Kapitel elf

Skandinavien oder das Land der Mitternachtssonne

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»Ich glaube, dieses Mal wird es weniger maßgebliche Beobachtungen geben«, schrieb Pehr Wilhelm Wargentin, der Sekretär der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm, an seinen Kollegen Anders Planman. Abermals übernahm der unermüdliche Wargentin die Regie für die schwedischen Beiträge, doch anders als die Briten, Franzosen und Russen beurteilte er die Erfolgsaussichten weniger optimistisch. Er befürchtete, dass die wichtigsten Beobachtungsorte dieses Transits noch weiter entfernt und schwerer zu erreichen waren als die des Jahres 1761. Das verlieh den schwedischen Beobachtungen hoch im Norden des Königreichs größere Bedeutung, weil diese Region »der einzige Ort in Europa« war, von dem aus sich Anfang und Ende des Transits verfolgen ließen. Das Hauptproblem für die Schweden war jedoch, dass die Akademie in Stockholm fast pleite war51 und dass Wargentin nicht wusste, wie die Expeditionen bezahlt werden sollten. Ref 161Angesichts der Tatsache, dass Schweden über eine Vielzahl kundiger Astronomen verfügte, würde man »auf ewig Schimpf und Schande« ernten, so klagte er, müsste man die Engländer oder Franzosen bitten, die Beobachtungen in Skandinavien vorzunehmen.

Wie 1761 war Wargentin über den Stand der Transit-Vorbereitungen anderer Länder informiert. Obwohl weit entfernt von den europäischen Wissenschaftszentren London und Paris, wusste er über die neuesten Entwicklungen besser Bescheid als die meisten anderen. Wargentin führte eine internationale Korrespondenz von geradezu übermenschlichen Dimensionen und kam während seiner Zeit als Sekretär der Akademie auf mehrere tausend Briefe. Mit eiserner Geduld und außergewöhnlichem Organisationstalent hatte er die Akademie langsam, aber beharrlich in eine neue Bahn gelenkt. Unter seiner Führung wurde sie zu einem geachteten Mitglied im europäischen Netz wissenschaftlicher Gesellschaften  – all das entsprach seinem »Wunsch, unseren Ruf und Ruhm zu mehren«, wie er erklärte. Ref 162

Wargentin war die wichtigste Kontaktstelle der internationalen Gemeinschaft und referierte über die Briefe, die er erhielt, während der Sitzungen der Akademie: Die Engländer und Franzosen, so Wargentin zu seinen Kollegen, hätten über ihre eigenen Transit-Expeditionen berichtet, aber auch betont, dass der Erfolg ihrer Beobachtungen von entsprechenden Daten aus dem Norden  – am besten aus Torneå in Lappland  – abhänge. Wargentin seinerseits drängte die Kollegen in Schweden zur Kooperation, da sonst all die anderen Ergebnisse nutzlos seien. Die Diskussion ging hin und her  – angesichts geringer Geldmittel schlugen einige schwedische Wissenschaftler vor, sogleich nach Paris und London zu schreiben und ihren Kollegen dort mitzuteilen, dass sie eigene Beobachter schicken müssten. Wargentin war außer sich. Er hatte sich nicht die letzten zwanzig Jahre bemüht, Schweden in den internationalen Wissensaustausch einzubinden, um jetzt zuzusehen, wie Schweden beim wichtigsten wissenschaftlichen Ereignis des 18. Jahrhunderts versagte. Die einzige Lösung war, sich an den König zu wenden. Es sei, so Wargentin, eine Sache der nationalen Ehre.

Anfang 1767 setzte Wargentin eine lange Bittschrift an König Adolf Friedrich auf, in der er erläuterte, welche Bedeutung das Projekt für alle Nationen habe, die mit »Wissenschaft, Handel und Seefahrt« befasst seien. Da 1761 der Transit überall im Land beobachtet werden konnte, war es relativ billig gewesen, die Beobachtungen in Schweden zu organisieren  – viele Astronomen hatten ihn einfach von zu Hause oder von einem benachbarten Observatorium aus verfolgt  –, doch jetzt war die Situation ganz anders.

