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Kükenhöner ärgerte sich. Seine Frau hatte ihm am Vorabend zwischen Tür und Angel mitgeteilt, dass sie sich heute um acht Uhr morgens zu einer Lerngruppe mit ihren Referendarskollegen verabredet hatte. Wie lange sollte das noch so gehen, fragte sich Kükenhöner. Kein gemeinsames Frühstück mehr, die Kinder machten, was sie wollten, und er war mittlerweile zum Beherrscher der Waschmaschine mutiert.
Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ihn seine Kollegen mit Küchenschürze bekleidet oder beim Wäscheaufhängen sehen würden. Was für eine Blamage das wäre. Na, wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung, dachte Kükenhöner.
Die nächste Hiobsbotschaft war gleich heute Morgen gekommen. Denn um kurz nach sieben hatte Schwiete ihn angerufen und ihm mitgeteilt, dass es eine Entführung gegeben habe. Er brauchte jetzt jeden Mann. Seit der Besprechung mit Schwiete hatte Kükenhöner nur noch Büroarbeit gemacht und sich um Schreibkram gekümmert. Obwohl er diese Formulare hasste wie die Pest, bewahrten sie ihn doch vor allzu vielen Überstunden. Papier war schließlich geduldig.
Kükenhöner hatte bei seinem Chef noch das gemeinsame Frühstück mit seinen Kindern heraushandeln können. Er hatte versprochen, um zehn in der Kreispolizeibehörde zu sein. Anschließend war er durchs Haus gezogen, hatte an allen Türen geklopft und seine Sprösslinge aufgefordert, augenblicklich aufzustehen, um mit ihm zu frühstücken.
Er hatte keine Lebenszeichen von den Schlafmützen bekommen, aber das kannte er ja. Jetzt saß Kükenhöner allein vor seiner Tasse Kaffee und dachte nach. Gleich würde er in die Riemekestraße fahren. Wenn wirklich kapitale Verbrechen begangen wurden, ging es eben nicht ohne Kükenhöner. Da konnte die kleine Klocke noch so ehrgeizig sein, er hatte die Erfahrung, auf die man nicht mal eben so verzichten konnte.
Gut zu wissen, dass es so ist, dachte er. Man trifft sich eben immer zweimal im Leben, mein lieber Schwiete.
»Verdammt, wo bleiben die denn?«
Kükenhöner wurde langsam unruhig. Er wartete jetzt schon eine geschlagene halbe Stunde auf seine Brut, um wenigstens gemeinsam mit seinen Kindern zu frühstücken, wenn seine Frau es schon nicht mehr für nötig hielt, am Familienleben teilzunehmen. Diese elende Warterei, war er denn nur noch der Willi in diesem Haushalt? Verärgert begab er sich wieder in die erste Etage seines Hauses. Zuerst würde er seinen Jungen aus den Federn treiben. Der gewöhnte sich mit seinen neun Jahren schon die gleichen Marotten an, wie die Mädchen sie drauf hatten.
Er riss die Tür zum Kinderzimmer auf. Doch das Bett war leer. Wo war Karl? Hatte er irgendetwas nicht mitbekommen? Er rief dem Namen seines Sohnes, niemand meldete sich. Er stürzte weiter zum Zimmer seiner Ältesten. Hier konnte er nicht einfach hineinpoltern. Das würde Ärger geben. Also klopfte er brav an. Kein Ton. Keine Antwort. Vorsichtig drückte Kükenhöner die Klinke herunter und schob die Tür einen Spalt breit auf. Er linste ins Zimmer. Es war niemand da.
Das konnte doch nicht sein. Kükenhöner war fassungslos. Wo waren seine Kinder? Aufgeregt ging er zur nächsten Tür. An der klebte ein riesiges Schild: »Papa, in diesem Zimmer hast du nichts zu suchen!«
Na, das wollte Kükenhöner doch mal sehen. Die Tür war abgeschlossen. Er rüttelte an der Klinke.
»Maren, verdammt noch mal, mach die Tür auf!« brüllte er.
Es tat sich nichts. Kükenhöner lauschte. Flüsterte da jemand? »Wenn du nicht augenblicklich die Tür öffnest, trete ich sie ein!«, schrie er.
»Mach doch, ist ja deine Tür«, kam die patzige Antwort von innen.
»Du sollst aufmachen!« Kükenhöner trommelte mit den Fäusten gegen die Tür. Dieser Lärm schien Wirkung zu zeigen. Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Im nächsten Augenblick stand seine spärlich bekleidete Tochter vor ihm.
»Sag mal, Papa, geht’s noch?«
Kükenhöner drängte sich ins Zimmer und sah sich um. Außer seiner Tochter war niemand zu sehen.
»Wo ist Karl?«
»Der schläft bei Paul, das ist der Torwart seiner Fußballmannschaft. Sag mal, kriegst du überhaupt nichts mehr mit? Da haben wir gestern noch in epischer Breite drüber geredet.«
Kükenhöner hörte seiner Tochter nicht weiter zu. Er öffnete die Kleiderschranktür. Es war niemand drin.
»Papa, spinnst du, was erlaubst du dir? Mein Zimmer ist für dich tabu!«
»Für mich ist gar nichts tabu!«, blaffte Kükenhöner. »Wo ist deine Schwester Christine?«
»Bei ihrem Freund.«
Kükenhöner entglitten die Gesichtszüge. Maren bemerkte augenblicklich, dass sie bei ihrem Vater einen wunden Punkt getroffen hatte. Sie legte nach.
»Mama hat’s erlaubt! Die ist nicht so antiquiert wie du.«
»Antiquiert, ich gebe dir gleich antiquiert.«
Kükenhöner machte eine eindeutige Handbewegung. In diesem Moment streifte seine Wange ein kalter Luftzug. Die Gardine bewegte sich. Er griff danach und zog sie zur Seite. Das Fenster stand sperrangelweit offen. An die Hauswand war eine Leiter angelegt, und ein dunkelhaariger Lockenkopf kletterte gerade über den Gartenzaun.
»Stubenarrest für immer!«, brüllte Kükenhöner seine Tochter an und nahm die Verfolgung auf.