|119|23

Als ich nachfrage, ob er Meneses sei, schaut er mich argwöhnisch an. Er tritt einen Schritt zurück und mustert mich von Kopf bis Fuß. Erst dann bekomme ich eine Antwort.

»Ja.«

Nicht gerade eine Plaudertasche, dieser Meneses. Víctor hatte mir gesagt, wo ich ihn finden kann – was nicht weiter schwierig war, denn Meneses unterhält ein Lokal neben der Bar El Punto. Sozusagen mitten in der Hippie-Zone, wo sich aber auch die jüngeren Touristen aufhalten.

Unser Gespräch will nicht so recht in Gang kommen. Auf meine Fragen antwortet Meneses einsilbig und dehnt die Worte, als täte er mir einen ungeheuren Gefallen, sich überhaupt mit mir zu befassen. Ich vermag diese ablehnende Haltung zunächst nicht zu deuten.

Meneses ist groß und schlank und trägt sein langes Haar zum Pferdeschwanz gebunden. Ich schätze ihn auf höchstens fünfunddreißig, aber |120|vielleicht liegt das auch an der Kleidung: schmale Brille mit dickem, buntem Gestell, Pumphosen und ausgelatschte Sandalen. Eigentlich würde man ihn für einen relaxten, friedfertigen und liebenswürdigen Zeitgenossen halten. Doch in Meneses gärt es.

Meneses ist Fachmann für traditionelle Naturheilkunde. Er hat sich in Ecuador und anderen Ländern ausgiebig mit den Heilpraktiken der Andenregion und des Urwaldes vertraut gemacht. Er kennt jedes Naturelement, weiß, welches der Reinigung und welches der Verbesserung des Energiehaushaltes dient, wie man sein inneres Gleichgewicht wiederherstellt. Lange Jahre war er Schüler bei legendären Schamanen; von ihnen hat er die Lebensform übernommen, die er heute selbst an seine Anhänger weitergibt. Er ist berühmt, und viele Ausländer kommen nach Vilcabamba, nur um ihn kennenzulernen.

Ihm steigt die Galle hoch, wenn Leute ihn aufsuchen, weil sie denken, er sei ein Drogendealer. »Meister, haben Sie Drogen?« – diese Frage muss sich gerade er, der sich darauf versteht, Körper und Geist in Einklang zu bringen, tatsächlich immer wieder gefallen lassen!

»Die Leute sind völlig auf dem Holzweg. Ich betreibe eine uralte Wissenschaft, das ist kein Hokuspokus. |121|Bevor ich irgendeine Naturmedizin verordne, erstelle ich eine ausführliche Diagnose. Zuallererst muss man herausfinden, ob die Krankheit mit der Erde, mit der Seele oder mit den Geistern zu tun hat. Die Behandlung erfolgt dann mit unterschiedlichen Reinigungszeremonien.«

»Haben Sie Erfolg mit Ihren Behandlungsmethoden?«

»Ja, ich habe als Schamane regen Zulauf.«

Meneses behandelt seine Patienten meist mit »San Pedro«, einem Trunk, der aus frischen Andenkaktus-Stücken hergestellt wird und halluzinogene Wirkung hat. Wie Meneses sagt, kann man nach dem Genuss des Getränks in einem Zustand der Bewusstseinserweiterung seinen eigenen Geist und Körper beobachten.

»Es sind kollektive nächtliche Zeremonien, mit Bädern, die sich über eine ganze Nacht erstrecken und von jemandem angeleitet werden müssen, der sich gut mit der Wirkung des Kaktus auskennt.«

Das ist bei Meneses der Fall. Im Wesentlichen, bestätigt er, geht es bei diesen Zeremonien um Selbsterfahrung. Irgendwie ist das wohl nichts für mich.

Von der anderen Straßenseite her ruft mich Lenin. Ich verabschiede mich von Meneses und laufe zu seinem Jeep hinüber.

|122|»Das ist der Schamane für die Amis. Wenn du willst, stelle ich dir Manuel Rivas vor. Zu dem gehen die Einheimischen.«

Wenn ich gewusst hätte, in was ich da einwilligte …

 

Manuel Rivas besitzt zwei Häuser, was er mir gleich erklärt: Während der Heilungszeremonien muss er immer sehr viel trinken – »aus rituellen Gründen«. Und wenn mehrere Patienten in Folge kommen, ist er am Ende so sturzbetrunken, dass seine Frau ihn aus dem Haus wirft. Doch weil ein Verzicht auf seine Tätigkeit als Schamane nicht in Frage kommt, haben sie in gegenseitigem Einverständnis eine zweite Bleibe für Don Manuel gesucht.

Ein ganz modernes Paar.

Lenin erklärt Manuel Rivas, wer ich bin und dass wir sozusagen im selben Metier arbeiten.

»Sie sind also Arzt?«, fragt er.