»Es gibt keinen anderen Ort auf der Welt«, erläuterte Wargentin, »der so geeignet ist« wie Lappland  – ein Ort, der das ideale Gegenstück zu den britischen Südsee-Beobachtungen bildete. Angesichts möglicher Ausfälle durch Wolken oder Krankheit mussten sie mindestens zwei oder drei Expeditionen ausrüsten. Und um deutlich zu machen, wie wichtig das Unternehmen nicht nur für die Welt der Wissenschaft im Allgemeinen, sondern auch für Schweden im Besonderen war, erklärte Wargentin, dass Planmans Längenbestimmungen während des letzten Transits dazu beigetragen hätten, einige Teile Lapplands kartografisch zu erfassen  – ein wichtiger Vorteil für die imperiale Ambition, die potenziellen Reichtümer der nördlichen Gebiete zu erschließen. Wargentins Strategie hatte Erfolg. Nur zwei Wochen später, am 29. Januar 1767, bewilligte der König die nötigen Mittel. Mehr als zwei Jahre vor dem Transit schienen die schwedischen Beiträge gesichert zu sein. Ref 163

Tüchtig wie immer, schlug Wargentin noch am selben Tag die erste Expedition vor. Er wollte den Astronomen Fredrik Mallet 52 nach Pello in Lappland schicken, im Norden des Bottnischen Meerbusens und innerhalb des nördlichen Polarkreises. Wargentin kannte den 39-jährigen Mallet gut; er war ein ausgezeichneter Astronom, aber auch tief melancholisch. Als Sohn eines wohlhabenden Fabrikbesitzers hatte Mallet eine sorgenfreie Jugend verbracht, aber sein Erbe rasch verschleudert und anschließend Mühe gehabt, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Mit Leidenschaft betrieb Mallet Astronomie und Mathematik, es gelang ihm aber nicht, eine bezahlte Stellung zu finden. Als junger Mann war er durch Europa gereist und hatte berühmte Denker und Wissenschaftler kennengelernt. Diese Bekanntschaften hatten seinen Wissensdurst geweckt, aber auch seinen Geschmack an den Reizen des großstädtischen Lebens in London und Paris. Nach der Rückkehr von seiner wissenschaftlichen Grand Tour war es Mallet noch schlechter ergangen; er fühlte sich eingeengt von der Provinzialität Uppsalas, wo er ehrenamtlich an der Sternwarte arbeitete. Wieder und wieder war er übergangen worden, wenn bezahlte Stellungen vergeben wurden  – so häufig, wie Wargentin einräumte, dass selbst ein Mann, der »weniger von Melancholie heimgesucht wird als Mallet«, verzweifelt wäre.

1761 hatte der geplagte Astronom den ersten Transit in der Sternwarte von Uppsala beobachtet, nicht ohne mit dem ihm eigenen Hang zur Melodramatik zu verkünden, er werde die Astronomie aufgeben und sich »hängen« lassen, wenn es ihm nicht vergönnt sei, die Venus zu sehen. Glücklicherweise für ihn hatte das Wetter mitgespielt, sodass es Mallet gelang, den ganzen Transit zu sehen. Wie immer sehr besorgt, hatte er, um jeder Störung der empfindlichen Instrumente während des Ereignisses vorzubeugen, die Straße vor dem Observatorium überwachen lassen, damit »kein Pferd vorbeikam«. Ref 164

Seither wirkte Mallet zunehmend bedrückter und ungeduldiger. Regelmäßig drohte er, die Astronomie aufzugeben, und schrieb, als er wieder einmal bei einer Stellenvergabe übergangen worden war, an Wargentin: »Ich bin unfähig zu guter Stimmung.« Er wollte Uppsala verlassen. Angesichts dieser regelmäßigen Klagen dachte Wargentin sofort an Mallet, als er sich mögliche Kandidaten für die Expeditionen nach Norden durch den Kopf gehen ließ. Obwohl Lappland nicht London oder Paris war, würde die Reise den unglücklichen Astronomen ablenken, ihn aus Uppsala hinausführen, seinem Leben einen Sinn geben  – und ein Gehalt.

Im Frühjahr 1767, als Katharina die Große die russischen Expeditionen anordnete, nahmen auch die schwedischen Anstrengungen Gestalt an. Mallet erklärte sich bereit, nach Pe344llo zu reisen, und Planman, der jetzt als Professor an der Universität Åbo angestellt war, wurde von Wargentin aufgefordert, den Transit erneut in Kajaani zu beobachten. Planman, der in den letzten Jahren die Sonnenparallaxe mit wahrer Besessenheit wieder und wieder berechnet hatte, freute sich über den Auftrag. Er wollte die Gelegenheit, Venus ein zweites Mal zu sehen, auf keinen Fall versäumen. Binnen Wochen gingen Briefe kreuz und quer durch Europa und verbreiteten die Nachricht von den schwedischen Plänen. Auch in der Kaiserlichen Akademie in Sankt Petersburg wurde Wargentins Bericht verlesen, den Rumowskij  – in der Absicht, erneut deutlich zu machen, wie gründlich sich Russland an dem globalen Unternehmen beteiligte  – abschrieb und an die Royal Society in London schickte.

