassen hatte. Nach Monaten des Wartens auf eine Überfahrt und mehreren fast tödlichen Ruhranfällen brach er am 1. März 1770 von Pondichéry auf. Sechs Wochen später ging er auf Mauritius an Land – ein paar Tage, bevor Cook zum ersten Mal Australien sichtete –, aber er war von seiner langen Krankheit geschwächt. Es sollte noch weitere sieben Monate dauern, bevor Le Gentil sich kräftig genug fühlte, um seine Reise fortzusetzen. Als er es tat, erlitt er sofort einen Rückschlag: Dieses Mal wurde das Schiff durch einen Hurrikan zur Umkehr nach Mauritius gezwungen. Mittlerweile hatte der Franzose jede Hoffnung verloren, Frankreich jemals wiederzusehen. Der Anblick von Mauritius, jammerte er, »war unerträglich geworden«. Ref 243
Am 30. März 1771, fast zwei Jahre nach dem Transit und immer noch auf Mauritius, schiffte sich Le Gentil auf einem Segler nach Europa ein. Er trug seine Instrumente, Aufzeichnungen und acht Kisten voller naturkundlicher Objekte an Bord. Zwar wollte er unbedingt nach Hause, aber als sie das Kap der guten Hoffnung umfuhren, war sich Le Gentil sicher, dass ihre Reise zu Ende war. Das Meer war wilder, schrieb er, »als ich je gesehen hatte« – was schon etwas heißen wollte bei einem Mann, der eine endlose Folge von heftigen Stürmen ertragen hatte. Seiner letzten Energie und Hoffnung beraubt, breitete der entmutigte Le Gentil seinen Mantel zwischen den Frachtkisten tief im Laderaum des Schiffes aus, legte sich nieder, schloss die Augen und wartete auf den Tod.
Zu seiner Überraschung überlebte er, und am 1. August sichteten sie in der Ferne Cádiz. Nun beschloss er, den Landweg zu wählen, weil, wie er schließlich einräumte, »ich des Meeres so überdrüssig war«. Le Gentil war der letzte Transit-Astronom, der seinen Fuß wieder auf europäischen Boden setzte. Mehr als elf Jahre, nachdem er Paris auf der Suche nach der Venus verlassen hatte, kehrte er dorthin zurück, nur um festzustellen, dass seine Erben ihn für tot erklärt hatten und die Académie ihn aus ihrer Gehaltsliste gestrichen hatte. Ref 244