Kapitel acht
Eine zweite Chance
Die Bedingungen für die Vorbereitung des zweiten Transits waren viel besser als für den ersten. Als die Ideale der Aufklärung Europa eroberten, zeigten sich seine Monarchen und Herrscher zunehmend bestrebt, wissenschaftliche Projekte zu fördern und das eigene Wissen zu vermehren. Astronomen in Paris, London, Stockholm und anderswo hofften auf königliche Unterstützung. Als erster britischer Monarch studierte Georg III., der kurz vor dem ersten Transit den Thron bestiegen hatte, Naturwissenschaften im Rahmen seiner offiziellen Ausbildung. Er war bekannt für seine »Liebe zur Naturwissenschaft«. Als Junge hatte er Unterricht in Physik und Chemie erhalten, und sein besonderes Interesse galt wissenschaftlichen Instrumenten, der Astronomie, der Suche nach der Längenbestimmung, der Botanik und der Arbeit der Royal Society. Spanien und Frankreich wurden noch von den Bourbonen Karl III. beziehungsweise Ludwig XV. regiert. Sie waren nicht nur naturgegebene Verbündete im Siebenjährigen Krieg, sondern arbeiteten auch bei der Vorbereitung einer Transit-Expedition in dem spanisch kontrollierten amerikanischen Westen zusammen. Beide interessierten sie sich leidenschaftlich für die Naturforschung. Ref 119So förderte Karl III. die Forschung an den spanischen Universitäten, während Ludwig XV. seit seiner Kindheit von den Sternen fasziniert war und den ersten Venus-Transit beobachtet hatte – genauso wie Königin Louisa Ulrika von Schweden und ihr Sohn, Kronprinz Gustav. Christian VII. von Dänemark, der 1766 mit sechzehn Jahren König wurde, bewarb sich nicht nur um die Mitgliedschaft der Royal Society in London, sondern besuchte auch die Académie in Paris.
In Russland bewies die deutschstämmige Katharina die Große ihren Glauben an die Wissenschaft, als sie sich zu einem Zeitpunkt, als das Verfahren in Frankreich noch verboten war, gegen die Pocken impfen ließ. Sie war 1762 an die Macht gekommen, nachdem sie sich ihres Ehemanns Peters III. nur sechs Monate nach dessen Thronbesteigung entledigt hatte. Peter hatte sein Volk erzürnt, weil er mit dem russischen Erzfeind Preußen Frieden geschlossen hatte, als Russland das Heer Friedrich des Großen gerade vernichtete. Anschließend führten mehrere unüberlegte und unpopuläre Entscheidungen zu einem anfangs unblutigen Putsch – aber acht Tage später kam Peter III. unter mysteriösen Umständen ums Leben, was Katharina zur russischen Zarin, aber auch zu einer Thronräuberin und Mordverdächtigen machte.
Der zweite Venus-Transit fesselte die Aufmerksamkeit der europäischen Herrscherfamilien. Die königlichen Schatztruhen wurden geöffnet, um zumindest einige der Expeditionen und Beobachtungen zu finanzieren. Katharina warb eine kleine Heerschar von Astronomen zur Beobachtung des Ereignisses an, Georg III. ließ ein Observatorium im Old Deer Park in Richmond bauen, und sogar Karl III., der beim ersten Transit noch keine Reisen finanziert hatte, begann jetzt die Bedeutung der internationalen Anstrengungen zu begreifen. Von Dänemark bis Spanien, von Russland bis Großbritannien unterstützten Monarchen rückhaltlos die Bemühungen der Astronomen. Ref 120
In den Jahren nach 1761 hatte sich das politische Klima in Europa vollständig verändert. Seit dem Frühjahr 1763 herrschte wieder Frieden, besiegelt mit Verträgen zwischen Großbritannien, Frankreich und Spanien sowie zwischen Österreich und Preußen (Russland und Spanien hatten sich 1762 aus dem Krieg zurückgezogen). Großbritannien war aus dem Konflikt als größte Kolonialmacht hervorgegangen, nachdem es Frankreich das Land östlich des Mississippi, Kanada und einige der karibischen Zuckerinseln abgenommen und von Spanien Florida erhalten hatte. Außerdem behielten die Briten die Kontrolle über Indien, obwohl sie Frankreich einige Häfen an der Küste (etwa Pondichéry) überließen, unter der Bedingung, dass es unbefestigte Handelsposten blieben.