Maskelyne war erleichtert und die Russen waren überzeugt, dass ihre eigenen Expeditionen zusammen mit denen nach Pello und Kajaani den Erfolg der nördlichen Beobachtungen sichern würden. »Die eine oder andere Station wird eine vollständige Beobachtung liefern«, schrieb Rumowskij an die Royal Society. Die Briten äußerten einigen Zweifel hinsichtlich der Beobachtungsorte, die Wargentin ausgewählt hatte, weil sie meinten, es bestehe die Gefahr, dass die Sonne in Pello und Kajaani zu niedrig über dem Horizont stehen würde. Aber sie glaubten fest daran, dass Mallet und Planman sorgfältige Beobachter waren, die »alles tun werden, um uns die besten Beobachtungen zu liefern, die ihnen möglich sind«. Ref 165

Im Februar 1768, einige Monate vor Mallets Abreise nach Pello, entschied die Akademie in Stockholm über die letzten Einzelheiten der Expeditionen und verteilte die Mittel, die der König bewilligt hatte, zwischen Mallet, Planman und einem HobbyAstronomen, der in Torneå am nördlichen Ende des Bottnischen Meerbusens lebte. Mallet, der das Wagnis der weitesten Reise auf sich nahm, erhielt mehr als die Hälfte.

Als Reaktion auf die vielen Enttäuschungen, die mit den Transit-Beobachtungen 1761 einhergegangen waren, fassten alle Länder, die sich am zweiten Transit-Projekt beteiligten, die Aufgabenstellung ihrer Expeditionen viel weiter: Sie verlangten von den Expeditionsteilnehmern, im Namen der Wissenschaft und nicht nur der Astronomie zu reisen. Das Augenmerk auf fruchtbare Gebiete, wertvolle Nutzpflanzen, Möglichkeiten zu Besiedlung und Eroberung  – kurzum auf die Expansion der Kolonialreiche und die Verwertung von Böden, Pflanzen und Bodenschätzen  – fügten den astronomischen Expeditionen eine weitere Dimension hinzu. Mit Blick auf einen für den Handel äußerst wichtigen Aspekt bat die schwedische Admiralität Mallet, die Küstenlinie des Bottnischen Meerbusens zu vermessen, damit man die vorhandenen Seekarten aktualisieren und »die wichtigsten Orte und Häfen bestimmen« könne.

Im Sommer 1768 studierte Mallet die wenigen existierenden Karten vom Bottnischen Meerbusen, während die Akademie in Stockholm drei Mitglieder beauftragte, die Instrumente, die Wargentin für den ersten Transit in England gekauft hatte, vorzubereiten und anzupassen. Derweil frönte Planman noch immer seiner Leidenschaft, der Parallaxenberechnung, und schrieb Wargentin, er habe noch eine weitere Formel entwickelt und sei »unbeschreiblich zufrieden« mit seiner neuen Methode.

Im August brach Mallet von Uppsala aus zu seiner langen Reise nach Pello auf. Doch schon wenige Tage später wurde sein Assistent so krank, dass sie gezwungen waren, während seiner Rekonvaleszenz mehrere Wochen in Öregrund zu warten, das, lediglich 80 Kilometer von Uppsala entfernt, am südwestlichen Ende des Bottnischen Meerbusens lag. Ref 166

Es war ein höchst »erbärmlicher« Ort, laut Mallet. Er mietete ein kleines offenes Boot, um die Küstenlinie zu vermessen, doch wieder ging nichts nach Plan. Als er in einen Sturm geriet, verbrachte er mehrere Nächte auf dem Boden des Bootes, Wind und Regen ausgeliefert. Ohne »Furchtlosigkeit und Ausdauer«, so Mallet, »hätte ich wohl aufgegeben«. Rasch ließ er sich wieder von seinen Verstimmungen überwältigen und schrieb einen mutlosen Brief an Wargentin, in dem er bezweifelte, angesichts des rasch näher rückenden Winters sein Ziel noch zu erreichen. Er hatte noch immer den größten Teil der Reise vor sich. Schnee und Stürme würden das Reisen langsam und unbequem machen. In Öregrund festsitzend, erschien ihm Pello plötzlich unerreichbar.

