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Der Bauunternehmer Wilfried Kloppenburg hatte an diesem Montagmorgen ungewöhnlich lange geschlafen. Eigentlich war er einer dieser militanten Frühaufsteher, die zu dem Zeitpunkt, wenn ein normal veranlagter Mensch zum ersten Mal genervt auf seinen Wecker einschlägt und sich wieder umdreht, bereits den Schweiß vom morgendlichen Joggen abgeduscht und bei einem kräftigen Frühstück den Wirtschaftsteil ihrer Tageszeitung konsumiert haben. Jedenfalls konnte sich Wilfried Kloppenburg nicht daran erinnern, jemals bis fast zehn Uhr geschlafen zu haben. Doch am Vorabend war es spät geworden. Das Flugzeug war in Madrid, wo er sich mit einem wichtigen Geschäftspartner getroffen hatte, mit Verspätung abgeflogen und mit noch größerer Verspätung in Düsseldorf angekommen. Als er endlich zu Hause in seinem Bett in Bad Lippspringe lag, war es schon fast zwei Uhr nachts gewesen.

Nun saß er beim Frühstück und hatte die Tageszeitung vor sich. Als sein Blick auf das Foto vom explodierten Einfamilienhaus im Lohfeld fiel, erschrak er. Es hatte nur noch zu einer kurzen Nachricht auf der Titelseite gereicht, denn für einen ausführlichen Bericht war es gestern Abend schon zu spät gewesen. Als bedeutender Bauunternehmer kannte er eine Menge Häuser, hatte sie bauen oder umgestalten lassen, gekauft und wieder verkauft. Aber mit diesem Haus verband ihn etwas Besonderes.

»Aktuelles über die Explosionskatastrophe finden Sie auf dem Onlineportal dieser Zeitung«, las er aufgewühlt. Er sprang auf und lief zur Garderobe, wo in seiner Jackentasche das Smartphone steckte. Hektisch rief er die Internetseite auf und ließ sich im Wohnzimmer in einen Sessel fallen. Die Online-Redaktion seiner Lokalzeitung hatte bereits ihre Hausaufgaben gemacht und einen ausführlichen Beitrag über das Geschehen, weitere Fotos und sogar ein Video von den rauchenden Trümmern ins Netz gestellt. Auch ein erstes Interview mit dem Leiter der Paderborner Feuerwehr und einem Vertreter der Polizei wurde angeboten.

Hektisch tippte Kloppenburg auf seinem Handy eine Telefonnummer, wartete nervös auf die Verbindung und warf schließlich das Telefon achtlos auf den Couchtisch, als ihm mitgeteilt wurde, dass eine Verbindung nicht möglich sei.

Aufgedreht lief der massige Mann durch das luxuriös ausgestattete Wohnzimmer. Wäre er in diesem Zustand seinem Hausarzt unter die Augen gekommen, hätte dieser ihm sofort ein Mittel zur Blutdrucksenkung verschrieben. Diese Nachricht traf ihn schwerer, als sie ihn eigentlich hätte treffen dürfen. Und so riss er sich mit aller Kraft zusammen, als seine Gattin in den Raum trat. Irritiert starrte er die Frau an, mit der er bereits seit zwanzig Jahren zusammenlebte. Selten zuvor hatte er ihre Anwesenheit als so störend empfunden wie in diesem Augenblick. Dabei war Brigitte Kloppenburg durchaus eine attraktive Erscheinung. Obwohl schon Mitte Vierzig, gab ihre Figur noch mancher Zwanzigjährigen allen Anlass zum Neid.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte sie mehr schnippisch als besorgt und stellte ihre Kaffeetasse auf das Sideboard. »Geht´s dir nicht gut?«

»Doch, doch«, brummte er kurz angebunden. »Alles okay.«

Während seine Frau einen Schluck Kaffee nahm, schaute sie ihn prüfend an.

Kloppenburg fühlte sich bedrängt. »Es ist wirklich nichts. Nur der Jetlag.«

»Jetzt mach dich nicht lächerlich! Von Madrid nach Düsseldorf? Da gibt´s keinen Jetlag. Aber wenn du meinst, dann behalt doch deine Probleme für dich. Ich bin ja nur deine Ehefrau.«

Verblüfft starrte er sie an. Diese Front konnte er überhaupt nicht gebrauchen, er musste sofort eine Friedensinitiative starten, sonst würde ihm alles über den Kopf wachsen. Er hob die Tageszeitung auf, die zerknüllt auf dem Fußboden lag, und drückte sie ihr in die Hand.

»Hast du was von der Explosion in Paderborn mitbekommen?«

»Nein, jedenfalls nicht direkt. War ja viel zu weit von hier entfernt. Aber kurz vor Mitternacht hat meine Kollegin Gerda angerufen, wegen einer Unterrichtsvorbereitung für heute, sie hatte da was Wichtiges vergessen. Aber egal, ihr Mann ist ja ein hohes Tier bei der Feuerwehr, und deshalb hat sie mir erzählt, was passiert war. Was hat denn das Ganze mit dir zu tun?«

Kloppenburg druckste herum. »Das Haus war mal in meinem Portfolio. Ich habe es erst vor einem Jahr verkauft.«

»Und?«, fragte sie zunehmend misstrauisch. »Was hast du denn noch damit zu tun? Das ist doch alles nicht dein Problem. Oder hast du das Geld noch nicht bekommen?«

»Doch, das schon. Es ist nur so ein sentimentales Bauchgefühl. Denk dir nichts, ist schon wieder vorbei.« Dabei lächelte er gekünstelt, ging zu seiner Frau, gab ihr einen flüchtigen Kuss und wandte sich zur Tür. »Ich muss ins Büro. Zum Mittagessen bin ich wieder zurück. Versprochen!«

Er war schon auf dem Flur, als seine Frau hinter ihm herrief: »Du hast dein Handy auf dem Tisch liegen lassen.«

Als er zurück ins Wohnzimmer kam, hielt sie das Mobiltelefon in den Händen und schaute interessiert auf das Display.

»Wer ist denn diese Alicija, die du gerade anrufen wolltest?«