Der Krieg war vorüber, doch die Beziehungen zwischen den herrschenden Mächten blieben gespannt. Trotz des Friedensvertrags begegneten sich die alten Feinde Frankreich und Großbritannien mit Vorsicht. Frankreich hatte demütigende Verluste erlitten, und Großbritannien hatte – obwohl jetzt im Besitz eines riesigen Empire – durch die Kosten des langen Krieges und durch eine Reihe von Missernten leere Kassen. Um dem abzuhelfen, hatten die Briten 1765 in ihren amerikanischen Kolonien den Stamp Act (»Steuermarkengesetz«) eingeführt – eine Steuer, die auf Papier erhoben wurde und für Zeitungen, Dokumente, Bücher und sogar Kartenspiele galt, wodurch fast jeder Kolonist betroffen war. Es erhob sich Protest gegen das umstrittene Gesetz, und die Amerikaner verlangten Repräsentation im britischen Parlament. Auch auf Frankreich lasteten große Schulden – die finanziellen Auswirkungen des Siebenjährigen Kriegs machten sich bei allen europäischen Nationen bemerkbar, und viele litten unter der Belastung. Aber der Siebenjährige Krieg hatte der Weltkarte ein neues Gesicht gegeben. Anders als 1761, als der weltweite Konflikt Astronomen wie Le Gentil, Mason und Dixon daran gehindert hatte, ihre Bestimmungsorte zu erreichen, schienen sich die Aussichten für die Expeditionen zum Transit von 1769 erheblich verbessert zu haben.
Nicht nur, dass die politische Situation den Forschern das Leben erleichterte, auch die astronomischen Verhältnisse waren günstiger für den zweiten Transit. Der Durchgang von 1769 hatte den Vorteil, dass der Unterschied seiner Dauer bei der Beobachtung zwischen der nördlichen und in der südlichen Hemisphäre größer als 1761 sein würde – sodass sich die Sonnenparallaxe von den Astronomen genauer berechnen ließ. Nach den Erfolgen und Misserfolgen kam die wissenschaftliche Gemeinschaft erneut zusammen. Die Forscher wussten auch, dass es für sie keine weitere Chance geben würde, weil die Venus nach dem 3. Juni 1769 die Sonnenscheibe erst wieder 105 Jahre später überqueren würde. Europas Astronomen waren entschlossen, von den Lehren des Jahres 1761 zu profitieren. »Das Wissen um die Fehler« beim ersten Transit, so ein britischer Astronom, würde ihnen helfen, »jede Methode zur Lösung dieses Problems in die Tat umzusetzen.«
Ehrgeizig wie immer, übernahm Jérôme Lalande jetzt die Rolle des gebrechlichen Delisle und veröffentlichte 1764 eine Mappemonde, die wieder die geeignetsten Orte zur Beobachtung des Transits auswies.34 Durch einen Vergleich der Beobachtungsergebnisse von 1761 gelangte ein britischer Astronom zu dem Schluss, dass bei allen Beobachtern, denen es nicht gelungen war, präzise Zeiten zu nehmen, »Dämpfe« schuld gewesen seien, die auftreten, wenn die Sonne zu niedrig am Horizont steht. In Uppsala beispielsweise, wo der Transit kurz nach Sonnenaufgang begonnen hatte, waren die vier Beobachter nicht in der Lage, sich auf die genaue Eintrittszeit zu einigen – ihre Werte lagen 22 Sekunden auseinander. Sechs Stunden später, um 9 Uhr 30, als die Sonne höher stand, hatten die Unterschiede zwischen ihren beobachteten Austrittszeiten nur noch sechs Sekunden betragen. Daher wurde den Astronomen jetzt geraten, sich Beobachtungsorte zu suchen, wo der Transit um die Mittagszeit, beim höchsten Sonnenstand, zu sehen sein würde. Ref 121
Also kehrten die Astronomen wieder zu ihren Tabellen zurück und rechneten aus, dass der ganze Transit vom Südpazifik, vom östlichen Teil Asiens, vom Russischen Reich, von den nördlichen Regionen Nordamerikas und vom amerikanischen Westen zu beobachten sein würde. Zu ihrer großen Enttäuschung konnte man in Europa nur den allerersten Anfang des Transits kurz vor Sonnenuntergang erleben, während die restliche Wanderung der Venus über die Sonne in der Dunkelheit der Nacht stattfinden würde – ausgenommen nur der hohe Norden, wo die hellen Sommernächte den Astronomen ermöglichen würden, den Weg der Venus bis in die frühen Morgenstunden zu verfolgen.
