Kapitel zehn
Die kühnste Reise
Nachdem die Spanier den Briten das Betreten ihres Territoriums im amerikanischen Westen verweigert hatten, berief die Royal Society eine Krisensitzung ein. Man kam überein, dass man, um den Erfolg der britischen Beobachtungen zu sichern, ein »Transit-Komitee« benötigte, das die Expeditionen weltweit organisieren sollte. Vorsitzender des Komitees wurde der unermüdliche Nevil Maskelyne. Ref 146
Obwohl sich Maskelynes Beobachtung des ersten Transits auf Sankt Helena als Fehlschlag erwiesen hatte, war es ihm im Laufe der vergangenen fünf Jahre gelungen, sich ins Rampenlicht zu drängen, und so hatte er seine Stellung in der wissenschaftlichen Welt und in der Royal Society stetig verbessert. Maskelyne, der keine günstige Gelegenheit ungenutzt ließ, betonte nach der Rückkehr von Sankt Helena in seinem ersten Brief an die Royal Society die »Sicherheit und Vorzüglichkeit« seiner Mond-Methode zur Längenberechnung. Im Bemühen um weitere Unterstützung schrieb Maskelyne auch an die Direktoren der Ostindien-Kompanie, um sie zu überzeugen, dass seine Methode von »großem Nutzen« für die Schifffahrt sei. Maskelyne warb so heftig für seine Ideen, dass die Sorge des Uhrmachers John Harrison, der Astronom könne ihm den Longitude-Prize wegschnappen, wuchs. Harrison hatte die vorangegangenen dreißig Jahre damit verbracht, Uhren zu erfinden, die an Bord eines Schiffs zuverlässig arbeiteten – nach seiner Meinung die einzige plausible Lösung für das Längenproblem. Anfang des Jahres 1764 hatten Maskelyne und Harrison vom Board of Longitude Order bekommen, nach Barbados zu segeln, um Harrisons Chronometer und Maskelynes Mondtabellen zu testen. Harrison sah sich in seinen Befürchtungen bestätigt, als er entdeckte, dass sein Konkurrent Maskelyne aufgefordert worden war, die Präzision seiner Uhren zu beurteilen. Maskelyne sprach Harrisons Uhr trotz ihrer eindrucksvollen Ergebnisse die nötige Genauigkeit ab. Es war der Beginn einer erbitterten Auseinandersetzung zwischen dem Astronomen und dem Uhrmacher, die viele Jahre andauern sollte.43
Anfang 1765 wurde der 35-jährige Maskelyne in das Amt des Astronomer Royal berufen, die einflussreichste astronomische Position des Landes. Die Ernennung machte ihn automatisch zu einem Mitglied des Board of Longitude – durch diese seltsame Wendung war es jetzt Maskelynes Aufgabe, den Longitude-Prize zu verleihen. Angesichts seiner Pflichten als Astronomer Royal an der Sternwarte in Greenwich war er nicht in der Lage, eine weitere Transit-Expedition zu einem fernen Zielort zu leiten, blieb aber der Motor hinter dem globalen Unternehmen. Obwohl noch sieben andere Fellows dem Transit-Komitee der Royal Society angehörten, war es Maskelyne, der in den kommenden Jahren die Zügel fest in der Hand hielt. Ref 147
Als ehrgeiziger Astronom, der gerne alle Einzelheiten kontrollierte und bestimmte, glaubte er zweifellos, der beste Mann für diese Aufgabe zu sein. Bereits als junger und unbekannter Hobbyastronom hatte Maskelyne an Charles Mason geschrieben (der damals Assistent am Royal Observatory war) und ihn instruiert, wie er den ersten Transit zu beobachten habe. Sein Brief war gespickt mit Wendungen wie »Sie müssen«, »Sie werden« und »Ich wünschte, Sie würden«. Maskelyne tat jetzt also das, was Delisle für den Transit von 1761 getan hatte – nur besser. Er ermunterte andere Nationen, teilzunehmen, schlug Expeditionen vor, prüfte ihre Ausrüstung, wählte Instrumente aus, bestimmte Kandidaten und gab schriftliche Anweisungen. Wie eine Spinne in ihrem Netz ließ er sich im Zentrum des internationalen Unternehmens nieder, von wo aus er alles unter Kontrolle hatte.