 

Während man Mallet und Planman zu den leitenden Astronomen der schwedischen Beobachtungen im hohen Norden ernannte, wurde noch eine andere große skandinavische Expedition organisiert  – dieses Mal unter der Ägide des dänischen Königs. Christian VII. hatte seinen Botschafter in Wien angewiesen, den Jesuitenpater und Astronomen Maximilian Hell zu bitten, den Venus-Transit auf Kosten der Krone auf Vardø, einer kleinen Insel in der Barentssee, zu beobachten. Endlich hatte jemand auf Maskelyne gehört, der schon seit Langem empfahl, Beobachter an die äußerste nordöstliche Spitze Norwegens zu schicken. Wargentin hatte Maskelynes Bitten ignoriert, doch der 19-jährige Christian hatte die Herausforderung angenommen. Vardø war eine dänische Garnison (Norwegen war unter dänischer Herrschaft), und der König hatte seinen Kommandanten dort angewiesen, den Astronomen Unterkunft und Hilfe zu gewähren Ref 167

Wie Katharina die Große versuchte Christian VII., sich durch Förderung der Wissenschaften als aufgeklärter Herrscher darzustellen. Diese Bestrebung war Christian so wichtig geworden, dass er beantragte, als Fellow in die Royal Society in London aufgenommen zu werden. Er wäre »sehr geschmeichelt, erwählt zu werden«, ließ er die Fellows wissen. Um größtmöglichen Nutzen aus der Expedition nach Vardø zu ziehen, setzte er auch einen Botaniker auf die Gehaltsliste, der eine Sammlung nördlicher Pflanzen anlegen sollte.53

Wissenschaft stand an erster Stelle. Christian VII. legte mehr Wert auf geistige Fähigkeiten und naturkundlichen Sachverstand als auf Religion und Recht. Zu einer Zeit, als es den Jesuiten verboten war, das protestantische Dänemark auch nur zu betreten, war das Angebot an Hell, den Beitrag des Landes zur wichtigsten astronomischen Beobachtung des Jahrhunderts zu leiten, offenkundig ein Beleg für die wissenschaftlichen Verdienste des Königs.

Hell kam der Aufforderung nur zu gerne nach. Als Direktor der Kaiserlich-Königlichen Sternwarte in Wien hatte er dort den ersten Transit verfolgt  – allein in einem Turm, da die Sternwarte bereits mit Besuchern überfüllt war. Aber der Transit von 1769 ließ sich in Österreich nicht beobachten. Nach Hells Meinung gab es in der nördlichen Hemisphäre keinen besseren Beobachtungsort als Vardø. Im Land der Mitternachtssonne würde man den gesamten Transit verfolgen können. Da die Region im hohen Norden Norwegens noch völlig unbekannt war, bot die Expedition Hell auch die Gelegenheit, Klima, Bodenbeschaffenheit und Ureinwohner gründlich zu erforschen. Ref 168

Anders als die weltlich gesinnten Nevil Maskelyne und Chappe d’Auteroche, war der 48-jährige Hell nicht erpicht auf Ruhm oder Abenteuer. Er war ein bescheidender Mann, mit dessen Leidenschaft für die Astronomie sich nur noch seine Liebe zu Gott messen konnte. Für ihn offenbarte sich in der Astronomie das Wunder der göttlichen Schöpfung. Hell war überzeugt, dass die Erkenntnisse über die Entfernung zwischen Erde und Sonne den Menschen die Herrlichkeit des göttlichen Architekten nur noch stärker bewusst machen würde.

Am 28. April 1768 begann Hell seine lange und beschwerliche Reise von Wien in die gefrorene Welt am nördlichen Polarkreis. Wie die anderen Transit-Astronomen reiste auch er nicht mit leichtem Gepäck. Allein seine wissenschaftlichen Instrumente umfassten zwei Quadranten, zwei große Pendeluhren, mehrere Teleskope (von denen das größte 3,20 Meter lang war), eine kleine Bibliothek wissenschaftlicher Bücher, Unmassen Papier und viele Tintengläser, außerdem Olivenöl, Schokolade, Kaffee und Tee. Hell hatte vor, auf dem Landweg von Wien nach Trondheim an der Westküste Norwegens zu reisen, von wo aus er, wie man ihm geraten hatte, auf einem Schiff die Nordspitze des Landes umfahren sollte. Die Expedition musste ihr Ziel erreichen, bevor der Winter die Küste mit eisigem Griff umklammerte, aber zunächst hatte Hell eine Verabredung mit dem König von Dänemark in dessen Schloss bei Lübeck. Ref 169