Laut den Vorhersagen war die längste Dauer des Transits in Nordlappland und am nördlichen Polarkreis zu beobachten, während die kürzeste im Südpazifik – oder in der »Südsee«, wie er damals hieß – erwartet wurde, was diese Standorte zu einem idealen Paar für die Basis der Berechnungen machte. Nach Meinung der Briten eigneten sich für die Astronomen Vardø (damals auch Wardhuus oder Wardö) an der äußersten Nordspitze Norwegens, Torneå in Lappland, am nördlichen Rand des Bottnischen Meerbusens, oder »jeder andere Ort in der Nähe des Nordkaps«. Die Beobachtungen im Norden versprachen relativ einfach zu werden – der Vorteil von Torneå war beispielsweise, dass die exakte geografische Lage bereits bekannt war –, problematischer war es jedoch, Gegenstücke in der südlichen Hemisphäre zu finden. Ref 122
Der beste Ort zur Beobachtung des kürzesten Transits befand sich in der ungeheuren Leere der Südsee, irgendwo um 55° südlicher Breite und 155° westlicher Länge.35 Der Unterschied in der Transit-Dauer zwischen Torneå und der Südsee würde erstaunliche 24 Minuten und 33 Sekunden betragen – und damit mehr als doppelt so groß sein wie irgendein Unterschied zwischen zwei Beobachtungsstationen des Jahres 1761. Zwar machte das die Berechnungen genauer, warf aber andere Probleme auf. Nicht nur, dass die Südsee sich auf der anderen Seite des Globus befand, es gab auch keine festen Handelsrouten in der Nähe, was bedeutete, dass die Astronomen nicht einfach eine Passage auf einem Handelsschiff buchen konnten. Schlimmer noch: Niemand wusste genau, ob es dort überhaupt Land gab. Die wenigen unerschrockenen Entdeckungsreisenden, die sich in die Region gewagt hatten, kamen mit Berichten über unvorstellbare Weiten zurück – heute wissen wir, dass der Pazifik ein Drittel der Erdoberfläche einnimmt. Ref 123
Thomas Hornsby, ein britischer Astronom und Professor an der Oxford University, der intensiv an den schwierigen Parallaxen-Berechnungen beteiligt gewesen war, durchkämmte die Bodleian Library nach historischen Berichten über frühe Fahrten in die Südsee. Die Ergebnisse waren nicht sehr befriedigend, weil bis dahin nur eine Handvoll Entdeckungsreisender dorthin gesegelt waren. Ende des 16. Jahrhunderts hatte beispielsweise der portugiesische Seefahrer Pedro Fernandes de Queirós eine Gruppe von Inseln auf 15° südlicher Breite entdeckt. Das einzige Problem bestand darin, dass diese Inseln viel zu weit westlich lagen, um den Transit von ihnen aus in ganzer Länge zu beobachten. 1568 hatten die Spanier die Solomonen entdeckt, doch so intensiv Hornsby auch suchte, er konnte keine Aufzeichnungen über ihre genaue geografische Lage finden. Es sei fraglich, »ob diese Inseln überhaupt existieren«, teilte er seinen Kollegen in der Royal Society mit. Es gab andere auf etwa 170° westlicher Länge, die im 17. Jahrhundert von dem holländischen Abenteuerreisenden Abel Janszoon Tasman entdeckt worden waren. Aber auch die lagen wiederum nicht genau da, wo die Astronomen sie gebraucht hätten, doch da der Unterschied einer Beobachtung dort gegenüber einer in Torneå mindestens 20 Minuten betragen würde, hielt man diese Inseln für gut genug. Falls es sich als unmöglich erweisen sollte, eine Expedition in die Südsee zu schicken, erklärte Hornsby, dann wäre der zweitbeste Ort Mexiko oder andere Gebiete des amerikanischen Westens, von wo aus ebenfalls der ganze Transit zu beobachten und wo der Durchgang der Venus immer noch viel kürzer als in Torneå sein würde.