Fünf Tage nach der ersten Krisensitzung erörterte das neu gegründete Komitee sehr detailliert, wohin die britischen Expeditionen geschickt werden sollten. Zwei Tage später, am 19. November 1767, informierte Maskelyne die anderen Fellows der Royal Society über die Vorschläge des Komitees: Die Briten sollten jemanden zum Fort Prince of Wales an der Hudson Bay (dem heutigen Churchill in Kanada) sowie nach Vardø und zum Nordkap entsenden – »es sei denn, wir erfahren, dass die Schweden oder Dänen sich erbieten, diese Beobachtung vorzunehmen«. Nachdem der Norden abgehakt war, wandte das Komitee seine Aufmerksamkeit der wichtigsten Expedition zu: Großbritannien musste die Verantwortung für die Beobachtungen in der Südsee übernehmen – die kühnste und riskanteste aller Reisen. Dazu brauchte man ein Expeditionsschiff, erfahrene und beherzte Astronomen und einen Mann, der seine Mannschaft in die riesige Weite des größtenteils nicht kartierten Südpazifik führte. Ref 148
Dazu waren umfangreichere Mittel erforderlich als für den ersten Transit, daher schlug das Komitee vor, »die Regierung zu ersuchen«, die Expedition auszurüsten. Um rechtzeitig anzukommen, müssten die Astronomen Kap Hoorn »etwa zu Weihnachten 1768« umrunden. Maskelyne und seine Komitee-Kollegen waren gewissenhaft gewesen und wollten keine Zeit verschwenden. Auf derselben Sitzung hatten sie eine Liste mit den erforderlichen Instrumenten zusammengestellt und mögliche Kandidaten vorgeschlagen, unter ihnen auch Charles Mason und Jeremiah Dixon, die sich noch immer in den nordamerikanischen Kolonien aufhielten, wo sie die nach ihnen benannte Mason-Dixon-Linie vermaßen.
Die nächsten Wochen verflogen in hektischer Tätigkeit. Tagsüber arbeitete Maskelyne an den Vorbereitungen der Transit-Expeditionen, und während der kalten Nächte beobachtete er den Himmel über Greenwich, wobei er zweifellos seinen nagelneuen »Beobachtungsanzug« trug: ein wattiertes Gewand, das aus einer Weste, Hosen mit Fuß und einer enorm ausgepolsterten Sitzfläche aus dickem Flanell und edler, golden, rot und cremefarben gestreifter Seide bestand – Maskelynes Schwager Robert Clive hatte es ihm angeblich aus Indien geschickt. Der korpulente Maskelyne, der von einem Kollegen als »kleiner, unscheinbar Mann« beschrieben wurde, dürfte auch den letzten Rest von Autorität eingebüßt haben, wenn er, in dieses goldfarbene Kostüm gezwängt – die Rüstung eines Astronomen –, zu seinem Observatorium watschelte. Ref 149
Allerdings wussten die Mitglieder des Komitees nicht, dass auch die Franzosen eine Südseereise planten. Am 14. November, zwischen der Entscheidung der Royal Society, ein Transit-Komitee zu bilden, und dessen erster Sitzung, mischte sich Chappe d’Auteroche in die französischen Vorbereitungen ein, indem er seinen Plan für eine Südsee-Expedition auf einer Sitzung der Académie des Sciences in Paris darlegte. Auf der Grundlage von Pingrés Berechnungen empfahl Chappe mehrere Beobachtungsorte und sich selbst – versteht sich – als den idealen Kandidaten für die Reise. Da es sich um eine öffentliche Sitzung handelte, unterstrich Chappe mit charakteristischer Übertreibung die Bedeutung des Transits und erklärte mit ein bisschen Fantasie und künstlerischer Freiheit, dass es erst in »einigen Jahrhunderten« wieder zu einem solchen himmlischen Rendezvous kommen werde. Wie beim ersten Transit versuchte Chappe auch jetzt, die Leitung der wichtigsten Reise zu übernehmen. Wenn er die Venus von einer Insel in der Südsee beobachtete, würde ihn das zum berühmtesten Astronomen der Welt machen. Doch da Spanien einige der Inseln dort für sich beanspruchte, hielten die Franzosen es für klug, zunächst die Erlaubnis von ihrem ehemaligen Verbündeten einzuholen.44