»Ja … Und Sie können mich behandeln?«

Zufrieden streicht er über seinen dicken Bauch und überlegt. Dann nimmt er die Baseballkappe ab, fährt sich durch das Haar und erwidert: »Gut, ich helfe Ihnen, und Sie helfen mir.«

Wir sitzen im Innenhof des Hauses. Seine Frau – um die sechzig, rote Hose, graues T-Shirt und eine |123|ähnliche Kappe wie ihr Mann auf dem Kopf – fährt unbeirrt mit ihrer Hausarbeit fort, als ob unser Besuch sie nicht interessierte. Dennoch fällt mir auf, dass sie nie außer Hörweite ist.

Ich frage, wie ich ihm helfen kann, und gehe davon aus, dass er Geld will.

Lenin vermutet, dass der Schamane bestimmt Medikamente tauschen wolle. Ob ich ihm nicht etwas von der Medizin überlassen könne, die ich bei mir habe? Im Gegenzug würde Don Manuel mich heilen und mit ein paar Heilkräutern versorgen.

Meine Reiseapotheke ist gut bestückt, ich könnte dem Schamanen durchaus etwas abtreten. Aber es behagt mir nicht, einem Heiler Medikamente zu überlassen, ohne zu wissen, wem er sie unter welchen Umständen verabreicht.

Rivas kommt mir mit einer Antwort zuvor: Nein, darum ginge es nicht, und auch nicht um Geld. Aber wenn er Hand anlegen solle, dürfte ich mich später auch nicht drücken.

Ich versuche rasch die Lage einzuschätzen. Im Notfall könnte ich fliehen, auf Lenin und seinen Jeep ist Verlass. Der Schamane ist ziemlich alt, an Kraft müsste ich ihm überlegen sein, doch in Vilcabamba weiß man nie. Außerdem hat er womöglich eine Waffe. Warum rückt er nicht damit raus, was er will?

|124|Ich erkläre mich einverstanden, und im nächsten Augenblick gibt mir Don Manuel ein Hühnerei, das ich in der geschlossenen rechten Hand halten soll. Ob es sich um ein rohes oder ein hartgekochtes Ei handelt, verrät er nicht. Ich habe Sorge, zu fest zuzudrücken. Er verschwindet im Haus und kehrt zurück mit einem Glas in der Hand, das mit einer trüben gelblichen Flüssigkeit gefüllt ist.

Das ist mir nicht geheuer. Warum tue ich mir das an? Mir fehlt doch eigentlich gar nichts … Das Rätsel des langen Lebens löse ich auf diese Weise sicher nicht. Es ist immer noch früh genug, die Behandlung abzubrechen.

Ich bitte ihn, er möge doch zuerst kosten; dann nippe ich vorsichtig an dem Glas – das muss reiner Alkohol sein. Ich reiche Rivas das Getränk wieder, er stürzt den Rest auf einen Zug herunter. Erst jetzt, nachdem er glaubt, wir hätten den Inhalt des Glases brüderlich geteilt, sind wir auf einer Wellenlänge, und das Ritual kann beginnen.

Er fasst verschiedene Zweige und Pflanzenstängel zu einem Bündel zusammen und streicht damit über meinen Körper. Dann wirft er das Bündel auf den Boden und sagt, ich solle mit den Füßen darauf herumtrampeln. So weit, so gut. Anschließend hebt er das Bündel wieder auf und lässt es mehrfach auf meinen Kopf niedersausen.

|125|Als Lenin mein Gesicht sieht, fühlt er sich zu einer Erklärung genötigt.

»Zwei Arbeitskollegen von mir hat er wieder auf Trab gebracht. Die Ärzte wussten nicht mehr, was sie tun sollten. Manuel hat dafür gesorgt, dass sie wieder aufstehen konnten und schmerzfrei waren.«

»Ja«, bestätigt der Schamane, »darauf verstehe ich mich. Das hat mir niemand beigebracht, ich genieße gewissermaßen Schutz von oben … Und deshalb werden jetzt Sie mir helfen.«

Ich überlege: Eine Sitzung bei einem autodidaktisch ausgebildeten und göttlichen Beistand genießenden Schamanen im Tal der ewigen Jugend – das hat gewiss seinen Preis.

Manuel Rivas ruft seine Frau, und sie ist sofort zur Stelle.

»Es geht um sie«, sagt er.

Langsam macht mich die Geheimniskrämerei unruhig. Mir schwant nichts Gutes.

»Nun verraten Sie schon, was Sie wollen.«

»Behandeln Sie bitte meine Frau. Sie kann nachts nicht mehr schlafen. Sie hat Schmerzen an den Hüften und an der Wirbelsäule.«

»So ist es, Doktor«, schaltet sie sich ein und zeigt mir, wo sie die Schmerzen verspürt.

»Ist Ihr Mann denn nicht Spezialist für genau |126|diese Dinge? Die Leute treten doch eigens den weiten Weg aus den Bergen an, um ihn zu konsultieren!«

»Doktor, ich bitte Sie.«