Inzwischen waren die Franzosen eifrig damit beschäftigt, ihre eigenen Berechnungen anzustellen. Alexandre-Gui Pingré, der nach den Entbehrungen von Rodriguez wieder sein angenehmes Leben aufgenommen hatte, schlug der französischen Académie des Sciences ähnliche Ideen vor, wobei er betonte, dass »sich uns 1769 Vorteile bieten, die wir 1761 noch nicht hatten«. Wie Hornsby gelangte Pingré zu dem Schluss, dass eine Beobachtung in Lappland mit der eines Ortes in der Südsee gepaart werden müsste, obwohl er meinte, die Sonne würde in Torneå zu niedrig stehen, und daher eine Expedition weiter nördlich vorschlug. Wie die Briten beschäftigte sich auch Pingré mit Reiseberichten früher Entdeckungsreisender, um eine geeignete Beobachtungsstation in der südlichen Hemisphäre auszumachen. Am Ende seiner Suche lieferte er seinen Kollegen eine Liste mit möglichen Bestimmungsorten und empfahl die Marquesas-Inseln (die heute zu Französisch-Polynesien gehören). Pingré behauptete, wenn man dort beobachte, werde der Unterschied in der Transit-Dauer 26 Minuten und 40 Sekunden betragen – und man wisse ungefähr, wo diese Inseln zu finden seien. Noch besser: Die Eingeborenen seien laut der historischen Reiseberichte »von freundlichem Charakter«.
Eine Expedition in die Südsee war gefährlich und kostspielig, aber, so betonten die Briten, »die Nachwelt wird bestimmt unendliches Bedauern empfinden«, wenn es dieser Generation nicht gelinge, eine solche Expedition durchzuführen. Die Vorteile für Astronomie und Navigation waren offenkundig, aber es gab auch die wirtschaftliche Bedeutung für ein wachsendes Kolonialreich. »Eine Handelsnation«, so meinte man, könnte »eine Niederlassung in dem großen Pazifik gründen«. Ref 124
So organisiert die wissenschaftlichen Gesellschaften auch waren, ein Astronom war schon unterwegs. Wieder war Le Gentil als Erster aufgebrochen, dieses Mal von Mauritius. In den Jahren nach dem ersten Transit hatte er die Insel als Ausgangspunkt benutzt, um den Indischen Ozean zu befahren. Er war auch mehrfach nach Madagaskar gereist, um die Seekarten der Region zu verbessern, indem er die exakten geografischen Positionen aller wichtigen Punkte an der Küste der Insel ermittelte; außerdem erforschte er die Windmuster auf See. Stolz verkündete er, das sei eine Karte, »die für die Schiffarth weit sicherer ist, als alle, die man vorher davon gehabt hat«. Ref 125
1765 sagte sich Le Gentil, es werde »Zeit, an den zweyten Durchgang der Venus zu denken«. Er studierte seine astronomischen Tabellen und Bücher, berechnete die Zeit des Transits und gelangte zu dem Schluss, dass Manila auf den (damals spanischen) Philippinen der beste Ort für seine Beobachtungen sein würde. Da Mauritius eine Zwischenstation auf der französischen Handelsroute war, plante Le Gentil, ein Schiff der Compagnie des Indes zu nehmen, das nach China fuhr. Von dort aus, so hatte man ihm gesagt, lasse sich leicht ein Schiff finden, das ihn an sein Ziel bringen würde. Obwohl das eine ziemlich umständliche Route war, brauchte sich Le Gentil bei einem Spielraum von vier Jahren keine Sorgen zu machen. Er hatte noch viel Zeit.
Im Januar 1766 schrieb er an den Präsidenten der Académie in Paris und bat um Empfehlungsschreiben des spanischen Gesandten in Frankreich für den Gouverneur von Manila. Dann war der Zufall endlich auf der Seite von Le Gentil. Als er seine Briefe abschickte, traf ein spanisches Schiff auf Mauritius ein, das direkt nach Manila segelte. Wie sich herausstellte, war der Erste Offizier ein alter Bekannter aus Paris, und der Kapitän ließ sich rasch überreden, dem französischen Astronomen zu helfen. Am 1. Mai 1766, nach einigen Verzögerungen durch bürokratische Formalitäten und einen Hurrikan, verließ Le Gentil Mauritius in Richtung der Philippinen.
Wieder hatte Frankreich einen Vorsprung vor Großbritannien. Aber nicht lange, so hofften die Briten, denn am 5. Juni 1766, als Le Gentil den Indischen Ozean überquerte, kamen die Fellows der Royal Society an ihrem Sitz in London zusammen und beschlossen einstimmig, »dass jetzt ein oder mehrere astronomische Beobachter ausgesucht und verpflichtet werden, den nächsten Venus-Transit 1769 zu beobachten«. Es wurde Zeit, an die praktische Seite zu denken. Für den letzten Transit hatten sie nur ein Jahr Vorbereitungszeit gehabt, aber jetzt war ihre letzte Chance, Venus über die Sonne wandern zu sehen. Einige Astronomen würden sich auf speziell gecharterten Schiffen weit von den vorhandenen Handelsrouten entfernen müssen – Expeditionen, die mehr Vorbereitungen und Geldmittel verlangten. Ref 126
Langsam wandte man sich in der Académie in Paris und in der Royal Society in London von den Berechnungen und Vorhersagen den pragmatischeren Aspekten der Beobachtungen zu: Wie viele Astronomen sollten sich auf den Weg machen, wen sollten sie schicken, welche Instrumente sollten mitgenommen werden, wie würden die Beobachter zu ihren Zielorten gelangen, und wer würde dafür bezahlen?