In Unkenntnis der französischen Pläne versammelte sich der Rat der Royal Society drei Wochen später, am 3. Dezember 1767, in London, um einen Zwischenbericht des Transit-Komitees zu hören. Es war eines der folgenschwersten Treffen in der Geschichte der Gesellschaft. Nach stundenlangen eingehenden Diskussionen stimmten die Fellows dafür, zwei Expeditionen auszurichten: an die Hudson Bay und in die Südsee. Maskelyne legte eine Liste möglicher Beobachter vor und erklärte sich bereit, ihnen zu schreiben. Er erhielt auch den Auftrag, Kontakt zu dem schwedischen Astronomen Pehr Wilhelm Wargentin aufzunehmen, »um in Erfahrung zu bringen, welche Orte sie zu beobachten gedenken«, sowie eine Instrumentenliste nach Stockholm zu schicken, um Art und Größe der Teleskope anzugeben, die die Briten verwenden wollten – damit sollte sichergestellt werden, dass die Ergebnisse der Transit-Beobachtungen leicht zu vergleichen waren. Ref 150
Im Laufe der nächsten Wochen befragten und beriefen die Fellows der Royal Society die Kandidaten für ihre Expeditionen. Geldmittel wurden erörtert und Gehälter ausgehandelt. Wieder baten sie die Ostindien-Kompanie, ihre Angestellten zu instruieren, wie der Transit beobachtet werden musste. Sie erhielten einen Brief von der Kaiserlichen Akademie in Sankt Petersburg, in dem die Pläne der russischen Expeditionen und Katharinas Interesse eingehend geschildert wurden. Im Januar 1768, als die Zarin ihre Astronomen im Winterpalais empfing und als Mason und Dixon die vollständige Karte ihrer Grenzlinie in Amerika übergaben, wuchs in London die Aufregung um den Transit. Zeitungen berichteten über das Ereignis, und Instrumentenbauer begannen, für verbesserte Teleskope zu werben, mit denen man das Ereignis beobachten konnte. Maskelyne arbeitete an seinen Instruktionen, in denen er die komplizierten Umstände der Transit-Beobachtungen so darlegte, dass selbst Laien sie verstehen konnten. Außerdem erläuterte er die Bedeutung der Eintritts-und Austrittszeiten, verschiedene Teleskop-Arten, wie die Uhr einzustellen war, wie man die Instrumente im Erdboden verankerte und wie man mehrere Glasscherben verschieden einrußte – von hell bis dunkel –, um auf alle Wetterverhältnisse oder auf »ziehende Wolken« vorbereitet zu sein. In den Instruktionen verband sich sein theoretisches astronomisches Wissen mit der praktischen Erfahrung, die er bei seinen eigenen Beobachtungen auf Sankt Helena gesammelt hatte.
Die Reise in die Südsee erforderte umfangreiche Planungen und viele Bittschriften. Die Royal Society benötigte Instrumente, Unterkünfte, Lebensmittel und Gehälter, aber auch ein Schiff. Wie beim ersten Transit beschloss man, die Krone um Geldmittel zu bitten, nur dass man dieses Mal sehr viel mehr verlangte. Zu allem Übel war die Kasse der Royal Society geplündert worden. Einer ihrer Angestellten hatte 1500 Pfund veruntreut. Ein Fellow schrieb einem Freund in Frankreich, während er und seine Freunde ihre »Aufmerksamkeit den Geschehnissen am Himmel geschenkt« hätten, sei der Angestellte »auf der Erde mit unserem Geld davongelaufen«. Ref 151
Wochenlang saßen die Fellows an der Bittschrift für den König. Mitte Februar 1768 war sie fertig, gerade zu dem Zeitpunkt, als Le Gentil Manila auf einem Schiff nach Indien verließ. Das Dokument wies auf die Notwendigkeit hin, die nationale Ehre zu wahren, und legte den möglichen Nutzen für die Schifffahrt dar. Es gebe auf »Erden keine Nation«, die England überlegen sei – das Land werde »in der gebildeten Welt zu Recht gepriesen«. Wenn es den Briten nicht gelänge, den Transit in der südlichen und nördlichen Hemisphäre zu beobachten, so schrieb die Royal Society an König Georg III., »würde das Schande über sie bringen«. Diese Ehre sollte die Krone allerdings schwindelerregende 4000 Pfund kosten – eine Summe, die noch nicht einmal die Kosten für die notwendigen Schiffe und Mannschaften enthielt. Ref 152
