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Jetzt war Winter gewarnt. Der rote Audi kurvte hier nicht von ungefähr herum. Er würde die Augen offen halten.
Der Pfad, in den der Peugeot mittlerweile abgebogen war, hieß Altenginger Weg. Das wusste Winter noch von seiner Taxifahrerprüfung. Er wusste auch, dass dieser Weg in einer Sandgrube endete. Kurz entschlossen bog er von der Bundesstraße ab und stoppte keine zehn Meter weiter auf dem Grasbankett.
»So, jetzt wird gelaufen, Willi«, rief er dem alten Schützenoberst aufmunternd zu. Der saß weiterhin auf dem Beifahrersitz und war, das bemerkte Winter jetzt erst, leichenblass. Das, was er für Abgeklärtheit oder Coolness gehalten hatte, war schlicht und ergreifend Angst.
»Was ist los mit dir?«, fragte er besorgt nach.
»Ach, Johnny, diese Raserei ist nichts für mich. Ich hatte vor Jahren mal einen Autoumfall. Seitdem wird mir immer ganz anders, wenn einer so heizt wie du eben. Ich hab noch ganz weiche Knie.«
»Nutzt nichts, Willi, wo wir schon den ganzen Aufwand betrieben haben, bringen wir das jetzt auch zu Ende. Ich möchte wirklich mal wissen, was dieser Kloppenburg hier in der Sandgrube zu suchen hat. Komm, wir schlagen uns in die Büsche.«
»Warte, Johnny, vielleicht hattest du vorhin recht. Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist Verbrecherjagd Polizeiangelegenheit. Verhaften soll Schwiete die Gangster selbst. Das ist nicht unsere Aufgabe.«
»Okay, Willi, wie du willst. Aber du erzählst unserem Horst, was Sache ist. Es war deine Idee, nach Bad Lippspringe zu fahren, um noch einmal nach dem Rechten zu sehen. Ich wollte zu Hause bleiben und Musik hören. Du hast mich mehr oder weniger genötigt, also holst du dir jetzt auch den Einlauf ab.«
Künnemeier besah sich das Smartphone, das Winter ihm hinhielt. »Mit diesen modernen Dingern kann ich nicht umgehen. Mach du das mal lieber mit dem Telefonieren«, versuchte er die unangenehme Aufgabe auf Winter abzuwälzen.
»Oh nein, mein Lieber! Ich drücke jetzt auf dieses Feld, und dann musst du nur noch sprechen.« Winter reichte Künnemeier das Handy.
»Ja, hallo, Herr Kommissar? Ja, hier spricht Künnemeier. Johnny und ich, wir haben da was herausgefunden. Ja, und weil Sie neulich sagten, wir sollen uns da raushalten, da machen wir das natürlich auch.«
Künnemeier hörte mit verkniffener Mine zu. »Ja, Herr Kommissar, ja, ich erzähle ihnen mal die ganze Geschichte.«
Während Künnemeier berichtete, wurde Winter immer ungeduldiger. Er wollte an Kloppenburg dranbleiben und suchte deshalb im Taxi nach einer Taschenlampe. Damit bewaffnet signalisierte er Künnemeier, sich bitte schön zu beeilen, und als der sich dadurch nicht aus der Fassung bringen ließ, fasste er den Schützenbruder kurzerhand am Arm und zog ihn über die Bundesstraße.
»Nein, Herr Kommissar, wir machen nichts, wir gucken nur mal.« Weitere Anweisungen konnte Schwiete nicht mehr an den Mann bringen, denn plötzlich wusste Künnemeier, wie man ein Smartphone bediente, und legte einfach auf.
»Junge, war der sauer, ich konnte mir sein Geschimpfe einfach nicht mehr anhören«, sagte Künnemeier und gab das Telefon zurück.
»Los, komm«, mahnte Winter zur Eile, »wir müssen diesen Kloppenburg finden.«
Die beiden Männer gingen über eine Wiese, und jedes Mal, wenn sie einen Fuß auf die Grasnarbe setzten, schmatzte es, so aufgeweicht war das Erdreich. Das Laufen war Schwerstarbeit, denn all das, was der Matsch sich einmal einverleibt hatte, wollte er nicht so ohne Weiteres wieder hergeben. Als die beiden Männer ein Gebüsch auf der anderen Seite erreicht hatten, standen ihnen die Schweißtropfen auf der Stirn.
Nach einer kurzen Verschnaufpause überquerten sie in geduckter Haltung den Weg und standen vor einem Sandberg.
»Hier müssen wir hoch, dann haben wir einen super Überblick über das ganze Areal«, beschloss Winter und begann mit dem Aufstieg. Gegen diese Aktion war das Queren der Wiese Kinderkram gewesen. Winter schnaufte und rackerte sich ab, um die Kuppe des Sandberges zu erreichen. Jedes Mal, wenn er ein paar Meter Höhenunterschied überwunden hatte, griff die Schwerkraft und zog ihn mindestens um die Hälfte des zurückgelegten Weges in die Tiefe. Als Winter oben auf dem Sandberg angekommen war, hatte Künnemeier gerade mal die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Er stand da, rang nach Luft und griff sich mit den Händen ins Kreuz, das ihn ziemlich schmerzte.
Gerade wollte Winter wieder ein paar Meter absteigen, um dem alten Schützenbruder zu helfen, da nahm er irgendetwas aus den Augenwinkeln wahr. Einen Lichtreflex? Augenblicklich verwarf er den Gedanken, Hilfestellung zu leisten. Angespannt starrte er auf die Sandgrube. Da sah er es wieder. Es war ein schwacher Lichtkegel, der zwischen zwei Sandbergen zu tanzen schien.
Da war also jemand. Aber was hatte dieser Jemand vor? Wieso war er so dermaßen vorsichtig? Das musste einen Grund haben. Und den musste Winter herausfinden. Zwischen den Förderbändern schien sich eine Person zu bewegen. Winters Nackenhaare stellten sich auf. Was war hier los?