Nur Chappe d’Auteroche, der Anfang August 1762 aus Russland nach Paris zurückgekehrt war, vermied es, sich an den komplizierten Vorhersagen und Vorbereitungen zu beteiligen. Er hatte es nicht eilig, sein Amt an der Königlichen Sternwarte in Paris zu verlassen. Nach den Abenteuern in Sibirien hatte sein Leben ein gemächliches Tempo angenommen. Er verfolgte weniger aufregende Himmelsereignisse wie Sonnen- und Mondfinsternisse, und manchmal beobachtete er den Himmel zusammen mit seinem Kollegen Pingré. 1764 führte er vor der Küste von Brest einige kurze Experimente mit den Chronometern des französischen Uhrmachers Ferdinand Berthoud durch, um ihre Genauigkeit für die Längenbestimmung auf Schiffen zu prüfen (die Alternative zu Maskelynes Mond-Methode). Doch Chappes Hauptbeschäftigung während der Jahre zwischen den Transiten war die Vollendung eines monumentalen dreibändigen Buchs über seine sibirische Expedition, Voyage en Sibérie. Unermüdlich hatte Chappe an diesem Werk gearbeitet, das nicht nur ein Bericht über seine Transit-Beobachtungen war, sondern auch eine umfassende Abhandlung über Russland mit einem Überblick über Klima, Mineralien, Flora und Fauna sowie Kommentaren zu Sitten und Gebräuchen, Kunst und Wissenschaft. Die Bände, mit eleganten Stichen und Karten illustriert, sollten sein Vermächtnis über die Welt der Astronomie hinaus sein. Ref 127
In London organisierte die Royal Society eine Expedition nach Kalifornien, eine Region, die von Spanien kontrolliert wurde. Obwohl nicht so südlich gelegen wie die vorgeschlagenen Orte in der Südsee, war Kalifornien trotzdem wichtig. Dort würde der gesamte Transit zu beobachten sein und mitten am Tage stattfinden. Obwohl der Unterschied in der Dauer nicht so groß wie in der Südsee zu erwarten war, würde er immer noch 17 Minuten betragen – genug, wie man hoffte, für exakte Parallaxenberechnungen. Und wenn die Spanier zur Zusammenarbeit bereit waren, ließ sich Kalifornien noch bequemer über die vorhandene spanische Handelsroute von Cádiz nach Mexiko erreichen.
Das einzige Problem lag darin, dass die Beziehungen zwischen Briten und Spaniern angespannt waren, um es vorsichtig auszudrücken. Während des Siebenjährigen Kriegs hatte das protestantische Großbritannien dem katholischen Spanien den Krieg erklärt. Mit Frankreich verbündet, hatte Spanien große militärische Verluste erlitten und nach Ende des Konflikts Florida an die Briten abgetreten. Im Frühsommer 1766 schrieb der Präsident der Royal Society dem spanischen Botschafter in London und bat ihn um die Erlaubnis, einen Astronomen nach Kalifornien schicken zu dürfen. Um die Spanier zu beschwichtigen, die Nichtkatholiken stets mit Misstrauen begegneten, wählte die Royal Society einen jesuitischen Astronomen, der in Italien arbeitete, aber ein Fellow der britischen Gesellschaft war.36 Im August 1766 gab Karl III. seine Erlaubnis unter der Bedingung, dass der Beobachter auf einem spanischen Schiff reiste und von »einigen Spaniern« begleitet wurde. Alles schien geregelt, doch dann, nur wenige Monate später, im März 1767, erhielt die Royal Society die katastrophale Nachricht, dass Karl III. befohlen hatte, die Gesellschaft Jesu zu unterdrücken – und alle Jesuiten aus spanischem Herrschaftsgebiet zu vertreiben. Mit einem Schlag war die Expedition zunichte gemacht geworden. Die Royal Society musste einen anderen Astronomen finden und Spanien noch einmal um die Erlaubnis zum Betreten Kaliforniens bitten. Ref 128