Während die Royal Society angespannt auf die Antwort des Königs wartete, fuhr ein ungeduldiger Maskelyne mit den Vorbereitungen fort, als wäre die Finanzierung bereits gesichert. Da es nur noch sechzehn Monate bis zum Transit waren, fand er, dass er keine Zeit mehr zu verlieren hatte. Die Hudson’s Bay Company hatte warnend darauf hingewiesen, dass es wenig Bauholz in der Umgebung des Forts Prince of Wales gab, und hatte der Royal Society geraten, ein Observatorium in England vorzufabrizieren. Glücklicherweise war einer der Fellows Ingenieur und lieferte Zeichnungen für ein zeltartiges, achtseitiges Observatorium aus Holz und Leinwand. Maskelyne diskutierte Maße und Materialien und schätzte mit einem Zimmermann aus Greenwich die Kosten, um sicherzustellen, dass das kleine Bauwerk sich leicht auf dem Schiff verstauen und an der vorgesehenen Stelle errichten ließ.
Die Zeit wurde knapp, weil die Hudson Bay nur für eine begrenzte Zeit schiffbar war. Die auserwählten Astronomen mussten bis Ende Mai 1768 aufbrechen, um ihr Ziel zu erreichen, bevor das Eis das Fort Prince of Wales bis zum nächsten Sommer von der Außenwelt abschneiden würde, und die Beobachter mussten dort überwintern, um den Transit im Juni 1769 verfolgen zu können. Natürlich schlug Maskelyne einen Kandidaten für diese Expedition vor: William Wales war ein junger Astronom, den er während der vergangenen drei Jahre mit Arbeiten am Nautical Almanac beschäftigt hatte, Maskelynes neuestem Versuch, die Mond-Methode zu propagieren. Der Nautical Almanac lieferte Seeleuten die Zeiten der Verfinsterungen der Jupiter-Satelliten und die Positionen der Sonne. Vor allem aber sagte er für jeden Monat die Mondentfernungen für den Greenwich-Meridian voraus – womit die Seefahrer aus den leicht zugänglichen Tabellen ersehen konnten, um wie viele Grad sie sich von Greenwich entfernt hatten.45 Wales sollte auf einem Versorgungsschiff der Hudson’s Bay Company reisen, da die Kompanie das Fort Prince of Wales in ihrem Besitz behielt, um ihre Interessen am Fellhandel mit den Ureinwohnern Nordamerikas (und gegen die Franzosen) zu schützen. Die Direktoren hatten der Royal Society versichert, dass sie sich gegen eine Einmalzahlung von 250 Pfund um Überfahrt, Unterkunft, Nahrung und um jede andere Unterstützung für die Beobachter kümmern würden. Ref 153
Alles verlief reibungslos. Als Maskelyne das genaue Ladungsgewicht und die Ausmaße des transportablen Observatoriums ausrechnete (die Hudson’s Bay Company hatte diese Informationen verlangt, um für entsprechenden Platz auf ihrem Schiff zu sorgen), wies der Sekretär der Admiralität das Navy Board, das Verwaltungsgremium der Royal Navy, an, ein Schiff für die Südsee-Expedition auszurüsten. »Seiner Majestät hat es gnädig gefallen«, schrieb der Sekretär, »die Kosten [für den Kauf eines Schiffs] zu übernehmen.« Dank seinem wissenschaftlichen Interesse war König Georg III. die Entscheidung nicht schwergefallen – keine drei Wochen, nachdem er die Bittschrift der Royal Society gelesen hatte, befahl er, nach einem geeigneten Schiff zu suchen. Schiffe wurden inspiziert und abgelehnt; keines schien geeignet: Eines hätte zu stark umgebaut werden müssen, ein anderes konnte nicht »die erforderliche Menge an Lebensmitteln stauen«, wieder andere waren auf See und konnten nicht rechtzeitig zurückkehren.