Mit seinem Assistenten János Sajnovics, einem Diener und mit einem Hund namens Apropos reiste Hell von Wien über Prag, Dresden, Leipzig und Hamburg nach Lübeck. Wie Delisle vier Jahrzehnte zuvor seine Reise nach Russland, nutzten auch Hell und Sajnovics diesen Teil ihrer Reise als eine Grand Tour, die sie zu bedeutenden Wissenschaftlern führte. Überall begegneten sie Astronomen, die den ersten Transit beobachtet hatten, und tauschten Informationen sowie Ratschläge für den nächsten aus. Sajnovics, dessen Tagebuch einen Mann mit scharfem Blick für seine Umgebung verrät, genoss auch die irdischen Freuden des Lebens. Während der zähe Hell genügsam und asketisch war (er aß wenig und fastete jeden Sonnabend), wusste Sajnovics gutes Essen und bequeme Betten zu schätzen  – was sie nicht immer zu den verträglichsten Reisegefährten machte. In Dresden beklagte Sajnovics, dass die Leute ihr Geld lieber für Kleidung und Gärten ausgäben, statt für Essen und Trinken, in Hamburg monierte er, dass die Häuser zu viele Fenster hätten, und die Straßen nach Lübeck, schrieb er, seien die schlimmsten, die er je gesehen habe. Hell bestand darauf, ohne Komfort zu reisen, und die Kutsche, die er besorgte, war laut Sajnovics ein »erbärmlicher Karren« ohne Federn. Diese rauhe Art des Reisens ruinierte die Instrumente: Als sie ihr Gepäck öffneten, fanden sie die Barometer und Thermometer zerbrochen  – und winzige Quecksilberkügelchen rollten zwischen ihren Kleidungsstücken umher  – aber Teleskope und Quadrant waren unbeschädigt.

Zu Sajnovics’ Entsetzen mussten sie in »einem elenden Wirtshause« absteigen, als sie zum Schloss des Königs vor den Toren Lübecks kamen. Während die Himmelsuhr tickte, warteten sie mehrere Tage lang ungeduldig auf eine Audienz bei ihrem Gönner. Als sie am 1. Juni 1768 endlich vorgelassen wurden, hieß Christian VII. Hell herzlich willkommen. »Ich freue mich«, sagte der dänische König zu dem Jesuiten, »dass so ein berühmter Astronom sich entschlossen hat, diese wichtige Beobachtung … zu übernehmen.« Der König versicherte den Astronomen, sie würden alle Hilfe erhalten, die sie für ihre lange Reise brauchten. Sie sollten so rasch wie möglich nach Trondheim weiterreisen (wo sie den Botaniker treffen würden). Ihnen blieb nicht viel Zeit. Einen Monat hatten sie für die knapp 1000 Kilometer von Wien nach Lübeck gebraucht. Jetzt hatten sie nur noch zwei Monate, um mit allen ihren Instrumenten nach Trondheim zu gelangen  – eine Reise von 1600 Kilometern, die größtenteils durch die raue und gebirgige Leere Norwegens führte. Ref 170

 

Am 3. Juni 1768, genau ein Jahr vor dem Transit, waren eindrucksvolle sechs Expeditionen zum nördlichen Polarkreis von Schweden, Dänemark, Russland und Großbritannien organisiert worden. Der König von Dänemark finanzierte Hells Reise nach Vardø, von Stockholm aus dirigierte Wargentin Mallets Expedition nach Pello in Lappland (mit dem Geld, das der schwedische König zur Verfügung gestellt hatte), während Katharina die Große mehrere Astronomen eingestellt hatte, die zu drei verschiedenen Orten auf der Halbinsel Kola in Russisch-Lappland unterwegs waren. In London plante Maskelyne noch eine weitere Reise  – zum Nordkap an die nördlichste Spitze Norwegens  –, eine Expedition, die, wie Maskelyne hoffte, von Georg III. finanziert werden würde.54

Alle diese Beobachtungen im Norden waren von entscheidender Bedeutung für das Gelingen des Unternehmens. Sie sollten als Gegenstück zur gefährlichen Reise der Endeavour in die Südsee dienen. Ref 171