Am 15. Mai 1767 schrieb die Royal Society erneut an den spanischen Botschafter und fragte an, ob sie stattdessen zwei britische Astronomen entsenden könne, wobei sie die Bedeutung dieser »einzigartigen Beobachtung« unterstrich. Die Spanier hatten jedoch das Interesse verloren. Der Indienrat (Consejo de Indias), der praktisch die Kolonialverwaltung der spanischen Gebiete war, hatte nicht die Absicht, Engländern Zugang zu seinen Gebieten zu gewähren, weil er in der Expedition einen Vorwand für Spionage vermutete. Da die Briten bereits die Ostküste des nordamerikanischen Kontinents kontrollierten, fürchteten die Spanier um ihren Handel im Westen. Unter keinen Umständen wollten sie einem Engländer erlauben, ihr nordamerikanisches Territorium zu betreten – noch nicht einmal im Namen der Wissenschaft. »Die englischen Astronomen erhalten keine Erlaubnis«, schrieben sie, »eine solche Genehmigung wird niemals erteilt.«
Jetzt wurde das Anliegen der Royal Society auch als Beleidigung der spanischen Ehre angesehen – schließlich hatte man selbst absolut fähige Wissenschaftler. Die Royal Society solle sich gesagt sein lassen, »dass es in Spanien nicht an guten Astronomen und Mathematikern fehlt«. Der spanische Patriotismus war erwacht. Obwohl die Spanier bislang kein großes Interesse an den Transiten gezeigt hatten, beschlossen sie nun, eine eigene Expedition auszurüsten. »Seine Majestät«, so hieß es in dem Brief weiter, »wird die erforderlichen Anordnungen erteilen.« Ref 129
Die Briten waren nicht die einzige Nation, die Rückschläge erlitt. Auch Le Gentil kämpfte erneut mit Widrigkeiten. Das Glück, das ihm wohlgesonnen gewesen war, als er einen Segler nach Manila fand, verließ ihn nun wieder. Auf der Fahrt nach Manila waren sie in einen »fürchterlichen Sturm« geraten, der das Schiff gefährlich nahe an die Küste der Philippinen getrieben hatte. Überzeugt, dass sie Schiffbruch erleiden würden, hatte der Kapitän Gebete und »Opfergaben« empfohlen. Den Tod vor Augen, beschloss Le Gentil, die Gebete zu überspringen, und gelobte stattdessen, dass er, sollte er überleben, Manilas Längengrad berechnen werde – das Gelübde eines echten, aber besessenen Wissenschaftlers. Ob es nun an des Kapitäns Gebeten oder an Le Gentils Gelübde lag, sie schafften es jedenfalls lebend nach Manila. Er sei, so schrieb Le Gentil, nachdem er die Strapazen überstanden hatte, an einen Freund, »entschlossen, alles zu erdulden« für den Erfolg seiner Beobachtungen. Mitte Juli 1767 – die Briten hatten gerade erfahren, dass die Spanier sich weigerten, sie den Transit in Kalifornien beobachten zu lassen – erhielt Le Gentil einen Brief aus Paris, der ihn wieder auf eine andere Reise schickte. Die Académie wies ihn an, die Philippinen zu verlassen, weil sich nach Pingrés Berechnungen herausgestellt habe, dass er »zu weit gegen Osten gienge«. Sie forderte Le Gentil auf, sich stattdessen nach Pondichéry zu begeben.
Wo andere Forscher vielleicht erbost oder enttäuscht reagiert hätten, blieb Le Gentil besonnen und erwog ruhig seine Optionen. Wieder einmal beschloss er, seine Reise fortzusetzen. Nur das Wetter ließ ihn zögern, waren doch von den neunzig Tagen, die er auf den Philippinen verbracht hatte, nur drei bewölkt gewesen. Das Klima schien ideal für die Transit-Beobachtung zu sein, aber, so versuchte er sich die Situation schönzureden, es konnte ja an dem entscheidenden Tag im Juni 1769 durchaus wolkig sein.
Er machte sich auf mit Vergils Worten im Herzen: »Flieh dies grausame Land, ja flieh dies gierige Ufer.« Beflügelt von seinem typischen Optimismus und im unerschütterlichen Glauben, dass es ihm vorherbestimmt sei, die Venus zu sehen, packte Le Gentil seine Koffer und stach erneut in See. Ref 130