Am 24. März 1768 unterrichtete der König die Royal Society darüber, dass er nicht nur die Beschaffung eines Schiffs für die Südsee-Expedition gewährte, sondern auch 4000 Pfund aus seiner Privatschatulle. Die Fellows jubelten. Nie zuvor war so viel Geld für ein wissenschaftliches Projekt ausgegeben worden. Keine Woche später kaufte die Kriegsmarine eine sogenannte Katt, ein barkenähnliches Transportschiff, das ursprünglich Kohle aus dem Nordosten Englands nach London befördert hatte, und gab ihm den Namen Endeavour. Jetzt konnten die Vorbereitungen für die Südseereise ernsthaft beginnen. Ref 154
Die Endeavour wurde in Deptford umgerüstet – neu getakelt und mit einer Mischung aus Pech, Teer und Schwefel bestrichen, um das Holz vor tropischen Wasserwürmern zu schützen. Beaufsichtigt wurden die Änderungen von James Cook, der von der Marine zum Expeditionsleiter bestimmt worden war. Der 1728 in Yorkshire geborene Cook hatte seine seemännische Laufbahn als einfacher Matrose auf einer ähnlichen »Katt« begonnen, die als Kohlefrachter die englischen Küsten befuhr. Später war er in die Kriegsmarine eingetreten, hatte im Siebenjährigen Krieg gekämpft und Neufundland kartografiert. Cook, ein ruhiger, reservierter Mensch, galt als vorsichtig, aber, wenn nötig, durchaus bereit, kalkulierbare Risiken einzugehen. Er war mit allen Einzelheiten der Vorbereitungen befasst und sollte an dem Projekt nicht nur als Kapitän der Endeavour, sondern auch als Beobachter teilnehmen. Cook war ein kundiger Kartograf und Astronom, ein geschätzter Geometer und erfahrener Seemann – doch von der Reise der Endeavour sollte er als geachteter Expeditionsleiter, gefeierter Entdecker und bewunderter Held zurückkehren. Ref 155
Als Astronom der Südsee-Expedition begleitete ihn Charles Green, Maskelynes ehemaliger Assistent. Green war 33 Jahre alt, kam aus Yorkshire und hatte mehrere Jahre an der Sternwarte Greenwich gearbeitet, wo er den ersten Transit beobachtet hatte. 46 Wie viele andere Assistenten dort brannte er darauf, seine eintönige Tätigkeit aufzugeben – und er hatte eine Vorliebe für Seereisen. 1763 hatte er Maskelyne nach Barbados begleitet, wo sie die Eignung von John Harrisons Uhr für die Längenbestimmung prüften. Kurz darauf verließ Green das Royal Observatory und trat in die Kriegsmarine ein. Als er hörte, dass die Royal Society mehrere Expeditionen für die Beobachtung des zweiten Transits ausrüstete, hatte Green eine der Sitzungen aufgesucht, um sich selbst als Beobachter vorzuschlagen und seine Konditionen zu nennen – für 300 Pfund pro Jahr, so hatte er erklärt, wäre es ihm ein Vergnügen, »gen Süden zu fahren«. Tatsächlich war er so begierig, fortzukommen, dass er schließlich ein Jahresgehalt von 100 Pfund akzeptierte. Obwohl viel weniger, als er anfangs verlangt hatte, war es doch mehr als Cooks Einmalvergütung von 100 Pfund für seine astronomischen Beobachtungen. Cook mochte zwar der Expeditionsleiter sein, aber er war nur zweiter Beobachter. Für die Royal Society war der verantwortliche Astronom der wichtigste Mann auf dem Schiff.
Maskelyne brachte seine Instruktionen für Cook und Green zu Papier und beaufsichtigte den Bau des transportablen Observatoriums. Sie müssten bei ihrer Ankunft, so betonte Maskelyne, »ohne jeden Zeitverlust« ihre Ausrüstung errichten. Es sei wichtig, dass alle Beobachter mit jedem Instrument so lange wie möglich übten, um die Transit-Zeiten mit größter Genauigkeit bestimmen zu können.
Gleichzeitig arbeitete Maskelyne die letzten Einzelheiten für William Wales’ Reise zur Hudson Bay aus; und er wies den jungen Astronomen an, wie er das Observatorium und die Instrumente an Bord zu verstauen hatte. Fast genau ein Jahr vor dem Transit, am 29. Mai 1768, verließ Wales London, nachdem er der Sternwarte Greenwich noch einen Mitternachtsbesuch abgestattet hatte, wo ihm Maskelyne nach einer letzten Lagebesprechung seine schriftlichen Instruktionen gab.47 Ref 156
Alle waren hektisch beschäftigt. Während Maskelyne gleichzeitig an den Vorbereitungen der Expeditionen zur Hudson Bay und in die Südsee arbeitete, konzentrierte sich Cook auf sein Schiff. Er verlangte acht Tonnen Ballast, weil sein Schiff »zu buglastig ist, erörterte mit der Marinebehörde die Einstellung der Mannschaft sowie die Bier- und Spirituosenration. Derweil diskutierten die Fellows in der Royal Society, wo genau die Südsee-Astronomen den Transit beobachten sollten. Sie hatten Glück. Gerade zu dieser Zeit kehrte der britische Kapitän Samuel Wallis von einer langen Reise zurück und brachte Kunde von einer Insel in der Südsee, die von friedlichen Eingeborenen bewohnt wurde und Nahrungsmittel in Hülle und Fülle bot. Tahiti oder King George Island, wie es damals hieß, schien ein idealer Beobachtungsort zu sein. x
Während die Astronomen die Transit-Expeditionen vorbereiteten, brachen Unruhen in England aus und erfassten viele Berufszweige, die für die Ausrüstung einer Seereise unentbehrlich waren. Nahrungsknappheit und Lohnkürzungen sowie die Inhaftierung des radikalen Journalisten John Wilkes hatten die Londoner veranlasst, auf die Straße zu gehen. Kohlenträger, Schneider und sogar Prostituierte in Bordellen (wegen der »Abgaben«, die Zuhälter und Kneipenwirte verlangten) streikten, aber auch Seeleute, Fassbinder, Weber und Glasschleifer.
Inmitten des Chaos bemühte sich Cook um weitere Vorräte und Ausrüstung. Täglich gingen mehrere Briefe hin und her: Cook verlangte grünes Tuch für den Fußboden der Kapitänskajüte, mehr »chirurgische Utensilien«, »Kanonen«, »ein Aufbereitungsgerät für fauliges Wasser« und »portable soup« (Suppenpulver). Gewissenshaft und entschlossen, für alle Eventualitäten gewappnet zu sein, vergaß er nichts: Er orderte mehr Salz, erörterte Methoden zur Vermeidung von Skorbut48 mit dem Sick and Hurt Board (Sanitätsverwaltung der Kriegsmarine) und bestellte Instrumente zur Vermessung und zum Kartenzeichnen. Ref 157
Nur die Wahl seiner Mannschaft – zweifellos einer der entscheidenden Faktoren für das Gelingen einer solchen Reise – wurde Cook aus der Hand genommen. Die Kriegsmarine suchte die Männer aus, doch als man einen lahmen und gebrechlichen Seemann als Koch schickte, beklagte sich der Kapitän. Drei Tage später wurde ein neuer Koch auf die Endeavour abkommandiert – obwohl der noch schlimmer zu sein schien als der erste, denn Cook protestierte: »Dieser Mann hatte das Unglück, seine rechte Hand zu verlieren.«Trotz Cooks Protesten bestand die Marine darauf, dass der einhändige Koch auf der Endeavour blieb,egal, ob der Kapitän meinte, er werde von »geringem Nutzen«sein.
Inzwischen befasste sich Maskelyne mit den Instrumenten und den astronomischen Anweisungen, und der Präsident der Royal Society verfasste lange und detaillierte Vorschriften zu Verhalten und Aufgaben. Darin hieß es etwa, die Mannschaft müsse »höchste Geduld« gegenüber den Eingeborenen zeigen, denen sie begegnen würde, da »keine europäische Nation das Recht hat, irgendeinen Teil ihres Landes zu besetzen«. Er erinnerte Cook daran, dass der Hauptzweck der Reise die Beobachtung des Venus-Transits war.
Wie Katharina die Große erweiterte aber auch die Royal Society ganz im Geist der Aufklärung ihre Zielsetzung für die Expedition. Sie erteilte Anweisungen für ethnografische Beobachtungen und botanische, mineralische und zoologische Sammlungen. Cook und seine Mannschaft sollten Proben und Exemplare sammeln und Informationen zusammentragen, die zum Verständnis dieser neuen Welt beitragen konnten. Wenn die Venus-Beobachtung abgeschlossen war, sollte die Endeavour nicht sofort zurückkehren, vielmehr wurde Cook die zusätzliche Aufgabe erteilt, »einen Kontinent in den gemäßigten südlichen Breiten« aufzuspüren – Terra Australis Incognita (»das unbekannte Südland«).49 Die Transit-Expedition war zu einer umfassenden wissenschaftlichen Erkundung mit kolonialen und wirtschaftlichen Untertönen geworden. Ref 158
Am 25. August 1768 waren Cook und seine Mannschaft endlich bereit, in See zu stechen. Der Wind blähte die Segel, als die Endeavour auf südlichen Kurs ging, und 94 Männer fuhren ins Ungewisse, um die Venus bei der Überquerung der Sonnenscheibe zu beobachten. Es war ein wolkenloser Nachmittag, das Schiff bis zum Rand beladen. Während der letzten Tage hatten die Seeleute so viele Vorräte an Bord geschleppt, dass sie kaum noch Platz fanden, sich zu bewegen. Neben den acht Tonnen Ballast hatte die Endeavour unter anderem zwanzig Tonnen Schiffszwieback und Mehl geladen, 10 000 Portionen Pökel- und Schweinefleisch sowie gut 1000 Kilo Rosinen. Cook hatte 7300 Liter Spirituosen und 5400 Liter Bier geladen, um seine Mannschaft bei Laune zu halten, außerdem mehr als 3600 Kilo Sauerkraut, um dessen Wirkung gegen Skorbut zu testen. Es gab Holz, Seile, Nägel, Werkzeug und Segeltuch für Notreparaturen sowie eine enorme Zahl von Spiegeln, Perlen und anderem Tand als Geschenke für die Eingeborenen. Ref 159
Die Sammlung an astronomischen Instrumenten war überwältigend – von Quadranten und astronomischen Uhren bis hin zu einigen der besten Teleskope jener Zeit –, außerdem gab es natürlich das transportable Observatorium, für das Maskelyne gesorgt hatte. Green war bereits seit fast drei Wochen an Bord und hatte darauf geachtet, dass die Instrumente sicher verpackt und verstaut wurden. Cook hatte entsetzt beobachtet, wie der Botaniker und wohlhabende Großgrundbesitzer Joseph Banks mit acht Männern im Gefolge eingetroffen war – darunter Diener, Maler und noch ein Botaniker. Hinzu kam ein beunruhigender Berg an Gepäck – unter anderem Hunderte leere Fläschchen, Papiere, Pflanzenpressen, Mikroskope, eine Bibliothek von mehr als hundert Naturkundebüchern, Zeichentische und ein Schreibpult für Banks. Alles war in zwanzig große Holzkisten verpackt. »Es ängstigt mich fast«, räumte Banks selbst ein. Die Fahrt auf der Endeavour für sich und sein Team hatte ihn schwindelerregende 10 000 Pfund gekostet, und er rühmte sich, er sei der »erste Mann von wissenschaftlicher Bildung, der eine Entdeckungsreise unternimmt«. Sobald Cook diese Ausrüstung gesehen hatte, befahl er den Zimmerleuten, noch mehr Veränderungen an den Kajüten vorzunehmen, damit alles Platz fand.
Cook hatte sein Möglichstes getan, um das Gelingen der Reise zu sichern. Alle riskierten sie ihr Leben für das Rendezvous der Venus. Viele ließen Familien zurück – der Astronom Charles Green war verheiratet, und Cook hatte drei Wochen zuvor seine Kinder und seine hochschwangere Frau Elizabeth zum Abschied geküsst.50 Zumindest erfreuten sich alle »bester Gesundheit und Moral«, wie Banks schrieb, und waren für ihre lange und gefährliche Reise »mustergültig vorbereitet (gedanklich zumindest)«. Ref 160